Geschichte

Frauen in der Bayerischen Revolution und Räterepublik von 1918/19

Aus: FREIDENKER Nr. 2-19, Juni 2019, 78. Jahrgang, S. 26-39

von Nadja Bennewitz

 

„Was saß denn da neben dem grauhaarigen, bebrillten, immer belebten, immer geistreichen Kurt Eisner? Vier oder fünf ganz Getreue, rundherum etliche oppositionelle SPD-Proleten, USPDler, Intellektuelle und vor allem kriegsmüde Proletarierinnen, Frauen mit ausgelaugten Gesichtern, zerarbeiteten Händen und entschlossenen Augen. Sie waren eigentlich die Nüchternsten, die Mutigsten. Sie arbeiteten in den Granatfabriken, waren Straßenbahnschaffnerinnen, schufteten sonst wo und erzählten von ihren Nöten, von den Schwierigkeiten der Agitation unter ihren Kolleginnen, und sie machten Vorschläge.“[1]

Es war der Schriftsteller Oskar Maria Graf (1894-1967), der diese Beobachtung machte. Schon seit 1917 waren es hauptsächlich Hausfrauen, Arbeiterinnen und Jugendliche, die mit Hungerdemonstrationen deutlich machten, wer zu Hause die Kriegslast zu tragen hatte.[2] In München kam es infolge der zunehmenden Unzufriedenheit und materiellen Not zu Zusammenkünften um den Journalisten Kurt Eisner (1867-1919), der aus Protest gegen die „Burgfriedenspolitik“ seiner Partei in die neugegründete USPD eingetreten war.

Die Januarstreiks und Sarah Sonja Lerch

Auch die in Ansbach geborene Betty Landauer (1889-1941), Buchhalterin, nahm an diesen konspirativen Münchner Treffen teil, die schließlich in den Januarstreiks gegen den Krieg mündeten: „(Ich) habe (die) Diskussionsabende, die Kurt Eisner (…) eingerichtet hatte (…), häufig besucht. (…) Es ist öfters sowohl in den Diskussionsabenden wie in den sonstigen Versammlungen die Bedeu­tung des Massenstreiks für die Arbeiter (…) erörtert worden.“[3]

Weil auch Betty Landauer der Überzeugung war, mit einem Massenstreik könne man Einfluss auf die Regierungspolitik nehmen, verteilte sie zusammen mit ihrer Schwester Emilie (1892-1978) das Flugblatt „Männer und Frauen des werktätigen Volkes“.[4]

Auch, so Betty Landauer in ihrer Aussage vor dem Münchner Untersuchungsgericht, habe eine gewisse Sarah Sonja Lerch öffentlich zum Streik aufgerufen.

Erst seit den Forschungsarbeiten von Cornelia Naumann ist die maßgebliche Beteiligung dieser Revolutionärin Sarah Sonja Lerch, geb. Rabinovitz (1882-1919), an den Januarstreiks 1918 in München näher bekannt.[5] Sie stammte aus einer politisierten, jüdischen Familie, die vor den Verfolgungen im zaristischen Russland ins Deutsche Reich ausgewandert war. Als Mitglied im sozialistischen „Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbund“ hatte Sarah Sonja Rabinovitz 1905 an der Russischen Revolution teilgenommen, kannte somit das konspirative Leben und hatte auch im Gefängnis gesessen. Nach ihrer Übersiedlung ins Deutsche Reich studierte und promovierte sie. Heftig kritisierte sie die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD, die sie verließ, um der neugegründeten USDP beizutreten. Aus Rücksicht gegenüber ihrem Mann, der ihre politischen Ideen nicht teilte und eine akademische Laufbahn anstrebte, hielt sie sich zunächst politisch zurück und wurde während des Krieges nicht aktiv.

Doch im Januar 1918 sah sie den Zeitpunkt für gekommen, unter der Arbeiterschaft zu agitieren und sie zu einem Generalstreik aufzurufen, um so den Krieg zu beenden: „(…) wenn das deutsche Proletariat sich mit dem russischen vereinigen würde, könnte gleich Frieden sein, denn dann würden sich franz. und engl. Arbeiter anschließen (…)“[6], so ihre Überzeugung. Von politischen Gegnerinnen wurde sie als „russische Steppenfurie“ bezeichnet, die „die Arbeiter schlimmer aufgehetzt [hat] als Eisner“.[7]

Ihren ersten Auftritt in der Münchner Öffentlichkeit hatte sie am 27. Januar 1918: Nach einer Rede von Kurt Eisner im „Kolosseum“ mit mehreren hundert Genossen der USPD rief sie zum Generalstreik auf. Schon einen Tag später sprach sie vor den Krupp-Arbeitern in der Schwabinger Brauerei, tags drauf abermals im Kolosseum, am selben Tag in der Werkstättenversammlung der Rapp-Motorenwerke und am 31. Januar vor bereits streikenden Arbeitern im Wagnerschen Konzertsaal und auch bei den Buchdruckern nahm sie an Versammlungen teil.

In einem Bericht der Münchner Staatsanwaltschaft hieß es über Sonja Lerch: „Es geschah dies [dass Sonja Lerch öffentlich das Wort ergriff, N.B.] meist im Anschluss an die Rede Eisners, dessen Ausführungen sie in leidenschaftlichster Weise zustimmte. (…) Ihre Reden übten auf die Anwesenden eine ausschlaggebende Wirkung im Sinne des Entschlusses der Arbeitsniederlegung (…) aus.“[8]

Diese Streiks im Januar des letzten Kriegsjahres 1918 wurden hauptsächlich von den weiblichen Beschäftigten angeführt, die sich generell streikfreudiger als die Männer zeigten, wie dies bspw. aus Fürth und Nürnberg überliefert ist.[9] Der Sekretär des dortigen christlichen Arbeitersekretariats berichtete, „wie eine Frau andere aufgehetzt habe, sie sollten keine Granaten mehr machen usw., und als er sie beruhigen wollte, sei man auch über ihn hergefallen.“[10]

Wie bedrohlich diese Agitationen und politisch ausgerichteten Streiks für die kriegführenden Militärbehörden waren, machen deren Reaktionen deutlich.

Zusammen mit vielen anderen wurde Sonja Lerch am 1. Februar 1918 in München verhaftet. Den Ausbruch der Novemberrevolution sollte sie nicht mehr erleben. Sie kam nach Stadelheim in eine „Isolier-Zelle“ – als einzige unter allen anderen Gefangenen. Trude Thomas besuchte sie im Gefängnis und schrieb in einem Brief an Freunde: „Es ist sehr schwer ihre Lage zu verbessern, man ist gegen sie mehr eingenommen als gegen jeden Anderen.“[11] Lerchs Stimmung sank unter den Umständen der Isolation. Ihr Mann hatte die Scheidung eingereicht. Besucht hat er sie kein einziges Mal. Am 29. März 1919 beging Sonja Lerch in Stadelheim (vermutlich) den Freitod durch Erhängen.[12]

Revolution!

