Religions- & Kirchenkritik, Säkulare Szene

Christentum und Sozialismus

Eine religiöse Polemik zwischen Herrn Kaplan Hohoff in Hüffe und August Bebel

Separatabdruck aus dem „Volksstaat“ von 1873/74. Hier wiedergegeben nach dem Heft 3 der „Große Agitationsbibliothek“, der Verlagsgesellschaft „Der Freidenker“, 1929.

 

Kaplan Hohoff schreibt:

An die verehrliche Redaktion des „Volksstaat“ zu Leipzig

Sie geben in dem Leitartikel in Nr. 114 des „Volksstaat“ vom 21. November einen Passus wieder aus einer in Ihrem Verlage erschienenen Broschüre, die den Titel hat: „Die parlamentarische Tätigkeit des Deutschen Reichstags und der Landtage und die Sozialdemokratie.“

In demselben wird u. a. die Behauptung aufgestellt, daß Staat und Kirche sich „brüderlich unterstützen, wenn es das Volk zu knechten, zu verdummen und auszubeuten gilt“; die katho­lische Geistlichkeit und der moderne Staat seien „vollständig einig, wenn es sich um Unterdrückung des Volkes handelt“; die Priesterschaft sei stets „für den Rückschritt und die Barbarei eingetreten“.

Da ich nun ein Mitglied der katholischen Kirche sowohl als des katholischen Klerus und als Geistlicher verpflichtet bin, eine Kleidung zu tragen, die es jedem, der mich sieht, sofort anzeigt, daß ich der katholischen Priesterschaft angehöre, so werden Sie mir zugeben, daß ich persönlich und speziell durch die obigen Anschuldigungen mitgetroffen und vor allen Lesern des „Volks­staat“, denen ich im Leben begegne, aufs ärgste kompromittiert erscheine. Ich sehe mich daher genötigt, an Ihre Loyalität zu appellieren und Sie zu ersuchen, die folgende Verteidigung und Rechtfertigung meiner selbst zur Kenntnis Ihrer Leser zu bringen. Ich glaube dies um so mehr fordern zu müssen und zu können, da ich außer meiner Ehre und meinem guten Namen nichts, rein gar nichts besitze, auf mich also im vollsten Sinne die Worte Anwendung finden würden: „Ehre verloren, alles verloren!“

Sie sind ein Gegner der katholischen Religion: Sie sind des­gleichen ein Gegner der liberalen Bourgeoisie. Wenn die Söldlinge dieser letzteren Ihnen die Sünden der Töckianer [1] aufbürden, so schreien Sie aus Leibeskräften über das Ihnen geschehene Unrecht und sagen mit Recht, man dürfe nicht den Sozialismus verantwortlich machen für dasjenige, was einzelne Menschen tun, die sich Sozialisten nennen, und Sie lehnen jede Solidarität mit den Hasenclever-Hasselmännern [2] ab. Zu meinem großen Befremden muß ich aber jetzt sehen, daß Sie gegenüber dem Ultra-montanismus und dem ultramontanen Klerus in denselben Fehler fallen, den Sie an den Liberalen so scharf rügen. Sie machen die Kirche verantwortlich für die Fehler ihrer Diener und die Religion für die Mängel und Sünden ihrer Bekenner; Sie legen der Gesamtheit zur Last, was einzelne verschuldet; Sie verdammen den Schuldigen mit dem Unschuldigen. Oder nennen Sie mir ein Laster, einen Übelstand — soweit er nicht in der Natur alles Irdischen begründet ist — eine Ungerechtigkeit und Nichts­würdigkeit, die nicht von der katholischen Kirchenlehre streng verboten und verpönt wäre. Nennen Sie mir irgend etwas, das von Ihnen für schändlich und verwerflich gehalten und dessen Beseitigung von Ihnen angestrebt wird, das nicht auch entfernt und beseitigt sein würde, wenn die Lehren der katholischen Reli­gion befolgt würden. Nennen Sie mir irgend etwas Gutes, Edles, Wünschenswertes, nennen Sie mir eine Tugend, welche nicht im Flor stände, wo man den Weisungen des Christentums nach­kommt Sie werden nicht dazu imstande sein! Und darum werden Sie einräumen müssen, daß die Schuld von den Mißständen, die Sie tadeln, nicht am Katholizismus, nicht an der Religion und der Kirche liegt, sondern an den Menschen.

Wissen Sie nicht, daß Tausende und aber Tausende und Millionen von katholischen Christen und katholischen Priestern seit 1800 Jahren buchstäblich die Worte Christi erfüllt haben: „Wenn du vollkommen sein willst, so gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen und folge mir nach“? Wissen Sie nicht, daß ein Franz von Assisi, ein Vincenz von Paula und zahllose andre Millionen von Talern für die Armen gesammelt haben, daß sie ihr ganzes Vermögen den Dürftigen und Notleidenden schenkten und aus Liebe zu Gott und ihren Mitmenschen die freiwillige Armut wählten, um mit den Armen arm zu sein? Wissen Sie nicht, daß auch heute noch Tausende und Hundert­tausende von Katholiken und Priestern jenem Beispiel folgen?

Wenn z. B. ein Bruder des Bischofs von Ketteler die Husarenattila mit der rauhen Kutte des Kapuzinermönchs und das flotte Offiziersleben mit der strengen Ordensaskese vertauscht, wenn ein fleißiger Student alle philosophischen Systeme von Sokrates und Pythagoras bis auf Schopenhauer, Feuerbach, Lassalle und Marx prüft und schließlich bei seinem wissenschaftlichen Forschen zu dem Resultat gelangt, daß der Katholizismus das Beste und Vollkommenste sei, wenn er deshalb Theolog und Priester wird, um diese allein wahre und allein beglückende Doktrin nach besten Kräften zu verbreiten: was, frage ich, gibt Ihnen das Recht, die Aufrichtigkeit und Lauterkeit seiner Gesinnung in Abrede zu stellen und ihn „eigennütziger Heuchelei“ zu beschuldigen?

Wenn solche Anklagen von Gegnern des Sozialismus gegen die Herren Liebknecht und Bebel erhoben werden, so weisen Sie voll tiefer Indignation auf die schlechte Situation hin, in welche Sie durch die Vertretung Ihrer Prinzipien sich gebracht sehen. Nun wohl, auch mir wallt das Blut ob solcher Anschuldigung und auch ich glaube dieselbe durch den einfachen Hinweis auf die klägliche Stellung der meisten katholischen Geistlichen in der Gegenwart entkräften zu können. Außer den Schulmeistern und den Nachtwächtern ist sicherlich keine Beamtenkategorie dürftiger besoldet als der niedere katholische Klerus. Ich kann Ihnen be­weisen, daß ich pekuniär schlechter gestellt bin als ein Lakai, oder eine Kammerjungfer. Und die Geringheit der Einkünfte ist noch das Allerwenigste: Haß und Verfolgung, Spott und Hohn — das ist heute der Anteil des katholischen Priesters!

