Frieden - Antifaschismus - Solidarität

Die deutsch-zionistische Ideologie und der gefakte „Antisemitismus“

Aus: „FREIDENKER“ Nr. 2-20, Juni 2020, S. 47-53, 79. Jahrgang

von Annette Groth

Rede auf der Konferenz des Deutschen Freidenker-Verbandes „Der tiefe Staat – oder: Wer regiert den Westen?“ am 16. November 2019 in Stuttgart

 

Seit etlichen Jahren werden Veranstaltungen, die sich kritisch mit der israelischen Regierungspolitik auseinandersetzen, von Antideutschen und Organisationen wie der Deutsch-Israelischen Gesellschaft gestört und behindert. Etliche Veranstaltungen konnten nur auf juristischem Klageweg durchgesetzt, viele mussten abgesagt werden. Das gängige Argument dabei ist der Antisemitismusvorwurf, der nach wie vor eine große Sprengkraft hat. Oft genügt ein Anruf bei Bürgermeistern oder Chefredakteuren und/oder denunziatorische Briefe, um eine Antisemitismuskampagne loszutreten. Dass es dabei sehr oft Juden und Jüdinnen trifft, die die israelische Besatzungspolitik und die Menschenrechtsverletzungen kritisieren, wird mit dem Begriff „selbst-hassende Juden“ abgetan. Der Antisemitismusvorwurf wird damit zu einem gefährlichen Herrschaftsinstrument, wie Moshe Zuckermann es bezeichnet, und von den herrschenden Eliten bewusst benutzt, um linke Diskurse zu eliminieren. Der Antisemitismusvorwurf ist das geeignetste Instrument, um Disziplinierungsmaßnahmen, Gesetzesverschärfungen und dgl. mehr durchzusetzen.

Angriffe gegen BDS

Mit der BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) haben die vermeintlichen Antisemitismusjäger einen “hervorragenden“ Aufhänger für ihre Denunziationen gefunden. Mit Hinweis auf eine mögliche Unterstützung für BDS wurde der Schriftstellerin Kamila Shamsie der Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund aberkannt, wurde der Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, Peter Schäfer, zum Rücktritt gezwungen, und etliche Musiker wurden von Konzerten ausgeschlossen. Der Berliner SPD-Innensenator Geisel erwägt, BDS-SympathisantInnen vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen.[1]

Ein Stück aus dem Tollhaus im Jahr 2019 war die Auseinandersetzung über den Göttinger Friedenspreis für die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost e.V.“[2]

Seit vielen Jahren wird dieser Preis von einer privaten Stiftung vergeben; bislang fand die Feier immer in der Aula der Göttinger Universität statt, wurde von der hiesigen Sparkasse gesponsert und der oder die jeweilige OberbürgermeisterIn hielt eine Ansprache. Aber mit der Bekanntgabe des Preisträgers, eben der Jüdischen Stimme, änderte sich das Prozedere. Die Präsidentin der Universität kündigte die Veranstaltung in der Aula, die Sparkasse verweigerte den Zuschuss für die Feier, der Oberbürgermeister sagte ab. Grund:  die Jüdische Stimme unterstütze die gewaltfreie und menschenrechtsbasierte Kampagne BDS, was viele für einen Akt des Antisemitismus per se halten. Schlussendlich haben die Inhaber einer Galerie angeboten, die Feier auszurichten, die nur durch Spenden ermöglicht wurde. Auch die Stiftung, die den Preis jährlich vergibt, unterstützte die Jüdische Stimme, was nun gar nicht selbstverständlich war.

