Freidenker beim Alternativen Ostermarsch 2020
Aufgrund der Corona-Krise konnten die Ostermärsche 2020 nicht wie gewohnt stattfinden. Verschiedene Friedensgruppen hatten daher dazu aufgerufen, den Protest dieses Jahr hauptsächlich zu Hause und virtuell stattfinden zu lassen. Die Vielfalt der Aktivitäten kann man u.a. auf der Webseite des Netzwerkes Friedenskooperative einsehen.
An den Aktionen waren natürlich auch Freidenker beteiligt. Es folgen ein Lied, eine kleine Fotogalerie und zwei nicht gehaltene Reden von Mitgliedern unseres Verbandes.
- Jane Zahn: Humanitätärä (Video)
- Fotogalerie: (Ersatz-) Ostermarsch 2020 Rheinland-Pfalz
- Klaus Hartmann: Rede zum verhinderten Ostermarsch 2020 in Offenbach am Main
- Joachim Guilliard: Hilfe statt Sanktionen ‒ Wirtschaftsblockaden ächten (ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Heidelberg am 11. April 2020)
Humanitätärä
Humanitäre Missionen statt Krieg, Drohnen statt Heldentod, „saubere“ Schläge statt schmutziger Kriege – schöne neue Welt!
Jane Zahn, Kabarettistin und Liedermacherin aus Rheinsberg ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
Direktlink zum Video auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=ZRtcQ7L03sY
Fotogalerie: (Ersatz-) Ostermarsch 2020 Rheinland-Pfalz
Fotos: Monika Krotter-Hartmann und Klaus Hartmann
Rede zum verhinderten Ostermarsch 2020 in Offenbach am Main
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
seit Anfang der 1960er Jahre demonstrieren Bürgerinnen und Bürger dieses Landes für Frieden und Abrüstung, gegen Kriege und neue Waffen. Auch in Offenbach gehen wir seit Jahrzehnten auf die Straße, seit 1980 – also vor 40 Jahren – als Offenbacher Friedensinitiative, und marschieren am Ostermontag gemeinsam zur Abschlusskundgebung auf dem Frankfurter Römerberg. Das fällt heute aus.
In diesem Jahr 2020 wurden bundesweit diese Demonstrationen verboten, während die Kriege aber trotz der Ansteckungsgefahr fortgesetzt werden. Keine Rede davon, den Aufruf des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, António Guterres, für einen globalen Waffenstillstand zu respektieren.
Mit unserem Engagement für den Frieden wollen wir das Recht auf Leben verteidigen und schützen, und da wäre es schon ein arger Widerspruch, wenn wir die Sorge der Menschen um die eigene Gesundheit und die ihrer Angehörigen und Freunde nicht ernst nähmen. Dass die Gefahren durch das Virus SARS-CoV-2 und die Infektionskrankheit CoViD-19 noch nicht hinreichend erforscht, die statistischen Zahlen widersprüchlich und die Prognosen unsicher sind, kann kein Grund dafür sein, auf Vorsichtsmaßnahmen zu verzichten.
Obwohl die Sorge um die Gesundheit im Mittelpunkt der Begründung steht, mit der die Stadt Offenbach unsere heutige Friedensaktion untersagt hat, müssen wir Kritik anmelden: Wir haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „der Ostermarsch in seiner üblichen Form dieses Jahr nicht stattfinden“ kann, und wir unsere Aktion „in einer Form, die die Corona-Krise gebietet“ durchführen wollen, insbesondere mit „einem Abstand von 2 Metern“ zwischen den Teilnehmern. Mangelndes Problembewusstsein und Verständnis für die aktuelle Lage kann uns also nicht unterstellt werden. Wenn die Kunden bei Aldi oder Rewe mit entsprechendem Abstand einkaufen können, wieso nimmt die Stadt an, dass die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen von uns nicht zu erwarten sind – die wir doch gerade eher nicht durch Ignoranz gesellschaftlicher Problemlagen auffallen?
„Das Virus ändert alles“, nur Eines offenbar nicht: das Feindbild und die Stoßrichtung der USA, der NATO und ihrer Mitglieder. Kriege werden fortgesetzt, sagte ich, und auch Deutschland führt Krieg – jeden Tag. Deutschland ist derzeit an 13 Interventionskriegen, u.a. im Rahmen der NATO beteiligt. Der Kriegswillen der Regierenden zur Sicherung von Ressourcen, Militär überall in der Welt einzusetzen, nimmt zu.