Der Funke für die reichsweite Revolution im November ging schließlich von dem Kieler Matrosenaufstand aus. Die Macht ging an revolutionäre Räte über – so auch in Bayern.

In diesen offiziellen Vertretungen, den Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten, waren Frauen verhältnismäßig schlecht und wenig repräsentiert – gemessen an ihrem revolutionären Einsatz auf der Straße, auf Versammlungen und in Diskussionen, in Kommissionen und nicht zuletzt im Abwehr- und Straßenkampf gegen die Konterrevolution.

Was sich für die Rekonstruktion der revolutionären Ereignisse in Bezug auf Frauen zudem als problematisch erweist, ist eine schwierige Überlieferungslage. Nur wenige Frauen haben selbst Aufzeichnungen hinterlassen, wie die radikale Frauenrechtlerin und Pazifistin Lida Gustava Heymann (1868-1943) in Zusammenarbeit mit ihrer politischen Weg- und Lebensgefährtin Anita Augspurg (1857–1943) oder die internationalistische Kommunistin Hilde Kramer (1900-1990).[13]

Dass Berichte selbst reflektierter Zeitgenossen, wie es der Anarchist Erich Mühsam (1878-1934) gewesen ist, stellenweise einseitig sind, mag das folgende Beispiel verdeutlichen.

Den Auftakt zur Novemberrevolution in Bayern gab die von den beiden sozialdemokratischen Parteien MSPD und USPD organisierte Massendemonstration gegen Krieg und Hunger am 7. November 1918 auf der Theresienwiese in München. Der Demonstrationsteilnehmer Mühsam schrieb rückblickend über diese in seinen Augen zunächst unspektaktuläre Manifestation in einem Brief: „Lange Züge bewegten sich sang- und klanglos durch die Stadt (…). Wir verließen einen solchen Zug mit dem Gefühl, daß diese Art zu demonstrieren hoffnungslos sei, und kamen zur Leiberkaserne [in der Türkenstraße]. Dort war einige Erregung (…). Meine Frau ließ ich auf ein Militärlastauto hinaufheben, auf dem etliche Soldaten eine rote Fahne schwangen. Dann kroch ich hinauf und hielt an die zusammengeströmten Soldaten und das Publikum eine Rede, in der ich zur Revolution aufrief und die Republik verkündete. Jetzt war die Revolution plötzlich da.“[14]

Auch Kreszentia Mühsam, geborene Elfinger (1884-1962), schilderte diese Episode in einem Brief an einen Freund – nur ein klein wenig anders: „München hat die Revolution in den Fluß gebracht. (…) Es war herrlich, oh, das hätten Sie erleben sollen! (…) Die ganze Theresienwiese war voll Menschen, mindestens 200.000 (…). [An der Türkenkaserne] war ein Lastauto mit Soldaten, die die Kaserne stürmen wollten (…). Ich sprang auf das Verdeck des Autos, nahm die rote Fahne und schrie ‚Hoch der Friede und die Revolution’ (…) und dann zogen wir Mühsam rauf, der eine wundervolle Rede an die Soldaten richtete (…).“[15] Durch wenige Verschiebungen entsteht ein ganz anderer Eindruck von Wesen und Handlungsfähigkeit Kreszentia Mühsams.

Die Begeisterung für das, was da soeben geschah, findet sich in den zeitgenössischen Berichten oder Erinnerungen auch anderer Protagonistinnen.

Hilde Kramer hatte in ihrer Pflegefamilie eine freie sozialistische Erziehung genossen und war 18 Jahre alt, als auch sie die revolutionären Ereignisse in München miterlebte. An ihre Freundin schrieb sie: „Ich war in der Revolutionsnacht am 7. November fast dauernd auf der Straße. Erst war am Nachmittag auf der Theresienwiese eine gewaltige Volksversammlung, auf der sich die beiden soz[ialistischen] Parteien einten. [Erhard] Auer [von den Mehrheitssozialdemokraten] sprach und ich kochte vor Wut. Was habe ich mir die Kehle wund geschrien mit meinem ‚Lügner, Verräter, Schuft.’ (…) Als wir zur Türkenkaserne kamen, fingen uns die Augen an zu brennen, denn die Luft war noch erfüllt von dem scharfen Gas der Bomben, die die Unteroff[iziere] und die Offiziere auf Soldaten und Volksmenge geworfen hatten. Wir erfuhren dann, daß schon fast alle Münchner Soldaten gemeutert hatten. Das war 7 Uhr abends, am 7. November. Wir schlossen uns an der Türken[kaserne] einem Soldaten an, der zur Bildung des Soldatenrates zum Löwenbräu ging. Da habe ich eigentlich das größte Erlebnis gehabt. Allerdings war es mehr innerlich. Ich kann Dir dazu keine nähere Erklärung geben. Als ich das „Es lebe die Republik! Es lebe die Revolution!“ hörte, da hatte ich gleich das Gefühl: Diese Menschen sind fähig, wirklich die Revolution zu machen! (…) Gesprungen und gejubelt haben wir, und in die Arme sind wir uns gefallen in jener Nacht.“[16]

Im Anschluss an die Manifestation auf der Theresienwiese zog eine Gruppe Menschen, an der Spitze Kurt Eisner, zum Landtagsgebäude. Lida Gustava Heymann war mit von der Partie: „In der Nacht vom 7. auf den 8. November zog Kurt Eisner mit einem kleinen Häufchen von Männern und Frauen durch München zum Landtagsgebäude, dort wurde der Hauswart geweckt, man sagte ihm: ‚Öffnen Sie das Haus. Es ist Revolution, wir sind die Regierung, machen Sie Licht im Sitzungssaal.’“ Die Versammlung verfasste eine Resolution, die ein Stenotypistin vervielfältigte, in der es hieß: „Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik! Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat: Kurt Eisner.“[17]

Die junge Hilde Kramer, begeistert über den Umsturz, engagierte sich sofort in der provisorischen Regierung: „Am nächsten Tag ging ich in den Landtag, beschaffte mir eine Schreibmaschine und bot meine Dienste als Sekretärin an. Der größte Teil meiner Arbeit bestand im Ausschreiben von Ausweisen für die Mitglieder des Soldatenrates und für andere Leute, die in seinem Auftrag arbeiteten. (…) Jeden Abend – und manchmal auch am Tage – ging ich in Versammlungen. Ich war durchaus nicht einverstanden mit Eisners Politik der Konzessionen an die Sozialdemokraten. Die kleine Gruppe von Leuten, mit denen ich mich verstand, erstrebte eine Räterepublik und enge Zusammenarbeit mit den Russen. Es war schon kurz nach dem 7. November klar, daß die Sozialdemokraten keine Räte haben wollten, sondern einen Landtag, in dem alte Machthaber die Oberhand haben würden.“[18]

