Frieden - Antifaschismus - Solidarität

Redeverbot für „antisemitische“ Juden in Deutschland?

Interview mit Annette Groth

von Rainer Rupp

(zuerst veröffentlicht auf RT Deutsch am 15.12.2019)

Ist die BDS-Bewegung antisemitisch, wie der Bundestag festgestellt haben will, oder handelt es sich dabei um vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Regierung Netanjahu? Rainer Rupp befragt dazu die ehemalige menschenrechtspolitische Sprecherin der Linken, Annette Groth.

Jene Juden, die sich nicht mit der rassistischen, rechtsradikalen Politik der Regierung Netanjahu identifizieren und die stattdessen die Völkerrechtsverbrechen und systematische Unterdrückung der Palästinenser durch den jüdischen Staat scharf kritisieren, haben in Deutschland kein Rederecht mehr. Auch den einzigartigen und gewaltfreien BDS-Protest – nämlich die internationale Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung gegen die illegale israelische Besatzung und gegen die wirtschaftliche Ausbeutung der annektierten fruchtbaren Gebiete auf palästinensischem, libanesischem und syrischem Boden – hat der Bundestag als angeblich „antisemitisch“ erklärt. Über diese deutsche Anmaßung sind vor allem kritische jüdische Mitbürger empört, denn laut Bundestagsbeschluss sollen ihre Mitstreiter im Kampf gegen die Verbrechen der aktuellen israelischen Politik – und auch sie selbst – als „Antisemiten“ bezeichnet werden.

„Die Tatsache, dass Du (Deutschland; Anm. d. Redaktion) die Familie meiner Mutter und Millionen anderer Mitglieder meines Volkes ermordet hast, gibt Dir, Deutschland, nicht das Recht zu bestimmen, wer antisemitisch ist. Doch Du hast Dir dieses Recht genommen, in der scheinheiligen Entschließung der Bundestagsmehrheit vom 17. Mai 2019.“ Das schrieb die 1944 in Haifa geborene und in Deutschland promovierte Ilana Hammerman in einem am 24. Mai 2019 in der israelischen linken Tageszeitung Haaretz veröffentlichten, offenen Brief an den Deutschen Bundestag. Dort heißt es unter anderem weiter:

Die schändliche Resolution des Deutschen Bundestages zum Thema BDS sagt kein Wort darüber, dass im israelischen Parlament und Kabinett Männer und Frauen sitzen, die faschistische Ideologien propagieren – eine nationale jüdische Diktatur und die Unterdrückung anderer Völker, vor allem des palästinensischen Volkes, in allen Gebieten, die Israel kontrolliert, vom Mittelmeer bis zum Jordan. Es wird nicht erwähnt, dass aus diesen Ideologien seit Jahren neue Gesetze erwachsen – Schritt für Schritt und mit Lug und Trug – , was an die Entwicklungen erinnert, die Deutschland selber in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg durchlaufen hat.

Vor diesem Hintergrund hat Frau Annette Groth, ehemalige Bundestagsabgeordnete, ehemalige menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, die weiterhin aktiv beim Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern (BIP) mitarbeitet, auf der Jahresversammlung des Freidenkerverbandes Mitte November in Stuttgart einen bemerkenswerten Vortrag zum Thema „Bedrohte Meinungsfreiheit“ gehalten. Im Anschluss daran habe ich mit ihr nachfolgendes Interview geführt.

Frau Groth, für viele ihrer Zuhörer schien das in Deutschland herrschende Rede- und Auftrittsverbot für Jüdinnen und Juden, die die israelische Besatzungspolitik kritisieren und sich für Menschenrechte und Völkerrecht einsetzen, unbekannt gewesen zu sein. Können Sie den Lesern von RT-Deutsch dazu noch etwas mehr Informationen geben?

