Frieden - Antifaschismus - SolidaritätGeschichte

Lehren aus dem VII. Weltkongress für den Kampf gegen Faschismus und Krieg

Aus: FREIDENKER Nr. 1-20, März 2020, 79. Jahrgang, S. 8-14

Interview mit Erika Baum von Klaus Linder

 

Liebe Erika, glaubt man den Herrschenden, aber auch linkeren Teilen der deutschen Presse, dann müsste heute die Regierung mitsamt Oppositionsparteien (außer einer) und außerparlamentarischen „Bewegungen“ eine einzige antifaschistische Front bilden. Wie kann das sein?

Erika: Die imperialistischen Kräfte wissen, dass die nächste Krise kommt. Um die Massen noch still zu halten, brauchen sie diesen scheinbaren Zusammenschluss. Und das haben ihnen, wie wir gerade in Thüringen gesehen haben, auch die „Linken“mit Ramelow angeboten, über ihre eindeutige Anti-DDR-Haltung. Über einen verdeckenden parlamentarischen „Hickhack“ wurde eine klare Gesamtorientierung nach rechts durchgesetzt.

Das, was sich in Deutschland entwickelt, ist von allen jetzt gemeinsam verbandelten Parteien eine Entwicklung nach rechts. Du siehst an der sogenannten Linkspartei, wie sie nach rechts drückt, und kannst es an allen anderen Stellen nachweisen. Deshalb ist der Gedanke der Tendenz der Faschisierung – bei unterschiedlichen Methoden – meiner Meinung nach ein wichtiger, der diese Richtung erklärt.

Wenn nun junge Leute in der Überzeugung, sie seien Antifaschisten, das alles mitmachen, um sich im Grunde selber in einer Rechtsentwicklung wiederzufinden – was sagen wir ihnen aufgrund der eigenen Erfahrungen?

Erika: Das ist eine Frage der Methode. Ich gehöre von der Altersschicht zu denen, die 1989 bestochen wurden. Ich lebe ja im Luxus. Sie haben uns nicht gleich das geboten, was sie den nächsten Generationen bieten. Diese leben immer noch schwieriger, in immer noch größerer Gefahr. Sie studieren zum Beispiel, und sie können dann nicht auf diesem Gebiet arbeiten. Wenn man klug ist, weiß man, dass die nächsten Jahre geprägt sein werden von noch mehr Arbeitslosen.

Denn alles, was du mit Apparaten machen kannst, werden sie mit Apparaten machen, und die Leute fliegen raus. Das wissen schon eine Reihe Menschen, sie haben schon die Angst; und dann sind die schnellen Entscheidungen, die schnellen Losungen für Junge verständlicher. Sie sind recht stark kleinbürgerlich geprägt, sie neigen vor allem zur Angst, sie sind nicht gewöhnt, sich auf lange Kämpfe ein zustellen. Daher kommen diese utopischen Losungen – Riesenforderungen mit nichts dahinter. Ich glaube wirklich, dass die größte Gefahr im Kampf gegen die Rechtsentwicklung gegenwärtig der Linksradikalismus ist, mit seinen utopischen Forderungen. Es ist reinste Utopie. Sein Emporkommen ist unvermeidlich bei einer ständigen opportunistischen Politik von links.

Utopisch sind ja nicht nur Inhalte, sondern auch der Glaube: Wenn da eine „Bewegung“ ist und wir gehen dahin…

Erika: … und das wir die umdrehen könnten! Das habe ich schon gemacht, als ich noch Mitglied in der Linkspartei war. Da gehörte ich zur Kommunistischen Plattform und hatte die Illusion, wir können die nach links drücken. (Lacht herzlich). Da habe ich gelernt!

Heute ist es verbreitet, dass man, anders als du, nicht von „Faschisierung“ oder ähnlich spricht, sondern gleich von Faschisten, so, als ginge es beim ganzen Antifaschismus um Eigenschaften von Personen, die identifiziert werden müssen. Ist das hilfreich?