Lassen Sie also nächstens niemals wieder den Spruch außer acht: „Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem andern zu!“

Wenn man aber, so werden Sie jetzt vielleicht denken, auch nicht dem gesamten ultramontanen Klerus Heuchelei und Eigen­nutz vorzuwerfen berechtigt ist, so sind doch mindestens diejenigen, welche es wirklich ernst und ehrlich meinen, überspannte Schwärmer und Narren. Falls Sie so sprächen, würde ich Sie schon eher entschuldigen können. Aber ich müßte es auch dann unbegreiflich finden, wenn die Sozialisten sich darüber wundern und beklagen, daß ihnen der gleiche Ehrentitel beigelegt wird, Ich habe bisher geglaubt, daß die Redakteure des „Volksstaat“ mehr Sittlichkeits- und Rechtlichkeitsgefühl besäßen als ihre Kollegen von der offiziösen und liberalen Presse; sonst würde ich diese kurze Defension nicht niedergeschrieben haben und nicht an Sie abgehen lassen. Ich hoffe nicht enttäuscht zu werden.

 

Hüffe bei Pr. Oldendorf, 22. November 1875.

Wilhelm Hohoff, Kaplan

 

 

August Bebel antwortet:

Mein Herr!

Sie haben in Nr. 9 ein Schreiben veröffentlicht, worin Sie als ein „Diener der Kirche“ sich gegen die Angriffe zu verteidigen suchen, welche ich in der von mir herausgegebenen Broschüre: „Die parlamentarische Tätigkeit des Deutschen Reichstags usw.“ gegen die Kirche und die Religion überhaupt erhoben habe. Ihre Verteidigung erheischt eine Antwort, und zwar von mir als Ver­fasser jener Broschüre. Erfolgte diese nicht eher, so wollen Sie dies durch ein längeres Unwohlsein entschuldigen, das mich am Schreiben verhinderte, und fällt sie etwas länger aus, so mögen Sie daraus schließen, daß ich Ihre Einwände für wichtig und be­deutend genug hielt, um sie in einer längeren Ausführung zu widerlegen.

Sie fühlen sich durch einige Stellen meiner Broschüre per­sönlich getroffen und verletzt, wozu Sie, wie Sie bei nochmaligem Durchlesen derselben vielleicht selber zugeben werden, keine Ursache haben. Ich habe kirchliche Personen nicht angegriffen, ich habe nirgends bestritten, daß es unter den „Dienern der Kirche auch eine Anzahl gäbe, die aus innigster, ehrlichster Überzeugung ihrem Berufe obliegen“; ich konnte dies um so weniger, als ich einigermaßen die Präparanden-Anstalten kenne, welche bestimmt sind, junge, unbefangene und noch unwissende Gemüter zum „Dienste der Kirche“ zurechtzukneten und zu erziehen. Ich gehe noch weiter: ich gebe zu, daß es Tausende von Männern gibt, selbst auf vorgeschrittener Bildungsstufe, welche mit Leib und Seele der Kirche und ihren Lehren ergeben sind, daß es Tausende und aber Tausende gibt und Millionen gegeben hat, welche durch große Opfer aller Art sich ihr Seelenheil bei der Kirche zu er­kaufen suchten. Aber was beweist das gegen die von mir ent­wickelten und hier in Frage stehenden Ansichten? Einfach nichts, absolut nichts. Dieselbe Opferwilligkeit, Selbstpeinigung und Askese, derselbe fanatische Glaube, mit welchem Millionen Menschen an dem Christentum gehangen haben und noch hängen, alle diese Eigenschaften haben Millionen Anhänger des Judentums, der Lehren des Buddha, des Confucius, des Muhammed bewiesen, sie alle können mit demselben Recht wie Sie auf die Erfolge ihrer Religion, auf die Opfer ihrer Gläubigen hinweisen.

Wollte man statistisch feststellen, in welcher Religion Millionen von Menschen am eifrigsten geglaubt und gestrebt, die größte Entsagung, die größte Selbstpeinigung, die größte Aufopferung stattgefunden hat, es unterläge keinem Zweifel, die Religion des Buddha würde in allen Beziehungen den Katholizismus und das Christentum überhaupt übertreffen.

Nach Ihrer Auffassung des Wertes der Religion müßte also eigentlich der Buddhaismus die wahre und wirkliche Religion sein und ich mich einer großen Sünde schuldig machen, wenn ich erklärte, daß trotz alledem der Buddhaismus so gut wie das Christentum die Menschenentwicklung zur Freiheit und Selbständigkeit nur gehindert und unterdrückt hat. Sie selbst aber sind genötigt, kraft der Lehren Ihrer Kirche den Buddhaismus als falsch, verkehrt, ketzerisch zu betrachten, obgleich sich mit Leichtigkeit nachweisen läßt, daß, was Moral und Sittenstrenge betrifft, der Buddhaismus nicht nur dem Christentum vollständig ebenbürtig ist, sondern die Moralsätze, viele christliche Gebräuche und Dogmen aus dem älteren Buddhaismus in das 400 Jahre jüngere Christentum herübergenommen sind.