Vor uns liegt der 8. und der 9. Mai, die wir als Tag der Befreiung und als Tag des Sieges über Faschismus und Krieg begehen. Dieses Datum jährt sich 2020 zum 75. Mal.
Die USA und die NATO haben eine eigene Vorstellung, wie solch ein Jahrestag begangen werden soll: mit dem US-Manöver „Defender Europe 20“, bei dem fast 50.000 Soldaten den „schnellen Sprung“ an Russlands Grenzen üben sollten. Ende letzten Jahres verkündete die Bundeswehr stolz: „Wenn die Amerikaner mit Defender Europe 20 die Verfahren zur Verlegung von umfangreichen Kräften aus den USA nach Osteuropa üben, wird Deutschland aufgrund seiner geostrategischen Lage im Herzen Europas zur logistischen Drehscheibe.“
„Deutschland wird zur logistischen Drehscheibe“ muss man mindestens zweimal lesen. Sie bedeutet nämlich nichts weniger, als dass Deutschland im Ernstfall zur Zielscheibe wird, zum Ziel eines atomaren Gegenschlags Russlands, bei dem zuerst die Stationierungsorte der NATO und ihre Nachschubwege ausgeschaltet werden.
Inzwischen wurde die Kriegsübung zwar „wegen Corona“ bis auf Weiteres „eingefroren“, aber das „Defender“-Manöver im Pazifik gegen China steht für Herbst weiterhin im Kalender.
75 Jahre Befreiung und die Bahn – Soldaten und Mordwerkzeug für immer mehr Manöver müssen irgendwie an die russische Grenze geschafft werden. Ab 2020 hat endlich das Militär Vorfahrt auf den Gleisen, vor der „Zivilgesellschaft“ – und sensationell: erstmals wieder seit 1945!
Die Umfragen zeigen seit Jahren stabile Mehrheiten: die Bevölkerung will Frieden mit Russland, Deutschland soll kein Aufmarschgebiet gegen Russland sein. Wir unterstützen die Forderung nach Abzug der US-Atomwaffen vom Fliegerhorst Büchel und nach Schließung der Kriegsdrehscheibe Air Base Ramstein. Wir fordern den Abzug aller ausländischen Truppen durch Kündigung des Stationierungsabkommens.
Mitten in der Krise und angesichts der sich abzeichnenden scharfen Rezession appelliert der NATO-Generalsekretär Stoltenberg, nicht bei der weiteren Steigerung der Kriegsausgaben nachzulassen. Das sind genau die Gelder, die gerade für Beatmungsgeräte fehlen, deshalb ist ein Austritt aus der NATO in vielerlei Hinsicht eine lebensrettende Maßnahme.
Statt weiterer Milliarden für die Rüstung fordern wir: investiert dieses Geld endlich für die Daseinsvorsorge, in das kaputtgesparte Gesundheitswesen. Wer die „Corona-Krise“ wirklich ernst nimmt, muss das medizinische Personal in Kliniken, Arztpraxen, Altenheimen und Pflegediensten endlich mit sämtlichem notwendigem Material versorgen.
In welche Lage auch das angeblich vorbildliche Krisenmanagement der Bundesregierung das Gesundheitssystem gebracht hat, zeigt sich daran, dass inzwischen der aus der Kriegsmedizin stammende Begriff „Triage“ (auslesen, sortieren) ins zivile Gesundheitswesen Einzug gehalten hat. Im Fall einer „Überlastung“ soll entschieden werden, wer noch beatmet wird und wessen Behandlung nicht mehr „lohnt“, also eine „schnelle Sterbebegleitung“ mit Opiaten und Schlafmitteln erhält. Diese schiefe Bahn führt in die Nähe des Missbrauchs der Euthanasie durch die Nazis.
Dank und Anerkennung für die im Gesundheits- und Pflegebereich tätigen Menschen heißt für uns: wir unterstützen die Forderung, sie endlich besser zu bezahlen, die Arbeitsbedingungen zu erleichtern, mehr Personal einzustellen, genügend Schutzausrüstung und Arbeitsmaterial zur Verfügung zu stellen. Wir unterstützen die Kämpfe aller Berufsgruppen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen für diese Ziele.
