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Aushungern mit dem Segen des Kardinals

Reinhard Marx und das Elend der syrischen Bevölkerung

Ein Zwischenruf von  Bernd Duschner

(Erstveröffentlichung auf nachdenkseiten.de)
[Beachtet auch die Petition am Ende des Beitrags]

Auf einer Pressekonferenz der Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) am 29. Mai 2019 in Berlin hat der Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrates in Genf, Idriss Jazairy, über die Auswirkungen der Sanktionen auf das Leben der syrischen Bevölkerung informiert. Seit 2011 gegen Syrien in Kraft, haben diese, wie von Bundesregierung und EU beabsichtigt, zu einer weitgehenden Lahmlegung der Wirtschaft dieses Landes geführt [1]: Zahllose Firmen mussten schließen, weil sie Rohstoffe und Maschinen nicht mehr beziehen können und ihnen die Exportmöglichkeiten genommen wurden. Die Arbeitslosigkeit explodierte von 8,5% (2010) auf über 48% (2015), das Bruttoinlandsprodukt stürzte um unvorstellbare zwei Drittel ab, die Lebensmittelpreise stiegen auf das Achtfache (!) und die syrische Bevölkerung versank im Elend [2]. Seit die USA auch Drittstaaten mit der Androhung von Sanktionen davon abhalten, Öl nach Syrien zu liefern, hat sich die wirtschaftliche Lage für die Bevölkerung weiter erheblich verschlechtert [3].

Warum wir uns an Kardinal Reinhard Marx gewandt haben

Seit einigen Jahren unterstützen wir als lokale Friedensgruppe das Italienische Krankenhaus in Damaskus. Aus dieser Zusammenarbeit kennen wir die Schwierigkeiten, vor denen syrische Krankenhäuser infolge der Sanktionen stehen: der Zahlungsverkehr mit dem Ausland ist unterbunden, Hersteller schrecken aus Angst vor möglichen Sanktionsverstößen vor Lieferungen zurück, ihr Land Syrien und damit sie selbst verfügen kaum über eigene Devisen, um dringend benötigte medizinische Geräte, Ersatzteile und Medikamente über dritte Kanäle importieren zu können [4]. Das ist auch der Grund, weshalb wir aktuell um Spenden für einen Sauerstoffgenerator für dieses Krankenhaus bitten, den es für seine Intensivstation dringend benötigt.

Bereits mehrfach haben die Patriarchen und Bischöfe Syriens eindringlich um die unverzügliche Aufhebung der Sanktionen gegen ihr Land gebeten [5]. Mit dem Erzbischof von Genua, Kardinal Bagnasco, Vorsitzender des Rates der europäischen Bischofskonferenzen, haben sie einen wichtigen Fürsprecher. Die Sanktionen verurteilt er als „eine Form des Krieges, um ein Land zu begraben“ [6]. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hat auf der UNO–Generalversammlung ihre Aufhebung gefordert [7]. Die deutschen Bischöfe mit Kardinal Marx an der Spitze schweigen dagegen beharrlich seit über 8 (!!!) Jahren, sieht man von einzelnen Ausnahmen ab [8]. Dabei verfügen sie mit Zehntausenden von Geistlichen und kirchlichen Mitarbeitern, ihren Organisationen und Medien durchaus über die Möglichkeit, unsere Bevölkerung über das gezielte Aushungern der syrischen Bevölkerung durch die Sanktionen zu informieren und für ihre Aufhebung zu mobilisieren.

Wir haben uns deshalb unter Bezugnahme auf die Appelle der syrischen Patriarchen und Kirchenvertreter an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, gewandt. In unseren Schreiben baten wir ihn, sich hinter die Forderungen seiner syrischen Amtskollegen zu stellen und die ganze Kraft der katholischen Kirche in Deutschland für die Aufhebung der Sanktionen zu mobilisieren.

Wie der Kardinal das aushungern bagatellisiert und rechtfertigt

In den beiden Antwortschreiben, die uns in seinem Auftrag Dr. Legutke [9] und Ulrich Pöner [10] vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz geschickt haben, wird deutlich, dass Kardinal Reinhard Marx mit seinen Mitarbeitern dazu nicht bereit ist.

Nach ihrer Auffassung trägt die syrische Regierung die Verantwortung für die von Bundesregierung und EU einseitig gegen ihr Land verhängten Sanktionen. Sie sei es selbst gewesen, die diese Maßnahmen „mit ihrem Krieg gegen die Bevölkerung (…) hervorgerufen hat“  [9]. Es ist dies exakt die gleiche Behauptung, mit der Bundesregierung und EU die Strangulierung der syrischen Wirtschaft rechtfertigen. Die Sicht und Berichte ihrer Amtskollegen vor Ort in Syrien wie des Apostolischen Vikars von Aleppo, Abou Khazen, oder von Erzbischof Jeanbart über den Krieg und die Sanktionen zählen für sie nicht [11]. Den Kardinal und seine Mitarbeiter stört es auch nicht, dass sich die westlichen Staaten wie in der Kolonialzeit das Recht anmaßen, Völker der Dritten Welt, die sich ihnen nicht unterordnen, eigenmächtig zu bestrafen. Das Völkerrecht muss nach ihrer Auffassung diesen Ländern gegenüber offensichtlich nicht beachtet werden [12]. Marx und seine Mitarbeiter räumen zwar ein, „dass die Sanktionen die Bevölkerung treffen“, wollen aber nicht dagegen aktiv werden, weil „eine Aufhebung der Sanktionen die Position einer Regierung, die mutmaßlich für Kriegsverbrechen gegen die Menschlichkeit in einem erheblichen Umfang verantwortlich ist, stärken würde“ [10] . Damit geben sie der Geiselnahme von Millionen Syrern, mit der EU und Bundesregierung ihre Ziele gegenüber der Regierung in Damaskus durchsetzen will, ihren kirchlichen Segen.

