„Nationale Frage“, „nationale Positionen“?
Falschmeldungen über den Freidenkerverband… ausgerechnet in der „jungen Welt“
Am 7. und 13. Juni sowie am 1. Juli 2019 erschienen Beiträge in der Tageszeitung „junge Welt“ mit Erwähnungen des Deutschen Freidenker-Verbandes und des Vorsitzenden Klaus Hartmann. Während im ersten Beitrag u.a. behauptet wurde, „Hartmann (…) beschimpft uns als »Dreckschleuder«“, wurde im folgenden Beitrag bekannt, diesen „Vorwurf halten wir nicht aufrecht“, stattdessen wurden neue Falschmeldungen nachgeschoben.
Was ist der Anlass und der Hintergrund? Unter dem Aufmacher „Leak des Tages“ wurde über einen Text berichtet (nicht über seinen Inhalt), der zwischen einigen jW-Lesern, Mitgliedern der Genossenschaft und ehemaligen Autoren der Tageszeitung per E-Mail ausgetauscht wurde, und der einen Appell an die junge Welt zum Ziel hatte: „Wir wollen Transparenz!“ Der Grund dafür? Den letzten Anstoß dazu gab die massive Kritik des jW-Autors Knut Mellenthin an Sahra Wagenknecht am 08.04.2019 (https://www.jungewelt.de/artikel/352571.die-linke-politik-der-vereinfachung.html). Klaus Hartmann kommentierte: „Sahra-Bashing oder: Journaille der Verhetzung“ (https://www.freidenker.org/?p=6202).
Entscheidend aber: Andere, die Kritik am Mellenthin-Artikel in die „junge Welt“ bringen wollten, wurden abschlägig beschieden: „Wir planen keine größere Debatte“, so die Chefredaktion am 11.04.2019 gegenüber Dr. Diether Dehm (MdB). Dann erschien aber am 18.04.2019 auf zwei Seiten ein weiterer Beitrag, Sahra Wagenknecht gehöre eigentlich in die SPD, sie stünde gar in der „Traditionslinie (…), die ehedem der rechte Flügel der deutschen Sozialdemokratie begründet hat“ – was Noske einschließt! Auch darauf wurde Diether Dehm eine Erwiderung im Blatt verwehrt, was für ihn „das Fass zum Überlaufen brachte“ und den Vorschlag zum „Transparenz-Appell“ in die Welt brachte.
Dass Widerspruch in der Zeitung nicht geduldet wird, musste man seit 2014 wiederholt erfahren: Erwiderungen zur Negativberichterstattung über die „neue Friedensbewegung“, den „Friedenswinter“ und (anfänglich auch) die Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“ wurden abgelehnt, „über die Friedensbewegung schreibt ein Rainer Rupp in dieser Zeitung nicht“, verkündete Geschäftsführer Koschmieder bei einer Genossenschaftsversammlung. Gleiches widerfuhr Rupp, der 2017 noch für die junge Welt schrieb, als er der Diffamierung des Journalisten Ken Jebsen im Blatt widersprechen wollte.
Am 03.08.15 erschien von Daniel Bratanovic in der „jungen Welt“ ein Pamphlet mit dem Titel „Aus der Defensive – Wolfgang Gehrckes Schrift zum Antisemitismusvorwurf gegen Linke“, eine Reihe kritischer Leserbriefe dazu wurde nicht veröffentlicht. „Die gewählte Form einer Buchbesprechung erscheint als Vorwand für eine Abrechnung“, schrieb Klaus Hartmann und bat die jW-Redaktion, seine Stellungnahme („Brantanovic in der Offensive?“) als Gegenposition zu veröffentlichen. Da dies abgelehnt wurde, wurde sie an mehreren anderen Stellen veröffentlicht (siehe https://www.facebook.com/KenFM.de/posts/10152975858896583:0, http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21984, https://www.freidenker.org/?p=4683).
Zurück zur Gegenwart und Diether Dehms Initiative: Sie wird am 07.06.2019 als „Angriff auf die junge Welt“ klassifiziert, und es werde „von der jW verlangt, nationalen Positionen die Tür zu öffnen“ – mangels Information über den Text kann die Leserschaft nicht prüfen, ob die Behauptung stimmt, sie muss „dran glauben“.