Als Krisenprofiteurin will die Kriegsministerin Kramp-Karrenbauer die aktuelle Lage nutzen, indem sie uns den Bundeswehreinsatz im Inneren unter Corona-Vorwand schmackhaft zu machen versucht.
Trotz Corona lässt die NATO einen Kriegsschiffsverband im Schwarzen Meer aufkreuzen. Die Orientierung auf „Regime Change“ in „ungehorsamen“ Ländern wird fortgesetzt, wie die Kanonenboot-Politik gegen Venezuela oder erneut verschärfte Sanktionen gegen den Iran zeigen.
Deshalb unterstützen wir den Offenen Brief des Friedensrates der USA an US-Präsident Trump und UNO- Generalsekretär Guterres, in dem es u.a. heißt:
„Die globale Ausbreitung von COVID-19 hat die illegale und unmoralische Praxis der einseitigen und zwingenden wirtschaftlichen Sanktionen durch die Regierung der Vereinigten Staaten gegen mehr als dreißig Nationen aufgedeckt. Die Regierung der Vereinigten Staaten nutzt nun die durch die Pandemie verursachte öffentliche Ablenkung, um ihre militärischen Aktionen gegen die Zielnationen zu verstärken.
Der ökonomische Krieg gegen diese Nationen hat bereits vor dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie unvorstellbares Leid über die Bewohner der Zielnationen gebracht.
Mit der Zerstörung durch die globale Pandemie, wird es für die Zielnationen – insbesondere Venezuela, Kuba, Iran, Syrien und Zimbabwe – angesichts der fortlaufenden globalen Notlage ungeheuer schwierig, die Leben ihrer Bürger zu schützen und zu retten. Diese Sanktionen stellen ein Verbrechen gegen die Menschheit dar.“
Wir ergänzen: Auch die Bundesregierung muss die selbst verhängten Sanktionen beenden und sich aktiv gegen die mörderischen Zwangsmaßnahmen gegen Iran, Syrien, Russland, Kuba und Venezuela einsetzen. Auch in Deutschland kann und soll man eine solche Petition im Internet unterstützen: „Alle Sanktionen aufheben, die den Kampf gegen die Pandemie behindern“. (https://www.change.org/p/bundestag-alle-sanktionen-aufheben-die-den-kampf-gegen-die-pandemie-behindern
Für den Frieden und das Überleben brauchen wir Völkerverständigung, keine feindbildverknallte Hetze gegen Russland und China. Wir brauchen die partnerschaftliche internationale Zusammenarbeit, diskriminierungsfreien Handel und den freien wissenschaftlichen Austausch auf Grundlage des Völkerrechts, der Anerkennung der Souveränität und Gleichberechtigung aller Länder.
Unseren Protest gegen die Kriegstreiber und für unsere Forderungen werden wir so bald wie möglich auch wieder auf die Straße tragen. Wir werden nicht zulassen, dass das Demonstrationsrecht ausgehebelt, die Grund- und Menschenrechte einschließlich der sozialen Rechte dauerhaft außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden.
In diesem Sinne bekräftigen wir auch 75 Jahre nach dem 8./9.Mai 1945: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ und unsere Forderung „Abrüsten statt Aufrüsten!“
Wir lernen aus der Krise: Dauerhafte Quarantäne für das Militär!
Klaus Hartmann ist Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes und Mitbegründer der Offenbacher Friedensinitiative
Die Rede als PDF-Dokument ansehen oder herunterladen (externer Link zur Offenbacher Friedensinitiative [OFI])
Die Rede wurde auch veröffentlicht auf der Webseite des Netzwerkes Friedenskooperative
Zur Kritik am Demo-Verbot in Offenbach hatte auch die Frankfurter Rundschau am 14.04.20 kurz berichtet
Hilfe statt Sanktionen ‒ Wirtschaftsblockaden ächten
(ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Heidelberg am 11. April 2020)
Liebe Freundinnen und Freunde,
Eine internationale Krisensituation, wie die Corona-Pandemie kann sehr entlarvend sein. Sie deckt nicht nur schonungslos die Defizite im Gesundheitswesen auf, die durch die rigiden Sparmaßnahmen und Privatisierungen entstanden sind, sie entlarvte auch gründlich den Charakter der EU. Von Solidarität gegenüber dem besonders betroffenen Italien war nichts zu sehen, Die Partner schotteten sich ab und verweigerten sogar die Lieferung dringend benötigtes medizinischen Material. Neben China waren es dann Russland, Kuba und Venezuela, die Material und medizinisches Personal in die Corona-Hotspots in Norditalien entsandten.