Heymann und Augspurg dagegen suchten in den folgenden Tagen Kurt Eisner auf und boten ihm ihre Mitarbeit an. Bei diesem Zusammentreffen führten sie ein langes Gespräch, bei dem die Gemeinsamkeit ihrer politischen Ansichten in nahezu allen Fragen deutlich wurde: „Was dieser Mann wollte, deckte sich mit unsern Bestrebungen (…); uns verband die gleiche Sehnsucht nach Befreiung von jeder Knechtschaft, nach Freiheit und Gerechtigkeit für Mann und Frau. (…) Eisner war Revolutionär, aber brutaler Gewalt feind, seine Taten beweisen es: Marsch in den bayrischen (!) Landtag, Proklamation vom 8. November, er hatte alles ohne Anwendung jeglicher Gewalt, ohne Intrigen, ohne Blutvergießen und ohne Opfer an Menschenleben vollführt. (…) Wir sagten ihm, daß es uns aufgrund unserer im politischen Leben gemachten Erfahrungen (…) nicht möglich wäre, Mitglied einer politischen Partei zu sein, weil Parteien mit der Zeit mehr oder weniger alle im Doktrinarismus erstarrten (…). Wir fragten ihn, ob er unter diesen Umständen unsere Mitarbeit haben wolle, wenn ja, stünden wir zu seiner Verfügung. Er willigte ein und zeigte vollstes Verständnis für unsere Vorbehalte.“

Der Bund sozialistischer Frauen

Zehn Tage nach der Verkündung der Republik Bayern beschlossen die Aktivistinnen auf einer am 19. November einberufenen Frauenversammlung in München die Gründung des „Bundes sozialistischer Frauen“. Die Versammelten wollten die bayerische Republik mit ihrer neuen Regierungsform, den Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten, voll unterstützen. Bereits hier forderte Heymann „die sofortige Gründung eines Frauenrates“ – eine Idee, die reichsweit einzigartig war.[19]

Dieser sollte zum einen „dafür (…) sorgen, daß den Frauen alle Berufe, auch der Richterberuf, eröffnet“ würden, und „dass in Staat und Verwaltung an verantwortungsvolle Stellen Frauen treten“ könnten. Außerdem sollte ein Frauenrat die Aufgabe übernehmen „die politisch noch unorientierten Frauen (…) [zu] unterrichten“.

In einer Rede des Bundes hieß es: „Da das Wahlrecht den Frauen so lange vorenthalten war, haben sie sich wenig um die Politik gekümmert. (…) Wir Frauen müssen uns Zeit nehmen für den Versammlungsbesuch, für das Lesen politischer Literatur. Und, haben wir uns zur politischen Anschauung durchgerungen, so müssen wir in die politische Organisation eintreten (…). Der Bund will der Weltanschauung des Sozialismus zum Sieg verhelfen, die Herzen gewinnen.“[20]

Der Bund verstand sich als parteiübergreifende Organisation. Tatsächlich waren viele Mitfrauen parteilos, einige wie Hedwig Kämpfer (1889-1947), Rosa Aschenbrenner (1885-1967) und Elma Klingelhöfer gehörten der USPD an, nur Toni Pfülf (1877-1933) war Mitglied in der MSPD. Eng waren die Verbindungen zum „Verein für Frauenstimmrecht“ und dem „Frauenausschuß für dauernden Frieden“. Der Bund wollte eine Brücke schlagen zwischen den einzelnen sozialistischen Parteien. Ein solcher parteiübergreifender Zusammenschluss blieb einzigartig.

In dem am 8. November 1918 gebildeten „Provisorischen Nationalrat“ mit Kurt Eisner als Ministerpräsident saßen schließlich acht Frauen, was ein Anteil weiblicher Mitglieder von 3% darstellte: Hedwig Kämpfer, Aloisia Eberle (1889-?), Helene Sumper (1854-1926), Marie Sturm (1864-1935), Luise Kiesselbach (1863-1929), Emilie Maurer (1863-1924), Rosa Kempf (1874-1948) und Anita Augspurg.[21]

Die promovierte Rosa Kempf, schon vor dem Ersten Weltkrieg in der gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung aktiv, hielt aufgrund des geringen Frauenanteils am 18. Dezember 1918 eine Rede vor dem Provisorischen Nationalrat – es war die erste Rede einer Frau im bayerischen Landtag:

„Wenn wir uns in diesem Saal umsehen, dann werden Sie vergeblich die gleichberechtigte Beteiligung der Frau suchen. Wo hat der Bauernrat seine Bäuerinnen? Der Bauernhof kann aber ohne Bäuerin nicht geführt werden (…). Wo hat die Arbeiterschaft ihre Arbeiterinnen? Im Kriege standen die Arbeiterinnen in der Fabrik und in allen anderen Betrieben (…). Wir sog. Bürgerlichen Frauen sind noch am stärksten vertreten (…). Wenn also wirklich die Räte als Fundament einer neuen politischen Organisation bestehen bleiben sollen, dann muß auch für die Frau eine derartige Ratsorganisation geschaffen und sie muß mit Funktionen und Rechten ausgestattet werden.“[22]

Weshalb keine Bäuerinnen in den Räten vetreten waren, mag in den noch unzureichenden Wahlverfahren begründet gewesen sein. In den Fränkischen Nachrichten wurde am 16. November 1918 über das Procedere zur Gründung eines Bauernrates folgendes berichtet: „Bürgermeister Eger (Bubenreuth) hat Bedenken über die Durchführung der Wahlen, die doch geheim sein sollen und jeder ohne Unterschied des Geschlechts wählen darf, (…) und bemerkt dabei, daß es dem Bürgermeister  zuviel Arbeit mache Wählerlisten aufzustellen. Dann sprach Bürgermeister Gürsching (Bruck), daß man zur Versammlung durch die Glocke aufrufen läßt und sollen alle Wahlberechtigten in einem Saal zusammenkommen, dort werden Vorschläge gegeben, teilt Wahlzettel aus und legt sie dann in die Wahlurne. Anders denkt er wäre es bei ihm nicht zu machen. Dieser Vorschlag fand allgemeine Zustimmung.“[23]

Zudem, dass hier lediglich davon die Rede ist, es dürfe „jeder ohne Unterschied des Geschlechts wählen“, nicht aber gewählt werden, wird man bei der Berücksichtigung der hierarchischen Geschlechterverhältnisse in den ländlichen Gegenden kaum davon ausgehen können, dass gleichsam spontan in der Öffentlichkeit Namen von Frauen auf die Vorschlagslisten gesetzt und diese dann auch gewählt worden seien.

Zwar kaum vertreten in den Räten, waren Frauen doch in verschiedenen Kommissionen tätig, so arbeiteten sie in München in der „Kommission zur Bekämpfung der Gegenrevolution“, drei waren in der Wirtschaftskommission tätig sowie namentlich Augspurg und Heymann in der Kommission zur Untersuchung der Zustände in den Untersuchungs- und Strafgefängnissen und Fürsorgeanstalten. Sie selbst hatten die Bildung dieser Kommission initiiert, nachdem die Gegenrevolution bereits im Februar und März begann, linksgerichtete Revolutionäre zu verfolgen, blutig zu schlagen und zu verhaften.

