Religions- & Kirchenkritik, Säkulare Szene

Befreiungstheologen contra Vatikan

von Klaus Hartmann

Dieser Beitrag erschien im FREIDENKER 2-12 „Unser Amerika“.

Fidel Castro bemerkte kürzlich über die Präsidenten Ecuadors und Venezuelas: „Beide, Rafael Correa und Hugo Chávez, sind Christen“ (Reflexionen 3. Mai 2012).

Ihre politischen Überzeugungen speisen sich aus der traditionsreichen Theologie der Befreiung, der Kirche für die Armen in Lateinamerika. Einer ihrer bekanntesten Vertreter ist Ernesto Cardenal aus Nicaragua, Dichter und suspendierter katholischer Priester. Er war Gast beim Parteitag der Partei Die Linke 2010 in Rostock, wo er seine Überzeugungen zusammenfasste:

„Es ist eine Tatsache, dass die Bibel die Reichen immer wieder verurteilt, auch wenn die Bibelübersetzungen dies oft verfälschen. Nicht selten wird „Reiche“ mit „Übeltäter“ übersetzt, womit die Verurteilung versteckt wird: Es ist sicher nicht falsch, „Übeltäter“ zu verurteilen. Auch in Deutschland übt sich die Züricher Bibel, eine der verbreitetesten hier, in dieser Praxis des Versteckens, und dort, wo der Text von „Reichen“ spricht, steht „Übeltäter“. Die Reichen sind in der Bibel die „Ungerechten“.

Oft wird die Bibel auch bewusst gefälscht (auch die Züricher Bibel), indem „ungerecht“ mit „gottlos“ übersetzt wird. Auf diese Weise wird der Eindruck erweckt, als ob die Atheisten verurteilt würden, nicht die Reichen. Auch wenn viele dieser Reichen der Bibel keine Atheisten sind.

Es ist längst überfällig, dass Christen und Marxisten zusammengehen, so wie es der Paläontologe und Mystiker Teilhard de Chardin schon prophezeite. Wir Christen sind spät zum Marxismus gekommen, aber wir sind gekommen, um zu bleiben. Besser gesagt, wir sind zu unseren Wurzeln zurückgekehrt.

Vom Kommunismus kommen wir her. Kommunistisch sind unsere Wurzeln, die Heiligen Väter. Die Menschheit war sozialistisch, bis das Privateigentum entstand. Der Theologe Leonardo Boff hat Recht, wenn er sagt: ,Die sozialistischen Ideale sind tief in diesem politischen Wesen verwurzelt, das der Mensch ist. Dort werden gefährliche Utopien genährt.‘“

In einem anschließenden Interview fragte die Zeitung „Neues Deutschland“ (26. Mai 2010):

„Unvergessen sind die Bilder, als Sie Papst Johannes Paul II. 1983 bei seinem Besuch in Nicaragua mit der erhobenen Faust grüßten und er Ihnen mit dem Finger drohte. 1985 hat er Sie dann als katholischer Priester suspendiert. Warum haben Sie sich nie um eine Rehabilitierung bemüht?“

Ernesto Cardenal antwortete: „Der Vatikan hat mich dazu verurteilt, dass ich die Sakramente nicht mehr austeilen darf. Das macht mir nichts aus, denn ich bin nicht Priester geworden, um nur die Sakramente auszuteilen, sondern um ein kontemplatives Leben zu führen. Und deswegen besteht keine Notwendigkeit, dass ich vor dem Papst bitte, die Sanktionen aufzuheben. Ich werde vor ihm nicht in die Knie gehen.“

Der von Cardenal erwähnte Leonardo Boff ist katholischer Theologe aus Brasilien ein weiterer zentraler Vertreter der Befreiungstheologie. Josef Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation (Nachfolgeorganisation der Hl. Inquisition), erlegte Boff 1985 ein einjähriges „Bußschweigen“ auf und erteilte ihm Lehrverbot. Boff schwieg nicht und wurde 1992 erneut zu einem Schweigen verdonnert, diesmal für fünf Jahre. Da wechselte er Kleidung und Familienstand, er trug fortan Zivil und er heiratete.