Ich finde das einfach skandalös: Redeverbot für Menschen jüdischen Glaubens, weil sie die menschenverachtende Besatzungspolitik der israelischen Regierung kritisieren. Sie werden dann als „selbsthassende Juden“ oder sogar als „Antisemiten“ beschimpft. Wie „ehrverletzend“ das ist betonte meine Freundin Nirit Sommerfeld, eine jüdische Sängerin und Schauspielerin mit deutscher und israelischer Staatsbürgerschaft in ihrer Laudatio für die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost e.V.„, als die Zeitung den Göttinger Friedenspreis 2019 erhielt. Es lohnt sich sehr, ihre Rede zu lesen, die die ganze Idiotie hinter den Verleumdungen entlarvt: Manche Deutsche müssten vor Scham versinken! Hier der Link zur Laudatio.

Die Auseinandersetzung über den Göttinger Friedenspreis für die Jüdische Stimme war ebenfalls ein Stück aus dem Tollhaus. Seit vielen Jahren wird dieser Preis von einer privaten Stiftung vergeben;  bislang fand die Feier immer in der Aula der Göttinger Universität statt, sie wurde von der hiesigen Sparkasse gesponsert und wer jeweils Oberbürgermeister war, hielt eine Ansprache. Aber mit der Bekanntgabe des Preisträgers, eben diesmal die Jüdische Stimme, änderte sich das Prozedere. Die Präsidentin der Universität kündigte die Aula, die Sparkasse verweigerte den Zuschuss für die Feier, der Oberbürgermeister sagte ab. Grund: die Jüdische Stimme unterstütze die BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions). Diese gewaltfreie und menschenrechtsbasierte Bewegung wird von vielen für einen Akt des Antisemitismus per se halten. Schlussendlich haben die Inhaber einer Galerie angeboten, die Feier auszurichten, die auch durch Spenden ermöglicht wurde. Auch die Stiftung, die den Preis jährlich vergibt, unterstützte die Jüdische Stimme, was nun gar nicht selbstverständlich war.

Warum ist BDS so ein rotes Tuch, warum werden BDS-Unterstützer mit Auftrittsverbot bestraft?

Die israelische Regierung hat BDS als „erstrangige strategische Bedrohung“ bezeichnet, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte. So erklärte der Vorsitzende der zentristischen Partei Jesch Atid im Juni 2015 vor der UNO: „Wir müssen von der Verteidigung zum Angriff übergehen und der Welt erklären, dass die Leute hinter dem Boykott dieselben sind, die ganze Bevölkerungen unterdrücken und im Niger und in Syrien Kinder töten.“ Folgt man dem Propagandisten von Jesch Atid, dann sind BDS-Unterstützer vergleichbar mit Mördern, die mit aller Härte bestraft werden müssen. Das Mundtotmachen, die Auftrittsverbote und die Hetze sind ein Teil dieser Strategie.

Ein anderer Aspekt sind die Versuche, einseitig das Völkerrecht zu schleifen. Mit Einschränkungen gehört dazu auch die Entscheidung der Trump-Administration, die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen auf besetztem Gebiet als rechtskonform mit Internationalem Völkerrecht zu erklären. Im Gegensatz dazu hatte der Europäische Gerichtshof – sehr zum Missfallen Israels – geurteilt, dass Produkte aus den besetzten Gebieten als solche gekennzeichnet werden müssen.

Wie wird auf israelischer Seite der Kampf gegen BDS geführt? Gibt es lediglich eine allgemeine politische Anweisung oder steckt eine koordinierte ressortübergreifende Strategie dahinter?

Mir kommt es so vor, dass nach dem Leitfaden des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten und Hasbara (Ministry of Strategic Affairs and Public Diplomacy) vorgegangen wird, das speziell zur Bekämpfung von BDS gegründet wurde und mit Millionen von Dollar diesen „Kampf“ führt. Das Ministerium finanziert Stiftungen, Think Tanks, Reisen für Journalisten, Studierende und „Meinungsmacher“ nach Israel. Außerdem unterhält es ein Netzwerk von Juristen, das juristische Schritte gegen BDS-Aktivisten prüfen soll.