Die frühe Wahl zum bayerischen Landtag und Eisners Ermordung

Der sehr frühe Wahltermin für den bayerischen Landtag am 12. Januar 1919, noch eine Woche vor den reichsweiten Wahlen zur Nationalversammlung, war den Gegnern der revolutionären Ereignisse geschuldet, die sich davon eine Beruhigung der Verhältnisse und die Abschaffung der Räte erwarteten. Die Bayerinnen durften nun das erste Mal über die Zusammensetzung eines Parlaments bestimmen und das aktive sowie das passive Wahlrecht ausüben. Lediglich acht weibliche Abgeordnete bei 180 Sitzen wurden in den Landtag gewählt. Das Wahlergebnis für die USPD und Kurt Eisner – trotz seiner überaus großen Popularität – war verheerend: Die Partei erhielt nur drei von 180 Mandaten. Es lag auf der Hand dass der neue Landtag die basisdemokratischen Räte abschaffen würde.

Hilde Kramer, die nicht in die Aktivitäten des „Bundes sozialistischer Frauen“ eingebunden war, hatte sich im Verlauf der Wochen radikalisiert. Sie gehörte zu den Gründungsmitgliedern der von Erich Mühsam initiierten „Vereinigung revolutionärer Internationalisten Bayerns“. Ende 1918 trat sie der neu gegründeten Kommunistischen Partei bei. Sie arbeitete als Kurierin, Sekretärin, Berichterstatterin, Überbringerin gefälschter Pässe für konspirativ tätige Genossen und verfasste und unterzeichnete Flugschriften.[24]

Einen Tag nach Ermordung von Rosa Luxenburg und Karl Liebknecht organisierten Mitglieder der USPD, der gerade neugegründeten KPD, Anarchisten und die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte für den 16. Februar 1919 eine große Kundgebung in München, um nach der Landtagswahl der drohenden Auflösung der Räte entgegenzutreten. Auch Hilde Kramer ging mit auf die Straße. Dass sie mittlerweile den Polizeibehörden bekannt war, zeigen die Beschriftungen eines Fotos durch den Erkennungsdienst der Polizeidirektion München, der das „Fräulein Kramer“ identifizieren konnte.[25]

Wegen der unklaren politischen Lage wartete der Landtag mit seiner ersten Sitzung bis zum 21. Februar. Am selben Tag wurde Kurt Eisner von Graf von Arco auf Valley auf offener Straße ermordet.

Der Trauerzug, der den Leichnam Eisners begleitete, war lang, auch Frauen aus unterschiedlichen politischen Lagern nahmen in großen Abordnungen an dem Zug teil und legten Kränze nieder. „Arbeiterfrauen hoben ihre kleinen Kinder hoch, damit auch sie sich einst dieser Stunde erinnern konnten“[26], zeichnete Lida Gustava Heymann auf, die wie die amerikanische Sozialistin Annelise Ruepp, eigens aus Zürich angereist, eine Trauerrede hielt.[27]

In Folge der Ermordung Eisners kam ein wütender Arbeiter in den bayerischen Landtag gerannt und schoss wild um sich, wobei Innenminister Auer verwundet und zwei weitere Abgeordnete tödlich verletzt wurden. Der Zentralrat der Arbeiter, Soldaten und Bauern wurde dadurch zum einzigen funktionierenden Leitungsorgan. Die Gefahr einer Gegenrevolution war absehbar. Lida Gustava Heymann urteilte: „Die Mehrheitssozialisten unter [Erhard] Auer und [dem neugewählten Ministerpräsidenten Johannes] Hoffmann verrieten die Arbeiter in der schmachvollsten Weise, machten gemeinsame Sache mit der Reaktion und der Bourgeoisie. Was Noske, Ebert und Scheidemann für das Reich, das waren sie für Bayern: Verräter der Revolution und der Arbeiterschaft.“[28]

Frauen in die Räte!

Der Arbeiterzentralrat berief wenige Tage nach dem Tod Eisners einen Kongress der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte ein, der vom 25. Februar bis zum 8. März 1919 in München tagte. Acht weibliche Delegierte nahmen daran teil. Heymann hatte im Vorfeld Gustav Landauer (1870-1919) aufgesucht und ihm mitgeteilt, dass sie an dem Rätekongress teilnehmen wolle, obwohl ihr niemand dazu ein Mandat erteilt habe. Doch im Sinne der Gewaltfreiheit wüsste sie, dass ihre Arbeitskraft von Nutzen sein könne.

„Mit wohltuender Ruhe hörte dieser lange, hagere Mann mit der hohen gescheiten Stirn, den tieftraurigen Augen mich an. (…) ‚Warten Sie einen Augenblick’, sagte er und ging. Nach wenigen Minuten kehrte er zurück, händigte mir eine Karte aus mit den Worten: ‚Wir nehmen ihre Mitarbeit gerne an, hier haben Sie den gewünschten Ausweis, der Sie berechtigt an allen Sitzungen aktiv teilzunehmen.’ Auf diese Weise wurde ich Mitglied des Rätekongresses.“[29]

Nach der Selbstauflösung des Landtags, nachdem die Regierung Eisner/Auer nicht mehr existierte, waren alle Augen auf diesen Rätekongress in München gerichtet. Erstmals seit dem 7. November 1918 gab es wieder den politischen Spielraum, miteinander über die Ziele der Rätebewegung zu diskutieren: Sollte es ein eigenständiges rätedemokratisches Gesellschaftsmodell geben, ein bürgerlich-sozialistisches Parlament oder eine Verbindung beider Regierungsformen?

Ca. 300 Räte nahmen an dem Kongress teil. Die wenigen Rätinnen, die als Delegierte den Kongress besuchten – Augspurg, Heymann, Sophie Steinhaus (gest. 1947), Thekla Egl (1892-?), Hedwig Kämpfer, Frl. Kleinhaas, Sophie Setzer und Luise Mühlbauer – waren kaum repräsentativ für das tatsächliche Engagement der Frauen in der Revolution. Die Autorin Christiane Sternsdorf-Hauck sieht die Ursache hierfür im Wahlrecht zu den Räten. Unter den neun wahlberechtigten Berufsgruppen war lediglich ein Arbeitsbereich typisch weiblich, der der „Häuslichen Dienstboten“. Doch de facto saß keine Hausangestellte im Arbeiterrat. Auch Arbeiterinnen aus den Betrieben waren nicht gewählt worden.

