Staat und Kirchen in der DDR
Aus: FREIDENKER Nr. 3-19, September 2019, 78. Jahrgang, S. 43-49
Von Renate Schönfeld
Kirchen und Christen lebten zu keiner Zeit und an keinem Ort im luftleeren Raum. Sie waren und sind auf ihr gesellschaftliches und politisches Umfeld bezogen und haben bis heute im Klassenkampf Position bezogen, indem sie auf der Seite der Herrschenden ihren Platz sahen – mit einer Ausnahme der herrschenden Arbeiterklasse in den sozialistischen Ländern.
Die Klassenbindung der Kirche ging auf die Zeit Kaiser Konstantins im 4. Jahrhundert nach der Zeitrechnung zurück. Die Christen hatten bis dahin eine Jahrhunderte währende, zum Teil sehr blutige Verfolgung überstanden. Im Großreich Konstantins wurde sie legalisiert. Das brachte ihr Eigentum an Grund und Boden ein. Dafür hatten sie ihre Aufgabe bis ins vergangene Jahrhundert als Volkskirche, die moralische Maßstäbe und Werte setzte und die Ideologie, zumeist in Form von Theologie lieferte, aber auch für den caritativen Bereich verantwortlich war. Um ihren Platz an der Seite der Herrschenden entsprechend auszufüllen, drückte sie zum Beispiel die Christianisierung der Sachsen an der Seite Karls des Großen auch blutig durch. Es gab eine Kontinuität von den Kreuzzügen bis hin zur Rolle im vergangenen Jahrhundert als Kriege und Waffen segnende Institution. Bis heute erfüllt die Militärseelsorge ihren Auftrag an Soldaten, um „unsere Freiheit“ in aller Welt, auch am Hindukusch zu verteidigen.
Mit ihrer Klassenbindung ist bis heute ihre finanzielle Absicherung verbunden. Eine kurze Unterbrechung dieser Art von Kirche war die Zeit der Bekennenden Kirche (BK) während des Faschismus. Ihre Mitglieder – zumeist evangelische Pfarrer – verstanden sich als Illegale, die von den Gemeinden finanziert wurden. Der inhaltliche Schwerpunkt der BK war die Theologische Erklärung von Barmen im Jahr 1934 unter Federführung des Schweizer Theologen Karl Barth. Sie beginnt mit dem Satz aus dem Johannesevangelium: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Und in der 5. These folgt: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung des menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen.“
Die Bekennende Kirche war nicht darauf orientiert, generelle Kritik am bestehenden System zu üben. Ihr Ziel war es, den totalen faschistischen Anspruch innerhalb der Kirche nicht zuzulassen. Da die verfasste Kirche der Deutschen Christen (DC) weit größer war als die BK, unterließ es Karl Barth, seine Kritik an der Judenverfolgung in den Text aufzunehmen. Die DC ließen es zynischer Weise zu, das Neue Testament von Judaismen zu „reinigen“.
Sie waren ein offenes Bündnis mit Hitler und dem faschistischen Staat eingegangen, das beim Festakt zur konstituierenden Sitzung des Reichstages am 21. März 1933 in der Potsdamer Garnisonkirche demonstriert wurde. Ihr Wiederaufbau ist heute wieder im Gange.
Nach der Befreiung vom Faschismus setzte in den westlichen Besatzungszonen und nach 1949 in der BRD politisch und folglich auch kirchlich ein Prozeß der Restauration ein. Dieser Teil Deutschlands verstand sich rechtlich als Nachfolger des Deutschen Reiches. Dort gab es nach anfänglich gezeigter Betroffenheit keineswegs einen Neuanfang, bei dem die Frage nach den Ursachen von Krieg und Faschismus gestellt worden wären.