Am 01.07.2019 berichtete die junge Welt über die ordentlichen Vollversammlung der Genossenschaft LPG junge Welt e G. am 29.06.2019, an der 58 von 2.201 Mitgliedern teilnahmen. Als Termin wurde mit sicherem Gespür der Protesttag der Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“ gewählt, an dem neben über 5.000 Demonstranten u.a. Prof. Dr. Rainer Mausfeld, Oskar Lafontaine und auch Dr. Diether Dehm teilnahmen. Der jW-Bericht zu Genossenschaftsversammlung endet mit dem Absatz:
https://www.jungewelt.de/artikel/357741.lpg-vollversammlung-kurs-halten.html
jW, Ausgabe vom 01.07.2019
LPG-VOLLVERSAMMLUNG
Kurs halten
(…) Aktuell werde vom Bundestagsabgeordneten Diether Dehm (Die Linke) und Klaus Hartmann, Vorsitzender des Freidenker-Verbandes, eine Kampagne initiiert. Über diverse Netzwerke werde ein Aufruf verbreitet, mit dem, so Hartmann in einem Begleitschreiben, daran gearbeitet werden soll, den Kurs der jW zu ändern. So soll unter anderem die »nationale Frage« stärker ins Zentrum der Berichterstattung rücken. Huth wies auch diesen Angriff scharf zurück. Verlag und Redaktion lassen sich weder vereinnahmen, noch auf diese Art unter Druck setzen, sondern beharrten auf ihrer Unabhängigkeit. Andernfalls wären sie überflüssig. Die junge Welt habe einen internationalistischen Anspruch und stelle die Eigentumsverhältnisse ins Zentrum ihrer Berichterstattung. In der ausführlichen Diskussion plädierten die anwesenden Genossinnen und Genossen dafür, sich durch solche Angriffe nicht vom Kurs abbringen zu lassen. (jW)
Darauf schrieb Klaus Hartmann über die online-Kommentarfunktion:
Betr.: Artikel Kurs halten
Die Meldung einer „Kampagne“, um die „»nationale Frage« stärker ins Zentrum der Berichterstattung rücken“ ist klassische Falschmeldung – man muss hoffen, aus Unkenntnis. Wir haben nämlich gar keine »nationale Frage«, und wüssten auch nicht, was man über eine solche berichten sollte. In dem in der Diskussion befindlichen Aufruf war auch in keinem Entwurfsstadium von einer solchen „Frage“ die Rede. Dass sie hier trotzdem in Anführungszeichen gesetzt erscheint, bedeutet nicht, dass es ein Zitat wäre, sondern dass es sich um eine Erfindung des jW-Autors handelt.
Der jW-Bericht über die Genossenschaftsversammlung versucht zu suggerieren, es ginge um eine Auseinandersetzung „national“ versus „internationalistisch“ und „Eigentumsverhältnisse“. Das wäre für die Schaffung eines Feinbildes zwar wunderbar einfach, ist aber zu falsch, um wahr zu sein. Der leichte Sieg über diesen selbst geschaffenen Popanz ist nichts wert.
Wir lehnen einen nationalen Chauvinismus ebenso ab wie einen nationalen Nihilismus. Die Ablehnung des nationalen Nihilismus ist nach unserer Einschätzung bei der „jungen Welt“ ein blinder Fleck, und das halten wir bei der Entwicklung des Klassenkampfes für hinderlich. Der findet nämlich nicht in supranationalen Gebilden wie der EU oder in einer anderen Galaxie statt, sondern weiterhin auf nationaler Ebene. Multinationale Konzerne verzichten nicht auf den Schutz ihrer Klasseninteressen durch den monopolistischen Nationalstaat, und der bleibt auch exakt der Adressat der Arbeiterbewegung.
Damit sind wir völlig bei Marx und Engels. Genauso wie wir mit dem „Manifest der Kommunistischen Partei“ übereinstimmen, dass „die Eigentumsfrage … die Grundfrage der Bewegung“ ist, übersehen wir nicht seinen Hinweis, dass der Klassenkampf „der Form nach zunächst nationalen Charakter“ trägt. Dies macht Marx und Engels nicht zu „Nationalisten“ und uns genauso wenig. Auch nicht, wenn wir als weitere Zeugen die Thälmann’sche KPD, Georgi Dimitroff, das Nationalkomitee Freies Deutschland und Fidel Castro aufrufen.