Und hier kommen wir auf den Hauptkern der Frage. Was ist denn das Christentum? Antwort: Wie jede andere Religion Menschenwerk. Der Mensch, der auf seiner niedrigen Bildungsstufe keine klare Vorstellung von der Natur und den Naturereignissen, die ihm bald nützten, bald ihn schädigten, besitzen konnte, der keinen Begriff von seiner eignen Stellung als Mensch besaß, schrieb alles Unverstandene, das um ihn vorging, übersinnlichen Wesen zu, welche die für ihn unbegreiflichen Erscheinungen nach Laune und Willkür hervorriefen und deren Gunst er folglich, um sie sich geneigt und freundlich gesinnt zu erhalten, durch Bitten, Gebete, Zeremonien und Opfer zu erlangen suchte. Je nach dem Bildungszustand der Völker, der Bodenbeschaffenheit, dem Klima usw. nahmen die unverstandenen Naturgewalten als übersinnliche Wesen verschiedene Eigenschaften und Gestalten an. Demgemäß bildete sich auch die Verehrungsweise, die, da die Formen bald sehr kompliziert und verwickelt wurden, von pünktlicher und gewissenhafter Befolgung der religiösen Gebräuche aber Erfolg oder Nichterfolg bei den höchsten Wesen abhing, Männern übertragen wurden, die sich ausschließlich mit den religiösen Bedürfnissen befaßten. Da man naturgemäß aber hierzu nur die Klügsten und Gewandtesten nahm, wurden diese später auch die Herrschenden. So entstand die Priesterklasse die es bei allen Völkern der Welt verstanden hat, in kurzer Zeit ihre Macht immer mehr auszudehnen, indem sie den Völkern den Glauben von ihrer Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit immer stärker einzuflößen suchte und, um dies zu können, von vorn­herein jeder Aufklärung und Weiterentwicklung des Menschen entgegentreten mußte. Zu der Unkenntnis der Natur und der Naturerscheinungen kamen noch Peinigungen und Gewaltsam­keiten der eigenen Herrscher oder fremder Völker und Herrscher, die schon frühzeitig als selbstverdiente Strafen für begangenes Unrecht angesehen wurden und das Bedürfnis nach religiösen Übungen nur verstärkten. Häufig auch außerstande, das Joch der Eroberer und Vergewaltiger aus eigener Kraft abzuschütteln, ent­wickelte sich die Hoffnung auf einen überirdischen Helfer, einen Messias, der zum Lohne für treue Verehrung der höchsten Wesen erscheinen und das Volk befreien werde. Diese und ähnliche Ideen, die bei fast allen Völkern mehr oder weniger ausgeprägt vorhanden waren, hatten in ganz besonderer Weise infolge der historischen Entwicklung der kleinasiatischen und der angrenzenden afrikanischen Völker im Judentum Platz gegriffen, aus dem später das Christentum entstand. Und dieses trat keineswegs als eine fertige und abgeschlossene Religion, wie man uns so gern zu lehren pflegt, auf die Bühne, sondern entwickelte sich erst allmählich zu einem Religionsgebäude, dessen Brauchbarkeit für die Unterdrückung der Menschheit sehr bald von den herrschenden Klassen der damaligen Zeit erkannt wurde. Das Christentum ist so wenig der „göttlichen Offenbarung“ entsprossen wie die von mir vorhin bezeichneten Religionen, deren Stifter mit der gleichen Entschiedenheit ihre göttliche Sendung betonten, wie dies vom mythischen Stifter der christlichen Religion geschehen sein soll und wie Hunderte von Millionen Anhänger beweisen, welche die Glaubenslehren des Buddha, Confucius und Muhammed gefunden haben, mit demselben, ja teilweise fanatischeren Glauben an ihre Wahrhaftigkeit.

Ich habe nicht, wie Sie von sich behaupten, die philosophi­schen Systeme von Sokrates und Pythagoras bis auf Schopenhauer, Feuerbach, Lassalle und Marx geprüft — wobei ich bemerken will, daß es den beiden letzteren nie eingefallen ist, ein philosophisches System aufzustellen, sie haben Praktischeres getan, und daß ein philosophisches System des Sokrates nicht existiert, denn Sokrates hat auch nicht eine Zeile hinterlassen, sondern was wir über seine Ansichten wissen, wissen wir durch seine Schüler, namentlich Plato, der ihn auch in seinem Hauptwerk „Der Staat“ als Hauptperson im Dialog einführt. Die philosophischen Systeme des Sokrates, Lassalle und Marx dürfen Sie also aus Ihrem Wissensschatze streichen. — Aber ich habe mich ein bißchen mit Kulturgeschichte und Naturwissenschaften beschäftigt und danach gefunden, daß für ein denkfähiges und mit den Forschungen und Entdeckungen der Naturwissenschaft einigermaßen vertrautes Hirn es recht schwer sein muß, an das Christentum als das „Beste und Vollkommenste“ zu glauben. Die Tatsachen allein, welche die neuere Naturwissen­schaft über die Entstehung und das Alter der Erde, über die Entstehung und Entwicklung der Menschen in unwiderleglicher Weise feststellt, rauben dem Christentum den Boden, auf dem es steht, und bringen es zu Falle. Auch muß Ihnen so gut wie mir bekannt sein, daß die Gründungs- und Entwicklungsgeschichte des Christentums von nichts weniger als göttlicher Abstammung zeugt, daß Zank, Hader, Streit, gegenseitige Verfolgungssucht unter den ersten Christen schon in der abscheulichsten Weise sich breit machten, in allen diesen „Tugenden“ aber jene vorangingen, welche als „Lehrer und Diener der Kirche“ mit dem entgegengesetzten Bei­spiel hätten vorangehen sollen.

Christus selbst, dessen Existenz sehr nebelhaft, von dessen Lehren und Reden auch nicht ein von ihm selbst geschriebenes Wort vorhanden ist, wurde erst später, nach seinem Tode, als Gottmensch verehrt. Jahrhunderte lang wütete der Streit dar­über, ob Christus Gott gleich oder nur Gott ähnlich sei; erst im Jahre 325 wurde auf der Kirchenversammlung zu Nicäa, wo es wie auf dem polnischen Reichstag herging und die Vertreter der beiderseitigen Richtungen in der Christenheit in Ermangelung von Gründen sich mit Vorwürfen und gegenseitigen Beschimpfungen bedienten, und als das nicht mehr ziehen wollte, eine gründliche Prügelei vornahmen, die Zweieinigkeit von Gott und Christus endgültig festgestellt. Die christlichen Lämmerhirten hatten das Bedürfnis, eine feststehende Ansicht über das Verhältnis von Christus zu Gott zu schaffen, weil der Streit unter den Priestern auch die Lämmer ergriff und viele der Gescheiteren und Denkenden stutzig machen mußte. So war der erste große Schritt zur Be­gründung der christlichen Kirche, d. h. zur Leithammelei der Massen im Sinne der christlichen Priester und herrschenden Klasse geschehen.