Die Stuttgarter Schulderklärung vom Oktober 1945 war eine kirchliche und ökumenische Reaktion auf die Zeit von 1933-45, die Zeit von Krieg und „Nationalsozialismus“. Es muß aber angesichts der Fakten als sehr halbherzig angesehen werden, wenn darin gesagt wird: „Mit großem Schmerz sagen wir: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. … wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt, nicht brennender geliebt haben.“ Jede Konkretion wird in dieser Erklärung vermieden. Vielmehr gingen die verfaßten Kirchen wieder zur Tagesordnung über, und als tragende ideologische Säule profitierten sie in der BRD von Wirtschaftswunder und Marschallplan.
Zwar sind seit der Weimarer Republik Staat und Kirche verfassungsrechtlich getrennt, jedoch alte Verträge haben weiterhin Gültigkeit. Die finanziellen Staatsleistungen für die beiden großen Kirchen betragen jährlich rund eine halbe Milliarde Euro. Dazu kommen Zahlungen für die karitative Arbeit der Kirchen sowie für das Betreiben von kirchlichen Kindergärten und Schulen, die fast ausschließlich von unseren Steuergeldern bestritten werden, ebenso der Einzug der Kirchensteuern durch den Staat – für die katholische Kirche 5,5 Mrd und die Protestanten 4,8 Mrd Euro.
Anders verhielt es sich in der sowjetischen Besatzungszone und seit dem 7. Oktober 1949 in der DDR. Dort hatte mit der Befreiung von Krieg und Faschismus ein geschichtlicher Bruch stattgefunden. Als Lehre aus der Geschichte wurden Frieden und Antifaschismus oberste Grundsätze der Politik. Wer das nicht vertreten konnte, ging in den Westen, darunter viele Nazis.
Die politisch Verantwortlichen kamen zumeist aus der Arbeiterklasse. Sie hatten Berufe wie Tischler, Dachdecker oder Werkzeugmacher erlernt. Viele von ihnen – ob Kommunisten oder Sozialdemokraten – waren während des Faschismus in Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrt oder in der Emigration – zumeist in der Sowjetunion. Sofern sie Faschismus und Krieg überlebt hatten – der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann wurde in Buchenwald ermordet – sahen sie gemeinsam die Aufgabe darin, das furchtbare Geschehen nie wieder zuzulassen und selbst die Macht zu übernehmen. Als Lehre aus der Geschichte hatten sich KPD und SPD 1946 auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone zur SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vereinigt. Das war ein historisch bedeutsamer Schritt.
Die wichtigste revolutionäre Veränderung betraf das Eigentum. Aus privatem Besitz wurde Volkseigentum. Kriegsverbrecher wie Krupp wurden entschädigungslos enteignet. Die Maschinen der Kruppwerke in Magdeburg gehörten zu den Reparationszahlungen an die Sowjetunion. Es muß immer wieder betont werden, daß die DDR im Unterschied zur BRD die erheblichen Reparationsleitungen des Krieges bezahlt hat. Zum Bruch mit der Geschichte gehörte weiterhin die Enteignung der Großgrundbesitzer. Das betraf auch diejenigen unter ihnen, die während der Zeit von 1933-45 eine politisch kritische Haltung eingenommen hatten. Sie verließen fast alle das Land und wurden im Westen großzügig entschädigt, auch die Nazis, die in der DDR für sich keine Zukunft sahen. Lehrer, die Mitglieder der NSDAP waren, wurden aus dem Schuldienst entfernt. Einige von ihnen fanden, sofern sie geblieben waren, in der Kirche Unterschlupf und wurden beispielsweise Katecheten.
Für die Kirche war dieser Prozeß aus ihrer Sicht verhängnisvoll. Mit der Gründung der DDR als Folge der Gründung der BRD war die konsequente Trennung von Staat und Kirche verbunden. Die Kirchen waren keine Körperschaften öffentlichen Rechts mehr mit besonderen Vergünstigungen. Das wurde 1968 in der Verfassung verankert.
