Corona und die Rechtsentwicklung
Der obrigkeitliche Umgang mit dem Virus und die Proteste dagegen haben verwirrende und gegensätzliche Debatten ausgelöst, wohin die Reise politisch geht und worin die Gefahr einer Rechtsentwicklung zu erblicken ist.
Wir dokumentieren dazu eine Stellungnahme der DKP Hannover; sie kommt zwar aus dem parteipolitischen Bereich, aber wir machen diese Ausnahme trotzdem, weil wir die Argumentation für sehr hilfreich halten, eine realistische Sicht auf die Ereignisse zu eröffnen.
Webredaktion
Diskussionsbeitrag des DKP Kreisvorstands Hannover zu den Corona- Maßnahmen der Bundesregierung, der „Querdenken“-Initiative und den Aktionen gegen „Querdenken“
Januar 2021
Der Kreisvorstand der DKP Hannover verurteilt die Politik von Bundesregierung, Landesregierung Niedersachsen und Region Hannover, die seit Beginn des COVID-19-Ausbruchs unter dem Schlagwort „Pandemiebekämpfung“ ausgeübt wird. Kennzeichnend für diese Politik und deren Durchsetzung auch mit Hilfe der Mainstreammedien ist:
- Unfähigkeit und Versagen, COVID-19 effizient und unter sozialem, gesundheitspolitischem und finanziellem Schutz der großen Mehrheit der Bevölkerung einzudämmen und zu überwinden.
- Unwilligkeit, die seit dem Ausbruch offensichtlich gewordenen verheerenden Folgen der neoliberalen Politik der letzten 30 Jahre zu stoppen und eine Umkehr einzuleiten: Weg von der Agenda-2010-Politik, vom Kaputtsparen und Abbauen der Kapazitäten in Gesundheitsbehörden und im Gesundheitssystem insgesamt, hin zum Aufbau einer sozialenund Gesundheitsinfrastruktur in öffentlicher Hand.
- Nutzung der COVID-19-Epidemie zur Bewältigung der bereits vor dem Ausbruch begonnenen Wirtschaftskrise im Interesse der Großbanken und Großkonzerne. Arbeitslosigkeit und Lohneinbußen einerseits sowie Milliardenkredite zur Absicherung der Gewinne der Finanzoligarchie andererseits werden als alternativlose Folge einer Naturkatastrophe gerechtfertigt, obwohl sie eine bewusste Umverteilungspolitik von unten nach oben sind.
- Massive Angriffe auf demokratische Rechte wie etwa das Versammlungsrecht und ein reaktionärer Umbau des Staates, wie er sich im neuen Infektionsschutzgesetz manifestiert; repressive und z.T. sinnlose Verbote und Verordnungen vor allem im persönlich-privaten Bereich inklusive Bildung, Freizeitaktivitäten, Erholung und Konsum.
- Bekämpfung von Opposition gegen diese Politik mit Diffamierung und Ächtung wie z.B. das uferlose und pauschale Überziehen von Kritikern der Coronapolitik der Bundesregierung mit dem Vorwurf der „Verschwörungsideologie“ und der „Coronaleugnung“, ungeachtet der tatsächlichen Positionen und dem breiten Feld an existierenden alternativen Positionen.
- Eskalation des „Neuen Kalten Krieges“ gegen Russland und China, und damit auch Verhinderung einer internationalen Zusammenarbeit zum Wohl der Völker.
Diese Politik lässt sich im Wesentlichen davon leiten, die COVID-19-Epidemie zur Stabilisierung des sich in einer schweren Krise befindlichen kapitalistischen Systems zu nutzen. In dieser Situation artikulieren Teile der Bevölkerung Kritik gegen einzelne Aspekte oder auch die gesamte offizielle Coronapolitik. Diese Kritik ist politisch nicht homogen, sie kommt aus verschiedensten Klassen und Schichten sowie verschiedensten politischen Lagern und mit verschiedenen Zielen. Eine Bewegung, die seit Monaten öffentlich protestiert, firmiert unter dem Etikett „Querdenken“. Nahezu alle großen Parteien sowie die Mainstreammedien haben sich vordergründig auf diese Bewegung eingeschossen.
Sie erhält trotz politisch geringer Relevanz eine überbordende Medienaufmerksamkeit. Im gesteuerten öffentlichen Fokus der Wahrnehmung wird ihr das Monopol auf jegliche Opposition gegen die Coronapolitik zugesprochen. Sie ist zudem Objekt von sich als solchen bezeichnenden antifaschistischen Protesten – in den letzten Monaten auch in Hannover.