Erika: Nein. Zugleich damit werden dann Widersprüche aller Arten gefördert – die homosexuellen Männer und die homosexuellen Frauen und allerlei kulturelles Dingsbums. Du kannst hundert Grüppchen nehmen, die bieten sich ja förmlich zum Fressen an, um finanziell unterstützt zu werden und wieder ein buntes Revolutiönchen irgendwo anzufachen. Diese Aufsplitterung ist die organisatorische Grundlage für den Einfluss der reaktionärsten Kräfte. Es bleibt uns in dieser Lage nichts anderes übrig als zu überlegen, welcher Schritt gangbar ist, wenn er nur in der richtigen Linie erfolgt. Mehr haben wir im Moment nicht drauf.

Zusammen mit diesem „Antifaschismus“, der die Zersplitterung befördert, gelingt es den Herrschenden aber offenbar auch, Menschen dazu zu bringen, gegen ihre eigenen Interessen auf die Straße zu gehen.

Erika: Sehr richtig: Gegen ihre eigenen Interessen lassen viele sich einspannen und mobilisieren. Ich habe mir zum Beispiel angeschaut, was die Leute dort bei den „Antifaschisten“ in Italien mit all ihren Organisationen brachten. Sie propagieren eine Hurra-EU-Haltung! Die Analyse der EU und der Rolle des deutschen Imperialismus dabei kommt nicht vor – ungeheuerlich.

In Friedrichsfelde hatte ich früher den Versuch gemacht zu zeigen, dass das, was wir in der DDR gemacht haben, immer gegen das Wiedererstehen des deutschen Imperialismus gerichtet war. Dabei habe ich gerne Ulbricht zitiert. Jeden Schritt, den wir getan haben, haben wir in Bezug auf die Gegnerschaft des deutschen Imperialismus gemacht.

Aber es kann nicht jeder 95 Jahre alt werden… Ich habe natürlich lebendige Erinnerungen, aus denen ich auch heute bestimmen muss: den Klasseninhalt des Faschismus, nämlich von Lenins Imperialismustheorie her. Reaktion auf der ganzen Linie bedeutet die Gruppierung des reaktionärsten, am meisten am Krieg interessierten Teils des Finanzkapitals. Also: Klasseninhalt und kein moralisches Gerede!

Ist Moral ganz abwegig?

Erika: Es kommt bei diesem Moralisieren noch etwas dazu: Bei der öffentlichen Darstellung des Hitlerfaschismus werden nur die Opfer genannt. Nicht die Kämpfenden gegen den Faschismus – die kämpfenden Juden sowenig wie die nichtjüdischen kämpfenden Linken. Mein Mann Bruno Baum beschrieb in seinem Buch, welche Widerstandsorganisationen in den Konzentrationslagern geschaffen wurden. Auch alle linken Kräfte, die nicht  Juden waren – oder, ich sag lieber: „nach den Nürnberger Gesetzen als Juden Eingeschätzte“. Nach dem Sieg über den Faschismus waren dann in der Deutschen Demokratischen Republik im Zentralkomitee, nach Israel, die meisten „nach den Nürnberger Gesetzen einkatalogisierten Juden“. Das lag bei uns ja aber doch daran: Weil sie im Kampf standen.

Demnach wäre es nicht nur die verbreitete Auffassung des Hitlerfaschismus, die uns zur Identifizierung der am Faschismus interessierten Kräfte, oder seines Wesens, führt?

Erika: Aus dem Klasseninhalt ergibt sich: Tendenz der Faschisierung bedeutet nicht, dass überall die gleichen Methoden wie im Hitlerfaschismus angewandt wurden und werden. Wenn ich nur die Methoden des Hitlerfaschismus nehme, wird der Faschismusbegriff eingeengt. Dann gäbe es in den USA ja keine Tendenz der Faschisierung, weil sie ein Parlament haben! Aber Dimitroff hat es beim VII. Weltkongress gesagt: Unter bestimmten Bedingungen lassen sie noch ein Parlament zu. Und auch heute, man sehe nicht nur die Wahlen in Thüringen: Bei solchen Parlamenten wären sie doch dumm, sie zu beseitigen, das entspricht doch der Tendenz der Faschisierung, sie in diesem Zustand zu behalten.