Welche Mittel und Strategien eingesetzt werden, beschreiben die israelischen Filmemacher Eyal Sivan und Armelle Laborie in ihrem exzellenten Buch „Legitimer Protest: Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boykott Israels“. Darin geht es beispielsweise um die Einschränkung akademischer Freiheiten durch Denunziation von kritischen Professoren und akademischem Lehrpersonal als antisemitisch, und letztendlich um die „Anpassung“ des Völkerrechts, einschließlich des Kriegsrechts und der Menschenrechte an israelische „Bedürfnisse“: „Seit Anfang des 21. Jahrhunderts nehmen die politischen EntscheidungsträgerInnen Israels, unterstützt von StrategInnen, JuristInnen und Forschenden, an einer globalen Offensive teil, um das Völkerrecht – insbesondere das Kriegsrecht und die Menschenrechte – den heutigen Realitäten der vom Terrorismus bedrohten liberalen Demokratien anzupassen.“  (Eyal Sivan/Armelle Laborie: „Legitimer Protest: Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boykott Israels“, Promedia 2018, S.141)

Kannst Du erklären, warum Intellektuelle, Kirchen- und Gewerkschaftsvertreter, Kommunalpolitiker und selbst Linke bei Erwähnung von BDS wie mit einem Pawlowschen Reflex sogleich „Antisemitismus“ rufen und geplante Veranstaltungen behindern und verbieten?

Der Bundestag hat am 17. Mai 2019 einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ (19/10191) angenommen. Darin heißt es, dass BDS zum Boykott gegen Israel, gegen israelische Waren und Dienstleistungen, israelische Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Sportlerinnen und Sportler aufrufe. „Der allumfassende Boykottaufruf führe in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes. Das sei inakzeptabel und scharf zu verurteilen.“

In dem Antrag wird gefordert, dass „Projekte, die zum Boykott aufrufen oder die BDS-Bewegung unterstützen“, nicht gefördert werden dürfen. Die Vergabe von kommunalen Räumen für entsprechende Veranstaltungen soll nicht erlaubt werden. Mit dem Satz „Der Bundestag tritt damit jeder Form des Antisemitismus schon im Entstehen entschlossen entgegen und verurteilt die BDS-Kampagne und den Aufruf zum Boykott“ wird impliziert, dass BDS antisemitisch sei. Seit Mai wird diese Lüge verbreitet und sie scheint sich in vielen Köpfen festgesetzt zu haben.

Können Sie einige Beispiele nennen?

Die Hetze gegen die BDS-Kampagne ist allgegenwärtig, und etliche Preisverleihungen mussten abgesagt werden, weil Anwärter für etliche Preise mit dieser Bewegung in Verbindung gebracht wurden. Zuletzt traf es die Schriftstellerin Kamila Shamsie, die den Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund erhalten sollte, der ihr dann wieder aberkannt wurde.

Der Höhepunkt dieser Hetzjagd ist die Drohung des Berliner SPD-Innensenators Geisel, BDS-Sympathisanten vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Daraufhin schrieb die Jüdische Stimme einen Offenen Brief an Geisel und fragte, ob er sich wirklich anmaße zu entscheiden, welche Juden zu „unseren jüdischen Mitbürgern“ gehören und welche nicht. Denn diejenigen Menschen jüdischen Glaubens, die BDS unterstützen, scheinen die „bösen“ Juden zu sein, die nicht zu „unseren Mitbürgern“ zählen, vermutet die Jüdische Stimme.

Es macht mich fassungslos, dass die Holocaust-Überlebende und Ehrenvorsitzende der VVN-BdA, Esther Bejarano, ehemals Mitglied im Auschwitz-Orchester, auch schon als Antisemitin beschimpft wurde, weil sie BDS unterstützt und harsche Kritik an der israelischen Besatzungspolitik übt – sie brandmarkt die Regierung Netanjahus als „faschistisch“ („They are fascists. It is a fascist government. I have no other name for it.“ – „Sie sind Faschisten. Es ist eine faschistische Regierung. Ich habe keine andere Bezeichnung dafür.“)

Soll der Kampf gegen BDS nicht auch von den Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen der israelischen Regierung ablenken? Tatsächlich werden diese israelischen Verbrechen – wie die gezielten Tötungen palästinensischer Kinder bei Demonstrationen gegen die Mauer – so gut wie nicht mehr thematisiert.