Damit erwiesen sich Länder solidarisch mit einem westlichen Land, die gleichzeitig ‒ trotz Corona-Krise und internationaler Appelle ‒ weiter durch westliche Wirtschaftsblockaden terrorisiert werden.
Wir reden in diesem Zusammenhang natürlich nicht von gezielten und beschränkten Maßnahmen gegen Länder, wie dem Ausschluss von Sportveranstaltungen und schon gar nicht von Waffenembargos ‒ schließlich lehnen wir Rüstungsexporte ohnehin ab. Es geht vielmehr um umfassende Beschränkungen im Bereich Handel, Finanzen, Finanztransaktionen, Transport etc., die gegen immer mehr Länder verhängt werden und in vielen Fällen den Charakter von Wirtschaftskriegen annehmen.
Erpresserische Zwangsmaßnahmen
Die USA und in geringerem Maße die EU haben gegen insgesamt 39 Länder einseitige, mehr oder weniger schwerwiegende „Sanktionen“ verhängt. Die Wirtschaftsblockaden gegen Iran, Russland, Kuba und Venezuela sind bekannt. Die verheerenden Auswirkungen von Maßnahmen gegen bereits völlig verarmte Länder wie Nicaragua, Mali, Simbabwe oder Laos haben jedoch nicht einmal Menschenrechtsgruppen auf ihrem Radar.
Wobei die Bezeichnungen „Sanktionen“ oder gar „Strafen“ völlig irreführend sind. Denn nichts und niemand gibt den USA oder der EU das Recht, irgendwelche Strafmaßnahmen zu verhängen. Dazu ist allein der UN-Sicherheitsrat legitimiert.
Tatsächlich handelt es sich um unilaterale erpresserische Zwangsmaßnahmen, die in vielfältiger Weise gegen internationales Recht und Abkommen verstoßen. Auch wenn sie in der Regel mit humanitären, menschenrechtlichen etc. Gründen gerechtfertigt werden, sind es Akte der Willkür, die per se nur dominierende Großmächte verhängen können und auch fast ausschließlich von den USA und ihren Verbündeten verhängt werden. Gleichzeit können sie sicher sein, selbst bei schlimmsten Verbrechen, wie den Kriegen gegen Jugoslawien, Irak oder Libyen, Folterungen in Guantánamo und Drohen-Morden im Nahen Osten, nicht selbst Ziel solcher Maßnahmen zu werden.
Für Unterordnung und „Regime Change“
Unabhängig davon, ob die Vorwürfe gegen betroffene Staaten ‒ zumindest teilweise ‒ auch gerechtfertigt sind, und auch unabhängig davon, wie sehr beteuert wird, dass sich die Maßnahmen doch nur gegen die jeweilige Regierung, das jeweilige Regime, richtet, treffen sie, sobald sie Export-, Import und Transaktionen effektiv einschränken, stets in erster Linie die Bevölkerung.
Wirtschaftsblockaden sind eine Form der Erpressung, mit der die Regierungen der betroffenen Länder zur Unterordnung unter die Politik der westlichen Mächte gezwungen werden sollen. Oft, wie im Fall Kuba, Syrien, Iran oder Venezuela werden damit darüber hinaus offen ein „Regime Change“ angestrebt, in dem die Bevölkerung durch die drastische Verschlechterung der Lebensbedingungen zum Aufstand genötigt werden. Mit anderen Worten werden alle Bürger des Landes als Geiseln genommen.
Heimtückischste Form moderner Kriegsführung
Grundsätzlich seien „Wirtschaftssanktionen“ vergleichbar mit der „mittelalterlichen Belagerungen von Städten“, die zur Kapitulation gezwungen werden sollten, so der Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrates für Lateinamerika, Alfred De Zayas.
Die Sanktionen des 21. Jahrhunderts versuchen aber nicht nur eine Stadt, sondern souveräne Länder in die Knie zu zwingen. Im Unterschied zum Mittelalter, würden die Blockaden des 21. Jahrhunderts von der Manipulation der öffentlichen Meinung durch ‚Fake News‘, einer aggressiven PR-Arbeit sowie einer Pseudo-Menschenrechtsrhetorik begleitet … , um den Eindruck zu erwecken, dass das ‚Ziel‘ der Menschenrechte kriminelle Mittel rechtfertigt.