Nirit Sommerfeld, eine jüdische Schauspielerin und Sängerin mit israelischer und deutscher Staatsbürgerschaft und Laudatorin, schrieb in einem Offenen Brief an die Präsidentin der Uni Göttingen, an den Oberbürgermeister und den Vorsitzenden der Sparkasse folgendes:

„Ich mache mir hier Gedanken über die Worte, die ich für die Laudatio wählen will, um den Anwesenden zu erklären, warum es so wichtig ist, dass gerade Juden gegen Unrecht, gegen Gewalt und Besatzung, für gleiche Rechte unter allen Menschen, für Gerechtigkeit und für das bedingungslose NIE WIEDER! einzustehen, das wir nach dem Zivilisationsbruch, der großen Katastrophe des Holocaust erleben mussten. Für diesen Mut, für dieses Einstehen, für diesen Versöhnungswillen, für diesen Kampfgeist gegen alle Widerstände soll die ‘Jüdische Stimme’ in Göttingen geehrt werden. DAS HAT MIT JÜDISCHEN WERTEN ZU TUN. Wollen Sie, deutsche Nicht-Juden, uns eines Besseren belehren?!“

Insbesondere Deutsche, die sich aufgrund ihres Schuldgefühls nicht trauen, die israelische Besatzungspolitik zu kritisieren, sollten die Laudatio von Nirit Sommerfeld lesen oder hören. Sie entlarvt die Hintergründe und die ganze Idiotie hinter den BDS-Verleumdungen und den ungerechtfertigten Antisemitismusvorwürfen, besonders vorgebracht gegen Juden und Jüdinnen: manche Deutsche müssten vor Scham versinken! [3]

Seit dem Bundestagsantrag mit dem Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“[4]  vom 17. Mai 2019, angenommen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, haben sich die Auseinandersetzungen um BDS verschärft. In dem Antrag heißt es, dass BDS zum Boykott gegen Israel, gegen israelische Waren und Dienstleistungen, israelische Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Sportlerinnen und Sportler aufrufe. „Der allumfassende Boykottaufruf führe in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes“. Der Vollständigkeit halber muss ich leider auch berichten, dass auch die Fraktion Die Linke am 17.5. einen Antrag „BDS-Bewegung ablehnen – Friedliche Lösung im Nahen Osten befördern“ eingebracht hat. [5]

Der Antrag wirbt für die Zwei-Staaten-Lösung, sagt aber auch, dass es „Äußerungen und Handlungen aus der BDS-Bewegung gibt, die darauf abzielen, das Existenzrecht des Staates Israel in Zweifel zu ziehen“. Das ist zwar Unsinn, aber einige Linke beziehen sich auf diesen Antrag und hetzen ebenfalls gegen BDS.

 „Antisemitisch“?

Seit Mai ist der allgemeine „Medien-Sprech“, die BDS-Kampagne sei antisemitisch. Das ist zwar grober Unfug, wird aber von PolitikerInnen und JournalistInnen häufig wiederholt, weil es eine gängige Behauptung ist, die überall zu lesen ist, wie mir eine Journalistin bedeutete. Die Hetze gegen die menschenrechtsbasierte und gewaltfreie BDS Bewegung ist gefährlich und lenkt von den Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen der israelischen Regierung ab, die fast nicht mehr thematisiert werden.

Judith Bernstein von der jüdisch-palästinensischen Dialoggruppe in München, kommentierte die Gleichsetzung von BDS = antisemitisch in einem Vortrag, 2018 gehalten in der Ev. Akademie Bad Boll folgendermaßen:

„Warum lernen wir nicht von den Palästinensern? Nachdem ihr jahrzehntelanges Bemühen, zu einer friedlichen Lösung mit Israel zu kommen, gescheitert ist, haben sie sich für den gewaltfreien Widerstand entschieden. Dass die BDS-Kampagne mit vielen Widerständen und vor allem mit dem Vorwurf des Antisemitismus bekämpft wird, hat sie nicht eingeschüchtert. Auch nicht die Tatsache, dass behauptet wird, diese Kampagne richte sich gegen Israel. Allein dieser Vorwurf ist absurd, denn warum sollte sie die Gleichberechtigung der palästinensischen Bevölkerung in Israel verlangen, wenn sie diesen Staat weghaben will? Es ist doch eher die israelische Regierung mit ihren neuen Gesetzen, wie das Nationalstaatsgesetz, das den eigenen Staat gefährdet. Im Übrigen, zu diesem Gesetz haben die Israelunterstützer in Deutschland bisher geschwiegen. Dieses Gesetz ist nur die Legalisierung der Praxis, die seit Gründung des Staates herrscht – die palästinensische Bevölkerung nicht als ebenbürtig zu betrachten. Es ist doch sehr perfide, wenn die Forderung nach fundamentalen Menschenrechten der Palästinenser mit Antisemitismus gleichgesetzt wird.“[6]