Besonders in finanzieller Hinsicht waren die Veränderungen für die Kirchen einschneidend. Ihre Ausgaben konnten sie mit den Kirchensteuern der Mitglieder, die sie innerkirchlich eingenommen hatten, nicht mehr decken. Die bis dahin selbstverständliche staatliche Finanzierung war weggebrochen. Aber ein tatsächlicher, inhaltlicher Neuanfang stand nicht zur Diskussion. Die westlichen Kirchen sprangen ein und mit ihnen das Ministerium für gesamtdeutsche Angelegenheiten. Ihre ökonomische Basis bestimmte das Verhalten der Kirchen. Sie wurden fremdgesteuert. Die Gegnerschaft zum sozialistischen Staat war die Folge. Der damalige Bischof der Kirche Berlin-Brandenburg, Otto Dibelius, der auch Ratsvorsitzender der EKD war und übrigens dem rechten Flügel der BK angehört hatte, gab die Linie vor, wenn er vom „gottlosen Bolschewismus“ sprach und in seiner Obrigkeitsschrift die Ansicht vertrat, daß man in der „Sowjetzone“ nicht einmal die Straßenverkehrsordnung anerkennen dürfte. So war es beispielsweise selbstverständlich, daß kirchliche Mitarbeiter ihre Teilnahme an Wahlen bis in die 70-er Jahre verweigerten und Gespräche mit Funktionären von Staat und Partei zu melden hatten.
Innerkirchlich stand in allen Grundordnungen der Landeskirchen und der EKD, daß sie „die kirchliche Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland“ fördern. Das bestimmte ihre Haltung im kalten Krieg, in dem sie es auf Konfrontation anlegten. In den Zusammenhang gehört die Totalitarismusdebatte, die in der Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus bis heute gipfelt.
Die Kirchen nahmen nach 1949 ihre Chance nicht wahr, ihrerseits einen Neuanfang zu beginnen und sich aus den alten Bindungen zu befreien. Die evangelischen Kirchen standen nicht in der Tradition der BK, der zufolge es nahe lag, einen neuen, selbständigen Weg zu gehen. In kirchlichen Äußerungen und Erklärungen spielte es keine Rolle, daß es den Menschen – besonders der Arbeiterklasse – im Sozialismus nicht nur besser ging, sondern daß ihnen die Grundlage für eine andere Lebensqualität geboten wurde. Das Recht auf Arbeit und das auf Bildung waren in der Verfassung verankert. Die Ein- und Zweiklassenschulen auf dem Land wurden abgeschafft, Kindergärten wurden eingerichtet, auf den Dörfern gab es Erntekindergärten.
Vor allem gab es kein Bildungsprivileg mehr, das sich am Einkommen der Eltern orientierte. Kinder aus Arbeiterfamilien wurden gefördert und konnten selbstverständlich studieren, wenn die Voraussetzungen gegeben waren. Christen hatten aber aus kirchlicher Sicht selbstverständlich Diskriminierte zu sein, und westliche Medien halfen ihnen, das öffentlich zu machen, denn in der DDR hatten Kirchen nicht nur ihr Bildungsprivileg verloren, es gab auch keinen Religionsunterricht In den Schulen. Es gab aber die Pioniere und die FDJ, die in der BRD sehr bald verboten wurden, lange vor der KPD.
Es soll aber betont werden, daß es an sechs staatlichen Universitäten theologische Fakultäten gab, in denen ein Fach der Marxismus-Leninismus war. Die „besseren“ Christen studierten an kirchlichen Einrichtungen, die es außerdem gab.
Ein Hauptkampfplatz der Kirchen war der gegen die Jugendweihe, die sich im Gebiet der DDR in vierzig Jahren etabliert hat. Sie wurde als Affront gegen die Kirche und als Konkurrenz zur Konfirmation betrachtet. Durch seine Politik gewann der Staat einen entscheidenden Einfluss auf die Kinder und Jugendlichen.
Die Volkskirche verschwand immer mehr, es gab einen starken Rückgang an Taufen, Konfirmationen und Trauungen.
