Nach 1989 begann ein existentieller Konkurrenzkampf
Johanna Arndt – interviewt von Peter Betscher
Anlässlich eines Abends mit Johanna Arndt, Anna von Rohden und Nicolas Miquea in Darmstadt
(Erstveröffentlichung in der NRhZ, Online-Flyer Nr. 721 vom 02.10.2019)
Am 25. September 2019 fand der gemeinsame Auftritt von Johanna Arndt, Anna von Rohden und Nicolas Miquea in Darmstadt in der Bessunger Knabenschule statt – veranstaltet vom Deutschen Freidenker-Verband, vom Bundesverband Arbeiterfotografie, von der DKP und der LINKEN. Das Motto des Abends lautete: „Ich schreibe, um zu leben – Gefängnisbriefe, Betrachtungen und Lieder“.
Johanna Arndt absolvierte ihr Studium an der Hanns-Eisler-Musikhochschule in Berlin. Sie machte ihren Soloabschluss als Chanson- und Musicalinterpretin und beendete ihr Studium als Gesangspädagogin. Sie belegte bei Gisela May Interpretationskurse. Engagements als Solistin des Staatlichen Folkloreensembles der DDR und des Zentralen Orchesters der NVA ließen nicht lange auf sich warten. Es folgten Funk- und Fernsehaufnahmen und Konzerttourneen in Mozambique, Madagaskar, VR Jemen, VR Korea, Kuba, Polen, Finnland und Russland. Nach einem weiterem Studium an der Hochschule der Künste in Berlin erhielt sie ihren Abschluss als Spielleiter und Theaterpädagogin. Johanna Arndt ist Preisträgerin der Chanson-Tage der DDR. Nach 1989 unternahm sie Tourneen in Japan, der Schweiz und im Bundesgebiet. Neben ihren eigenen Auftritten führt sie Chanson-Workshops durch. Peter Betscher führte mit Johanna Arndt ein Interview.
Du bist in der DDR sozialisiert und ausgebildet worden. Was hat sich nach 1989 für Dich als Künstlerin verändert?
Von 1980 bis 2001 war ich an der Universität in Potsdam in der Musiklehrerausbildung tätig. Nach 1989 wurden die leitenden Stellen von westdeutschen Professoren und Mitarbeitern besetzt. Es begann ein harter Konkurrenzkampf, bei dem es bei uns Ossis um die zukünftige berufliche Existenz ging.
Da ich neben meiner pädagogischen Tätigkeit ständig eigene Konzerte gab und mit literarisch-musikalischen Programmen aufgetreten bin, hat sich auch bei dieser künstlerischen Arbeit nach 1989 viel verändert. Nach dem ersten freundlichen Interesse und der Neugier auf uns Ossis im westlichen Deutschland kam es auch hier zu einem harten Konkurrenzkampf. Chancen hatten vor allem Künstler, die sich gut verkaufen und gut für sich werben konnten. Das mussten wir erst lernen. Mir ist es durch persönliche Kontakte gelungen, meine Programme in ganz Deutschland und der Schweiz aufzuführen.
Als Künstlerin in der DDR warst Du auf Konzerttourneen in der ganzen Welt u.a. in der Volksrepublik Jemen. Nach 1989 warst Du u.a. auf Konzertreise in Japan. Wie kam es dazu?
1974 war ich mit dem staatlichen Folkloreensemble der DDR in Nordkorea. Das koreanische Publikum amüsierte sich köstlich und lachte über die bäuerischen Formen der deutschen mittelalterlichen Tänze. Der Personenkult um Kim il Sung war zwar immer präsent und die Bevölkerung gleichgeschaltet. Aber ich hatte den Eindruck, dass die Bevölkerung nicht unglücklich war. Die Menschen waren höflich, freundlich, offenherzig und fleißig. Zum Beispiel der Dolmetscher hatte sich Deutsch ganz allein erarbeitet. Er scherzte und lachte gern.
Von 1976 bis 1980 war ich Gesangssolistin bei zentralen Orchester der NVA (Nationale Verteidigungs-Armee, Anm.d.R.). Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Oberst Baumann hatte ich das Glück, mit diesem hervorragenden Klangkörper in viele Länder zu reisen.
In Mozambique beeindruckte mich die Höflichkeit von Samora Machel. Er gratulierte jedem unserer 80 Musiker und schüttelte jedem die Hand. Die jungen Kämpfer und Kämpferinnen riefen im Chor: „Nieder mit dem Imperialismus – Hoch die internationale Solidarität“. Es war für mich unvorstellbar, dass dieses Land wieder dem Neokolonialismus Tür und Tor öffnete.
