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Das Lied, das Milliardären gefährlich werden wird

Ernesto Schwarz – interviewt von Anneliese Fikentscher

Erstveröffentlichung am 19.06.2019 in der Neuen Rheinischen Zeitung (Online-Flyer Nr. 710)

Was gibt es an Kampf- und Streikliedern? „Es gibt ‚Roter Wecker’…, Reinhard Frankl…, Bernd Köhler…, Jane Zahn, Frank Baier…, Hartmut Barth-Engelbart…, Lisa Fitz… Es gibt Achim Bigus, Nümmes, die großartige Grup Yorum, in Dänemark ‚Savage Rose‘, in den USA David Rovics. Und es gibt ‚die Bandbreite‘ mit ihrem legendären Song von 2007 „Habt ihr das etwa selbst gemacht?“ [über die Operation 9/11], die allein dafür schon einen ganz dicken Preis verdient hätte, stattdessen aber bis heute eine unglaubliche zwölfjährige Hasskampagne erlebt, besonders von Leuten, die entweder voll auf der Seite des US-Imperialismus stehen oder aber zu feige sind, diese Sender-Gleiwitz-Lüge der USA, dieses Startsignal für verheerende Kriege, für millionenfachen Mord,… als Vorwand für immerwährenden Krieg zu benennen oder sich überhaupt dazu und zur NATO klar zu positionieren. All diese und noch viele Ungenannte gibt es, sie schaffen neue Lieder der Arbeiterbewegung.“ Das ist ein Auszug aus dem Interview mit Ernesto Schwarz, der vom 21. bis 23. Juni beim Linken Liedersommer dabei sein wird – veranstaltet vom Deutschen Freidenker-Verband.

Vom 21. bis 23. Juni findet in Rheinland Pfalz der 8. Linke Liedersommer statt (Alle zwei Jahre …) Wie ist es zur Gründung dieser Kultur-Veranstaltung gekommen? Was war der Anlass? Was die Tradition?

Vielleicht nicht der Anlass, aber der Grund für unseren Linken Liedersommer und des Pudels Kern: der gewaltige Durst der Arbeiter-, der demokratischen und der Friedensbewegung nach Liedern und generell nach Musik, Aufführung, Erfahrungsaustausch, Hören, Diskutieren, Musizieren und Singen traditioneller und besonders auch neuer Musik.

Zur Tradition: Er knüpft an bei den legendären Burg- Waldeck-Festivals im Hunsrück, allerdings weniger in Form des Festivals, sondern mehr als Kultur-Seminar. Einerseits Aufführungen, Konzerte, andererseits Workshops und gemeinsames Singen. Ich bin immer noch schwer beeindruckt von den Festivals Pfingsten 1968 und 1969, als u.a. der Streiksänger Phil Ochs, die große Stimme der US-amerikanischen Friedensbewegung, und Walter Mossmann, F. J. Degenhardt, und auch der dreifache Doktor Rolf Schwendter (mit krächzender Stimme zur Kindertrommel) sangen. Das war unser westdeutsches Woodstock (nicht so gewaltig, aber politisch schärfer, und auf jeden Fall mit großer politischer Wirkung).

Wie gefährlich sind Lieder? Von den beiden chilenischen Musikern wissen wir, dass in Chile nicht nur die Lieder sondern auch die Instrumente verboten waren, die von der Widerstandskämpferin Violeta Para stammten...

In der Urgesellschaft also vielleicht 1 bis 2 Millionen Jahre lang wurden Lieder oder deren Vorläufer hauptsächlich Beutetieren gefährlich, bei der Jagd (Aufstöbern, aber auch Anlocken durch Nachahmung von Tierstimmen). In den letzten etwa acht- bis zehntausend Jahren, also im Zuge der Herausbildung unversöhnlicher gegensätzlicher Interessengruppen Klassen) konnten und wurden Lieder zur Verteidigung und Erreichung dieser gesellschaftlichen Interessen gegen die jeweils andere Klasse eingesetzt.

Ich hoffe, dass das Singen des faschistischen Horst-Wessel-Liedes auch im NS-Nachfolgestaat BRD verboten ist und bleibt. Musik dient auch der Volksverhetzung bis hin zur Folter.