Tatsächlich ist diese heimtückischste Form moderner Kriegsführung mittlerweile auch die am häufigsten angewandte. Sie kann weitgehend unbemerkt und unangefochten eingesetzt werden und wird von US-Politkern offen als günstigere und nebenwirkungsärmere Alternative zu militärischen Interventionen gepriesen. Doch auch deren Angriffe sind zerstörerisch und machen in den betroffenen Ländern Jahrzehnte des Fortschritts in den Bereichen Gesundheitsversorgung, sanitäre Einrichtungen, Wohnungsbau, grundlegende Infrastruktur und industrielle Entwicklung zunichte.
Wirtschafsblockaden können Massenvernichtungswaffen werden
Auch wenn Nahrung, Medizin etc. meist offiziell nicht unter die Blockaden fallen, sind Versorgungsengpässe vorprogrammiert. Aufgrund der Sanktionsdrohung gegen alle Unternehmen, die sich nicht daran halten, haben die betroffenen Länder Probleme, Lieferanten, Transport- und Finanzierungsmöglichkeiten zu finden. Auf Grund der Blockade von Exportgütern fehlen auch die nötigen Devisen. Die Blockade von Dual Use-Gütern wird auch die Eigenproduktion von Maschinen, Ersatzteilen bis hin zu Pflanzendünger und Medikamenten stark beeinträchtigt.
Moderne Industriegesellschaften beruhen auf einem zerbrechlichen Netz unentbehrlicher Infrastruktur und Technologien. Wenn Pumpen und Abwasserleitungen, Aufzüge oder Generatoren aus Mangel an einfachen Ersatzteilen nicht mehr funktionieren, können ganze Städte von Sümpfen überflutet werden. Wenn Bauern Saatgut, Dünger, Werkzeuge und Maschinen vorenthalten werden oder Lebensmittel, Medikamente und lebenswichtige Ausrüstung aufgrund von Finanzblockaden nicht mehr ausreichend importiert werden können entstehen lebensbedrohliche Notlagen.
Wirtschaftskriege können daher mehr Opfer fordern als militärische, besonders dann, wenn die USA und ihre Verbündeten ihre Gegner durch vollständige Blockaden zu strangulieren suchen und dabei, in Mafiamanier, Drittländer durch Androhung von Sanktionen zwingen, sich ihnen anzuschließen.
Wirtschafsblockaden können zu Massenvernichtungswaffen werden. So kostete das umfassende Embargo gegen den Irak von 1990 bis 2003, einer Untersuchung des UN-Kinderhilfswerks UNICEF zufolge, wahrscheinlich 500.000 Kindern das Leben. Insgesamt starben mehr als eine Million Iraker an dessen Folgen.
Der „stille Tod“
Auch wenn die aktuellen Handels- und Finanzblockaden gegen Länder wie Syrien, Iran, Venezuela oder Kuba sicherlich nicht ‒ oder genauer noch nicht ‒ so extrem wirken, wie das Irakembargo, so töten ohne Zweifel auch bereits sie: In Venezuela forderten nach Schätzungen eines Washingtoner Forschungsinstituts (Centre for Economic and Policy Research CEPR) die US- und EU-Sanktionen bereits zwischen 2017 und 2018 ungefähr 40.000 Menschenleben.
Die Situation in Syrien ist noch wesentlich schlimmer. Dem UN-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy, zufolge sind hier die Auswirkungen der Wirtschaftsblockaden der USA und der EU auf die Bevölkerung mittlerweile schlimmer als die des Krieges. Ihre Opfer sterben nur „einen stillen Tod“, so der algerische Diplomat, Menschenrechtsexperte und Gründungsmitglied des UN-Menschenrechtsrates. Der oft vorgebrachten Rechtfertigung, Sanktionen seien eine gewaltlose Alternative zum Krieg, entgegnete er: „Diese Menschen sterben still. Ist das besser und gnadenvoller, wenn Menschen still sterben als durch eine Bombenexplosion?“ Auch die Folgen von Wirtschaftsblockaden seien eine Tragödie.