Nach den BDS-Anträgen im Bundestag erschienen etliche Artikel, Appelle und Offene Briefe an deutsche PolitikerInnen und MultiplikatorInnen, die durch diese Anträge u.a. vor einer gefährlichen Einschränkung der Meinungsfreiheit und vor einer Dämonisierung der BDS-Kampagne warnen.

Einen bemerkenswerten Artikel von Barry Trachtenberg, Professor für Jüdische Geschichte an der Wake Forest University in North Carolina, USA, druckte die TAZ mit dem Titel „Die Panik angesichts der BDS-Bewegung in Deutschland lenkt uns von der wirklich antisemitischen Bedrohung durch Neonazis ab“.[7]

Darin heisst es: „Als jüdischer US-Bürger, der die Boykottbewegung unterstützt, und als Historiker, der über das jüdische Volk und den Holocaust forscht, sowie als Unterzeichner beider Briefe hat mich die Art und Weise alarmiert, in der die BDS-Bewegung falsch charakterisiert und dämonisiert wird. Mir geht es dabei um zwei Punkte: Zunächst ist der Versuch, BDS als antisemitisch darzustellen, vor allem ein Trick, um legitime Kritik an Israels Umgang mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten abzuwehren. Zum anderen – und genauso besorgniserregend – verkennen all jene, die vor BDS warnen, die sehr viel gefährlichere Bedrohung, die für Juden und andere Minderheiten in beiden Ländern von rassistischen Vorkämpfern einer weißen Vorherrschaft ausgeht“. Trachtenberg bezieht sich auf den Aufruf 240 jüdischer und israelischer Akademiker, „Setzen Sie „BDS“ NICHT mit Antisemitismus gleich“ den er mit unterzeichnet hat, sowie einen weiteren Offenen Brief, den er ebenfalls unterschrieben hat.

Auch der bekannte israelische Journalist Gideon Levy veröffentlichte am 19.5. 2019 einen Artikel in Haaretz mit dem Titel „Deutschland, Schande über Dich und deine Anti-BDS-Rsolution“. Und Moshe Zuckermann schrieb am 20.5. 2019 in der Jungen Welt „Verdinglichter Fetisch“: „So sieht es aus, wenn die Realität feige kaschiert wird und Feigheit zur Ideologie gerinnt. Unterm Strich hat aber wieder einmal Hitlers verlängerter Arm seine Wirkung gezeigt: Das gesamte deutsche Parlament, von der liberal „differenzierten“ Linkspartei bis zur resoluten AfD, hat der „antisemitischen“ BDS-Bewegung die notwendige deutschbefindliche Lektion erteilt. Eine weitere Sternstunde deutscher Vergangenheitsbewältigung“.

Sehr lesenswert ist auch der Appell von Amos Goldberg, Professor an Hebräischen Universität Jerusalem und Spezialist für die Erforschung des Holocaust, an „meine deutschen Freunde“, veröffentlicht in der Frankfurter Rundschau. „Ich warne meine Freunde in Deutschland wegen unserer Erfahrungen in Israel: Es steht noch mehr Ärger bevor, falls Sie die Grundsätze der Demokratie, die Meinungsfreiheit und eine prinzipientreue Außenpolitik nicht energisch verteidigen. Wenn Sie nicht für diese Werte kämpfen, gerade auch im Kontext sensibler Themen, könnte sich Deutschland in fünf oder zehn Jahren in ein weiteres illiberales Bollwerk verwandeln. Seine Politik könnte dann der Israels, Ungarns und Polens ähneln.“[8]

