Kafkaesker Schauprozess
Das Verfahren zur Auslieferung von Julian Assange geht weiter
von Peter Betscher
Erstveröffentlichung in der NRhZ, Online-Flyer Nr. 753 vom 09.09.2020
Am 7. September 2020 wurde das Anhörungsverfahren zur Auslieferung von Julian Assange im Zentralen Strafgerichtshof Old Bailey im Zentrum von London fortgesetzt – nicht wie im Februar 2020 im Woolwich Crown Court, das dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh direkt angeschlossen ist. Zur Erinnerung: Julian Assange sitzt unschuldig im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, das wegen seiner harten Haftbedingungen in der ZEIT vom 05.02.2020 als die britische Version von Guantanamo Bay bezeichnet wurde. Seine Haftstrafe wegen Verstoß gegen Kautionsauflagen hat er längst abgesessen, und er wird nur wegen des Auslieferungsantrags der USA festgehalten, der sich auf ein Spionagegesetz von 1917 stützt. Damit soll ein Präzedenzfall geschaffen werden. Erstmals wird versucht einen Publizisten als „Hacker“ anzuklagen. Die Gesundheit von Julian Assange ist durch das mehrjährige Exil in der ecuadorianischen Botschaft und der Isolationshaft in Belmarsh extrem angeschlagen. (1) Der tägliche Transport vom Stadtrand Londons in den Zentralen Gerichtshofs wird seine Gesundheit zusätzlich belasten.
Alle Fotos: © arbeiterfotografie.com
We are Millions
Am Samstag, dem 5. September 2020, gab es zahlreiche Protestveranstaltungen in verschiedenen Städten, so auch in Frankfurt. Von 11 bis 14 Uhr gab es eine Mahnwache auf der Bergerstrasse in Bornheim. Abends wurden Teile der Ausstellung „We are Millions“ (2) im Kunstverein Familie Montez gezeigt, und gleichzeitig fand ein Fotoportrait-shooting statt, um die Ausstellung zu erweitern. Es begann mit einer Performance der Pressesprecherin von DiEM_25 (Democracy in Europe Movement 2025) Claudia Trapp, die einen Text mit einer Maske von Julian Assange verlas. Danach referierte Andrej Hunko, MdP und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, über den Fall Julian Assange. Er hob besonders die Verdienste von Nils Melzer (Sonderberichtserstatter über Folter bei den Vereinten Nationen) hervor, der durch seine Untersuchung des Falls Julian Assange die öffentliche Meinung gedreht hat. Vor allem gelang es ihm die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Julian Assange als Konstruktion der schwedischen Polizei (3) zu entlarven und den Nachweis zu erbringen, dass Julian Assange „alle Symptome zeigt, die typisch für Personen sind, die über längere Zeit psychologischer Folter ausgesetzt sind.“ (4) Hunko sprach den Fall des früheren Vizepräsident Jorge Glas an, der im April ebenso wie Präsident Rafael Correa wegen Korruption in Ecuador verurteilt wurde. Dieses Urteil steht direkt im Zusammenhang mit dem Fall Julian Assange, und es soll verhindern, dass Rafael Correa bei den Wahlen 2021 in Ecuador kandidieren kann. (5)
„Denn ist es erst einmal ein Verbrechen, die Wahrheit zu sagen, während die Mächtigen Straflosigkeit genießen, wird es zu spät sein, den Kurs zu korrigieren. Wir werden unsere Stimme der Zensur und unser Schicksal der ungezügelten Tyrannei überlassen haben.“
(Nils Melzer, UNO-Sonderberichterstatter über Folter)
„Heute konnte man im Gerichtssaal den Schwefel riechen!“
Es war abzusehen, dass die Pandemie-Maßnahmen dazu genutzt würden, die Verteidigung von Julian Assange zu behindern, die Öffentlichkeit weitgehend vom Verfahren auszuschließen und größere Proteste zu verhindern. Der ehemalige britische Diplomat und heutige Menschenrechtsaktivist Craig Murray liefert wie gewohnt die Prozessberichtserstattung über den Schauprozess gegen Julian Assange. Craig Murray ist inzwischen selbst wegen Verachtung des Gerichts und wegen des Schreibens von Blog-Posts im Falle des schottischen Unabhängigkeitsaktivisten Alex Salmond angeklagt (6), obwohl die Anklagen gegen Salmond inzwischen fallen gelassen wurden. Ich gebe seinen Bericht vom ersten Prozesstag gekürzt wieder, aber es empfiehlt sich, den ganzen und die weiteren Berichte zu lesen (7)