In dem Gesetzentwurf über die Bildung berufsständischer Räte wurden zudem Hausfrauen und mithelfende Familienangehörige in der Landwirtschaft und in den Ladengeschäften von der Ausübung des Wahlrechts ausgeschlossen,[30] dabei hieß es in dem Wahlrecht zu den Räten in der russischen Sowjetrepublik, wahlberechtigt seien „Alle diejenigen, die ihren Lebensunterhalt aus produktiver und gesellschaftlich nützlicher Arbeit bestreiten, ebenso Personen, die im Haushalte tätig sind, wodurch den ersteren das produktive Arbeiten ermöglicht wird.“[31]

Auch in den Soldatenräten hätten sich gemäß des Wahlrechts Frauen finden können: „Wahlberechtigt sind sämtliche in den Lazaretten befindliche Patienten und das gesamte Pflege- und Verwaltungspersonal (Wärter, Aerzte, Beamte, Pflegerinnen usw.). Wählbar ist jeder Wahlberechtigte.“[32] Tatsächlich wurde am 13.11.1918 im Reservelazarett I in Erlangen die Stationsschwester Babette Mörsberger „als Verträterin (!) im Interesse der Schwestern“ in den Soldaten- und Arbeiterrat gewählt.[33] Babette Mörsberger zählte 61 Jahre und war somit doppelt so alt wie die vier anderen männlichen Mitglieder dieses Rates.[34] Neben der Kategorie Geschlecht wird man bei weiteren Untersuchungen auch das Verhältnis der Generationen und das Alter der Beteiligten mit berücksichtigen müssen. Ob Babette Mörsberger von den revolutionären Ereignissen wirklich überzeugt war, ist unbekannt. Dass in dieser Frage jedoch gesellschaftliche, geschlechtsspezifische Vorurteile immer eine Rolle gespielt haben dürften, macht das Beispiel eines anderen Mitgliedes des Erlanger Soldatenrates deutlich, der darum bat, seines Amtes wieder enthoben zu werden, da er „angeblich das Vertrauen einzelner Mannschaften nicht mehr besitze und nur durch Stimmenmehrheit des weibl. Pflegepersonals gewählt worden sein soll.“ Er bat „um Enthebung von dieser Vertrauensstelle.“[35] Nur von Frauen gewählt worden zu sein, war offensichtlich wenig vertrauenswürdig.

Wie es schon der „Bund sozialistischer Frauen“ wollte, forderte Anita Augspurg nun auch von dem Rätekongress die Konstituierung unabhängiger Frauenräte mit eigenem Zentralrat zur Schulung der Frauen vor allem auf dem Land: „Wir haben Ihnen den Antrag unterbreitet auf Ergänzung des Rätesystems durch Errichtung auch von Frauenräten. (…) [Besonders] in der jetzigen Organisation der Bauernräte kann man (…) die Frauen unter gar keinen Umständen entbehren, weil ich in der Errichtung von Frauenräten insbesondere auf dem Lande das einzige und das wirksamste Mittel sehe, die Macht des Zentrums auf dem Lande zu brechen (…), insbesondere der Geistlichen, die ohne weiteres (…) von der Kanzel herab ihre letzten Wahlreden halten und dann in geschlos­senem Haufen die Frauen aus der Kirche zur Wahlurne führen und sie für sich abstimmen lassen. (…) Ich halte es für dringend notwendig, daß im allgemeinen die ganze häusliche Atmosphäre durch die Mitwirkung der Frau an der Politik mehr politisch gefärbt wird und daß die Politik im Hause Allgemeingut wird, daß sie nicht beschränkt wird auf den Verkehr der Männer im Wirtshaus, auf das Zusammenkommen der Männer untereinander.

(…) Die Frauenräte sollen unter sich bleiben. Sie sollen nur aus Frauen gebildet werden und unter weiblicher Leitung stehen, um die Frauen auf dem Lande in Stand zu setzen (…), daß sie politisch aufgeklärt werden. (…) Sie können dann die Frauen schon in den gemeinschaftlichen Rat mit den Männern schicken. Das wäre der wesentlichste Organisationsgang in der Zukunft. (…) Ich bitte Sie, in diesem Sinne meinen Antrag anzunehmen.“[36]

Der Antrag wurde durch die Mehrheit der Anwesenden abgelehnt. Erich Mühsam: „Vorerst wird hier nicht so gehandelt, wie Räte, wie Vertreter eines neuen Revolutionsprinzips in der Revolution zu handeln haben, (…). Der Antrag Augspurg-Heymann wurde – bezeichnend genug – nur von uns ganz Linken unterstützt. Die Gemäßigten, die im Kongreß die Mehrheit bildeten, (…) brachten den Antrag zu Fall.“[37]

Auch der Antrag Erich Mühsams, Bayern zur sozialistischen Räterepublik zu erklären, wurde mit 243 gegen 70 Stimmen abgelehnt. Stattdessen wurde ein Kompromißvorschlag bei 17 Gegenstimmen der Linksradikalen angenommen, wonach den Räten nur noch eine berufsständische Bedeutung mit beratender Stimme im Parlament zukommen sollte. Dieser Kompromiss war von Lida Gustava Heymann und „vielen aufrechten Frauen als ein Schlag ins Gesicht empfunden worden; denn (…) wir Frauen, die wir neu in das politische Leben hinaustreten, wollen keine Kompromisse mehr.“[38] Dennoch sicherten sie ihre Mitarbeit zu. Bei den Wahlen zum nun vorgesehenen Aktionsausschuss und Zentralrat am 1. März wurde keine Frau aufgestellt.

Räterepublik Bayern

Der Landtag, der Johannes Hoffmann (MSPD) zum neuen Ministerpräsidenten gewählt hatte, zog sich nach Bamberg zurück und blieb zunächst untätig. Währenddessen setzte sich in München der linke Flügel der USPD um den Schriftsteller Ernst Toller und die Anarchisten Erich Mühsam und Gustav Landauer durch, die von nun an jegliche Zusammenarbeit mit der MSPD ablehnten. Am 7. April wurde in München die „Räterepublik Baiern“ ausgerufen.

Telegraphisch wurde die Nachricht an viele bayerische Städte weitergegeben und es folgten mit der Ausrufung der Räterepublik u.a. Fürth, Pasing, Regensburg und Augsburg, wo die USPD-lerin Lily Prem als Krankenschwester und bei Barrikadenkämpfen von sich reden machte,[39] – ihr Mann hatte am Münchner Rätekongress teilgenommen.