Im Widerspruch mit den Christen des Abendlandes hatte sich unter den Christen des Morgenlandes aber die Ansicht von einer Dreiheit des Gottes, wie sie in älteren Religionen sich eben­falls gebildet hatte, entwickelt. Damit drohte eine neue Gefahr der Kirche, und so ward denn eilig, 56 Jahre später, im Jahre 381, auf der Kirchenversammlung zu Konstantinopel aus der Zweieinigkeit eine Dreieinigkeit geschaffen und der heilige Geist als Dritter im Bunde hinzugefügt Das ist die sehr weltliche Geschichte der göttlichen Dreieinigkeit, des höchsten Dogmas der christlichen Kirche. Sie werden zugeben, Herr Kaplan, daß rein menschliche Vorgänge, wie die hier geschilderten, sehr schlecht geeignet sind, den Glauben an die Göttlichkeit des Christentums zu befestigen, und daß es sich eben nur aus der großen Um­bildung der damaligen Zeit und der Unkenntnis, welche der Mensch über seine Beziehungen zu Welt und Natur und Natur­ereignissen hatte, und leider noch hat, erklären läßt, daß ein so zusammengebrauter Glaube Millionen Anhänger gefunden hat. Millionen Anhänger, die bis auf den heutigen Tag nur möglich waren, weil die so von den Kirchenversammlungen zusammen­gestellten, zusammengestrittenen und zusammengezankten Dogmen von Kirchen und Staats wegen der Menschheit als „göttliche Offenbarungen“ eingebläut und schon mit der Muttermilch eingesogen wurden. Wenn es passiert, daß in der zweiten Hälfte des 19, Jahrhunderts noch Hunderttausende von Köpfen sich über das neu ausgeheckte Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes erhitzen, darf man sich nicht wundern, wie fast zwei Jahrtausende lang ein großer Teil der Menschheit an die göttliche Abstammung und Offenbarung des Christentums glauben konnte.

Wie die heilige Dreieinigkeit erst durch die Priesterschaft geschaffen wurde, so erging es genau dem Heiligendienst. In den ersten Jahrhunderten wurden keine Bilder in den Kirchen gelitten, ja die Kirchenversammlung zu Elvira verbot sogar feierlichst, „die Gegenstände der Verehrung und Anbetung an den Wänden abzumalen“. Eusebius und Chrysostomus, zwei be­rühmte Kirchenväter, die um 390 nach Christi lebten, bezeichneten den Bildergebrauch als Götzendienst, und doch ist später die Heiligenanbetung und der Bilder- und Reliquiendienst in der christlichen Kirche so schlimm wie unter den schlimmsten „Heiden“ getrieben worden und wird heute noch in der katholischen Kirche als Kultus gepflegt.

Der so viel bedeutende Rosenkranz ist eine Nachahmung desselben Gebrauchs bei den alten Ägyptern, also „Heiden“, dieselbe Einrichtung besteht in dem älteren Buddhaglauben.

Die Kindertaufe war von alters her bei morgenländischen und teutonischen Völkern gebräuchlich gewesen; erst im vierten Jahrhundert wurde sie von den christlichen Priestern eingeführt, heute wird sie den Gläubigen als „ein von Gott eingesetztes Sakrament“ bezeichnet und gelehrt. Das Abendmahl, welches nur eine Verchristlichung des bei den Juden gebräuchlichen Passahfestes ist, erhielt ebenfalls erst später seine jetzige Bedeutung. Das Nicäasche Glaubensbekenntnis, 325 nach Christi, enthält noch kein Wort davon. Das Passahfest der Juden ward später die christliche Ostern.

Der Teufelsglaube, der im Christentum eine so große Rolle spielt, namentlich im Protestantismus kultiviert wurde und im 16. und 17. Jahrhundert die Ursache der schauderhaften Hexen­verbrennungen war, ist älteren „heidnischen“ Religionen entnommen.

Der Glaube an das Fortleben nach dem Tode ist eine nichts weniger als christliche Idee; er war vorhanden bei allen auf höherer Kulturstufe stehenden Völkern des Altertums und ist vom Christentum einfach aufgenommen und nach seiner Weise zu­bereitet und ausgebildet worden. Das gleiche gilt in bezug auf das sogenannte Weltgericht oder den „jüngsten Tag“, der in den „heiligen“ Schriften der Perser lange vor Christi Geburt bereits Erwähnung findet.

Die Erlösung der Menschheit durch einen Gesandten des höchsten Wesens, wie sie im Christentum dem Stifter desselben zugeschrieben wird, ist ebenfalls keine christliche Besonderheit; sie wurde von Buddha im 4. Jahrhundert vor Christi, ebenso von Zoroaster gelehrt, und selbst Sokrates deutet auf sie hin.

Wie ich hier bereits die wichtigsten Dogmen und Gebräuche, auf denen das ganze Christentum beruht, einfach als aus dem „Heidentum“ herübergenommen nachgewiesen habe, so kann Gleiches mit den Formen des christlichen, speziell des katho­lischen Gottesdienstes geschehen. Überall zeigt sich die Nach­ahmung des Heidentums, nirgends eine Spur von selbständigen, originalen Ideen. Der Opfertisch der Griechen und Römer, die alle hier zu erwähnenden Einrichtungen wieder dem Ägyptertum entnommen hatten, ward der christliche Altar, der Rednerstuhl wurde die christliche Kanzel; Farben und Formen der Priesterkleider sind wesentlich dieselben wie bei den Priestern der alten Ägypter, die Farben des ägyptischen Tag-Osiris, Rot und Weiß, und die langen Röcke der unbehosten Ägypter werden noch heute von den christlichen Priestern der verschiedenen Konfessionen getragen; der Krummstab des richtenden Osiris ging über den Krummstab des christlichen Bischofs; aus der gehörnten Kopfbedeckung der Priester des Nacht-Osiris wurden die christ­lichen Priesterhüte, und sogar die Tonsur der katholischen Priester ist dem ägyptischen Gottesdienst entnommen, sie versinnbildlichte das Bild des strahlenden Sonnengotts Osiris. Weihwasser, Räucherungen und Salben, der Kelch, Musik, Gesang, Niederknien zum Gebet, Verbeugung vor dem Allerheiligsten, die Wechselgesänge und Reden zwischen Priester und Gemeinde alles Gottesdienstformeln, die heute noch, namentlich in der katholischen Kirche, eine so große Rolle spielen, sind ohne Außnahme dem heidnischen Gottesdienste entlehnt

Ebenso ward das Geburtsfest des Sonnenkindes, zur Zeit der kürzesten Tage, umgewandelt in den Geburtstag Jesu. Das Fest des altsemitischen Feuergottes im Sommer ward christliches Johannesfest; das syrische Herbstfest, bei den Juden Laubhütten ward Michaelisfest.

Die Ähnlichkeit heidnischer und christlicher Religionssitten geht noch weiter. Der jüngere Sonnengott der Ägypter entsprach genau der späteren Darstellung des christlichen Jesu. Das geneigte Haupt, das wallende Haar, das milde Antlitz, der Strahlenkreis um das Haupt und die segenspendenden Hände waren bei jenem wie bei diesem. Isis, die Himmelsgöttin der Ägypter, mit dem Sonnenkinde entsprach genau der christlichen Mutter Gottes mit Strahlen- oder Sternenkranz und dem Christuskinde auf dem Arm oder im Schoß usw.