Also die Unterscheidung ist wieder: Die Tendenz kommt von der Klassenfrage her.

So nehme ich die Frage wieder auf: Wie kommen wir zu vermittelbaren Lehren aus dem siegreichen Kampf gegen den Faschismus, wie in die Komintern führte?

Erika: Dazu habe ich diesen Gedanken, der mir wichtig erscheint als Lehre des Kampfes gegen den Faschismus: Dass auf dem VII. Weltkongress der Hauptwiderspruch – der weltweite Hauptwiderspruch – formuliert wurde. Und das ist die Lehre, die man für heute ziehen muss: Dass wir klar erkennen müssen, wie der Hauptwiderspruch in der Welt gegenwärtig im Konkreten, in der Erscheinungsform seines Wesens ist.

Einheit von Russland und China – Hoffnung auf Rettung der Menschheit!

Da hast du heute auf der einen Seite, rechts, die imperialistischen Mächte, die zueinander im Gegensatz stehen, aber zugleich in Einheit gegen die Werktätigen verbunden sind. Auf der anderen Seite hast du die Vereinigung, die hoffentlich immer fester wird, zwischen Russland und China, als die Rettung – die Rettung! – der Menschheit, die Rettung insbesondere der Werktätigen.

Deshalb komme ich auf diesen Hauptwiderspruch in der Gegenwart, weil die Lage so anders ist. Wir haben keine Sowjetunion mehr. Aber wir haben eine Tendenz der Entwicklung in Russland und eine der Selbstkritik fähige Kommunistische Partei in China. Die kommunistische Partei Russlands hatte in außenpolitischen Fragen immer Übereinstimmung mit Putin und Lawrow. Aber in sozialen Fragen mussten sie natürlich bestimmte Fragestellungen aufwerfen.

In Russland geht die Tendenz nun aber in die Richtung, dass Putin jetzt soziale Fragen angeht.

Das heißt: Der heutige Hauptwiderspruch ist nicht so offensichtlich begreifbar wie1935 zum VII. Weltkongress. Denn damals war dort der Faschismus und auf unserer Seite die Sowjetunion, was das Wesen des Antifaschismus klar hervortreten ließ.

Aber man muss bei der gegenwärtigen Entwicklung Russlands und Chinas sehen, dass es da auch eine Richtung gibt. Wenn du den Putin und seine Aussagen nimmst, als er gerade eingesetzt wurde, und dich daran festklammerst, dann begreifst du nicht, wohin das sich entwickelt hat – wenn Du die letzten Maßnahmen in Russland dir anschaust. Das heißt also: Es gibt auch hier eine Richtung der Entwicklung, die man zur Kenntnis nehmen muss, ohne sich an einzelnen früheren Losungen festzuhalten.

Wie kommt man von diesem Hauptwiderspruch zu notwendigen Schritten?

Erika: Togliatti hat auf dem VII. Weltkongress gesagt, dass der Kampf gegen den Krieg das Hauptkettenglied des revolutionären Kampfes ist. Er sagt: „Es gibt keinen Krieg schlechthin, sondern es gibt konkrete Kriege, deren Charakter durch die gegebene historische Periode durch das gegenseitige Verhältnis der Klassenkräfte in der ganzen Welt und insbesondere in den kriegführenden Ländern bestimmt wird.“ Also wieder: die Konkretheit der Entwicklungsphase im Bezug auf Kräfteverhältnis. Also eine Orientierung auf reale Verhältnisse, auf die jetzige Gestalt.

Und deshalb bin ich der Meinung, dass im Augenblick dieser Widerspruch: imperialistische Kräfte auf der einen Seite, mit Widersprüchen, die sie untereinander haben – aber geschenkt! –, und Russland und China als Gegensatz auf der anderen Seite der Hauptwiderspruch in der Welt ist.