Ja, das stimmt. Einen hervorragenden Artikel von Barry Trachtenberg, Professor für Jüdische Geschichte an der Wake Forest University in North Carolina, USA, druckte beispielsweise die taz mit dem Titel „Die Panik angesichts der BDS-Bewegung in Deutschland lenkt uns von der wirklich antisemitischen Bedrohung durch Neonazis ab“.

Auch der Appell von Amos Goldberg, Professor an Hebräischen Universität Jerusalem und Spezialist für die Erforschung des Holocaust, an „meine deutschen Freunde“, veröffentlicht in der Frankfurter Rundschau ist absolut lesenswert! Dort ist zu lesen: „Ich warne meine Freunde in Deutschland wegen unserer Erfahrungen in Israel: Es steht noch mehr Ärger bevor, falls Sie die Grundsätze der Demokratie, die Meinungsfreiheit und eine prinzipientreue Außenpolitik nicht energisch verteidigen. Wenn Sie nicht für diese Werte kämpfen, gerade auch im Kontext sensibler Themen, könnte sich Deutschland in fünf oder zehn Jahren in ein weiteres illiberales Bollwerk verwandeln. Seine Politik könnte dann der Israels, Ungarns und Polens ähneln.“

Diese Warnung sollten wir wirklich ernst nehmen. Die zunehmende Gewalt durch die Nazis, die Demokraten, Journalisten und viele andere bedrohen, ist eine Tatsache, die oft als Bagatelle abgetan wird. Nazis werden von der Polizei beschützt, die Gegendemonstranten werden geschlagen und manchmal auch verhaftet. Und auch die kürzlich erfolgte Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA ist meines Erachtens in diesem Kontext zu sehen.

Wie steht Die Linke zu BDS?

Das Schlimme ist, dass auch die Fraktion Die Linke am 17.5. einen Antrag „BDS-Bewegung ablehnen – Friedliche Lösung im Nahen Osten befördern“ eingebracht hat. Obwohl jüdische Intellektuelle in zahlreichen Artikeln und Appellen betont haben, dass BDS nicht antisemitisch ist und dass BDS die einzige gewaltfreie Widerstandsbewegung ist, die den Palästinensern noch geblieben ist, heißt es in dem Antrag der Linken, dass es „Äußerungen  und Handlungen aus der BDS-Bewegung gibt, die darauf abzielen, das Existenzrecht des Staates Israel in Zweifel zu ziehen.“ Das ist grober Unfug.

Aber einige Linke beziehen sich leider auf diesen Antrag und hetzen gegen BDS. Ein Beispiel dafür ist die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Shalom Niedersachsen, die gegen die „LAG Gerechter Frieden Nahost Niedersachsen“ hetzt, weil diese die BDS-Bewegung unterstützt. Nach Auffassung der LAG Shalom dürfen „solche Ansichten und Positionen in unserer Partei keinen Platz haben.“  Bislang gibt es meines Erachtens keine eindeutige Position der Partei Die Linke zu BDS. Mir scheint, dass die Partei das Thema „BDS und Antisemitismus“ am liebsten totschweigt.

Nicht die BDS-Bewegung, sondern Rassisten und Rechtsradikale sind für die antisemitischen Attacken verantwortlich. Was kann Deiner Meinung nach gegen diese Anti-BDS-Hetze unternommen werden?

Es muss wahnsinnig viel Aufklärungs- und Bildungsarbeit geleistet werden, auf allen Ebenen. Ich traute meinen Augen nicht, als ich die Entschließung der Hochschulrektoren-Konferenz-Mitgliederversammlung (HRK) vom 19.11.2019 las. Diese Versammlung unterstützt wörtlich in ihrer Entschließung die Resolution „Gegen BDS und jeden Antisemitismus“ des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, vom ‚freien zusammenschluss von student*innenschaften e. V. (fzs)“, des AStA der Technischen Universität Darmstadt und des AStA der Goethe-Universität Frankfurt sowie parteinaher Hochschulgruppen wie Hochschulgruppen der Jusos, den Liberalen Hochschulgruppen, Campus Grün und dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten.

