Befreit Julian Assange!
Global Protest Day für Julian Assange und Chelsea Manning, Frankfurt am Main, 18. Mai 2020
Von Peter Betscher
Erstveröffentlichung in der NrhZ, Online-Flyer Nr. 746 vom 08.06.2020
Befreit Julian Assange! Free, Julian Assange! Dieser Ruf wurde bei der Mahnwache am 18. Mai 2020 anlässlich des Global Protest Day für Julian Assange und Chelsea Manning von der Gruppe „Free Assange Frankfurt“ immer wieder skandiert. An diesem Tag sollte ursprünglich der Prozess gegen den Wikileaks-Gründer vor dem Londoner Woolwich Crown Court fortgesetzt werden. Schaut man sich im Netz um, dann war dieser Protesttag gar nicht so global. Das hängt einerseits damit zusammen, dass sich einiges im Auslieferungsverfahren gegen Assange verschoben hat, und andererseits überdeckt momentan die sogenannte Corona-Krise fast alles. Und Chelsea Manning wurde nach einem Suizidversuch am 13.04.2020 aus der Haft mit einer Geldstrafe von 256.000 US-Dollar wegen ihrer Aussageverweigerung gegen Julian Assange entlassen, und die Geldstrafe sollte sofort fällig werden. Das Strafgeld wurde von Spendern der Crowdfunding-Plattform GoFundMe innerhalb von zwei Tagen aufgebracht. (1)
Was ist passiert seit den Protesten im Februar?
Am Samstag vor der Eröffnung des Prozesses in Sachen Auslieferung von Julian Assange gab es eine große Demonstration in London (2), und in der Woche des Prozesses fanden Demonstrationen vor dem Belmarsh Gefängnis in London statt (3). Der ehemalige britische Diplomat und heutige Menschenrechtsaktivist Craig Murray liefert die Prozessberichtserstattung über den Schauprozess gegen Julian Assange (4).
Julian Assange war 8 Jahre nach seiner Flucht in der ecuadorianischen Botschaft in London isoliert, nachdem er berechtigterweise eine Auslieferung an die USA befürchtete. Nachdem Ecuador nach einem Regierungswechsel und finanzieller Nachhilfe durch die USA ihm das Asylrecht entzog, wurde er am 11.04.2019 verhaftet, und er sitzt seither in Isolationshaft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Assange hat seine Haftstrafe wegen Verstoßes gegen die Kautionsauflagen inzwischen abgesessen und wird nur wegen des Auslieferungsantrags der USA festgehalten, wo ihm eine Haftstrafe wegen Spionageverdacht bis zu 175 Jahren oder die Todesstrafe droht. Schon seit 2015 machen Ärzte darauf aufmerksam, dass die Isolation in der Botschaft und die eingeschränkten medizinischen Behandlungsmöglichkeiten lebensbedrohlich für Julian Assange werden können. Im Mai 2019 stellte Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter für Folter, fest, dass „er alle Symptome zeigte, die typisch sind für eine Person, die über einen längeren Zeitraum psychologischer Folter ausgesetzt war.“ Mediziner machten in einem offenen Brief darauf aufmerksam, dass sie „ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Eignung von Herrn Assange, im Februar 2020 vor Gericht zu stehen“, sehen (5). Trotzdem wurde die Anhörung Mitte Februar durchgeführt, und Assange musste aus einen Panzerglaskasten den Prozess verfolgen und konnte sich nur unter Schwierigkeiten mit seinen Anwälten verständigen.
Am 25. März lehnte Richterin Vanessa Baraitser einen Antrag von Julian Assange auf Entlassung auf Kaution ab. Julian Assange ist angesichts seiner jahrelangen Isolation und seinem dadurch extrem angegriffenen Gesundheitszustand besonders durch das Covid-19-Virus gefährdet. Unabhängig von der Gefahr durch den Virus sollte der Prozess erst fortgeführt werden, wenn Julian Assanges Gesundheitszustand wieder voll hergestellt ist und hierzu ist seine Entlassung unumgänglich. Das Verfahren erinnern an den Prozess gegen Präsident Milosevic, dem ebenfalls eine Entlassung zur medizinischen Behandlung verwehrt wurde, obwohl Russland alle Garantien für eine Rückführung nach Den Haag gegeben hatte und der kurz darauf in Den Haag gestorben ist. Unterlassene Hilfeleistung gehört inzwischen zum Waffenarsenal der neuen Weltordner.
Am 27.04. haben die Anwälte von Julian Assange Berufung gegen den Anhörungstermin am 18.05. eingelegt. Sie begründeten es damit, dass die grundlegenden Rechte ihres Mandaten infolge der Quarantäne-Maßnahmen drastisch beschnitten würden. Sie führten aus, dass Ihr Mandant, sein Recht Beweise einzusehen oder sich mit seinen Anwälten zu beraten, momentan nicht wahrnehmen könne. Wichtige Zeugen können wegen der Reisebeschränkungen nicht anreisen. Auch wäre eine Beteiligung der Öffentlichkeit an dem Verfahren nur schwer möglich.
Am 03.05. wurde das Verfahren vom Westminster Magistrates Court auf September verschoben.
Durch die weltweiten Corona-Massnahmen sind die Aktionen der Unterstützer von Julian Assange massiv eingeschränkt worden. Die französischen Gelbwesten, die im Februar einen Großteil der Demonstranten stellten, sind bis vor kurzem zu einem kompletten Hausarrest genötigt worden. Umso wichtiger ist es, dass wir unsere eingeschränkten Grundrechte wieder zurück erkämpfen. Die Zeit bis September muss genutzt werden, um einen breiten Protest vorzubereiten.