So ist alles im Christentum heidnischer Abstammung, das Christentum selbst nichts als Heidentum, d. h. eine Religion wie alle anderen Religionen auch: Menschenwerk, nichts mehr und nichts weniger, sich entwickelnd und gestaltend, je nachdem die Sitten, Gewohnheiten und die alten Religionen eines Volkes, unter denen es sich Bahn brach, es notwendig machten. Wie in Arme­nien der Haupttempel der Mondgöttin Artemis durch Beseitigung ihrer Bildsäule in einen Christentempel umgeschaffen, in Ephesus der heidnische Dianentempel dem Sankt Johannis geweiht ward, so wird noch heutigentags in der Peterskirche in Rom einem bronzenen Jupiter der Fuß geküßt, weil die Geistlichkeit behauptet, er stelle den heiligen Petrus vor.

Man rühmt dem Christentum so gern nach, daß es sich vor anderen Religionen dadurch auszeichnet, daß es den Eingott-Glauben einführte — der eine Gott aber doch wieder in der Dreiheit vereinigt und umgekehrt —, eine für den gesunden Menschenverstand unfaßbare Möglichkeit. Aber auch das ist nur Mythe. Bei den Juden war schon 500 Jahre vor Christi die heilige Dreieinigkeit im einigen Gott vereinigt, und derselbe Glaube war viele Jahrhunderte vor Christi bei den Ägyptern vorhanden. Im heidnischen Inder- und Ägyptertum ist überhaupt jedes christliche Dogma, jeder christliche Kirchengebrauch Jahrhunderte lang vor Christi Geburt vorhanden gewesen, so daß man mit vollem Recht sagen kann, das Christentum ist nichts als der Abklatsch der Religion dieser beiden ältesten Kulturländer.

Wie nun Dogmen und Gebräuche der christlichen Kirche nichts weniger als „Gottes Werk“ sind, so ist dasselbe bei der Schrift der Fall, auf welche das ganze Christentum sich stützt Die Bibel ist das verwirrteste Buch, welches existiert, ein Buch so voller Ungereimtheiten und Widersprüche, daß es in der ganzen Christenheit bis auf den heutigen Tag nie zwei Menschen gegeben hat, welche vollständig übereinstimmend sie ausgelegt und verstanden hätten. Wer einigermaßen die Ent­stehungsgeschichte dieses „heiligen“ Buches kennt, wird sich darüber freilich nicht wundern.

Die Verworrenheit, die Unklarheit und die Widersprüche der Bibel oder der sogenannten heiligen Schrift waren es, die von jeher den Grund zu den verschiedenartigsten Sekten inner­halb der christlichen Kirche gelegt haben. Eine Verworrenheit, welche die katholische wie die evangelische Kirche längst in lauter Sekten aufgelöst haben würde, wenn nicht die Priester-und die Staatsgewalt die Rechtgläubigkeit an den einmal aufgestellten Lehren mit Gewalt aufrechterhalten hätte.

Darum handelt die katholische Kirche von ihrem Standpunkte aus ganz korrekt, wenn sie das Lesen der Bibel den Laien verbietet. Konnten die Gelehrten über sie nicht einig werden, wie sollte das dem einfachen gesunden Menschenverstande möglich sein? Kein Buch in der Welt hat denn auch mehr Menschen ins Irrenhaus gebracht wie die Bibel. Die armen Grübler suchten, was nicht darin stand, und wenn sie glaubten, eine Wahrheit entdeckt zu haben, kam eine andere Stelle und zieh sie des Irrtums. Das ist allerdings zum Verrücktwerden!

Die Bibel ist natürlich nicht „Gottes Wort“, sie ist nicht von denen geschrieben, deren Namen sie in der Buch- oder Kapitelbezeichnung trägt; die Bibel ist einfach eine Zusammenstellung von Schriften der verschiedensten Männer, deren Verfasser zum größten Teil sogar dem Namen nach nicht einmal bekannt sind und in verschiedenen Zeitaltern gelebt haben. Die Verschiedenheit dieser Schriften war es, die in den ersten Jahrhunderten des Christentums die furchtbarsten Streitigkeiten über deren Deutung und Echtheit hervorrief, so daß es nur nach und nach den Kirchen-Versammlungen möglich war, eine Einheit zu schaffen, indem sie, ohne Rücksicht auf Echtheit oder Unechtheit, eine Masse von Schriften, die in die neuen Verhältnisse nicht mehr paßten, unterdrückten, beseitigten oder verschiedene unter einem gemeinsamen Titel vereinigten. So kam nach jahrhundertelangem Streit und Kampf unsere Bibel als „unfehlbares Glaubensbuch“ und „Gottes Wort“ zustande, an deren Wahrhaftigkeit und Richtigkeit zu zweifeln vor noch nicht gar langer Zeit selbst von Staats wegen als Kardinalverbrechen galt.

Genaue Forschungen haben ergeben, daß keine einzige der vorhandenen Abschriften von Evangelien und Apostelbriefen älter ist als das 4. Jahrhundert nach Christi. Man fand, daß viele wichtige Stellen des Alten und des Neuen Testaments spärliche Einschaltungen sind, also von beliebigen Verfassern beliebig eingeschoben, von der leitenden Priesterschaft nach Wunsch und Interesse ausgelegt und dem gutmütigen Volke als „Gottes Wort“ aufgeschwatzt werden. Die Vergleichung aller vorhandenen Hand­schriften der Bibel hat mehr als 50000 Abweichungen ergeben, von denen sehr viele den bezüglichen Stellen einen wesentlich andern Sinn geben, und trotzalledem ist die Bibel „Gottes Wort“, an dem nicht gerührt und getastet werden soll.

Sie werden zugeben, Herr Kaplan, daß, wenn alle philo­sophischen Systeme den Glauben an die Göttlichkeit des Christen­tums nicht erschüttern sollen können, derartige feststehende Tat­sachen geeignet sind, nach dem bis hierher Ausgeführten aber auch begreifen, daß ich nicht nur ein Gegner des Katholizismus, sondern jeder Religion sein muß, weil nach meiner festen Über­zeugung die Religion nur da Geltung haben kann, wo Unwissen­heit über die menschliche Entwicklung wie Unbekanntschaft mit den Forschungen der Geschichte und Naturwissenschaft besteht, welch letztere, wie schon angedeutet, die ganze Schöpfungs- und Menschenentwicklungsgeschichte, wie sie die Bibel lehrt, einfach auf den Kopf stellt. Vom naturwissenschaftlichen Standpunkte die Unhaltbarkeit der Religion weiter darzutun, würde mich zu weit führen. Lesen Sie Schriften, wie die von Haeckel, L. Büchner, Karl Vogt, Radenhausen („Isis. Der Mensch und die Welt“), Kolb (Kulturgeschichte) und andre, und bringen diese bei Ihnen eben­falls nicht fertig, was das angebliche Studium aller philosophi­schen Systeme von Pythagoras bis Feuerbach und Schopenhauer bei Ihnen nicht fertiggebracht hat, dann zweifle ich an Ihrer klaren Denkfähigkeit, und ich wäre wohl gezwungen, Sie unter die „überspannten Schwärmer“ zu rechnen.