Ich rechne damit, dass eines Tages, wenn unsere Bewegung stärker wird, auch die Brecht-Eislersche „Resolution der Kommunarden“ verboten wird. Als ich es vor einigen Jahren bei der Eröffnung der EZB in Frankfurt a.M. sang, hat die FAZ mir die Ehre gegeben, die Zeile „In Erwägung ihr hört auf Kanonen, andre Sprache könnt ihr nicht verstehen, müssen wir dann eben, ja das wird sich lohnen, die Gewehre auf Euch dreh‘n“ unter meiner Namensnennung zu rügen. Freilich hat sie nur den halben Satz ab „müssen wir dann eben …“ zitiert. Nun, eines Tages wird das Lied den Milliardären noch gefährlich werden, lasst uns dran arbeiten.

Warum sind kulturelle Veranstaltungen und Singen wichtig – zumal sie sich auf konkrete gesellschaftliche Situation beziehen. (Stichwort: Guerilla-Streik bei Amazon)

Allgemein hat Musik eine gewaltige Wirkung auf die Menschen, auf Seele und darüber hinaus auf Geist und Körper. Sie kann Trost spenden, hilft uns beim Teilen von Leid und Freud, auch beim Spott über unsre Gegner, hilft uns beim Trauern. Sie kann uns bedrohen, foltern, aber auch aufmuntern, bestärken, Mut machen.

Ich bin seit einem halben Jahrhundert auf der Suche nach und am Sammeln von Arbeiter- und generell revolutionären Liedern und Volksliedern. Als es im Vorfeld des Jugoslawienkriegs und der bevorstehenden Verarmungsmaßnahmen der Kriegsparteien CDU, SPD, Grüne, FDP keine neuen aktuellen Lieder gab, hab ich mir gesagt, es wird höchste Zeit, warte nicht auf bessre Lieder, aktualisiere vorhandene, schreib selbst neue. Seit knapp dreißig Jahren mach ich nun Musik bei Streiks, bei sozialen und Friedensaktionen. Obwohl besonders anfangs sehr übungsbedürftig und dilettantisch – ich wurde herzlich begrüßt, das hat meine Erwartungen übertroffen und mich sehr ermuntert.

Seit über sechs Jahren gibt es immer wieder Streiks bei Amazon in Bad Hersfeld. Seit sechs Jahren mach ich dazu Begleitmusik, meistens vor dem Tor. Dort (aber auch anderswo) waren und wurden Belegschaftsmitglieder und auch Unterstützer von Anfang an rasch aktiv beim Umschreiben von Schlagern und Liedern und Texten von neuen. Christian Krähling z.B. hatte mir 2014 eine Mail geschrieben: „Wir kennen uns vom Streik. Ich hab ein paar Gedichte geschrieben, kannst Du die evtl. vertonen?“. Ich war begeistert, erst recht, als ich sie gelesen hatte. Er ist dort nicht der einzige! Er ist derart produktiv, dass ich mit dem Vertonen nicht mitkomme, und inzwischen komponiert er selbst Melodien.

Auch bei Kämpfen (besonders bei länger andauernden) an anderen Orten hab ich immer wieder erlebt, wie Kolleginnen und Kollegen plötzlich aktiv werden, was da für ein starkes kulturelles Potential hervorlugt. Es ist wie nach einem Regen in einer ausgedörrten Landschaft. Und das sind nur die ersten Blüten im Januar.

Was gibt es zum Thema „Kampflieder / Streiklieder“ zu sagen? Historisch und aktuell? Was ist über ihre Wirkung bekannt?

Ich hab da keinen Überblick, bin kein Musikwissenschaftler. Ich erfahre nur, dass da ein gewaltiger Bedarf besteht. Einige Leute verkünden gern: „Es gibt keine neuen Arbeiterlieder!“. Das ist zwar vollkommen realitätsfern, aber bei manchen ist da der Wunsch Vater des Gedankens. Andere nutzen das als Ausrede, man könne ja eh nichts tun, dürfe also guten Gewissens die Hände in den Schoß legen. Die Tatsachen sind anders:

Es gab nicht nur z.B. in Österreich die Schmetterlinge und deren Dichter Heinz R. Unger sowie Sigi Maron und das wunderbare jährliche Festival des politischen Liedes am Attersee. Fast vollkommen unbekannt und bewusst totgeschwiegen wurde hier in der BRD der revolutionäre Liedermacher „Eck“ (Bruno Eckhardt, „Lied von Träumen“ „Drum bin ich rot geworden“).