Jetzt muss ich etwas nachfragen zu dem Hauptwiderspruch. Von Lenin gibt es ja die ausgeführte Theorie des Hinüberwachsens von der demokratischen in die sozialistische Revolution. Nun spielt im Kampf gegen den Faschismus der Kampf um die Demokratie eine unerlässliche Rolle. Es bildeten sich daraus nun auch Theorien, die die Volksfrontstrategie so auslegten, als sei der Grundgegensatz zwischen Imperialismus und Sozialismus durch die faschistische Bedrohung außer Kraft gesetzt, eben durch den Gegensatz zwischen Demokratie und Faschismus. Wäre das mit dem Hauptwiderspruch so zu verstehen?

Erika: Nein. Das steckt ja auch in dem Blödsinn, wir erlebten jetzt die „Wiederkehr des Kalten Krieges“. Der Witz ist: Den gab’s immer! Ein sowjetischer Genosse erzählte einst: Während der Zeit der Antihitlerkoalition – die von der Sowjetunion und den Wissenschaftlern nie „antifaschistische Koalition“ genannt wurde sondern Antihitlerkoalition, völlig berechtigt – wenn Dosen kamen, die von den USA im Krieg geschickt wurden, während sie vormarschierten durch all das Elend, sagten die sowjetischen Soldaten: „Aha, da ist die Dritte Front“. Denn die kam ja ewig nicht. Was sie jetzt als den großen Kampf und die große Befreiung darstellen, das dauerte so lange, da mussten ganze Völker der Sowjetunion zuvor im Kampf schon fallen.

Truman hat Stalin dann in Potsdam gesagt, wie erfolgreich der erste Versuch mit der Atombombe gewesen sei. Stalin soll sich verhalten haben, als ob das überhaupt nichts wär‘. Jeder wusste: die erste Atombombe ist gegen die Sowjetunion gestartet worden. Das war der Druck, unter dem wir dann lange lebten: das  Atombombenmonopol des Gegners.

Also: Der Kalte Krieg war immer da – nämlich als die Gestalt, als die konkrete Verwirklichung des grundlegenden Gegensatzes von gesellschaftlichem Charakter der Produktion und privatkapitalistischer Aneignung. Wenn man nicht lernt, die konkrete Gestalt richtig zu analysieren, dann kann man diesen grundlegenden Gegensatz nicht lösen. Und dieser Haupwiderspruch, von dem ich rede, ist auch die gegenwärtige Erscheinung eines wesentlichen Gegensatzes.

Wenn es in einer kommunistischen Partei keine solche Analyse der Lage mehr gibt, entsteht natürlich die gegenwärtige Schwierigkeit, die auch für junge Leute, die sich neu mit dem Marxismus beschäftigen, große Probleme bringt.

Nachdem nun das „Hauptkettenglied“ gemeistert war – der Faschismus war besiegt, der Krieg beendet – wie lebten danach die Lehren aus dem antifaschistischen Kamf, aus der Volksfrontstrategie weiter?

Erika: Zur Beantwortung braucht es den Gedanken, warum die DDR, mit der antifaschistisch-demokratischen Ordnung ein solcher Prüfstein ist: Weil wir in dieser Zeit  bewiesen haben, dass wir mit Etappen des Kampfes, mit Schritten den Weg hin zum Sozialismus erreichen. Es gibt keinen anderen Weg. Kein anderer hat es bisher noch geschafft, außer über solche Etappen, bei denen immer die Losung mit der Tätigkeit verbunden war – mit Herz, Hirn und Händen.

Wir haben die Bodenreform gemacht, als auch die Menschen aus Ostpreußen und so weiter auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens kamen. Wir sind übrigens schon damals beschimpft worden von den „Linken“. Was haben wir gemacht? Wir haben den Boden aufgeteilt. Wie haben wir ihn aufgeteilt? Es wurde ein Hut genommen, da waren alle Bodenteile drin, und die Leute haben auf dem Feld gestanden und ihr Los gezogen. Es war nicht vorher bestimmt, wer was kriegt. Ein Genosse, der gerade aus einem Lager kam, erzählte: Wenn er den Pfarrer dazu gekriegt hat, dass er beim Auslosen dabei war, dann hat er gesungen „Eine feste Burg ist unser Gott“. Aber: Er hat sich dabei nie verbogen! Er hat nie den Stimmungen nachgegeben, sondern er wusste, wohin wir gehen müssen. Das ist ja die große Sache der Strategie des VII. Weltkongresses. Wir haben eine klare strategische Linie, aber wir wissen, dass man die Schritte dazu mit den Massen organisieren muss.