Im Streit um die Einschätzung der „Querdenken“-Bewegung werden unweigerlich die Fragen aufgeworfen:
- Was ist gegenwärtig als rechte Politik zu bezeichnen?
- Was ist die Agenda der reaktionärsten Kräfte in unserem Land?
- Was für eine Politik bereitet gar objektiv künftigen faschistischen Herrschaftsformen den Weg?
- Wogegen muss sich daher antifaschistische Politik heute richten?
Wir meinen, dass rechte Politik heute vor allem durch die folgenden Aspekte gekennzeichnet ist. Sie alle sind Ausdruck der derzeitigen Strategie der westlichen Staaten, d.h. vor allem der NATO und der EU. Angesichts ihrer tiefen Krise und der sich abzeichnenden multipolaren Weltordnung versuchen sie, das System des Monopolkapitalismus im Innern und nach außen zu verteidigen und in die Offensive zu gelangen.
- Vorantreiben des Neuen Kalten Krieges der USA und der NATO gegen Russland und zunehmend auch gegen China zur Eindämmung derer steigender ökonomischer und politischer Bedeutung. Die Aufrüstungskampagne der NATO und die kontinuierliche Erhöhung des deutschen Militärbudgets wird ganz offen in diesen Kontext gestellt. Die aggressiver werdende Haltung Deutschlands gegenüber Russland wird begleitet von Geschichtsrevisionismus wie z.B. durch die Resolution des EU-Parlamentes, wonach die Sowjetunion eine Mitschuld am Zweiten Weltkrieg gehabt habe. Deutlich drückt sie sich auch in der Enthaltung der BRD bei der Abstimmung der UNO-Resolution über den Kampf gegen die Heroisierung des Nazismus aus.
- Jagd auf neue, profitablere Anlagesphären und Ausplünderung der Werktätigen zur Finanzierung staatsmonopolistischer, billionenschwerer Investitionsprogramme wie z.B. auf EU-Ebene der sog. „Green New Deal“. Hierzu zählt ebenfalls die weitere Unterwerfung der sozialen- und Gesundheitsinfrastruktur inklusive Rentensystem unter die Kapitalverwertung.
- Jahrzehntelanger Demokratieabbau, dessen jüngste Maßnahmen die Verschärfung der Polizeigesetze der Länder und der Grundrechtsabbau im Namen der „Coronabekämpfung“ waren. Wenngleich viele dieser Gesetze und Maßnahmen in den Schubladen ruhen, gibt es für uns keinen Zweifel daran, dass ihr Zweck die Aufstandsbekämpfung und -niederschlagung sowie die Möglichkeit zur Ausschaltung politischer Gegner im Namen von „Notständen“ ist. Dieser reaktionäre Staatsumbau richtet sich vor allem gegen die Arbeiterbewegung und begünstigt künftige Entwicklungen hin zum Faschismus.
- Aufrechterhaltung und Ausbau der EU als Mittel zur Ausplünderung der Werktätigen (z.B. durch Privatisierungen im Bereich öffentlicher Infrastruktur) und zum Abbau nationalstaatlicher Souveränität (z.B. durch teilweise Aushebelung von Verfassungen). Hierzu dient die Propaganda von der „Friedensmacht EU“.
Wir meinen, dass die Frage nach den Haupttreibern dieser Entwicklung gestellt werden muss. Aus unserer Sicht sind die Haupttreiber zuallererst die Regierenden selbst, die große Koalition unter Merkel und Scholz. Es sind die politischen Kräfte, die die COVID-19-Epidemie nutzen, um jetzt Pflöcke einzuschlagen, wenn es darum geht, demokratische und soziale Grundrechte bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln. Es sind auch die politischen Kräfte in den Oppositionsparteien, die die Aggression gegen Russland und China und die Verfälschung der Geschichte vorantreiben, besonders stark vertreten bei den Grünen. Es sind die Kräfte, die die Werkzeuge zur Meinungsmanipulation unmittelbar bedienen, von öffentlich-rechtlichen und privaten Medienanstalten bis zu den Meinungsfabriken von Bertelsmann/Correctiv und den Internetkonzernen wie facebook, Google und twitter, die jeweils im Namen der tagesaktuellen Regierungslinie die Ächtung abweichender Ansichten in den sozialen Medien organisieren. Die oben gestellten Fragen können aus unserer Sicht nur anhand einer Positionierung aller politischen Kräfte, Parteien, Organisationen und Bewegungen entlang der dargestellten Aspekte rechter und reaktionärer Politik beantwortet werden. Knapp gesagt: In der jetzigen Situation verdienen sowohl die politischen Kräfte das Etikett „rechts“, die gegen die Regierungen von Russland und China hetzen als auch die, die Merkels COVID-19-Politik zu Lasten der arbeitenden Menschen mit absichern.