Wie stehen wir jetzt zueinander? Ich habe nachgewiesen, daß der Katholizismus respektive das Christentum weder das „Beste“ noch das „Vollkommenste“ ist, sondern nicht besser und vollkommener wie andre Religionen auch, d. h. höchst mangelhaft und unvollkommen, und daß seine Beseitigung vom Standpunkte des Fortschritts der Menschheit recht bald zu wünschen ist. Aber die Moral des Christentums! rufen Sie aus. Die Moral, lieber Herr, hat mit dem Christentum und der Religion überhaupt gar nichts zu schaffen; die Moral ist universell, wenn auch verschieden nach dem jeweiligen Bildungszustand der Völker. Bei allen Völkern haben sich bestimmte Regeln über die Beziehungen von Mensch zu Mensch herausgebildet, deren Aufrechterhaltung im Interesse aller als allgemein notwendig anerkannt wird. Keine Gesellschaft kann ohne solche Regeln bestehen; ihre Übertretung gilt als unmoralisch und wird oft bloß durch die Kundgabe von Unzufriedenheit von seiten Dritter, oft aber auch noch durch materielle und physische Strafen, vollzogen durch die die Gesell­schaft vertretende Autorität, an dem Übeltäter heimgesucht. Wie verschieden selbst innerhalb der katholischen Kirche gewisse Ein­richtungen beurteilt, von dem einen Teil als moralisch und in der Ordnung, von dem andern als unmoralisch und darum verabscheuungswürdig angesehen werden, mögen zwei Beispiele zeigen. Daß eine Ehe auch ohne priesterlichen Segen ihre volle Gültigkeit habe, findet der katholische Franzose ganz in der Ordnung, der gut katholische Deutsche betrachtet sie als Konkubinat, also etwas sehr Unmoralisches. Die absolute Trennung der Kirche vom Staat findet der katholische Nordamerikaner selbstverständlich, viele deutsche Katholiken sehen sie als eine schmähliche Preisgabe der Kirche seitens des Staates an. Die Gebote der Nächstenliebe aber, die Gebote der allgemeinen Menschenliebe, der Gleichheit aller Menschen, der gegenseitigen Duldung, diese Lehren sind ohne Ausnahme im Buddhaismus wie im Mohammedanismus enthalten; sie sind theoretisch bei allen Völkern von einiger Kultur anerkannt und werden bei Indern, Chinesen, Persern und Arabern auch mehr praktisch gehandhabt wie im Christentum, das alle diese schönen Dinge erst für das „künftige“ Leben durchführen will. Die Religion der Liebe, die christliche, ist seit mehr als 18 Jahrhunderten gegen alle Andersdenkenden eine Religion des Hasses, der Verfolgung, der Unterdrückung gewesen. Keine Re­ligion der Welt hat der Menschheit mehr Blut und Tränen gekostet wie sie, keine hat mehr zu Verbrechen der scheußlichsten Art Veranlassung gegeben, und wenn es sich um Krieg und Massenmord handelt, sind die Priester aller christlichen Kon­fessionen noch heute bereit, ihren Segen zu geben und hebt die Priesterschaft der einen Nation gegen die feindlich ihr gegen­überstehende Nation flehend die Hände um Vernichtung des Gegners, zu ein und demselben Gott, dem Gott der Liebe, empor.

Wenn heute die Kirche in dem früheren Maße nicht mehr unterdrückt, dann sind nicht die Priester und die Diener der Kirche daran schuld, sondern der allgemeine menschliche Fortschritt, der trotz Priester und Kirche und gegen Priester und Kirche erkämpft worden ist. Sie sagen, was die Diener der Re­ligion getan, kann der Religion selbst nicht zum Vorwurf gemacht werden. Aber, Verehrter, wenn die Priester nicht als Ausnahme, sondern als Regel von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag nicht auf die Moralgrundsätze der Religion — die, ich betone es noch einmal, mit der Religion selbst durchaus keinen ausschließlichen Zusammenhang haben — achteten, sondern Tag für Tag dagegen sündigen, was ist denn eine solche Religion wert? Die eifrigsten Gläubigen haben aber, wenn sie auch glaubten, Gutes zu tun, am meisten der Menschheit geschadet, denn sie haben jedes Rütteln an den Dogmen als Ketzerei, jedes Be­zweifeln der Grundlagen der Religion als Kardinalverbrechen an­gesehen und mit Feuer und Schwert dagegen gewütet. Die Kreuzzüge, die zahllosen Religionsverfolgungen, die Inquisition, die Judenverfolgungen, die Hexenprozesse, in denen Hunderttausende von Menschen dem blinden Wahn geopfert wurden, sind von fanatischen Priestern hervorgerufen und geschürt, von den Klugen und Kaltblütigen unter ihnen für Ausbreitung der Macht der Kirche — die ihre Macht war — und des Raubes wegen unterstützt worden.

Das Christentum ist freiheits- und kulturfeindlich. Durch seine Lehre vom passiven Gehorsam gegen die „von Gott ein­gesetzte“ Obrigkeit, sein Predigen zur Duldung und Ergebung im Leiden, verknüpft mit dem Hinweis, daß für alle Beschwerden hienieden die Seligkeit im jenseitigen Leben entschädigen werde, hat es die Menschheit von ihrem Zwecke, sich nach allen Rich­tungen zu vervollkommnen, nach ihrer höchsten Entwicklung zu streben und der gewonnenen Güter sich zu freuen und sie zu genießen, abgezogen. Es hat die Menschheit in der Knechtschaft und Unterdrückung gehalten und bis auf den heutigen Tag sich zum Werkzeug politischer und sozialer Ausbeutung hergegeben. Nach dem Sturz der griechischen und römischen Kultur hat das Christentum mehr als 1000 Jahre in Europa geherrscht, und die dickste Unwissenheit und Barbarei lastete auf den Völkern. Spanien, das unter der Herrschaft der „heidnischen“ Mauren in Ackerbau, Gewerbe, Künsten und Wissenschaften den höchsten Blütepunkt erreichte und in Wohlstand schwamm, in dem zu jener Zeit — also unter den heidnischen Mauren oder Arabern — Christen und Juden eine Toleranz genossen, wie sie in unsern modernen Kulturstaaten kaum oder erst seit kurzem für die Juden besteht, ward, als christliche Waffen die Mauren verdrängten und das Christentum die Alleinherrschaft hatte, eine Stätte des Fana­tismus und religiöser Verfolgungssucht. Die blühendsten Städte und Gegenden wurden verwüstet, der Glanz arabischer Wissen­schaft zerstört und das Land auf jenen tiefstehenden Kultur- und Bildungszustand gebracht, aus dem es sich bis heute noch nicht erholt hat. Die Wissenschaft und der Fortschritt, welche im 12. Jahr­hundert in Italien, im 15. Jahrhundert auch in Deutschland sich zu regen begannen, waren nicht die Folge des Christentums, sondern des Studiums der heidnischen altklassischen Literatur, die aus dem Staub und Moder, in die sie unter der Christen­herrschaft gelangt war, hervorgeholt wurde und den kirchlichen Anfechtungen und Verfolgungen zum Trotz in immer weitere Kreise drang und die Menschheit auf die Bahnen des Fortschritts führte.