Diese Warnung sollten wir wirklich ernst nehmen und uns mit allen Kräften dagegen wehren. Die Verschärfungen der Polizeigesetze, die –  obwohl es keine erhöhte Kriminalitätsrate gibt – überall durchgepeitscht werden, sind Zeichen für einen repressiven autoritären Staat. „Sicherheit“ und „Sicherheitskonzepte“ sind die neuen Buzz-Wörter, die uns vor Terroranschlägen schützen sollen und rechtfertigen die repressiven Gesetze.

„Nationale Sicherheit“ ist auch ein Synonym für das vielbeschworene Existenzrecht Israels und rechtfertigt einen permanenten Ausnahmezustand, dem die Bevölkerung unterworfen ist. „Trennmauer, Kontrollposten, Militarisierung der Polizei, bewaffnete Patrouillen in den Straßen, Gesichtsprofil und Gesichtskontrollen, Überwachung und Einteilung der Bevölkerung gemäß ihrer vermuteten Gefährlichkeit, unverhältnismäßige Vollmachten der Geheimdienste, exzessive Expertenpräsenz in den Medien und Verehrung des Gottes Sicherheit sind integrale Bestandteile  dieser Demokratie im Ausnahmezustand.“[9]

Mit dem Konstrukt der drohenden Gefahr wurde eine rechtliche Kategorie geschaffen, die es der Polizei ermöglicht, künftig auch ohne konkrete Verdachtsmomente sog. „Gefährder“ präventiv zu verhaften. Dieses  „legale Instrument“ erinnert  an die in Israel weitverbreitete Maßnahme, potentielle jugendliche palästinensische Steinewerfer oder andere Verdächtige in israelische Militärgefängnisse zu stecken, auch wenn sie nachweislich nichts „verbrochen“ haben.

Im Oktober schrieb das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte einen Brief an Außenminister Heiko Maas und kritisierte, dass der Bundestagsbeschluss „unverhältnismäßig in das Recht der Menschen auf politische Meinungsäußerung in Deutschland eingreife, nämlich Unterstützung für die BDS-Bewegung zum Ausdruck zu bringen“.

Unterzeichnet haben den Brief insgesamt fünf UN-Sonderberichterstatter: David Kaye, zuständig für den Schutz der Meinungsfreiheit, Clement Nyaletsossi Voule, zuständig für das Recht auf Versammlungsfreiheit, Michel Forst, zuständig für die Lage von Menschenrechtsaktivisten, Michael Lynk, Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten und Ahmed Shaheed, zuständig für die Religionsfreiheit.

Der Bundesregierung wurden 60 Tage für eine Antwort eingeräumt, in der sie erklären soll, “(…) welche rechtlichen Auswirkungen der Bundestagsbeschluss habe und wie er sich mit den Verpflichtungen Deutschlands zum Schutz der internationalen Menschenrechte vertrage. Zudem soll die Regierung erklären, wie sie sicherstellt, dass BDS-Aktivisten Menschenrechtsverletzungen “ohne unzulässige Einschränkungen” benennen können. Als ermutigend bezeichnen die Autoren Gerichtsentscheidungen in Köln und München, in denen Pro-BDS-Gruppen erfolgreich gegen Einschränkungen geklagt hatten.”