Innerhalb der Kirchen gab es zu diesen Problemen Auseinandersetzungen. Nach dem Stuttgarter Schuldbekenntnis war der linke Flügel der BK unter Führung der Theologen Karl Barth, Martin Niemöller und Hans-Joachim Iwand am 8. August 1947 mit dem „Wort des Bruderrates zum politischen Weg unseres Volkes“ an die Öffentlichkeit getreten.
Die Verfasser sprachen von „allen falschen und bösen Wegen, auf welchen wir als Deutsche in unserem politischen Wollen und Handeln in die Irre gegangen sind.“ Rückblickend nannten sie es einen Irrweg, den Traum einer besondern deutschen Sendung zu träumen, und fügten hinzu: „Es war verhängnisvoll, daß wir begannen, unseren Staat nach innen allein auf eine starke Regierung, nach außen allein auf eine militärische Machtentfaltung zu begründen.“ Und sie wagten, ein Tabu in den Kirchen anzusprechen: „Wir haben das Recht der Revolution verneint, aber die Entwicklung zur absoluten Diktatur geduldet und gutgeheißen. … Wir sind in die Irre gegangen, als wir übersahen, daß der ökonomische Materialismus der marxistischen Lehre an den Auftrag und die Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen im Diesseits hätte gemahnen müssen. Wir haben es unterlassen, die Sache der Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommenden Reich zur Sache der Christenheit zu machen.“ Es ist klar, daß ein solches Wort nicht in den Kanon der kirchlichen Bekenntnisschriften paßte wie das Stuttgarter Schuldbekenntnis, aber es war richtungweisend für die Bruderschaften, die aus dem linken Flügel der Bekennenden Kirche in der Bundesrepublik und der DDR hervorgegangen waren. In der DDR war es der Weißenseer Arbeitskreis (WAK), der 1958 gegründet wurde.
Es gab auch die internationale Christliche Friedenskonferenz, die 1958 in Prag gegründet wurde. Dort standen die Erhaltung des Friedens und die Forderung nach der weltweiten Gerechtigkeit im Mittelpunkt.
Die deutlichsten Akzente setzte der WAK mit seinen „Sieben Sätzen“ aus dem Jahr 1963. Im 5. Satz heißt es: „ Die Kirche kann, wenn sie die freie Gnade Gottes für alle bezeugt, nicht Ankläger, Verteidiger oder gar Richter der Parteien der Welt sein. Erst recht kann sie nicht selbst zur Partei der Christen gegenüber den Nichtchristen werden. Dagegen tragen wir, ihre Glieder, im freien Gehorsam des Glaubens konkrete gesellschaftliche Verantwortung…. Darum stehen wir vor der Aufgabe, für menschliches Leben, Recht und Frieden Partei zu ergreifen, ohne eine christliche Front aufzurichten…. Darum begegnen wir der nichtchristlichen Gesellschaft nicht ängstlich oder gehässig, sondern hilfsbereit und besonnen und können so auch in der sozialistischen Gesellschaftsordnung verantwortlich mit leben. Dabei haben wir – frei von Antikommunismus und Opportunismus – zu prüfen, was Gott von uns will und seinen guten Willen zu tun.“ (Evangelische Zeitstimmen 21, Hamburg 1965, S. 46)
Die Sieben Sätze des WAK waren eine Reaktion auf die innerkirchlichen restaurativen Kräfte, die sich auch in der DDR formiert hatten. In ihren Zehn Artikeln über Freiheit und Dienst der Kirche ist zum Thema Obrigkeit zu finden: „Die Träger staatlicher Macht bleiben in der Hand Gottes und unter seinem Auftrag, auch wenn sie diesen verfehlen, sich zu Herren der Gewissen machen und in das Amt der Kirche eingreifen. In dieser Gewißheit haben wir der Obrigkeit die Wahrheit zu bezeugen, auch wenn wir dafür leiden müssen. … Wir handeln im Ungehorsam, wenn wir für die Wahrheit nicht einstehen, zum Mißbrauch der Macht schweigen und nicht bereit sind, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.“ (aaO, S. 78 f)
Diese Artikel wurden 1963 von der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR gewissermaßen als Programmatik angenommen.