Ihre Mithilfe wird gebraucht
Mit diesem Titel überschrieb Craig Murray einen Artikel auf seinem Blog am 6. März (6). Wir haben es um die Punkte gekürzt, die sich ausschließlich an Briten und US-Amerikaner richten, übersetzt und aktualisiert:
Punkt 1) Halten Sie sich Tage im September frei. Die Anhörung wird in den September verlegt. Erscheinen Sie im September und schließen Sie sich den Protesten dort an – zeigen Sie der Welt, dass dies ein politischer Prozess ist, und wir wissen es. Der Woolwich Crown Court ist zu Fuß vom Bahnhof Plumstead im Südosten Londons zu erreichen. Wenn es für Sie möglich ist, bringen Sie Ihr Zelt mit und schließen Sie sich dem Free Assange Village an, das sich auf den Grasbänken rund um den Platz aufbaut – es gibt jede Menge Platz. Aber wenn Sie einfach für den Tag kommen können, ist das genauso wertvoll. Während der Anhörung, die mindestens drei Wochen dauert, werden täglich Proteste laut.
Machen Sie bei den Protesten so viel Lärm wie möglich. Die Staatsanwaltschaft ist bestrebt, dies als einen „gewöhnlichen Strafprozess“ darzustellen. Sorgen Sie dafür, dass die Welt und der Richter wissen, dass dies nicht der Fall ist. (…)
Schreiben Sie an Ihre Volksvertreter. Es entfaltet Wirkung, wenn es massenhaft geschieht. Sie können dies in jedem Land tun, in dem Sie sich befinden. Die wichtigsten Punkte sind folgende:
- Die Veröffentlichung der Wahrheit sollte kein Verbrechen sein. Wikileaks hat Kriegsverbrechen und weltweite Korruption von Regierungen aufgedeckt.
- Der Fall der Strafverfolgung beruht vollständig auf dem Argument, dass der Auslieferungsvertrag zwischen Großbritannien und den USA von 2007 rechtlich durchsetzbar ist, dass aber gerade die Klausel 4.i des Vertrags, die die Auslieferung wegen politischer Vergehen verbietet, keine Gesetzeskraft hat. Dies ist ein absurdes Argument.
- Fragen Sie speziell Ihren gewählten Vertreter, ob sie persönlich der Meinung sind, dass politische Straftaten auslieferungsfähig sein sollten, und welche Auswirkungen ihrer Meinung nach weltweit auf politische Dissidenten im Exil haben könnten.
- Machen Sie darauf aufmerksam, dass die schändlichen Bedingungen unter denen Julian festgehalten wird, sie zum Handeln gezwungen haben. Darunter völlig unnötige Leibesvisitationen und Manöver, fehlender Zugang zu seinen juristischen Papieren und fehlender Zugang zu seinen Anwälten. Weisen Sie darauf hin, dass er nicht verurteilt wurde und dass diese mit seinem Status als unschuldiger Untersuchungshäftling unvereinbar sind. Weisen Sie darauf hin, dass er wie die gewalttätigsten verurteilten Terroristen behandelt, dass er jedoch nicht verurteilt und eines friedlichen politischen Vergehens beschuldigt wird.
Punkte 3) und 4) Es geht um die Behauptung der Anklage, dass der Auslieferungsvertrag zwischen dem Vereinigten Königreich und der USA unvereinbar mit dem britischen Auslieferungsgesetz von 2003 wäre, weil letzteres keinen Ausschluss für politische Straftaten enthalten würde.
Im Artikel 4.i des 2007 in Kraft getretenen Auslieferungsvertrages zwischen der Regierung des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika heißt es: „ Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die Straftat, für die die Auslieferung beantragt wird, eine politische Straftat ist.“ Würde das Gericht sich an die Buchstaben des Gesetzes halten, wäre der Fall damit erledigt und Julian Assange müsste umgehend frei gelassen werden. Allerdings versucht die Staatsanwaltschaft mit Unterstützung der Richterin Baraitser mit allerlei juristischen Spitzfindigkeiten diese glasklare Aussage auszuhebeln. Anschaulich wird es in Craig Murrays Bericht über den 4. Prozesstag im Februar (7).
Global Protest Day für Julian Assange in Frankfurt
Die Beteiligung war etwas schwächer als bei den Mahnwachen vor der „Corona-Krise“, allerdings sorgten mit Guy Dawson und Ernesto Schwarz gleich zwei Musiker für den musikalischen Rahmen. Alle Redner betonten, dass wir nicht vergessen dürften, was wir Julian Assange zu verdanken haben und wir uns jetzt mit voller Kraft für dessen Freilassung einsetzen müssen.
„Free, Free, Free, Free, Julian Assange!“
alle Fotos: Peter Betscher (arbeiterfotografie.com)
Peter Betscher, Darmstadt, ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
Fußnoten:
(1) https://www.wsws.org/de/articles/2020/03/18/mann-m18.html
(2) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26622
(3) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26623
(4) https://www.craigmurray.org.uk/archives/2020/02/your-man-in-the-public-gallery-assange-hearing-day-1/
ins deutsche übersetzt:
https://multipolar-magazin.de/artikel/der-prozess-gegen-julian-assange-tag-1
(5) https://doctorsassange.org/first-letter-to-the-uk-government/
(6) https://www.craigmurray.org.uk/archives/2020/03/julian-assange-hearing-your-help-wanted/
(7) https://www.craigmurray.org.uk/archives/2020/02/your-man-in-the-public-gallery-assange-hearing-day-four/
Erstveröffentlichung in der NrhZ, Online-Flyer Nr. 746 vom 08.06.2020
Beitragsfoto oben: Peter Betscher (arbeiterfotografie.com)