Bislang gibt es vom Außenminister keine Reaktion.[10]

Bereits im Juli 2018 verurteilten über dreißig jüdische Organisationen aus aller Welt die „gezielten Angriffe gegen Organisationen, die die Rechte der Palästinenser*innen im Allgemeinen und die gewaltfreie Boykott-, Desinvestitionen- und Sanktionsbewegung (BDS) im Besonderen unterstützen“: „Diese Angriffe erfolgen allzu oft in Form von zynischen und falschen Antisemitismusvorwürfen, die auf eine gefährliche Art und Weise den antijüdischen Rassismus mit dem Widerstand gegen die israelische Besatzungs- und Apartheidpolitik gleichsetzen…“[11]

Auch die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano, Mitglied im Auschwitz-Orchester, unterstützt BDS. Für ihre harsche Kritik an der israelischen Besatzungspolitik – sie brandmarkt die Regierung Nethanjahus als „faschistisch“ (“They are fascists. It is a fascist government. I have no other name for it.”) – wurde Bejanaro auch schon als Antisemitin beschimpft.

Warum ist BDS so gefährlich, dass die Kampagne derart bekämpft wird?

Nachdem die BDS-Kampagne 2005 von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen initiiert wurde, richtete die israelische Regierung 2007 ein Hasbara-Forum ein, das der Welt die „positiven Seiten“ der Politik Israels erklären soll. „Der Generalstab der Hasbara-Strategie untersteht direkt dem israelischen Regierungschef. Er koordiniert die verschiedenen Apparate des nationalen Hasbara-Forums, das VertreterInnen der Sicherheits- und Geheimdienste, des Außenministeriums, des Ministeriums für Diasporaangelegenheiten sowie des Ministeriums für strategische Angelegenheiten und Hasbara umfaßt.“

Hasbara bedeutet auf Hebräisch Erklärung und steht für die an das Ausland gerichtete israelische Propaganda: „Hasbara ist das, was wir – die Guten – machen, um zu erklären, inwieweit wir tatsächlich gut sind und inwieweit die Bösen tatsächlich böse sind.“[12]

Die israelische Regierung bezeichnete BDS als „erstrangige strategische Bedrohung“ bezeichnet, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. So erklärte Der Vorsitzende der zentristischen Partei Yesh Atid im Juni 2015 vor der UNO: „Wir müssen von der Verteidigung zum Angriff übergehen und der Welt erklären, dass die Leute hinter dem Boykott dieselben sind, die ganze Bevölkerungen unterdrücken und im Niger und Syrien Kinder töten.“[13] Demnach sind BDS-Unter­stützerInnen vergleichbar mit Mördern, die mit aller Härte bestraft werden müssen. Das Mundtotmachen, die Auftrittsverbote und die Hetze sind ein Teil dieser Strategie.

Mit welchen Mitteln und Strategien die Hasbara vorgeht, beschreiben die israelischen Filmemacher Eyal Sivan und Armelle Laborie in ihrem Buch „Legitimer Protest“. Darin geht es beispielsweise um die Durchsetzung neuer Formen der Meinungsfreiheit, die Einschränkung akademischer Freiheit durch Denunziation von Professoren und akademischem Lehrpersonal, und letztendlich um die „Anpassung“ des Völkerrechts, einschließlich des Kriegsrechts und der Menschenrechte (!): „Seit Anfang des 21. Jahrhunderts nehmen die politischen EntscheidungsträgerInnen Israels, unterstützt von StrategInnen, JuristInnen und Forschenden, an einer globalen Offensive teil, um das Völkerrecht – insbesondere das Kriegsrecht und die Menschenrechte – den heutigen Realitäten der vom Terrorismus bedrohten liberalen Demokratien anzupassen.“[14]

Mir kommt es vor, als ob nach einem Leitfaden des Ministeriums für strategische Angelegenheiten vorgegangen wird, das zur Bekämpfung von BDS gegründet wurde und mit Millionen von Dollar diesen „Kampf“ führt.  Das Ministerium finanziert Stiftungen, Think Tanks, Reisen für Journalisten, Studierende und „Meinungsmacher“ nach Israel sowie ein Netzwerk von Juristen, das juristische Schritte gegen BDS-Aktivisten prüfen soll.