Lesen Sie dies und sagen Sie mir, dass der Schauprozess gegen Assange sich nicht nach einer Geschichte von Kafka anhört. Der Richter lässt zu, dass die Anklagepunkte so häufig geändert werden, dass die Verteidigung nicht einmal weiß, worin sie bestehen. Die grundlegendsten Forderungen werden abgelehnt. Niemand kann hören, was der Angeklagte sagt – es ist eine Farce.“
(Edward Snowden auf Twitter zu dem Bericht von Craig Murray)
Julian Assange war wie im Woolwich Crown Court wieder hinter Panzerglas, aber im Old Bailey schien die Kommunikation mit seinen Anwälten möglich zu sein. Auf der Zuschauergalerie waren nur 5 Personen bei 40 verfügbaren Plätzen zugelassen und die anderen Prozessberichterstatter mussten sich in einem anderen Raum um einen winzigen Bildschirm mit kaum hörbaren Ton versammeln. Viele wurden erst gar nicht zugelassen wie z.B. Amnesty International, Reporter ohne Grenzen oder Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Die beiden letzteren bekamen durch Intervention der deutschen Botschaft später Zugang zu dem winzigen Bildschirm. Die online-Zuschaltung in den Gerichtssal wurde 40 Prozessbeobachtern während des Verfahrens wieder entzogen, angeblich weil die Zugangsdaten ohne Zustimmung von Richterin Baraitser versandt wurden. So sieht also Öffentlichkeitsbeteiligung in einem so gewichtigen Verfahren aus!
Richterin Baraitser versuchte die Redezeit der Zeugen der Verteidigung zu beschränken und die Zeugen gleich ins Kreuzverhör zu nehmen. Die Verteidigung konterte, dass dies einer rechtmäßigen Verfahrensführung widersprechen würde. Als Kompromiss wurde den Zeugen der Verteidigung eine halbe Stunde zugestanden. Murray kommentiert: „Aber der Einfall, dass eine Standard-Halbstunden-Guillotine für alle Zeugen angemessen ist, unabhängig davon, ob sie über einen einzelnen Sachverhalt oder zu Entwicklungen über Jahre hinweg aussagen, ist schlichtweg absurd. Man spürte in dieser Frage förmlich den Wunsch sowohl der Richterin als auch der Staatsanwaltschaft die Auslieferung durchzupeitschen, wobei so wenig wie möglich des Falles öffentlich zur Sprache kommen sollte.“ Die US-Regierung hatte eine erweiterte Anklage nachgeschoben mit dem Schwerpunkt Julian Assange als „Hacker“ und nicht als Journalisten zu belasten. Diese erweiterte Anklage wurde aber erst am 21.08.2020 offiziell in das Verfahren eingeführt. Die Verteidigung bemängelte, dass in dieser kurzen Zeit keine ausreichende Vorbereitung auf die neuen Anschuldigungen möglich wäre, selbst wenn man die erschwerten Besuchsbedingungen in Belmarsh nicht berücksichtigen würde. Die Verteidigung beantragte darauf hin eine Vertagung auf den Januar. Der Antrag wurde von Richterin Baraitser kaltblütig abgelehnt mit der Begründung, dass sie am 14.08.der Verteidigung eine Vertagung offerierte, obwohl die neuen Anklagepunkte erst am 21.08. offiziell in das Verfahren eingeführt wurden. Murray resümiert: „Es ging darum, die Anhörung so schnell wie möglich und mit so wenig öffentlicher Aufmerksamkeit wie möglich durchzuziehen. Zugang verweigert, Vertagung verweigert, Vorlage von Beweisen der Verteidigung verweigert, Entfernung der ersetzenden Anklagepunkte verweigert. Die Staatsanwaltschaft scheiterte in der Februarwoche in Woolwich schlicht und einfach, was wie eine Ewigkeit her scheint. Jetzt hat sie neuen Auftrieb erhalten.(…) Die Verteidigung müsste eigentlich neue Zeugen benennen, die auf die neuen Anklagepunkte eingehen, aber die Zeugenlisten wurden aufgrund der alten Anklagepunkte erstellt. Es erscheint verrückt, dass die Verteidigung mit den falschen Zeugen weiter machen soll, aber offen gesagt, es wundert mich nichts mehr in diesem Schauprozess“. (7) Es ist offensichtlich, dass die Staatsanwaltschaft im Februar grandios gescheitert ist und die neuen Anklagepunkte, die sich zudem auf zweifelhaften Zeugen wie Sigurdur Thordarson stützt, eingebracht wurden, um die Auslieferung von Assange an die USA zu erzwingen.