Das Leben und die Tätigkeit der hohen wie der niederen Geistlichkeit aller Jahrhunderte lief schnurstracks den Lehren entgegen, die sie für andre lehrte. Die Religion war nur Mittel zum Zweck, um die Herrschaft über die Massen auszuüben und mehr und mehr zu befestigen.

Wie weitsehende und berühmte Männer der verschiedensten Zeiten die Religion nur als Mittel zum Zweck — der politischen Herrschaft — betrachteten (Aristoteles, Macchiavelli), habe ich schon in meiner Broschüre erwähnt; es ist nicht überflüssig, Äußerungen und Taten einiger kirchlicher Autoritäten gleichfalls anzuführen. Der Bischof Synesius erklärte 410 n. Ch. Geb.: „Das Volk will durchaus, daß man es täusche, man kann auf andere Weise gar nicht mit ihm verkehren. … Ich meinesteils werde stets Philo­soph sein für mich, aber Priester“ — was in diesem Falle doch wohl Betrüger hieß — „in bezug auf das Volk“. Und ebenso schrieb Gregor von Nazians an den Hieronymus: „Es bedarf nichts als Geschwätz, um beim Volke Eindruck zu machen. Je weniger es begreift, deste mehr bewundert es. Unsre Väter und Lehrer haben oft nicht das gesagt, was sie dachten, sondern was ihnen die Umstände und das Bedürfnis in den Mund legten.“ Zur Zeit als Papst Julius II. (1475 bis 1513) regierte, existierte am römischen Hofe ein Leben, das an Ausschweifung, Liederlichkeit und Religionsverspottung das denkbar Mögliche leistete. Als eines Tages aus dem frommen Deutschland große Geldsendungen ankamen, sprach der Papst zu einem seiner Kardinäle die denk­würdigen Worte: „Gelt Bruder, die Fabel von Jesus Christus ist einträglich.“ Wie der französische Gesandte die Moral des Papstes Paul III., im 16. Jahrhundert, beurteilte, geht aus folgender Stelle eines Briefes an seinen Hof hervor: „Der Papst und seine Minister (Kardinäle) haben euch bisher in jeglicher Weise hintergangen; jetzt suchen sie es durch Heuchelei und Lügen zu decken und eine wahre Niederträchtigkeit daraus zu machen.“ Papst Paul VI. rief, um gegen die gut katholischen Spanier zu kämpfen, nicht bloß die Protestanten zu Hilfe, sondern forderte sogar den „Erbfeind“ der Christen, die Türken, auf, das spanische Sizilien und Neapel zu überfallen. Papst Alexander VI. lebte mit seiner eignen Tochter, der berüchtigten Lukretia Borgia, in Blutschande. Als er einst sieben Kardinäle bei einem Gastmahl vergiften wollte, verstanden diese es, den Koch zu bestechen und ließen ihn nebst seinem Sohn, den er neben der Tochter besaß, obgleich er im Zölibat lebte, vergiften.

Hunderte und Tausende von Schandtaten der Geistlichkeit ließen sich hier noch anreihen; die vorgeführten mögen genügen.

Sie bestreiten zwar meine Angabe, daß Staat und Kirche sich jederzeit brüderlich verständigt, wenn es sich um die Aus­beutung des Volkes gehandelt, als richtig, vergessen aber den Beweis zu führen.

Wenn irgendein Staat verpflichtet war, das Bild eines christ­lichen Musterstaates zu geben, war es der Kirchenstaat, der un­mittelbar unter der Regierung des Papstes und der höchsten Geistlichkeit stand; und welches Bild hat uns der Kirchenstaat bis zum letzten Tage seines Bestandes geliefert? Das traurigste, das in Europa sich auftreiben ließe. Eine schmählich vernach­lässigte, in Aberglauben und Unwissenheit versunkene Bevöl­kerung; die Arbeit geschändet und unterdrückt, dagegen herrschend die unverschämteste Bettelei und die großartigste Massenarmut Die Verbrecherstatistik schlimmer wie in irgendeinem Staate der Welt, die Öffentliche Unsicherheit sprichwörtlich, die Staatsver­waltung die liederlichste, die existierte, und das Gebot der christ­lichen Nächstenliebe, das sich doch zunächst in der Toleranz gegen Andersgläubige zeigen müßte, mit Füßen getreten. Das war der christliche Musterstaat. In allen Staaten Europas, wo Vertreter der Kirche, einerlei ob protestantische oder katholische, in der Staatsleitung, in der Volksvertretung ein Wort mitzusprechen haben, überall ist ihr Einfluß auf Zurückhaltung und Stärkung der volksfeindlichen Staatsgewalt bedacht Und wenn im Augen­blick Deutschland in bezug auf die katholische Priesterschaft eine Ausnahme zu machen scheint, so scheint dieses auch nur der Fall zu sein. Eine Politik, wie sie unkluger von keinem Staatsmann der herrschenden Klassen je geführt wurde, hat die katholische Geistlichkeit in die Stellung der Unterdrückten ge­bracht, und diese Stellung einzig und allein ist es, welche sie veranlaßt, heute Forderungen zu vertreten, die sie in der umgekehrten Lage nimmer stellen oder gutheißen wurde. Welche Stellung die Leiter und bewußten Vertreter des Katholizismus — denn die Geleiteten wie die unklaren Köpfe kommen nicht in Betracht — vor wenig Jahren noch in Bayern, in Preußen und anderwärts einnahmen, ist hinlänglich bekannt; sie standen stets auf der Rechten, der äußersten Rechten sogar, wie dies im Augenblick tatsächlich noch in Österreich und namentlich auch in Frankreich der Fall ist und in Deutschland in Bälde wieder sein wird. Darüber täuschen wir uns also nicht. Kann es denn anders sein? Der Fortschritt der Menschheit bedingt, daß allem Vorrecht und aller Herrschaft der Krieg erklärt wird; die Kirche übt eine nicht geringere Herrschaft auf das Volk aus wie der Staat. Auf der Autorität und dem blinden Glauben beruhend, muß sie alles bekämpfen, was diese zu untergraben trachtet, also das Wissen und die Bildung, wie sie der Sozialismus erstrebt. Der Sozialismus, der das reine Volks- und Menschentum ist, welcher die Moralhetze, welche der Kirche seit 18 Jahrhunderten kaum mehr als Aushängeschild für die Unterdrückung und Ausbeutung der Massen gedient haben, in der Wirklichkeit zur Geltung bringen will; der die allgemeine Gleichheit, die allgemeine Menschenliebe, das allgemeine Glück nicht verwirklichen will, weil ein Buddha, ein Jesus, ein Mohammed sie gepredigt, sondern weil es Ziele und Ideale sind, nach denen die Menschheit unter allen Zonen, allen Staats-, allen Religionsverfassungen bewußt oder instinktiv gestrebt hat, und denen sie zugestrebt haben würde, wenn es auch keinen Buddha, keinen Christus, keinen Mohammed gegeben hätte. Diese haben vielmehr, indem sie die Erde als ein Jammertal darstellten, die Entbehrung und Ent­haltsamkeit predigten und die Menschheit auf ein künftiges Leben, das nicht existiert, verwiesen, dem menschlichen Streben die schlimmsten Fesseln angelegt und den menschlichen Fortschritt gehemmt.