Ein anderer Bestandteil ist die Schleifung des Völkerrechts: So ist dann logisch, dass Trump und Co kürzlich betont haben, dass die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen rechtskonform mit Internationalem Völkerrecht sind. Kurz davor hatte der Europäische Gerichtshof geurteilt, dass Produkte aus den Siedlungen als solche gekennzeichnet werden müssen.

Dass Israel selbst seit langer Zeit einen akademischen und ökonomischen Boykott betreibt, wird in den Mainstream Medien verschwiegen. So wurde der Schriftstellerin Susan Abulhawa („Während die Welt schlief“) mit ihrem US-amerikanischen Pass die Einreise nach Israel verweigert, wie auch dem jüdischen US-amerikanischen Publizisten Peter Beinart, dem Leiter einer Pax Christi-Reisegruppe aus Deutschland, Vertretern des Ökumenischen Rates der Kirchen, die an einer Umwelt-Konferenz in Bethlehem teilnehmen wollten; die Liste ist weitaus länger.

Der Skandal, dass in Deutschland Juden und Jüdinnen, die sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen und die israelische Besatzungspolitik kritisieren, Auftritts- und Redeverbot haben, wird fast nie thematisiert. Das ist unglaublich und sollte viel stärker in die Öffentlichkeit gebracht werden!

Nun etwas Positives:

Einen bedeutenden juristischen Sieg hat die Palästina-Solidarität in Stuttgart errungen. Soweit mir bekannt, war das der Stuttgarter Zeitung allerdings keine Zeile wert. In der TAZ hat Micha Brumlik am 3.9. 2019 diesen Prozess so kommentiert:

„Dem israelbezogenen McCarthyismus sind Grenzen gesetzt worden. Durch ein Gericht in Stuttgart. Der Publizist Reiner Bernstein – er setzt sich seit Jahrzehnten für eine beiden Seiten gerecht werdende Lösung des Israel-Palästina-Konflikts ein – klagte gegen diffamierende Äußerungen zweier Mitglieder der Stuttgarter Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Deren Vorsitzende, Bärbel Illi, hatte nach einem Vortrag Bernsteins behauptet, dass er die BDS-Kampagne verteidigt und eine durchgehende jüdische Präsenz in Palästina negiert habe. Bernstein klagte gegen diese Behauptungen und so verurteilte das Landgericht Stuttgart am 22. August die dortige DIG dazu, eine Wiederholung dieser Behauptungen zu unterlassen. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wurden bis zu 250.000 Euro ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht. Demnach ist es unzulässig, „wörtlich oder sinngemäß über den Kläger zu behaupten, zu verbreiten oder verbreiten zu lassen“, er habe die BDS-Kampagne gegen Kritik verteidigt.“ Das ist für uns alle eine grosse Ermutigung.

Gegen den BDS Beschluss und das Redeverbot von einigen jüdischen Aktivistinnen wird derzeit in mehreren Städten geklagt und ein kirchliches Netzwerk, das Kairos-Palästina-Solidaritätsnetz, prüft eine Verfassungsklage gegen den Beschluss vom 17.5.2019, um das zentrale Recht auf Meinungsfreiheit in Deutschland nach Artikel 5 des Grundgesetzes zu verteidigen.

Dieses Netzwerk hat eine sehr gute Stellungnahme zu dem Bundestagsbeschluss veröffentlicht:

„Wir finden es unerträglich, dass die Mehrheit der deutschen Parteien mit ihrer Parallelisierung der NS-Unrechtsparole „Kauft nicht bei Juden“ und BDS (das sich gegen die Politik des Staates Israel und nicht gegen Juden richtet) der deutschen Bevölkerung zumutet, schwerstes Unrecht aus Hitlers Nazizeit mit Methoden gewaltfreien Widerstandes, wie sie u.a. Mahatma Gandhi erfolgreich gegen England angewandt hat, gleichzusetzen. So redet sie einer letztlich den Faschismus verharmlosenden Geschichtsfälschung das Wort.“[15]