Der Zentralrat hatte von München aus Delegierte ins bayerische Land gesandt, um die Stimmung in der Bevölkerung zu ermitteln. Hedwig Kämpfer war Anfang April im Allgäuer Land unterwegs und agitierte dort in großen Frauenversammlungen mit öffentlichen Reden für die Räterepublik.[40]

Kämpfer war bereits Mitglied im Provisorischen Nationalrat unter Kurt Eisner gewesen und hatte den „Bund Sozialistischer Frauen“ mitbegründet. Auch nahm sie als Delegierte am Rätekongress teil und war Richterin am Revolutionstribunal. Dort sei es ihr Verdienst gewesen, so das Urteil von Heymann, dass diese neue Form revolutionärer Gerichtsbarkeit kein Todesurteil verhängt hatte.[41]

Dass Hedwig Kämpfer Mitglied des Revolutionstribunals hatte werden können, war der Arbeit der Frauenrechtlerin und Pazifistin Gertrud Baer (1890-1981) zu verdanken. Noch unter der Regierung Eisner war dem Ministerium für soziale Fürsorge ein Referat für Frauenrecht beigeordnet worden, das Mitte Februar 1919 seine Arbeit im Wittelsbacher Palais aufgenommen hatte und dessen Leitung die parteilose Gertrud Baer innehatte. Sie begann ihre Referatsarbeit mit der Gründung von Frauengewerkschaften und Pressearbeit. Pointiert verwies sie auf die Massenentlassungen von Frauen im Zuge der Demobilisierung,[42] was wiederum die Nichtpräsenz von Arbeiterinnen in den Arbeiterräten erklärt.

Sie setzte auch die Forderung durch, dass bei von Frauen verübten Delikten oder in Verhandlungen, bei denen Frauen als Klägerinnen auftraten, das Revolutionstribunal paritätisch besetzt werden müsse.[43]

In einem Jahre später geführten Interview sagte sie: „Ich hatte nicht viel Zeit, es war ja alles so kurz. Ich wollte das Referat vor allem zur Gründung von Frauengewerkschaften ausnutzen. Die bestehenden Männergewerkschaften hatten nichts für Frauen übrig, ja, sie haben sie teilweise gar nicht aufgenmommen (…). Und wir kämpften um das Recht der Frauen zu arbeiten. Um den gleichen Lohn; die Löhne von Frauen waren nicht zu vergleichen mit denen der Männer. Und die Männergewerkschaften haben ja die Forderungen der Frauen nicht aufgenommen (…).“[44]

Die Kommunistische Partei hatte diese „Bairische Räterepublik“ nicht mitgetragen. Die Massen stünden nicht hinter ihrer Ausrufung, sie sei deshalb nur eine „Scheinräterepublik“, wie sich der von der KPD aus Berlin nach München gesandte Kommunist Eugen Leviné (1883-1919) ausdrückte.

In ihrer Funktion als Privatsekretärin war auch seine Frau Rosa Leviné (1890-1979) mit nach München gekommen. Sie wurde zu einer aufmerksamen Beobachterin und Chronistin der Ereignisse um die Rätebewegung aus Sicht der kommunistischen Partei.[45]

Sie hielt sich an die Weisung ihres Mannes, sich nicht an Diskussionen auf den Versammlungen zu beteiligen und auf keinen Fall öffentlich aufzutreten. In ihrer Autobiographie zeichnete sie auf: „Ich fragte ihn nicht nach den Gründen, doch einmal gab er von sich aus eine Erklärung: Es sei nicht angebracht, eine Art ‚Famillenkonzern’ zu gründen. Das war keine rationale, politische Einstellung und konnte nicht die ganze Wahrheit sein. Er war wohl noch nicht mit alten Vorurteilen fertig geworden. Einmal sah er auf der Straße Rosa Luxemburg und sagte zu mir: ‚Da geht eine Frau von außergewöhnlichem Verstand. Ich habe Angst vor ihr.’[46]

Palmsonntagsputsch und die zweite Räterepublik

Eine Reaktion der Regierung Hoffmann auf die Räterepublik war absehbar, die entsprechende Propaganda gegen die bayerische Räterepublik auf dem Land zeigte ihre Früchte. Erich Mühsam berichtete von den Schauermärchen, die in Umlauf gebracht wurden: „Die Regierung Hoffmann hetzte das Land in unglaublicher Weise gegen München auf, gegen uns bekanntere Führer wurden die ungeheuerlichsten Verleumdungen in die Welt gesetzt, von denen besonders die Behauptung, wir hätten in München die Kommunisierung der Frauen bereits eingeführt (jedem Bolschewisten müsse jede Frau nach Belieben zur Verfügung stehen), auf die naive Bevölkerung Eindruck machte.“[47]

Am 13. April 1919 besetzte die Republikanische Schutzwehr die öffentlichen Gebäude Münchens und überfiel eine Versammlung der KPD. Soldaten verhafteten Mühsam. Nach seinem Abtransport konnte seine Frau Kreszentia noch rechtzeitig weitere Zentralratsmitglieder warnen, die sich dadurch in Sicherheit bringen konnten.[48]

Es gelang vorerst, diesen von der Bamberger Regierung aus gesteuerten Angriff, bekannt als „Palmsonntagsputsch“, abzuwehren. Auch kommunistische Arbeiter und Arbeiterinnen hatten sich an der Verteidigung der Räterepublik beteiligt, weshalb nun auch die Führer der KPD die Notwendigkeit sahen, Verantwortung zu übernehmen und eine zweite Räterepublik unter kommunistischer Führung auszurufen. Eugen Leviné übernahm die Führungsposition in der neuen Räteregierung.[49] Der neue Stadtkommandant der KPD Egelhofer begann mit der Aufstellung einer „Roten Armee“.

Hilde Kramer, die bereits als seine Sekretärin gearbeitet hatte, wurde nun auch im Kriegsministerium beschäftigt.

Eine militärische Intervention durch die Hoffmann-Regierung und die Mobilisierung von Freikorps-Truppen war zu befürchten und bewahrheitete sich. Mitte April war München eingekesselt, doch Dachau konnte von der Roten Armee zurückerobert werden.[50]

Kämpfe um Dachau

Heymann, Augspurg, Gertrud Baer und Hedwig Kämpfer versuchten vergeblich, die bevorstehenden Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rotarmisten zu vermeiden. Sie organisierten sich ein Auto und versuchten eigenmächtig, zu den Truppen vorzustoßen. Doch während ihnen der Kommandant der Roten freies Geleit zusicherten, fanden sie beim Weißen kein Gehör.

„So schlug auch dieser letzte Versuch fehl. Es folgte, was folgen mußte, ein scheußliches Blutbad ward in München veranstaltet.“

Bei den Kämpfen in Dachau gegen die nach München vorrückende „Weiße Garde“ waren es die Dachauer Arbeiterinnen, die ebenfalls versuchten, einen sinnlosen Kampf zu verhindern. Der Leiter der Infanterie berichtete davon, wie sie die Soldaten der Konterrevolution von den Kämpfen abhalten wollten:

„Da drängten sich die Dachauer Arbeiter, in erster Linie Frauen, die der Krieg in die Pulverfabrik geworfen hatte, an die Kanoniere und versuchten auf sie einzuwirken, nicht auf die Brüder zu schießen. Offiziere jagten die Frauen weg. Doch die mischten sich wieder unter die unentschlossenen Soldaten. Ein Leutnant legte auf eine Arbeiterfrau einen Revolver an – kräftige Proletarierfäuste packten ihn, er wird entwaffnet. Ein riesiger Tumult entsteht. Panikartig flieht der Stab auf Automobilen, ganze Abteilungen reißen aus. Andere ergeben sich.“[51]

Trotzdem: Am 2. Mai musste München kapitulieren.