Gleichzeitig versuchen sie die Auswirkungen der Sanktionen als für die syrische Bevölkerung harmlos und unerheblich darzustellen. Dazu behaupten sie wahrheitswidrig, diese seien nur „gegen einzelne Mitglieder des Staatsapparates und Firmen, die zur Finanzierung des Krieges beigetragen haben“, gerichtet [9]. Wirklich verantwortlich für ihre Not seien die Syrer selbst: „Werden Korruption und Misswirtschaft nicht systematisch bekämpft, bleibt der Verweis auf Sanktionen lediglich eine rhetorische Figur, um von eigenen Fehlern abzulenken und Probleme nicht adressieren zu müssen“ [10] .

Ein Blick auf die Sanktionsbestimmungen zeigt die völlige Haltlosigkeit ihrer Behauptungen [13]. Die Hungernden in Syrien, die Kranken, die heute keine Medikamente für die Dialyse und die Behandlung von Krebs erhalten, können sich von Kardinal Marx und seinen Mitarbeitern nur verhöhnt fühlen [14].

„Es rettet uns kein höheres Wesen“, wir müssen selbst tätig werden

Die Schreiben des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz zeigen, dass die syrische Bevölkerung von ihr, abgesehen von Almosen, keine Unterstützung zu erwarten hat. Man kann nicht zwei Herren dienen. Kardinal Marx hat sich längst für die Nato und einen Stuhl am reichlich gedeckten Tisch der Bundesregierung entschieden.

Wir aber müssen die Aufklärung unserer Bevölkerung über die Sanktionen und das systematische Aushungern Syriens intensivieren. Sie müssen fallen, soll Elend und Not der dortigen Bevölkerung überwunden und ein Wiederaufbau möglich werden. Solange müssen wir unsere humanitäre Hilfe weiterführen. Dazu bitten wir um Spenden für den Kauf eines Sauerstoffgenerators und weiterer medizinischer Geräte auf unser Konto bei der Sparkasse Pfaffenhofen:

Freundschaft mit Valjevo e.V., IBAN: DE06 7215 1650 0008 0119 91

Quellen:

[1] Wie hart treffen Syrien die Sanktionen, Tagesschau 30.11.2011
Embargo Syrien geht der Sprit aus, Wirtschaftswoche 1.9.2012

[2] ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Jazairy_Statement_deutsch.pdf

[3] OFAC Advisory to the Maritime Petroleum Shipping Community

[4] Der Export in die EU, für Syrien wichtigster Devisenbringer, brach als Folge der Sanktionen abrupt von 3.600 Mio. EUR (2010) über 274 Mio (2012) auf heute 107 Mio (2018) ein.
European Union, Trade with Syria, annual data 2007-2017

[5] Appell kirchlicher Würdenträger aus Syrien
Appell der Patriarchen von Syrien

[6] farodiroma.it/siria-la-brutalita-delle-sanzioni-denunciata-dai-presidente-dei-vescovi-europei-cardinale-bagnasco/

[7] vaticannews.va/de/vatikan/news/2019-09/parolin-syrien-krieg-uno-generalversammlung-sanktionen-stopp.html
[Anmerkung der Webredaktion: Dies stellt somit die offizielle außenpolitische Haltung des Vatikan dar, der die deutsche Bischofskonferenz sich entgegenstellt.]

[8] domradio.de/themen/weltkirche/2019-02-19/man-koenne-fast-depressiv-werden-bischof-hanke-fordert-nach-syrien-besuch-wiederaufbau-hilfe

[9] Schreiben von Dr. Daniel Legutke vom 5. April 2019

[10] Schreiben von Ulrich Pöner vom 24.6.2019

[11] vaticannews.va/de/welt/news/2018-04/syrien-bischof-khazen-medizin-problem.html

[12] Die einseitig verhängten Sanktionen sind völkerrechtswidrig: Resolution adopted by the General Assembly on 22 December 2011

[13] Auf der Liste der Finanzsanktionen stehen aktuell 269 Personen und damit alle Firmen, die von ihnen geführt und geleitet werden. Dazu kommen gesondert weitere 69 Unternehmen, darunter neben der Zentralbank die größten Banken, Öl-, Industrie-, Handels- und Transportunternehmen.
europarl.europa.eu/cmsdata/124083/list-persons-entities-EU-restrictive-measures-Syria-30052017.pdf
Völlig verschweigt Dr. Letgutke die warenbezogenen Embargos, zu denen u.a. das generelle Verbot gehört, Rohöl und Erdölerzeugnisse aus Syrien in die EU zu importieren und wichtige Ausrüstungsgüter und Technologe an Syrien zu verkaufen.
wko.at/service/aussenwirtschaft/Aktueller_Stand_der_Sanktionen_gegen_Syrien.html

[14] latimes.com/world/la-fg-syria-sanctions-20181212-story.html
middleeasteye.net/news/sanctions-dont-stop-assad-hurt-us-all-say-syrian-medics-and-businesspeople
globalresearch.ca/how-western-sanctions-not-war-almost-entirely-destroyed-syrias-medical-industry/5590552
german-foreign-policy.com/news/detail/7866/

 

Bernd Duschner ist Sprecher der Hilfsorganisation Freundschaft mit Valjevo e.V., die seit vielen Jahren auf dem Balkan engagiert ist und sich zusätzlich um ein Krankenhaus im syrischen Damaskus kümmert


Hier kann man gegen die völkerrechtswidrigen Sanktionen unterschreiben…

People’s Mobilization – No to War! Save the Planet!


Bild oben: Kardinal Marx
Quelle: pixabay.com / User: FDI2 / Lizenz: Pixabay License