Die Volksrepublik Jemen war während unseres Besuches noch sehr rückständig und mit den muslimischen Traditionen verwachsen. Viele Frauen gingen verschleiert. Viele waren europäisch gekleidet. Unser Dolmetscher, der acht Kinder hatte, führte uns in Aden ins Museum. Dort wurden traditionelle Instrumente der jüngsten Vergangenheit gezeigt, z.B. zur Genitalbeschneidung von Mädchen.
Unser Konzert war in einer wüstenähnlichen Landschaft unter freiem Himmel. Nie wieder hab ich die Sterne so deutlich und nah gesehen. Heute ist Deutschland durch Lieferung von Waffen und Kriegsschiffen indirekt am grausamen Krieg in Jemen beteiligt. Durch deutsche Schiffe (von den Arabern gekauft) wird die Verteilung von Hilfsgütern verhindert. In Jemen verhungern die Menschen. Vor allem trifft es Kinder.
Madagaskar ist ein wunderschönes Land mit roter Erde und grünen Urwäldern. Die Menschen sind sehr arm aber fröhlich und aufgeschlossen. Sie sind von natürlicher Schönheit und Eleganz. Es gab keine Kulturhäuser oder Theater. Unsere Konzerte fanden in Sporthallen statt. Sie waren überfüllt. Die Kinder saßen vo9r uns auf der Erde. Die Begeisterung des Publikums war wunderbar und unvergesslich.
In Kairo kam es für uns zu einem lebensbedrohlichen Zwischenfall. Gamal Abdel Nasser war von Anwar as-Sadat abgelöst worden. Wir hatten Aufenthalt auf dem Flugplatz von Kairo. Unsere sowjetische Maschine war auf dem Flug nach Moskau. Man ließ uns zwei Stunden in glühender Hitze stehen, bewacht von Wachposten mit auf uns gerichteten Maschinenpistolen. Das Flugzeug heizte sich so auf, dass viele von uns ohnmächtig wurden. Ich musste mich übergeben und hatte wahnsinnige Kopfschmerzen.
Nach Japan kam ich durch eine persönliche Einladung. Eine japanische Chanson-Interpretin kam einige Jahe zum Unterricht zu mir in die Hanns-Eisler-Musikhochschule. Sie organisierte in Japan einen Chanson-Workshop mit anschließendem Konzert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sehr, sehr gut vorbereitet und sangen Brechtsongs in deutscher Sprache. Das anschließende Konzert von mir war ein großer Erfolg und in youtube anzusehen.
Du gibst Dein Wissen in Chanson-Werkstätten an die jüngere Generation weiter. Wie ist Deine Einschätzung der politischen Kultur in der BRD?
Durch die Berieselung durch das Fernsehen werden die Menschen abgestumpft und mit Kriminal- und Horrorfilmen von den gesellschaftlichen Problemen abgelenkt. Anspruchsvolle Konzert- und Theaterbesuche sind teuer und nur für Gutverdiener möglich. Junge Leute gehen zu Partys oder zu Popmusik. Die 30- bis 50jährigen haben Familien- und Arbeitsstress. Die Generation 50+ ist das Hauptpublikum für Schlager- und Volksmusik und linke Erinnerungskultur.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Pianistin Anna von Rhoden?
Anna von Rhoden ist mit Nicolas Miquea befreundet. Durch ihn lernte ich sie kennen.
Was hat Dich veranlasst dieses Programm „Ich schreibe, um zu leben“ zu machen?
Die Gefängnisbriefe haben mich sehr interessiert und berührt.
Wie bist Du zur Auswahl der vier Personen für die Gefängnisbriefe gekommen?
Ich habe viele Gefängnisbriefe gelesen und mich dann für die jetzige Auswahl entschieden.
Was hat Dich bewogen ein gemeinsames Programm mit dem Liedermacher Nicolas Miquea zu machen?
Nicolas wohnt als Untermieter im Dachausbau unseres Hauses. Deshalb kam es ganz natürlich zu unserer Zusammenarbeit. Da ich ihn sehr schätze, bin ich glücklich darüber.
Der Auftritt von Johanna Arndt und Anna von Rohden als Video:
Bild oben: Johanna Arndt am 25.9.2019 in Darmstadt
Foto: Screenshot aus dem Video, © arbeiterfotografie.com