Kannst du ein Beispiel für die Bedeutung der richtigen Losung zur richtigen Zeit nennen?

Erika: Zunächst mussten wir uns fragen: Welche Entwicklung haben wir? Zuerst die Säuberung, die Frage: Was muss der Umbau sein? Also: Gleichheit aller Mitbürger, gegen Rassenhass, Säuberung des gesamten Erziehungs- und Bildungswesens.

Wir haben die Enteignung mit einer Volksbefragung organisiert. Mit einer Volksbefragung in Sachsen übrigens. Und wir haben das mit der Losung gemacht: „Enteignung der Nazi-Aktivisten und Kriegsverbrecher“. Wir haben also genau die Linie des VII. Weltkongresses im Sinn gehabt: Faschismus ist Herrschaft der reaktionärsten, am meisten am Krieg interessierten Teile des Finanzkapitals. Es ist dem Wesen nach genau diese Durchsetzung, aber in der Wortwahl haben wir an den Erfahrungen, den Interessen der Menschen angeknüpft. Wir haben die Nazi-Aktivisten und Kriegsverbrecher enteignet. Da saßen die Leute zusammen in den verschiedenen Parteigruppen – die hätten am liebsten den kleinen Krauter enteignet, weil sie den gekannt haben. Den Konzernherrn haben sie ja nie zu Gesicht gekriegt! Aber: Wir haben an ihre Erfahrung angeknüpft, dass Nazi-Aktivisten und Kriegsverbrecher uns das Unglück gebracht haben. Und da hatten wir dann die Stimmen für die Enteignung der Konzerne, der Großbetriebe. Wir haben die Großbetriebe enteignet! Natürlich hatten wir eine Besatzungsmacht, die die gleiche Klassenlinie verfolgte.

Aber: Diese Besatzungsmacht hat auch verstanden, welche Notwendigkeit an Schritten, an Konkretheit des Kräfteverhältnisses zu beachten war.

Also das ist zum Beispiel eine Fähigkeit, die wir heute überhaupt nicht haben.

Diese Fähigkeit könnte so verstanden werden, als sei es beim Kampf gegen den Faschismus nicht mehr um die Diktatur des Proletariats gegangen, auch nicht nach der Kapitulation des Hitlerfaschismus. Kämen wir da nicht zu einer opportunistischen Verzerrung der Volksfrontstrategie?

Erika: Das ist richtig. Deshalb sag ich dazu: Hauptwiderspruch und zugleich sich nicht verbiegen. Die Linie im Auge behalten. Die Linie! Deshalb betone ich für die Bedeutung der DDR, dass wir die antifaschistisch-demokratische Ordnung errichtet haben, mit dem Hinweis: „Wir sind der Auffassung, dass der Weg Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen falsch wäre. Denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland.“ So stand es schon im Aufruf der KPD von 1945 und es gab keinen anderen Weg zum Sozialismus als da durch zu gehen. Wenn du die Linie behältst, dann hast du die Junker enteignet, du hast also Bodenreform gemacht, dann hast du aus den Schulen die Nazilehrer vertrieben, und dann hast du als erstes Stück, das von den Neuen inszeniert wurde am Deutschen Theater, „Nathan der Weise“ genommen. Lessing, also ein Aufklärer mit der Botschaft: „Alle Religionen hängen nur davon ab, was die Leute von ihnen halten“.

Die antifaschistisch-demokratische Ordnung erfüllte also zuerst eine ganze Reihe von antifeudalen Restaufgaben, die die Novemberrevolution nicht erfüllte. Aber nur dadurch dass sie mit diesem Hauptwiderspruch verbunden war, haben wir nach 1945 den antifaschistischen Kampf weitergeführt.