Die erwähnte „Kampagne“ hat nun das Ziel, dass diese Dialektik des Klassenkampfes auch in der „jungen Welt“ kontrovers, aber auf marxistischer Grundlage diskutiert werden darf. Eigentlich unglaublich, dass man für so eine Selbstverständlichkeit Unterschriften sammeln muss. Wenn der Chefredakteur das Verlangen nach einer freien Diskussion dieser Fragen als „Angriff“ wertet, stimmt das leider nicht sehr optimistisch.
Klaus Hartmann, Offenbach am Main
Leider blieb der Kommentar nur 4 Stunden online, dann wurde er gelöscht: Erst spurlos, dann wurde bemerkt, dass sich bereits ein weiterer Kommentator teilweise positiv auf diesen Kommentar bezogen hat, dann stellte man Name und Uhrzeit ohne Text wieder online, und wiederholte die Falschmeldung mit der „nationalen Frage“ (das Dementi war ja nicht mehr zu lesen).
Wenn man unter Zensur nur die (sinnentstellende) Verkürzung oder Verfälschung des Inhalts versteht, hat tatsächlich keine Zensur stattgefunden – es war ja eine Komplettlöschung. Allerdings wird heute umgangssprachlich „Zensur“ auch für das komplette Veröffentlichungsverbot gebraucht, insofern passt es wieder.
Nachdem ein anderer Kommentator „die Argumente von Klaus Hartmann plausibel“ fand, wurde die Begründung geändert: „Verstöße gegen die Netiquette“ könne man nicht dulden. Da keine Erläuterung stattfand, war eine Nachfrage fällig:
https://www.jungewelt.de/artikel/357741.lpg-vollversammlung-kurs-halten.html?commentWritten=824#c824
Beitrag von Klaus H. aus O. ( 2. Juli 2019 um 00:36 Uhr)
Liebe junge Welt-Redaktion,
ich bitte Euch mir mitzuteilen, inwiefern, an welchen Stellen oder mit welchen Formulierungen mein Kommentar vom 01.07.2019 (10:08 Uhr), den Ihr gelöscht habt, gegen Eure Netiquette verstoßen hat. Selbstverständlich bin ich gerne bereit, Eure Vorgaben zu beachten, damit die geneigte Leserschaft meine Argumentation nicht entbehren muss.
Klaus Hartmann, Offenbach am Main
Dank Nachtaktivität blieb dieser Kommentar über acht Stunden online, dann verschwand auch er spurlos. Eine Antwort gab es auch nicht.
Dass der jW-Bericht über die Versammlung ihrer Genossenschaft nicht mal die halbe Wahrheit sein kann, ist auch an dem Satz nachzuweisen: „In der ausführlichen Diskussion plädierten die anwesenden Genossinnen und Genossen dafür, sich durch solche Angriffe nicht vom Kurs abbringen zu lassen.“
Denn damit wird zumindest der Diskussionsbeitrag von Dr. Marianne Linke (Genossenschaftsmitglied, ehem. Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern und Freidenker-Mitglied) unterschlagen:
Klaus Hartmann zu der hier beleuchteten Kontroverse: „Wer linke Gegenargumente aus der Diskussion ausgrenzen will, wer argumentativ begründete Kritik als Angriff empfindet, scheint in einem Paralleluniversum zu leben. Ein „linkes Veröffentlichungsmonopol“ ist eine Schimäre und scheitert spätestens an der Existenz des Internets. Nach aller Erfahrung gibt es niemand, der immer und von vornherein in allen Fragen Recht hat, weder Kritisierte noch Kritiker. Wir brauchen offene, schonungslose, linke Diskussionen, argumentativen und kulturvollen Meinungsstreit. Dieses Verlangen drückt nicht Feindseligkeit gegenüber der jungen Welt aus, sondern das Bemühen, dass die Zeitung ihre Funktion als Plattform, Spiegel und Motor für alle Linken (wieder) erhält.“
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