Der WAK hingegen hielt es 1966 für unverantwortlich, daß sich nach dem Tod von Bischof Otto Dibelius Kurt Scharf, der während des Faschismus prägend in der BK war, als dessen Nachfolger im Bischofsamt von der Kirche Berlin-Brandenburg zur Wahl stellte. Das war eine offene Brüskierung der Regierung der DDR, denn Scharf lebte in Westberlin, und die Einreise in die DDR wurde ihm verweigert. Für den DDR-Teil der Kirche Berlin-Brandenburg wurde deshalb Albrecht Schönherr 1967 als sogenannter Bischofverweser eingesetzt. Er war Gründungsmitglied des WAK, machte dann aber kirchliche Karriere.
Im Jahr 1969 wurde mit der Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR die Konsequenz aus der damaligen Situation gezogen. Der Bund der Kirchen sah sich schließlich gezwungen, sich mit der DDR zu arrangieren. Das führte zu der Formel „Kirche im Sozialismus“ – nicht für, nicht gegen, nicht neben, sondern im Sozialismus, also schlichte eine Ortsbeschreibung.
In der Folge kamen Vertreter von Staat und Kirche ins Gespräch, was darin gipfelte, dass am 6. März 1978 eine Abordnung der Kirche – zumeist Bischöfe – von Erich Honecker empfangen wurde. Die Widersprüche blieben, geändert hatte sich die Art des Umganges. Dem Greifswalder Bischof Horst Gienke verziehen es die evangelischen Kirchen der DDR nicht, daß er zur Einweihung des Domes am 11. Juni 1989 nach umfangreichen Restaurierungarbeiten den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker eingeladen hatte. Die Denkmalpflege der DDR hatte rund ein Drittel der Kosten übernommen.
Um mit den Christen über politische Themen ins Gespräch zu kommen, hatte die Nationale Front die Arbeitsgruppe „Christliche Kreise“ eingerichtet.
Der Weissenseer Arbeitskreis gab seit 1980 die Weissenseer Blätter heraus.
Nach der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki im Jahre 1975 vollzogen sich Veränderungen in der Politik beider Seiten. Der kalte Krieg wurde durch den Slogan der Bundesrepublik „Wandel durch Annäherung“ ersetzt. Für die DDR war es eine Form der Politik der Friedlichen Koexistenz.
Die Christen, die für den Sozialismus eintraten und mit ihm parteilich waren, sahen diese Veränderungen mit großer Sorge. Das Problem war der „Korb 3“ des Abschlußdokuments von Helsinki, in dem es um „menschliche Erleichterungen“ ging, die in den Kirchengemeinden durch sogenannte Partnergemeinden unterstützt wurden. Deshalb war dieser Korb sehr attraktiv, denn damit war die Möglichkeit gegeben, gut ausgebildete Fachleute der DDR anzulocken, die zu familiären Ereignissen in die BRD reisen konnten.
Mit der Öffnung durch den „Korb 3“ wurde aber vor allem Journalisten und Geheimdiensten Tor und Tür in die DDR geöffnet. Der Frieden, der durch die KSZE sicherer werden sollte, wurde immer gefährdeter. Strategie und Taktik waren auf Seiten des Gegners andere geworden.
Roland Jahn, der gegenwärtige Leiter in der BSTU, Behörde für die Stasiunterlagen, rühmte sich nach seiner Ausbürgerung aus der DDR, auf dem Weg über die Kirchen Kommunikationstechnik wie Computer, Drucker oder Kameras und anderes für die verschiedenen oppositionellen Gruppen in der DDR geschmuggelt zu haben, denen die Gemeinden Räume zur Verfügung stellten. Nach der Grenzziehung am 13. August 1961 ging es um das Graben von Tunneln, mit denen kirchliche Mitarbeiter später prahlten.