Zum Schluss möchte ich auf die warnenden Worte von Jeff Halper, Vorsitzender des israelischen Komitees gegen Häuserzerstörungen und Autor des wichtigen Buches „War against the People: Israel, the Palestinians and Global Pacification (London 2015), hinweisen:

„Israel exportiert mehr als nur Waffen, Sicherheits- und Überwachungssysteme, Aufstandsbekämpfungs- und Antiterrorinstrumente, Modelle der Bevölkerungskontrolle oder Polizeitaktiken. Israel verkauft und wirbt für etwas, was viel weiter geht und viel gefährlicher ist: einen Sicherheitsstaat, der Sicherheit über alles andere stellt und der Demokratie und Menschenrechte in einer Welt des Terrors als „liberalen Luxus“ betrachtet (und dabei wird jeder Widerstand, ganz gleich, ob er sich gegen Unterdrückung oder gegen kapitalistische Ausbeutung richtet, schnell unter der Rubrik „Terrorismus“ eingeordnet).“[16]

Annette Groth ist ehem. MdB, Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbands und lebt in Stuttgart

 

Quellen und Anmerkungen

[1] https://www.juedische-stimme.de/2019/10/07/stellungnahme-zum-vorhaben-andreas-geisels-andersdenkende-juden-zu-verfolgen/

[2] https://nirit.de/wp-content/uploads/ 2019/03/JS_LAUDATIO_Nirit_final.pdf

[3] https://nirit.de/wp-content/uploads/ 2019/03/JS_LAUDATIO_Nirit_final.pdf,
https://www.youtube.com/watch?v=zxbH3a72dgg

[4] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/101/1910191.pdf

[5] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/102/1910261.pdf

[6] https://www.jrbernstein.de/blog-1/2018/ 9/24/wann-ist-kritik-an-israel-antisemitisch

[7] https://taz.de/Debatte-ueber-die-BDS-Bewegung/!563171

[8] https://www.fr.de/meinung/appell-meine-deutschen-freunde-12851166.html

[9] Eyal Sivan/Armelle Laborie: „Legitimer Protest – Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boykott Israels“, ProMedia 2018, S. 143

[10] http://bds-kampagne.de/2020/01/12/die-anti-bds-resolution-des-deutschen-bundestags-verstoesst-gegen-meinungsfreiheit-und-politische-grundrechte/

[11] https://linkezeitung.de/2019/01/03/der-antisemitismusvorwurf-eine-schlagkraeftige-waffe/

[12] Eyal Sivan/Armelle Laborie: „Legitimer Protest – Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boykott Israels“, ProMedia 2018, S. 13 f

[13] ebenda, S. 20

[14] ebenda S. 141

[15] https://kairoseuropa.de/wp-content/uploads/2019/06/%c3%96kumenische-Erkl%c3%a4rung-zur-Verteidigung-des-Grundgesetzes-und-des-V%c3%b6lkerrechts-gegen%c3%bcber-dem-Deutschen-Bundestag-1.pdf

[16] Dieses Zitat findet sich in Jeff Halpers Artikel „Hier wird mehr exportiert als nur Waffen – Warum die Deutschen keine Geschäfte mit der israelischen Sicherheitsindustrie machen sollten“, veröffentlicht in „Palästina – Vertreibung, Krieg und Besatzung – Wie der Konflikt die Demokratie untergräbt“, herausgegeben von A.Groth, N.Paech, R.Falk, 2017 im PapyRossa Verlag.

 


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Annette Groth: Die deutsch-zionistische Ideologie und der gefakte „Antisemitismus“  (Auszug aus FREIDENKER 2-20, ca. 395 KB)


Beitragsbild oben: Annette Groth auf der Konferenz am 16.11.19 in Stuttgart, © arbeiterfotografie.com /
Hannover: Mahnwache gegen Antisemitismus 10.10.2019 / Urheber nicht genannt / Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=82990322 (Gesichter unkenntlich gemacht)