„Später werden die Leute sagen: Oh, wenn ich gewusst hätte, was wir verlieren, als sie diesen anständigen und couragierten Mann auslieferten. Dann hätte ich etwas getan! Aber was kann ich jetzt tun. Seit diesen Tagen traue ich mich nicht mehr auszusprechen, was ich weiß und was ich denke. Bedauern ist oft die Frucht des Schweigens.“
(Alice Walker – mit dem Publitzer Preis ausgezeichnete Schriftstellerin)
Unsere Unterstützung wird gebraucht!
1) Wenn es Ihnen möglich ist, beteiligen sie sich an den Protesten in London während der Anhörungsphase. An den Prozesstagen vom 7. bis 25.09.2020 finden Proteste jeweils ab 9:00 Uhr vor dem Zentralen Strafgerichtshof Old Bailey im Zentrum von London statt. (8)
2) Beteiligen Sie sich an den zahlreichen Mahnwachen im Bundesgebiet (9)
3) Schreiben Sie an Ihre Volksvertreter. Es entfaltet Wirkung, wenn es massenhaft geschieht. Sie können dies in jedem Land tun, in dem Sie sich befinden. Die wichtigsten Punkte sind folgende:
- Die Veröffentlichung der Wahrheit sollte kein Verbrechen sein. Wikileaks hat Kriegsverbrechen und weltweite Korruption von Regierungen aufgedeckt.
- Der Fall der Strafverfolgung beruht vollständig auf dem Argument, dass der Auslieferungsvertrag zwischen Großbritannien und den USA von 2007 rechtlich durchsetzbar ist, dass aber gerade die Klausel 4.i des Vertrags, die die Auslieferung wegen politischer Vergehen verbietet, keine Gesetzeskraft hat. Dies ist ein absurdes Argument.
- Fragen Sie speziell Ihren gewählten Vertreter, ob sie persönlich der Meinung sind, dass politische Straftaten auslieferungsfähig sein sollten, und welche Auswirkungen ihrer Meinung nach weltweit auf politische Dissidenten im Exil haben könnten.
- Machen Sie darauf aufmerksam, dass die schändlichen Bedingungen unter denen Julian festgehalten wird, sie zum Handeln gezwungen haben. Darunter völlig unnötige Leibesvisitationen und Manöver, fehlender Zugang zu seinen juristischen Papieren und fehlender Zugang zu seinen Anwälten. Weisen Sie darauf hin, dass er nicht verurteilt wurde und dass diese mit seinem Status als unschuldiger Untersuchungshäftling unvereinbar sind. Weisen Sie darauf hin, dass er wie die gewalttätigsten verurteilten Terroristen behandelt, dass er jedoch nicht verurteilt und eines friedlichen politischen Vergehens beschuldigt wird. (10)
4) Spenden Sie zur Unterstützung der Verteidigung:
https://www.crowdjustice.com…
5) Schreiben Sie an Julian Assange:
Julian Assange
A9379 – AY
HMP Belmarsh, Western Way
London SE 28 DEB
United Kingdom
„Julian Assange ist ein Verleger der Wahrheit. Er hat trotz seiner unmenschlichen Behandlung große Arbeit für die Menschheit geleistet. Dieser Fall ist entscheidend für unser Recht auf Wissen und unsere essentielle Freiheit gegen die USA und Großbritannien – – und jetzt gegen die Tyrannei!“
(Oliver Stone, Filmregisseur)
Anmerkungen:
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26843
(2) https://wearemillions.org/de/
(3) https://www.republik.ch/2020/01/31/nils-melzer-spricht-ueber-wikileaks-gruender-julian-assange
(4) https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2019/nr-2627-3-dezember-2019/der-un-sonderberichterstatter-ueber-folter-nils-melzer-hat-erneut-ein-ende-der-folter-von-julian-assange-gefordert.html
(5) https://amerika21.de/dokument/238947/erklaerung-correa-glas
(6) https://cooptv.wordpress.com/2020/04/28/britischer-exdiplomat-craig-murray-wegen-blog-beitraegen-angeklagt/
(7) https://www.craigmurray.org.uk/archives/2020/09/your-man-in-the-public-gallery-the-assange-hearing-day-6/
(8) https://www.candles4assange.com/
(9) https://www.freeassange.eu/#naechste-termine
(10) https://www.craigmurray.org.uk/archives/2020/03/julian-assange-hearing-your-help-wanted/
Peter Betscher ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
Link zur Erstveröffentlichung: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27032
Beitragsbild oben: © arbeiterfotografie.com
Bearbeitung: Ralf Lux