Und wir haben die Schulreform durchgeführt, was bedeutet hat, dass du mit linken Schulreformern zusammengehen konntest und damit Grundlagen für die Einheit der Arbeiterklasse schaffen konntest. Wir haben alles gefördert, was uns verbunden hat mit antifeudalen, antimilitaristischen, Anti-Hitler-Auffassungen, also antifaschistischen Auffassungen. Das haben wir zusammengeschlossen. Das halte ich deshalb für so wichtig, weil wir damit alle diejenigen, die in eine innere Emigration gegangen waren, die nicht ausgewandert sind, aktivieren konnten.

Das war alles möglich. Und damit haben wir den Weg zum Sozialismus geebnet. Aber immer in Verbindung mit konkreten Dingen. Das war und ist der einzig gangbare und erfolgreiche Weg. Es war ein Weg des Sieges. Das finde ich wichtig gegen den Linksradikalismus. Und deshalb müssen sie in jedem Krimi und in jeder Sache irgendwas gegen die DDR anbringen.

Somit steht die Lehre des VII. Weltkomgresses gegen den rechten Opportunismus und den Linksradikalismus zugleich?

Erika: Ich muss die große Leistung immer einbeziehen, die die Kommunistische Internationale schon mit dem V. Weltkongress und dann bis zum VII. erbrachte, die große theoretische Leistung, sich immer auf die Imperialismustheorie von Lenin zu beziehen.

Der VII. Weltkongress hat gegen den Linksradikalismus eine ungeheure Zäsur geschaffen, aber auch nicht die opportunistischen Folgerungen gefördert, die du erwähntest. Es hieß in der Tat nicht mehr: Diktatur des Proletariats jetzt. Es wurde eben auch der Hauptwiderspruch benannt als einer zwischen Faschismus und Selbstbestimmungsrecht der Nationen, der Völker. Das war nicht sofort die Diktatur des Proletariats. Das war nicht die Losung: Sozialismus jetzt. Das ist wichtig für die Gegenwart!

Es gehörte zu den Lehren des VII. Weltkongresses: Der Kampf ging auch um die Rettung der deutschen Nation. Das gehört zur antifaschistischen Strategie.

Auch hier wirkte Lenin weiter: Er hat in der Zeit von Zimmerwald den Kampf geführt um das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung – gegen Rosa Luxemburg, die das für Polen völlig falsch fand, weil sie nicht begriff, dass die Souveränität der Nation eine wichtige Frage ist im Kampf. Lenin benennt diesen Fehler.

Wir müssen lernen, die nationale Frage richtig marxistisch-leninistisch anzuwenden. Sonst brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir die Menschen nicht gewinnen.

Auch die österreichische Nation, in der ich aufwuchs, ist im Ergebnis des Kampfes um den VII. Weltkongress formuliert worden von den Kommunisten. Es gab damals von Alfred Klahr eine konsequente Orientierung auf die Entstehung der österreichischen Nation gegen die Nazi-Besatzer.

Wir müssen heute wissen: Der nächste Krieg trifft die Deutschen. Alle Deutschen. Hier wird er ausgetragen. Der USA-Imperialismus kann sich das ganz gut leisten, wenn hier der Konkurrent, die EU, zu einem Syrien wird.

So leben wir, bei allen konkreten Erscheinungen des Widerspruchs, weiterhin in der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus? Wäre das noch richtig?

Erika: Ja – wenn ich nicht vergesse, dass Strategie und Taktik dazugehören.

Also dass man die Schritte dorthin gehen muss. Noch ein Beispiel zu Losungen: Im Zuge der Oktoberrevolution gab es die Losung „Alle Macht den Sowjets“, die ja ursprünglich Kontrollorgane waren. Es gewannen dann die Menschewiki die Mehrheit in den Sowjets. Da nahmen die Bolschewiki ihre Losung für eine gewissse Zeit zurück und haben in den Sowjets um die Gewinnung der Mehrheit gekämpft, und dann haben sie die Losung wieder aufgestellt. Deshalb hat Lenin immer gesagt: Die Wahrheit ist konkret.