Durch die NATO-Hochrüstung Anfang der 80-er Jahre war der Weltfrieden akut in Gefahr. Das setzte innerhalb der Kirchen in Ost und West eine intensive Diskussion um die Erhaltung des Friedens in Gang. Die Friedensbewegung hatte in den westlichen Ländern einen Aufschwung, wie er heute wieder wünschenswert wäre. Die eindeutigste innerkirchliche Erklärung gaben die reformierten Kirchen ab. Sie erklärten zu den Atomwaffen ihr Nein ohne jedes Ja.
In den DDR-Synoden ging es, anstatt sich eindeutig für die Abrüstung und die Friedenspolitik der DDR auszusprechen, um „Zeichen für den Frieden“. Die Christen wollten in den Kindergärten mit der Erziehung zum Frieden beginnen, indem sie Kinder und Eltern aufforderten, militärisches Spielzeug abzugeben.
Diese Kleinkleinethik war dazu da, um von der Sache abzulenken. In diesem Zusammenhang hieß die Verweigerung des Wehrdienstes das „deutlichere Zeichen“.
Seit 1964 gab es die sogenannten Bausoldaten, die den Dienst mit der Waffe abgelehnt hatten. Von dieser Möglichkeit machten vor allem, aber nicht nur, Christen Gebrauch.
In den Zusammenhang gehört, daß der Friedensrat der DDR, der Mitglied des Weltfriedensrates war, abwertend als „offizielle Friedensbewegung“ bezeichnet wurde. Die Gruppen, die Zuflucht in den 1980-er Jahren verstärkt in der Kirche gesucht und gefunden hatten, verstanden sich als die Friedensbewegung der DDR.
Das mündete in die Demonstrationen im Oktober 1989. Um eine Öffentlichkeit und vor allem Jugendliche zu gewinnen, wurden seit Mitte der 80-er Jahre die „Bluesmessen“ angeboten, sie hatten ihre Hochzeiten, schliefen aber ein, als sie nicht mehr gebraucht wurden. Der kirchliche Beitrag zur Vorbereitung der Konterrevolution war auf protestantischer Seite auf die Menschen gerichtet, um auf sie Einfluß zu nehmen und ihre Unzufriedenheit zu steuern. Genannt wurde das dann „Bürgerrechtsbewegung“. Auf der katholischen war die Wahl des polnischen Kardinals Karol Woytila zum Papst nicht zufällig.
Die Haltung von Christen zum Sozialismus brachte kürzlich Heinz-Joachim Lohmann von der Ev. Akademie der Kirche Berlin-Brandenburg auf den Punkt: „In der deutschen Teilung hielt sie (die Kirche, d.V.) an der Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland fest. Die Verbindung sollte stärker sein als der politische Druck der Gegenwart. Als die DDR-Verfassung von 1968 diese Einheit zum Verbrechen erklärte, beschloß die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg die organisatorische Einheit sobald als möglich wieder umzusetzen. Das geschah dann 1990. Der Evangelischen Kirche ist es bis zum Schluß gelungen, Freiräume zu eröffnen und zu erhalten, Menschen gegen staatliche Repression zu unterstützen und für sich zu definieren, was Treue zu Jesus Christus in einem System bedeutet, das alle Relgion ausmerzen wollte. Für diesen Weg wählte sie die Formel „Kirche im Sozialismus“.“
Die Kirchen bleiben sich treu in ihrer Rolle im Klassenkampf, aber es gab die 70 Jahre Sozialismus, davon 40 in der DDR, und die Geschichte vergißt nicht. Der Kampf geht also weiter.
Renate Schönfeld, Berlin, ist evangelische Theologin, Pastorin i.R.
und Beiratsmitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
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Renate Schönfeld: Staat und Kirchen in der DDR (Auszug aus FREIDENKER 3-19, ca. 360 KB)
Beitragsbild oben: Kirche Von der Verklärung des Herrn in Berlin-Marzahn (errichtet 1987)
Foto: Angela M. Arnold, Berlin (2011), CC BY-SA 3.0,
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