In einem Interview („Süddeutsche Zeitung“, 18.04.2010) meinte er über den inzwischen zum Papst aufgestiegenen Ratzinger: „Es mangelt ihm an allem“. „Wenn er ein bisschen Marx und weniger Augustinus und Bonaventura gelesen hätte, dann hätte er die Unterdrückung der Armen und die Theologie der Befreiung besser verstanden, denn sie hat den Schrei des Unterdrückten und den Schrei der Erde gehört.“ Der Interviewer der SZ befragt ihn dann nach der Demütigung, bei der Befragung durch Ratzinger 1984 „auf demselben Ketzer-Stuhl, auf dem schon Galileo Galilei Platz nehmen musste“, dazu Boff: „Ich hege weder Groll, noch habe ich Narben davongetragen von dieser traurigen Reise in das dunkle und hässliche Befragungszimmer. Das ist keine besondere Tugend. So bin ich eben strukturiert. Ich war davon überzeugt, dass mein Anliegen gerechtfertigt war. Und es war die Gelegenheit, um ihn davon zu überzeugen, dass die Unterdrückten eine Herausforderung für eine neue, befreiende Verkündigung sind. Aber es war alles vergebens. Er hat sich nicht geändert, er ist nur noch schlimmer geworden.“

„Die Befreiungstheologie ist für diesen Papst zu einer Obsession geworden. Erst im März hat er vor Bischöfen aus dem Süden Brasiliens wieder die marxistische Befreiungstheologie kritisiert. Aber diese Theologie existiert nur in seinem Kopf und nicht in der Realität. Er tritt damit auf einen toten Hund ein. Seit dem Fall der Berliner Mauer spricht niemand mehr vom Marxismus in der Befreiungstheologie. Das Schlimmste daran ist, dass er damit aber die Armen in den Basisgemeinden vor den Kopf schlägt, die nun sagen: ´,Der Papst spielt das Spiel unserer Feinde, die uns unterdrücken. Er verurteilt unsere Verbündeten, die Theologen der Befreiung.‘“

Diese Theologen sind immer wieder Verfolgungen ausgesetzt wenn sie sich auf die Seite der Bevölkerung stellen. So wurde im August 2010 über den Konflikt zwischen multinationalen Bergbaukonzernen und der indigenen Bevölkerung von Oaxaca um den in der Region geplanten Goldbergbau berichtet. In dem südlichen mexikanischen Bundesstaat veranstalteten die Bergbaulobby und Mitglieder der Regierung von Gouverneur Ulises Ruiz mit Hilfe der von ihnen kontrollierten Medien eine Hetzjagd auf die beiden Pastoren Martín Octavio García Ortiz und Wilfrido Mayrén Peláez, letzterer ist landesweit bekannt als „Padre Uvi“. Wie der Vatikan „in Treue fest“ an der Seite der Unterdücker steht, lässt sich exemplarisch am Beispiel Paraguays zeigen. Seit einem Putsch 1954 regierte dort der deutschstämmige Diktator Alfredo Stroessner. Nach seinem Sturz 1989 verlangte die Justiz des Landes wiederholt, aber vergeblich seine Auslieferung aus dem brasilianischen Exil, weil sie ihm Ermordungen, Verschleppungen und Folterungen politischer Gegner vorwarf. Mehr als zwei Millionen Paraguayer, gut ein Drittel der Bevölkerung, gingen ins Exil.

Noch kurz vor Stroessners Flucht aus dem Land zeigte sich Ratzingers Vorgänger Karol Wojtyla bei einem Besuch Paraguays brüderlich Seite an Seite mit Stroessner. 1983 hatte er dem Diktator Ríos Montt von Guatemala, 50000 Opfer, seine Aufwartung gemacht, ebenso konnte sich Haitis Diktator Jean-Claude Duvalier über den heiligen Besuch freuen. 1988 besuchte Papst Johannes Paul II. Chile und spendete dem Diktator Augusto Pinochet eigenhändig die Kommunion. Beim Besucht in seinem Palast und ließ sich mit ihm und zahlreichen Generälen und Bischöfen auf dem Balkon fotografieren. Beim Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung Salvador Allendes 1973 arbeitete das katholische Opus Dei mit der CIA zusammen, und wurde wurde vom Pinochet-Regime mit mehreren Minister-Posten belohnt.

Antikommunismus verbindet eben.


Bild: https://pixabay.com/de/users/lorenzogallo-1771587/