Wirre und geschichtsverfälschende Aussagen sind bei „Querdenken“-Aktivisten schnell zu finden. Allerdings ist auffällig, dass der politische und mediale Mainstream sich auf diese Aussagen stürzt und sie publikumswirksam zerreißt. „Querdenken“ wird von den Herrschenden dafür benutzt, jegliche fundamentale Kritik an „Coronamaßnahmen“, insbesondere an dem atemberaubenden Grundrechteabbau durch die Bundesregierung, „in einen Sack zu stecken“ und kräftig draufzuschlagen. „Querdenken“ ist der durch den politischen und medialen Mainstream aufgestellte Pappkamerad, auf den mit eingedroschen werden darf (und soll), um jegliche Opposition gegen die Maßnahmen der Bundesregierung einzuschüchtern, zu verunglimpfen und mundtot zu machen, während die Verursacher der Krise und des reaktionären Staatsumbaus so aus dem Sichtfeld linker Kräfte schwinden. Es ist absurd, dass sich Kräfte wie SPD und Grüne angesichts der „Querdenken“- Kundgebungen als antifaschistische Vorkämpfer gebärden, während sie das antidemokratische Infektionsschutzgesetz durch Bundestag und Bundesrat peitschen und damit die ganz reale Rechtsentwicklung aktiv vorantreiben.
Auffällig ist dabei, dass „Querdenken“ zentrale Punkte mit den herrschenden politischen Kräften gemein hat: COVID-19 bzw. der Lockdown wird zur Ursache der Wirtschaftskrise hochstilisiert, obwohl die Krise bereits Ende 2019 heranrollte. China und die DDR werden attackiert. Soziale Fragen werden aus der Debatte um Grundrechte verbannt.
An den Anti-Querdenker-Protesten, die den politisch wirksamsten und gefährlichsten Rechtskräften in diesem Land keineswegs schaden, sondern im Gegenteil deren Offensive, zuallererst in Gestalt der Politik der Bundesregierung – gewollt oder ungewollt – aus dem Fokus rücken, beteiligen wir uns daher nicht. Wir sehen unsere Aufgabe vordringlich darin, der laufenden Kürzungs- und Umverteilungspolitik der Herrschenden sowie ihren Angriffen auf demokratische Grundrechte, ob im Namen des „Schicksals COVID-19“ oder im Namen eines „Green New Deals“, konkrete Widerstandsperspektiven mit den Werktätigen und für die Werktätigen entgegenzuhalten.
Anlagen
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Bündnis »Auf Die Plätze« ruft zur Kundgebung gegen »Querdenken« am 21.11. in Hannover
19.November 2020
Am Samstag, den 21.11. um 15 Uhr will die »Querdenken«-Bewegung auf dem Opernplatz Hannover ernuet gegen die Pandemiemaßnahmen demonstrieren. Das hannoversche Bündnis »Auf Die Plätze« ruft deshalb am selben Tag schon ab 14 Uhr zum Gegenprotest auf dem Rathenauplatz südlich des Holocaust-Mahnmals auf.
»In Berlin und Leipzig hat die Querdenken-Bewegung endgültig die Maske fallen gelassen und ihren rechtsradikalen, demokratiefeindlichen Kern offenbart«, so eine Sprecherin des Bündnisses. »Die Corona-Auflagen oder jetzt das Infektionsschutzgesetz waren von Anfang nur Vorwand für die Proteste, um Teile der Bevölkerung zu verunsichern und für einen Umsturz und die Abschaffung der Demokratie zu gewinnen. Auch wir haben durchaus Kritik an den Maßnahmen und werden uns am Samstag dazu äußern, aber wir werden auch sehr deutlich machen, was wir von »Querdenken« halten.«
Im Bündnis »Auf Die Plätze« finden sich seit Mai 2020 verschiedenste demokratische Parteien und deren Jugendorganisationen, politische Aktivist:innen und sozialengagierte Gruppen situtionsbezogen zusammen, um vor den faschistischen und antisemitischen Strömungen in den Coronaleugner:innen-Gruppen zu warnen.
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Bild oben: Screenshot Twitter
Quelle: UZ (https://www.unsere-zeit.de/wogegen-richten-wir-uns-141818/)
Bildunterschrift dort: „Wer den Hauptgegner verkennt, macht die falschen Auseinandersetzungen zum Schwerpunkt und wird ungewollt zum Instrument der Herrschenden.“