Das ist eine Lehre für mich gewesen: Wenn es eine richtige, den Interessen der Mehrheit entsprechende Haltung ist, kann ich damit jemand gewinnen. Aber es muss den Interessen der Menschen entsprechen. Ich muss ihre Interessen, ihre Lage studieren. Wenn eine Kommunistische Partei nicht die Interessen der am meisten Ausgebeuteten und in Gefahr sich Befindenden studiert,  zur Kenntnis nimmt, und dadurch zu ihnen gehört, dann ist sie keine kommunistische Partei mehr. Wo machen wir das? Und da, wo es gemacht wird, wird’s gestört durch eine scheinbare revolutionäre Losung mit 27 „R“ davor.

„Systemwechsel jetzt!“.

Erika: Ja. Aus dem Grund bin ich, weil es gegenwärtig so schwierig ist, dafür, dass der Hauptwiderspruch – heute Russland-China gegen alles, was da an Imperialismus und Unterdrückung ist – zur Kenntnis genommen wird.

Wenn man begreift, dass der Imperialismus Fäulnischarakter hat, dann wissen wir doch, dass der Krieg gegenwärtig für sie ein Hauptinstrument des Erhaltens der Ordnung des reaktionärsten Teils des Finanzkapitals ist. Der Krieg ist das Lösungsmittel im Augenblick. Der militärisch-industrielle und Medien-Komplex.

Die Medien sind hinzuzunehmen, weil sie uns über die Medien daran gewöhnen wollen, dass Krieg ist. Sie machen ja schon Krieg dort im Fernsehen. Und manche Leute glauben, das ist die Wirklichkeit. Dadurch kriegt der Krieg eine für sie noch wesentlichere Rolle der Herrschaft. Ohne Krieg können weder Obama noch Trump ihre Macht auf die Dauer sichern und den Krisenerscheinungen entgegentreten. Der Krieg ist im Moment, siehe Deutschland, Kramp-Karrenbauer und die andern, das Mittel, ihre Macht zu sichern. Und deshalb treffen wir mit der Außenpolitik – gegen unipolar, für multipolar – ein wesentliches Mittel ihrer Herrschaft.

Krieg ist auch die größte Gefahr für die Arbeiterklasse und die Werktätigen. Weil sie uns auslöschen können. Und deshalb muss gegenwärtig die Hauptsache Verhinderung des Krieges, also hier und jetzt „Kein Aufmarschgebiet gegen Russland“ heißen. Diese Losung ist im Moment die richtige angesichts dieses Aufmarsches. Du musst bereit sein, eine Position zu benennen, um zu sehen, ob sie sich bestätigt in der Entwicklung.

Liebe Erika, hab herzlichen Dank für das Gespräch!

Erika Baum lebt in Berlin und ist Mitglied im Deutschen Freidenker Verband. Die gebürtige Wienerin (Jahrgang 1925) war schon als junges Mädchen durch ihre Familie Teil des kommunistischen Widerstands in Wien. Die Familie gewährte Widerstandskämpfern während der Nazi-Besatzung Unterschlupf, verteilte Flugblätter. 1945 siedelte Erika in die sowjetische Besatzungszone über. Sie heiratete den Widerstandskämpfer Bruno Baum, wurde Junglehrerin, studierte Gesellschaftswissenschaften und arbeitete als Dozentin an der Berliner Humboldt-Universität. Sie war von der ersten Stunde aktiv am Aufbau der antifaschistisch-demokratischen Ordnung und des Sozialismus in der DDR beteiligt.

Das Interview mit Erika führte der Berliner Freidenker-Vorsitzende Klaus Linder.


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Erika Baum:  Lehren aus dem VII. Weltkongress für den Kampf gegen Faschismus und Krieg (Auszug aus FREIDENKER 1-20, ca. 375 KB)


Bild: Erika Baum bei ihrer Rede zum Gedenken an Ernst Thälmann am 19.08.2017.
Quelle: https://www.berlin.freidenker.org/?p=4771