Gustav Landauer, der an der zweiten Räteregierung gar nicht mehr beteiligt war, und Egelhofer wurden verhaftet und ermordet. Eugen Leviné wurde zum Tode verurteilt und erschossen. Auch Levinés Frau Rosa war verhaftet worden und saß im selben Gefängnis ihres Mannes. Auch Hilde Kramer, Hedwig Kämpfer und Elma Klingelhöfer wurden gefangen genommen. Erich Mühsam erhielt 15 Jahre Festungshaft, Ernst Toller fünf Jahre. Die mit ihm befreundete Thekla Egl, verhaftet und angeklagt wegen Hochverrat, lehnte bei ihrer Verhandlung alle bürgerlichen Entlastungszeugen ab und konzentrierte sich bei ihrer Verteidigung auf eine politische Argumentation. So akzeptierte sie nicht die Richter, „da dieselben nicht Vertreter des Volkes, sondern des Kapitalismus seien.“[52]

Über 5.000 Menschen wurden wegen ihrer Teilnahme an der Räterepublik vor Gericht gestellt. Es folgte eine barbarische Säuberungswelle über Wochen bis in den August 1919 hinein. Das über München verhängte Standrecht forderte schätzungsweise 1.000 Todesopfer.[53]

Heymann resümierte: „Ende Mai war in Bayern die Ruhe wieder hergestellt … aber es war jene Kirchhofsruhe, die alle Krankheitsmiasmen einer unheilschwangeren Zeit in sich trägt.“

Frauen in der Revolution – wie ging es mit ihnen weiter?

1923 besuchten Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann den bayerischen Innenminister und forderten vergeblich die Ausweisung Hitlers aus Bayern. Von einer Reise in die Schweiz kehrten sie nach der NS-Machtübernahme nicht mehr nach Deutschland zurück.

Zenzl Mühsam flüchtete mit dem geretteten Nachlass ihres 1934 von den Nazis ermordeten Mannes Erich Mühsam in die Sowjetunion, wo sie wegen „konterrevolutionären Aktivitäten“ zu Straflager und Verbannung verurteilt wurde. 1954 kam sie frei und reiste in die DDR aus, wo sie 1962 starb und ein Ehrengrab erhielt.

Über Emilie Landauer, die zusammen mit ihrer Schwester an den Januarstreiks beteiligt war, hatte die Polizeidirektion München eine Personalakte angelegt, die Zeit ihres Lebens weitergeführt wurde. Bis zu ihrem Lebensende 1978 stand sie unter polizeilicher Beobachtung. Ihre Schwester Betty Landauer wurde im Konzentrationslager Kaunas von den Nazis ermordet.

Rosa Leviné wurde nach der Hinrichtung ihres Mannes aus Bayern ausgewiesen. Sie blieb zeitlebens politisch aktiv und kämpfte in der kommunistischen Partei gegen die nationalsozialistische Bedrohung. 1933 musste sie Deutschland verlassen und ging über Frankreich nach England.

Auch Hilde Kramer wurde bei der Niederschlagung der zweiten kommunistischen Räterepublik gefangen genommen und in Stadelheim inhaftiert. „Das revolutionäre Mädchen mit dem Tituskopf“, wie es in den Münchner Neusten Nachrichten hämisch hieß, wurde in einem Hochverratsprozess angeklagt, am 7. November von der Friedenssäule aus Auer zugerufen zu haben „Schuft! Lügner! Verräter!“ „Das ist er doch auch!“ antwortete sie dem Gericht. 1937 gelang ihr die Flucht nach England.

Sie teilte nicht die pazifistische Haltung der Aktivistinnen des „Bundes sozialistischer Frauen“. Im Juli 1919 schrieb sie: „Ich glaube und bin fest überzeugt davon, daß wir für die Kommenden kämpfen (…). Wir machen der neuen Generation den Weg frei, wir bereiten für sie einen neue Zeit. (…) Und um dieses Ziel [der kommenden Räterepublik] vorzubereiten, (…) brauchen wir den Bürgerkrieg (…). Denn eine herrschende Klasse lässt sich nicht ohne weiteres ihre Herrschaft nehmen.“[54]

Nadja Bennewitz, Historikerin M.A., Studium der Neueren und Mittleren Geschichte und Italoromanischen Philologie, seit 1996 selbständige Tätigkeit mit den Arbeits- und Forschungsschwerpunkten auf historischer Frauen- und Geschlechterforschung in Spätmittelalter/Reformation und 19. und 20. Jahrhundert sowie Zeitgeschichte: Vorträge, Seminartätigkeit, Museums- und Stadtführungen, Studienreisen, Ausstellungsprojekte, Veröffentlichungen, Hörbücher und seit 2017 Radio-Sendereihe: Zwischenfälle. Die beunruhigende Aktualität der Vergangenheit: https://zwischenfaelle.radio-z.net/

Seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

www.Bennewitz-Frauengeschichte.de

Quellen

[1] Zit. nach: Sternsdorf-Hauck, Christiane: Brotmarken. Frauen in der bayrischen Revolution und Räterepublik 1918/19, Karlsruhe 2008, S. 16f.

[2] Vgl. z.B. die Angaben in: Revolution und Räterepublik in München 1918/19 in Augenzeugenberichten, hrsg. v. Gerhard Schmolze, München 1978, S. 66, 114.

[3] Zit. nach: Naumann, Cornelia / Gerstenberg, Günther (Hg.): Steckbriefe gegen Eisner, Kurt u. Genossen wegen Landesverrats. Ein Lesebuch über Münchner Revolutionärinnen und Revolutionäre im Januar 1918, Lich 2017, S. 96.

[4] Zit. nach: Naumann / Gerstenberg, Steckbriefe, S. 99.

[5] Vgl. Naumann, Cornelia (Hg.): „Ich hoffe noch, dass aller Menschen Glück nahe sein muss…“ Fragmente eines revolutionären Lebens der Sarah Sonja Rabinovitz, Lich 2018.

[6] Zit. Nach Naumann, Ich hoffe noch, S. 11.

[7] So die Professorengattin Muncker, wie Viktor Klemperer aufzeichnete, zit. nach Gerstenberg, Günther: Der kurze Traum vom Frieden. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Umsturzes in München 1918 mit einem Exkurs über die Gießener Jahre von Sarah Sonja Rabinowitz von Cornelia Naumann, Neu-Ulm 2018, S. 295.

[8] Zit. nach Gerstenberg, Der kurze Traum, S. 289.

[9] Beyerstedt, Horst-Dieter: Protestbewegungen gegen den Ersten Weltkrieg, in: Der Sprung ins Dunkle. Die Region Nürnberg im Ersten Weltkrieg 1914 – 1918. Begleitband zu den Ausstellungen, Nürnberg 2014, S. 645-667, hier S. 658f. und Sternsdorf-Hauck, Brotmarken, S. 12.