Die von Jazairy besetzte Stelle des „Sonderberichterstatters über negative Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Gewährleistung von Menschenrechten“ war vom UN-Menschenrechtsrat geschaffen worden, weil innerhalb der Vereinten Nationen eine Mehrheit der Ansicht ist, so Jazairy, dass die Anwendung solcher Maßnahmen „gegen internationales Recht, das humanitäre Völkerrecht, die Charta der Vereinten Nationen und die Normen und Grundsätze für friedliche Beziehungen zwischen Staaten verstoßen“ könne.
Durch die Blockierung des Außenhandels eines Landes, das für sein Überleben auf diesen angewiesen ist, so das gängige Urteil von Völkerrechtlern und UN-Gremien, wird das Leben der Zivilbevölkerung als Ganzes bedroht. Umfassende Sanktionen sind daher unabhängig von ihrer Begründung, schwere Menschenrechtsverletzungen. Sie beinhalten insbesondere die Missachtung des Rechts auf Leben, sowie auf angemessene Ernährung und Gesundheitsversorgung. Umfassende Sanktionen sind zudem eine Form kollektiver Bestrafung, die in völligem Gegensatz zu den Grundprinzipien des Rechts steht.
Blockaden in Zeiten von Corona ‒ ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Die weltweite Verbreitung von COVID-19 hat die völkerrechtswidrige und unmoralische Praxis der einseitigen Wirtschaftsblockaden so deutlich wie nie ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Den betroffenen Ländern, insbesondere Venezuela, Iran, Syrien, Kuba und Simbabwe wird durch sie massiv erschwert, Schutzmaßnahmen zu ergreifen und ihr Gesundheitssystem für die Zunahme von Erkrankungen zu wappnen. Zahlreiche Länder, internationale Institutionen und Persönlichkeiten, wie u.a. die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, fordern seit Wochen, die „Sanktionen“ wenigstens währen der Pandemie auszusetzen. Auch UN-Generalsekretär António Guterres, hat vor dem G-20-Sondergipfel am 26. März von Washington und der EU verlangt, die Zwangsmaßnahmen gegen Drittländer auszusetzen, um ihren „Zugang zu Nahrung, zur notwendigen Gesundheitsversorgung und zu medizinischer Covid-19-Hilfe sicherzustellen“: „Jetzt ist Zeit für Solidarität, nicht für Ausschluss“.
Doch ungeachtet dieser Aufrufe und allen eigenen Bekundungen zur internationalen Solidarität in Zeiten von Corona zum Trotz, halten die Regierungen der USA und der EU-Staaten unbeirrt an ihren Blockademaßnahmen fest. Sie stellen in dieser Situation eindeutig ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.
Die „Gruppe der 77 und China“, ein internationales Gremium mit Sitz bei der UNO, das 134 Entwicklungsländer vertritt, will sie daher endlich vollständig beseitigen und fordert daher „die internationale Gemeinschaft auf, dringende und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um den Einsatz einseitiger wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen gegen Entwicklungsländer zu verhindern.“
Auch der UN-Menschrechtsrat hat die „einseitigen umfassenden Zwangsmaßnahmen“ mehrfach verurteilt und ihr Ende gefordert.
Wir schließen uns diesen Resolution und ähnlichen lautenden Appellen von Menschenrechtsorganisation an und fordern:
- die Wirtschaftsblockaden sofort zu beenden.
- Vermögenswerte und Bankkonten der Zielländer freizugeben, damit diese die zur Bekämpfung der Pandemie erforderlichen Nahrungsmittel, Medikamente und medizinischen Geräte und Ausrüstungen kaufen und erhalten können.
- alle militärischen Drohungen und Aktionen gegen die Zielländer einzustellen
- den Aufruf des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, António Guterres, zu einem weltweiten Waffenstillstand zu respektieren.
Joachim Guilliard, koordiniert das „Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg“ und ist seit den 1980er Jahren in der Friedens- und Solidaritätsbewegung aktiv.
Er betreibt den Blog “Nachgetragen”, ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes und seines AK International/Frieden.
Die Rede wurde auch veröffentlicht auf der Webseite des Netzwerkes Friedenskooperative und im Blog des Autors.
Beitragsbild oben: „Hausfassade mit Osterschmuck: die Offenbacher Freidenkerin Renate Fresow mit ihrem Mann Jochen“. © Friedensinitiative Offenbach