Religions- & Kirchenkritik, Säkulare Szene

Zum Spektakel in Köln

von Hellmut G. Haasis

Der derzeitige Bischof von Rom, Joseph Ratzinger, mir persönlich unrühmlich bekannt als ängstlicher Theologieprofessor in Tübingen, gibt sich Mühe, in Köln arglose Jugendliche mit seinem Gelaber vom schönen und freudigen Glauben einzulullen.

Geschäftige Medienleute sind dabei, ihn als Superstar zu etablieren.

 Eine Chance für Freidenker, Konfessionslose und Atheisten, ihre Freiheit gegen den unerwünschten Herrn öffentlich zu bezeugen.

 Bigotte Kölner meckern indes, die Stadt sei immer kirchenfromm gewesen.

 Lüge! Wer dank des christkatholischen, klerikalen Einflusses keinen wahrheitsgetreuen und freiheitsbegeisterten Geschichtsunterricht genossen hat, darf die unverschuldete Lücke in seinem Geschichtsbild füllen.

 Köln ist in Wirklichkeit jahrhundertelang eine Hochburg von Antiklerikern gewesen. Von ausgekochten Kirchenfeinden. Die Kölner haben in diesem Kampf, von Generation zu Generation, mehr Siege erlebt als Niederlagen.

 Im hochmittelalterlichen Freiheitskampf der Kommunen gegen Bischöfe und Adlige war Köln gleich mit vorne dran. Nach dem ersten Sieg einer deutschen Bürgerschaft über einen Bischof ( Worms, im Jahr 1074) ergriff es als nächste die Kölner. Als deren Erzbischof ein Kölner Schiffe rauben ließ, wie ein Strauchdieb, entwickelte sich ein Volksaufstand: in Deutschland selten und doch notwendig.

 Der Kölner Erzbischof greift zu seiner liebsten Waffe, der Hasspredigt: die Stadt sei in der Gewalt des Teufels. Klerikale Augenzeugen behaupten, den erfolgreichen Sturm der Bewaffneten auf den erzbischöflichen Palast habe der Teufel persönlich angeführt. Der Erzbischof rettet sich mit Not in eine Kirche und entkommt verkleidet durch ein Loch in der Stadtmauer.

 Mit dem Märchen vom frommen Köln wird es also Essig.

 Der verjagte Stadtherr agitiert unter den umliegenden Dörfern. Die uninformierten Bauern verleitet er zu einem Beutezug gegen die Stadt, mit dem Versprechen: Wer mitziehe gegen die vom Teufel besessene Stadt, dürfe behalten, was er in die Finger bekomme. Wir sehen den geistlichen Herrn nun schon auf einer Ebene mit Raubrittern.

 Der Anschauungsunterricht dieser Koalition macht die Kirchengeschichte leichter begreifbar.

 Der erste Kölner Bürgeraufstand, nicht vorbereitet, geht verloren. Erstmals in der deutschen Geschichte bricht über eine Stadt ein Terrorregime herein. 60 Handelsherren müssen aus der Stadt flüchten. Die Soldateska des Erzbischofs fällt in die Häuser ein, plündert und wirft alle Verdächtige ins Gefängnis. Anführern werden die Augen ausgestochen, andere öffentlich ausgeprügelt, die Haare geschoren. Die Stadt unterjocht. Die Folge: eine lang anhaltende Wirtschaftskrise. Auswärtige Händler wagen sich nicht mehr in die Stadt des Terrors. Köln verödet.

 Erst in der nächsten Generation raffen sich die Kölner wieder auf. 1114 verschwören sie sich gegen den Erzbischof, haben also aus ihrer Niederlage gelernt: Man muss sich vorher verständigen.

 Die Fernkaufleute erringen ein kommunales Recht nach dem andern, die volle Autonomie als Stadt freilich erst nach 200 Jahren.

 Die Kirche erweist sich mehr und mehr als eine wirtschafts- und freiheitsfeindliche Bastion, die Bürger bezahlen die Zeche für die Macht des Erzbischofs. Einer dieser Herren schreckt nicht vor großen Münzfälschungen zurück. Die geistlichen Beherrscher Kölns jagen den Plänen zu einem Kirchenstaat hinter: von Burgund über Lothringen nach Westfalen.

 Irgendwie müssen die Militärkosten für die Feldzüge eingetrieben werden. Die Ratsherren machen darauf ihre Steuergesetze lieber alleine, ohne den Erzbischof oder seine Anhänger zu fragen. Wer zur Partei des Geistlichen hält, wird aus dem Schöffengericht ausgeschlossen. Wer dem Erzbischof den Treueid leistet, verliert Ansehen und Stimme in der Bürgerschaft.

 Im 13. Jahrhundert übertreffen die erzbischöflichen Stuhlsitzer jeden Raubritter. In bewaffneten Gewaltstreichen werfen sie die Kölner Stadtherren in Ketten, holen sich gekaufte Zunftherren ins Rathaus. Doch die Geldgier, dem fantastischen Kirchenstaat hinterher, überdehnt die Geduld der Bürgerschaft. Der Erzbischof verprellt alle. Der fromme Herr gerät für dreieinhalb Jahre in die Gefangenschaft der Stadt und des Grafen von Jülich.

 Der nächste Erzbischof entpuppt sich noch deutlicher als Bandenchef und Straßenräuber. Er zwingt unterhalb von Köln die Schiffe zur Bezahlung einer neuen Steuer (“Geleitpfennig”). Er bricht fröhlich jeden Landfrieden, kaum dass er ihn feierlich vor Gott beschworen hat. Als er sogar den Kreuzzugspfennig seiner eigenen Kirche stiehlt, wird er endlich verbannt.

 1288 siegten endgültig die Kölner Bürger. Sie hatten erneut etwas gelernt: Der Rhein muss entmilitasiert werden – rheinabwärts darf bis Dormagen keine Burg errichtet werden.

 Mehr als 100 Jahre lang feierten die Kölner jedes Jahr am 5. Juni ihren Sieg über den Erzbischof, der damit für immer seinen Sitz in der Stadt verlor. Und so dürfte Köln ruhig auch papstfrei bleiben.

 In Übereinstimmung mit dieser großen Kölner Freiheitsgeschichte wäre es schön, den Bischof von Rom aus der Stadt herauszuhalten, ersatzweise ihm ein Gegengewicht durch Aufzüge und Feste und Freudenbekundungen der Freidenker, Konfessionslosen und Atheisten in den Weg zu stellen.

 (Wer mehr wissen will, schaue nach bei Hellmut G. Haasis: Spuren der Besiegten, Bd. 1)

 Dieser Artikel wurde dem Freidenker INFO 111 des DFV Ostwürttemberg e.V. entnommen.


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