Es gibt „Roter Wecker“, eine großartige Musikgruppe aus München, Reinhard Frankl (z.B. „30 Stunden sinn aach genuuch“), Bernd Köhler (u.a. mit seinem Alstom Chor), Jane Zahn, Frank Baier (beide mit immer wieder neuen aktuellen Liedern), Hartmut Barth-Engelbart (z.B. mit seinem Lied für die Maredo-Belegschaft), Lisa Fitz (Tanz der Vampire, Ich sehe was, das du nicht siehst). Es gibt Achim Bigus, Nümmes, die großartige Grup Yorum, in Dänemark „Savage Rose“, in den USA David Rovics.

Und es gibt „die Bandbreite“ (mit ihrem legendären Song von 2009 „Habt ihr das etwa selbst gemacht?“ [über die Operation 9/11], die allein dafür schon einen ganz dicken Preis verdient hätte, stattdessen aber bis heute eine unglaubliche zwölfjährige Hasskampagne erlebt, besonders von Leuten, die entweder voll auf der Seite des US-Imperialismus stehen oder aber zu feige sind, diese Sender-Gleiwitz-Lüge der USA, dieses Startsignal für verheerende Kriege, für millionenfachen Mord, diese für den deutschen Imperialismus hochwillkommene Ausrede und phantastische Gelegenheit, militärisch mitzumischen dank „uneingeschränkter Solidarität mit den USA“ – die zu feige sind, diese als Vorwand für immerwährenden Krieg zu benennen oder sich überhaupt dazu und zur NATO klar zu positionieren.

All diese und noch viele Ungenannte gibt es, sie schaffen neue Lieder der Arbeiterbewegung.

Was erwartet die TeilnehmerInnen 2019 (am neuen Standort)?

Der Abschied vom Hunsrück, von der Burg Waldeck, diesem legendären Ort fiel uns schwer. Der neue Standort Naturfreundehaus Rahnenhof ist landschaftlich und von den Möglichkeiten für Zelten und Camping vergleichbar gut, hat aber gegenüber Waldeck den großen Vorteil der verkehrsmäßig besseren Anbindung und deutlich mehr Übernachtungsmöglichkeiten. Es gibt wieder ein umfangreiches Programm mit attraktiven Workshops vom Hambacher Fest über neue politische Lieder ab 1967 bis heute, u.a. irische Widerstandslieder, bis zu moderner Musik (Luigi Nono), Lagerfeuer am Freitag, einer großen Abendveranstaltung am Samstag und einer Sonntagsmatinee mit Hartmut König (Sag mir, wo du stehst).

Du gibst zusammen mit Christian Krähling einen Workshop. Um was geht es dabei? Was dürfen die TeilnehmerInnen erwarten oder auch mitbringen?

Wir bringen insgesamt 14 neue Lieder, vor allem solche anhand der Streikentwicklung bei Amazon (s. a. Bilder per Beamer) und aktuell bei Zara und zeigen, wie diese dabei entstanden sind und welche (bescheidene) unterstützende Wirkung sie vermutlich hatten (das ist freilich schwer zu ermessen). Aber auch darüber hinaus neue allgemein politische Lieder, z.B. „An allem sind die Russen schuld!“

Wir reichen die Liedertexte und schicken später auch Audiodateien, Gitarrenakkorde usw. Wir unterstützen gern die Verbreitung und wollen die Aufführung der Lieder an vielen Orten und vielen Kämpfen erleichtern. Wir haben ca. 25 weitere neue Lieder zu verschiedenen Anlässen in der Hinterhand, die wir aus zeitlichen Gründen in den Workshop nicht hineinpacken können, aber gerne weitergeben und evtl. am Abend vorher am Lagerfeuer teilweise zum Besten geben können (zum Charite-Streik, zum Thema Ramstein usw.). Wer teilnimmt, darf gern auch aktuelle Lieder mitbringen, auch wenn die Zeit kaum reichen wird, sie im Workshop sofort zu singen. Wir freuen uns auf Skepsis, auf Kritik (auch scharfe), auf Anerkennung, Anregungen und Verbesserungsvorschläge und auf‘s Mitsingen.


Die Bandbreite „Selbst gemacht“:



Lied „Ihr ändert nicht die Zeiten“, Text von Christian Krähling, Komponiert, gespielt und gesungen von Ernesto Schwarz:


Information zum 8. Linken Liedersommer vom 21. bis 23. Juni 2019:

https://www.freidenker.org/?p=5381


Bild: Ernesto Schwarz (mit Gitarre) auf dem linken Liedersommer 2019
Foto: Jens Oldenburg