[10] Zit. nach: Schwarz, Klaus-Dieter: Weltkrieg und Revolution in Nürnberg, Kiel 1969, S.152

[11] Zit. nach Naumann, Ich hoffe noch, S. 131f.

[12] Vgl. zu ihrer Person die Ausführungen von Naumann, Ich hoffe noch, ebd.

[13] Lida Gustava Heymann in Zusammenarbeit mit Dr. jur. Anita Augspurg: Erlebtes, Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850-1940. hrsg. v. Margit Twellmann, Frankfurt am Main (2)1992. Sofern nicht anders angegeben, entstammen alle Zitate von Heymann aus diesem Band; Hilde Kramer. Rebellin in München, Moskau und Berlin. Autobiographisches Fragment 1900-1924, hrsg. v. Egon Günther, Berlin 2011.

[14] So Mühsam in einem Brief an Johannes Knief v. 1.12.1918, zit. nach: Kreiler, Kurt: Erich Mühsam – Leben und Tod eines deutschen Anarchisten, Lübeck 1994, S.13.

[15] Zit. nach: Sternsdorf-Hauck, Brotmarken, S.18.

[16] Brief von Hilde Kramer an Wise Kaetzler, 18.11.1918, zit. nach: Sternsdorf-Hauck, Brotmarken, S. 76.

[17] Revolution und Räterepublik, S. 100.

[18] Kramer, Rebellin in München, S. 50.

[19] Die Sozialistin Tony Sender (1888-1964) plädierte dafür, Hausfrauenwahlverbände zu bilden und die Gewählten in die Arbeiterräte einzugliedern. Clara Zetkin (1857-1933) wollte Hausfrauen zur Wahl in den Betrieben ihrer Männer, bzw. unverheiratete Frauen in denen ihrer Brüder zulassen. Vgl. Weipert, Axel: Frauen für die Räte, die Frauen in die Räte? Konzepte und Praxen von Frauen in der Rätebewegung 1918-1920, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 73-74, 2018, S. 40-47.

[20] Zit. nach Sternsdorf, Brotmarken, S. 22.

[21] Vgl. die Angaben zum Provisorischen Nationalrat vom Haus der bayerischen Geschichte unter: http://www.hdbg.de/parlament/content/ltDetail.php?id=37 (29.5.19).

[22] Zit. n. Monika Meister: Friedensrechtlerinnen, S. 28f., in: Sommer, Karin: „Zwischen Aufbruch und Anpassung“. Frauen in der Weimarer Republik 1918-1933, in: Krafft, Sybille (Koord.): Frauenleben in Bayern. Von der Jahrhundertwende bis zur Trümmerzeit, hrsg. v.d. Landeszentrale für politische Bildung, München 1993, S. 172f.

[23] Aus Erlangen und Umgebung, Fränkische Nachrichten, 16.11.1918.

[24] Zusammenfassung bei Sternsdorf-Hauck, Brotmarken, S. 70.

[25] S. das Foto bei Sternsdorf-Hauck, Brotmarken, S. 50.

[26] Heymann, Erlebtes, Erschautes, S. 185.

[27] Heymann hielt die Rede in Vertretung der kranken Anita Augspurg. Zu Anneliese Ruepp siehe den Film über den Trauerzug Eisners unter: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Beisetzung_Kurt_Eisners,_M%C3%BCnchen,_26._Februar_1919#Film (29.5.2019).

[28] Heymann, Erlebtes, Erschautes, S. 187.

[29] Heymann, Erlebtes, Erschautes, S. 186.

[30] Vgl. Sternsdorf-Hauck, Brotmarken, S. 41-43.

[31] Zit. nach: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Kongresses der Arbeiter-, Bauern und Soldatenräte vom 25. Februar bis 8. März 1919, Nachdruck Verlag Klaus Guhl Berlin o.J., S. 48.

[32] StadtAEr, 224.A.8, Bevollmächtigter des Soldatenrates, No 2, Nürnberg 11.11.18.

[33] StadtAEr, 224.A.8, handschriftlicher Ausweis vom 13.11.18.

[34] StadtAEr, 224.A.8, Liste der gewählten Vetrauensleute des Reserverlazaretts Erlangen I.

[35] StadtAEr, 224.A.8, Vom Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates Fritz Krönert, 14.11.1918.

[36] Stenographischer Bericht, S. 179f.

[37] Stenographischer Bericht, S. 183.

[38] Stenographischer Bericht, S. 197.

[39] Seligmann, Aufstand, S.568, FN 59.

[40] Seligmann, Aufstand, S. 116.

[41] Heymann, Erlebtes, Erschautes, S. 189.

[42] Sternsdorf-Hauck, Brotmarken, S. 24f.

[43] Seligmann, Aufstand, S. 347. Er nennt sie „Gertrud Ralq“, doch in der FN 415, S. 615 schreibt er: „Ihr Name ist im Original nicht zweifelsfrei zu entziffern.“ Es ist somit davon auszugehen, dass es sich um Baer handelt.

[44] Interview von Gertrud Pinkus, 1977/78, zit. nach Sternsdorf-Hauck, Brotmarken, S. 25.

[45] Vgl. Leviné, Rosa: Aus der Münchner Rätezeit, Berlin 1925.

[46] Meyer-Leviné, Rosa: Leviné. Leben und Tod eines Revolutionärs. Erinnerungen. Mit einem dokumentarischen Anhang, München 1972, S. 102.

[47] Zit. nach: Revolution und Räterepublik, S. 299.

[48] Seligmann, Aufstand, S.641, FN 27.

[49] Vgl. Revolution und Räterepublik, S. 298.

[50] Sternsdorf-Hauck, Brotmarken, S. 15f.

[51] So der Bericht von Erich Wollenberg, zit. n. Monika Meister: Friedensrechtlerinnen, S. 41, in: Sommer, Zwischen Aufbruch und Anpassung, S. 180.

[52] Sternsdorf-Hauck, Brotmarken, S. 42.

[53] Oskar Maria Graf, Gefangene, S. 498, zit. nach: Sommer, Zwischen Aufbruch und Anpassung, S. 180.

[54] Hilde Kramer in einem Brief aus dem Gefängnis an ihre ehemaligen Lehrerinnen, 16.7.1919, zit. nach: Sternsdorf-Hauck, Brotmarken, S. 105f.


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Nadja Bennewitz: Frauen in der Bayerischen Revolution und Räterepublik von 1918/19 (Auszug aus FREIDENKER 2-19, ca. 678 KB)


Bild: obere Reihe v.l.n.r.: Hilde Kramer, Sonja Lerch, Rosa Kempf, Anita Augspurg – untere Reihe v.l.n.r.: Lida Gustava Heymann, Gertrud Baer, Kreszentia Mühsam
Collage: rlx