Alle diese Organisationen verurteilen die BDS-Kampagne und beschimpfen deren Unterstützer und versuchen, die Meinungshoheit in den Universitäten über den Diskurs „BDS gleich antisemitisch“ zu erhalten. Mit dieser Entschließung der HRK ist die Gefahr der Denunziation von Wissenschaftlern und Hochschullehrern, die sich kritisch mit der israelischen Politik auseinandersetzen, als Antisemiten noch größer geworden. Für mich ist es ein intellektuelles Armutszeugnis, dass die HRK die umstrittene Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) „begrüßt“ und „sie an allen Hochschulstandorten etablieren möchte“.

Es scheint, dass die Kontroversen um die IHRA-Definition an der HRK völlig vorbei gegangen sind. So hatte beispielsweise die Rosa-Luxemburg-Stiftung in einer umfassenden Studie von Peter Ullrich „gravierende Mängel“ an der IHRA-Definition festgestellt. Ullrich bezeichnet die Definition als „äußerst vage“, die den „grundlegenden wissenschaftlichen Anforderungen“ nicht genügt. Zudem weist Ullrich darauf hin, dass die IHRA-Definition „für Grundrechteeinschränkungen herangezogen“ wird und nennt als Beispiel die Raumverbote in München für propalästinensische Gruppen.

Weil sich inzwischen auch das Europaparlament sowie verschiedene Staaten und hierzulande einige Bundesländer und Kommunen auf die „äußerst vage“ und daher politisch dehnbare IHRA-Definition beziehen, hat sie enorm an Einfluss gewonnen. Diese Beispiele zeigen, wie erfolgreich die BDS-Bekämpfung des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten ist, so wie es Sivan und Laborie in ihrem Buch „Legitimer Protest“ analysiert haben.

Was möchten Sie Politikern in Deutschland und allen kritischen Mitbürgern, auch unter den RT Deutsch-Lesern, abschließend zu bedenken geben?

Zum Schluss möchte ich einfach jenen Aufruf an die Bundesregierung von 240 jüdischen und israelischen Wissenschaftlern in Erinnerung bringen, der im Juni nach dem unsäglichen BDS-Antrag die Bundesregierung aufforderte: „Setzen Sie BDS nicht mit Antisemitismus gleich.“ Darin wird unter anderem die Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs für politische Zwecke thematisiert. Dort heißt es:

Seit Jahren bezeichnet die israelische Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu jede Opposition gegen ihre illegale und friedensschädigende Politik als antisemitisch. Es kann niemanden überraschen, dass Netanjahu den Beschluss des Bundestages sehr begrüßt hat. Dies veranschaulicht, wie der Kampf gegen den Antisemitismus instrumentalisiert wird, um die Politik der israelischen Regierung abzuschirmen, die schwere Menschenrechtsverletzungen verursacht und die Chancen auf Frieden zerstört.

Bekämpft den Antisemitismus unnachgiebig, um jüdisches Leben in Europa zu schützen, und ermöglicht, dass es zur Blüte gelangt. Erhaltet dabei die klare Unterscheidung zwischen Kritik am Staat Israel, so harsch sie auch sein möge, und Antisemitismus aufrecht. Vermischt nicht Antizionismus mit Antisemitismus. Und schützt die Rede- und Meinungsfreiheit derjenigen, die die israelische Besatzung ablehnen und darauf bestehen, dass sie endet.

Zu guter Letzt wünsche ich mir, dass deutsche Politiker einmal auf israelische Intellektuelle hören und nicht permanent das Judentum und den Staat Israel in einen Topf werfen. Es sind zwei verschiedene Sachen!

Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes

Annette Groth, Jahrgang 1954, arbeitete als Entwicklungssoziologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin eines europäischen Migrationsforschungsprojektes, Ökumene-Referentin bei der Evangelischen Studierendengemeinde, Education Officer beim Kommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen, Direktorin einer tourismuskritischen NGO und Referentin für ein ökumenisches Stipendienprogramm des Diakonischen Werkes. Für die Partei Die Linke war sie eine Zeit lang Mitglied des Bundestages.
Sie ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes.

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Foto: aufgenommen in Gaza (Palästina)
Quelle: pixabay.com / User: hosny_salah / Lizenz: Pixabay License