Das Gute, das während der Herrschaft des Christentums entstanden, gehört ihm nicht, und das viele Üble und Schlimme, das es gebracht, das wollen wir nicht, das ist mit zwei Worten unser Standpunkt.

Und nun werden Sie vielleicht einsehen, Herr Kaplan, wie himmelweit verschieden unser Streben von dem des Katholizismus, des Christentums ist. Ihre Bischöfe, Ihre Domherren, Ihre Grafen, Barone und Bourgeois, die als Leiter an der Spitze der katholischen Bewegung stehen, das sind nicht unsre Männer; die wollen die Gleichheit und das Glück der Menschen nicht denn sonst müßten sie ihre bevorrechtete Stellung, wenn nicht aufgeben, so doch benutzen, um der von ihnen angeblich erstrebten Wohlfahrt der Menschen zum Siege zu verhelfen. Aber sie sind die Hauptverteidiger der Vorrechte, der Standes- und Klassenherrschaft, sie wollen nicht die Gerechtigkeit, sondern die Mildtätigkeit, nicht die Gleichheit, sondern die demütige Unterwerfung, nicht das Wissen, sondern den Glauben. Und während das Volk nach menschenwürdiger Existenz und dem Ertrage seiner Mühe und Arbeit strebt und verlangt, predigen sie ihm die Zufriedenheit und vertrösten es auf den Himmel, sie selbst aber leben in Herrlichkeit und Freude und genießen die Früchte der Arbeit andrer. Das katholische Volk, das diesen Männern folgt, das gehört zu uns, und dieses hoffen wir eines Tages noch, wenn auch ihm die Augen aufgehen, auf unsre Seite zu ziehen. Treten dann die ausgebeuteten und unterdrückten niederen katho­lischen Geistlichen, deren Proletarierstellung Sie so vortrefflich schildern, mit in unsre Reihen, gut, sie sollen uns willkommen sein; Sie werden dann finden, daß das ideale Streben, daß Sie vergeblich in Ihrer Kirche zu verwirklichen suchten, in unsern Reihen und durch uns verwirklicht wird, und daß wir eine bessere Aufgabe für Sie haben, als die Verrichtung leerer Formeln einer Religion, die bisher nur, wie jede andre, ein Hemmschuh des wahren Fortschritts der Menschheit war. Sie, Herr Kaplan, sind schlechter gestellt, nach Ihrem eignen Geständnis, als ein Lakai oder eine Kammerjungfer, und führen ein Leben wie der niedrigste Proletarier; der Bischof aber lebt wie ein großer Herr und bezieht die Einkünfte und Ehren eines solchen. Will das Christentum, wie Sie sagen, dasselbe wie der Sozialismus, wie kann es dann ein solches System der Standesunterschiede und der Ungleichheit aufrechterhalten und als „von Gott geschaffene Einrichtung“ verteidigen? Kann eine solche Religion unsre Achtung und unsern Beifall finden? Oder muten Sie uns zu, daß wir auf die allgemeine Wohlfahrt und das möglichst hohe Glück aller Menschen warten sollen, bis eine Religion, die seit bald 19 Jahrhunderten besteht und bis heute nicht einmal ihre eignen Priester zu ihren angeblichen Grundsätzen bekehrt hat, es uns bringt? Da könnten wir bis in alle Ewigkeit warten, und das menschliche Leben ist kurz. Nein, nein! Suchen Sie noch so eifrig zwischen der Kirche und angeblich „einzelnen“ ihrer Diener einen Unterschied zu machen, es wird und kann Ihnen nicht gelingen. Was Sie als Ausnahme hinzustellen suchen, ist Regel und Prinzip, und Ihre Regel die Ausnahme. Sie wissen aber, daß die Ausnahme nie die Regel aufhebt.

Es ist mir also nicht möglich, Ihrer Ansicht mich anzu­schließen, wonach das Christentum dasselbe erstreben soll wie der Sozialismus. Christentum und Sozialismus stehen sich gegen­über wie Feuer und Wasser. Der sogenannte gute Kern im Christentum, den Sie, aber ich nicht darin finde, ist nicht christlich, sondern allgemein menschlich, und was das Christentum eigentlich bildet, der Lehren- und Dogmenkram, ist der Menschheit feindlich. Ich überlasse es Ihnen, wie Sie sich in diesem Widerspruch Ihrer Theorie mit der Praxis zurechtfinden wollen.

Der Verfasser der Broschüre: „Die parlamentarische Tätigkeit des Deutschen Reichstags und der Landlage und die Sozialdemokratie“ Leipzig, im Februar 1874.


Fussnoten

[1] Redewendungen, die auf Rechnung der damaligen Streitigkeiten zwischen den beiden sozialdemokratischen Richtungen zu setzen sind D.H.

[2] Redewendungen, die auf Rechnung der damaligen Streitigkeiten zwischen den beiden sozialdemokratischen Richtungen zu setzen sind D.H.


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