Frieden - Antifaschismus - Solidarität

20 Jahre seit NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien – Teil 17 und 18

Der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien am 24. März 1999 markierte das Ende des Friedens in Europa, ein Frieden, der seit der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs gehalten hatte, zumindest in Europa. Mit Beiträgen in loser Folge ruft RT-Deutsch die wichtigsten Stationen der NATO-Vorbereitungen auf diesen Krieg in Erinnerung.

Wir veröffentlichen die Teile 17 und 18 hier zusammenhängend.

Übersicht

Bisher veröffentlicht:

Teil 1 – 16.02.2019: Ursachen, Hintergründe, Fake News und False Flag von Rainer Rupp

Teil 2 – 21.02.2019: Deutschlands Rückbesinnung auf unrühmliche Traditionen von Klaus Hartmann

Teil 3 – 25.02.2019: Luftangriffe in Bosnien-Herzegowina als Test für Kosovo von Rainer Rupp

Teil 4 – 01.03.2019:  Falsche-Flagge-Massaker als Vorwand für NATO-Aggression von Rainer Rupp

Teil 5 – 02.03.2019: Warum wurde Milošević zum Hassobjekt des Westens? von Klaus Hartmann

Teil 6 – 04.03.2019: Das „Račak-Massaker“ – Teil des NATO-Drehbuchs (I) von Doris Pumphrey

Teil 7 – 06.03.2019: Das „Račak-Massaker“ – Teil des NATO-Drehbuchs (II) von Doris Pumphrey

Teil 8 – 08.03.2019: Teil des NATO-Drehbuchs – „Massaker von Srebrenica“ (I) von George Pumphrey

Teil 9 – 09.03.2019: Teil des NATO-Drehbuchs – „Massaker von Srebrenica“ (II) von George Pumphrey

Teil 10 – 09.03.2019: Terror-Paten und die letzte Chance von Klaus Hartmann

Teil 11 – 20.03.2019: Der Countdown läuft – Die letzten Tage vor dem Angriff von Rainer Rupp

Teil 12 – 21.03.2019: Lügen, bis sich der Balkan biegt von Klaus Hartmann

Teil 13 – 22.03.2019: Momentaufnahme zwei Tage vor dem Angriff von Rainer Ruppp

Teil 14 – 24.03.2019: Kriegsverbrechen und Kriegslügen von Ralph Hartmann

Teil 15 – 02.04.2019: Scharping & Co. als Münchhausen 2.0 von Klaus Hartmann

Teil 16 – 18.04.2019: Medienlügen (1) – Zum Tod von Mira Marković von Klaus Hartmann

Neu auf dieser Seite:

Teil 17 – 27.04.2019: Medienlügen (2) – „Eingebettete“ Journalisten von Klaus Hartmann

Teil 18 – 18.05.2019: Medienlügen (3) – Die vierte Waffengattung von Klaus Hartmann


Teil 17 (Erstveröffentlichung auf RT Deutsch am 27.04.2019)

Medienlügen (2) – „Eingebettete“ Journalisten

von Klaus Hartmann

Nach den westlichen, auf Krieg drängenden Politikern und ihren bezahlten Regierungs- und NATO-Sprechern verdienen jene besondere Beachtung, die sich gerne als „vierte Gewalt“ im Staat feiern lassen: Die Mainstream-Medien mit ihren „eingebetteten“ Journalisten.

„Eingebettete“ Journalisten erlangten wortwörtlich die Lufthoheit und leisteten in Vorbereitung der NATO-Aggression 1999 „ganze Arbeit“ – beim „Ruhigstellen“ der Bevölkerung. 1996, unter dem Eindruck der Sezessionskriege zur Zerstörung Jugoslawiens, veröffentlichte Mira Beham ihr Buch Kriegstrommeln über das Zusammenspiel von Medien, Krieg und Politik, das Verhältnis von Krieg und Kriegsberichterstattung seit dem Ersten Weltkrieg. In einer Rezension in der Zeit nennt Rudolf Walther „Kriegsberichte … Werkzeug(e) zur Unterdrückung dessen, was jene, über deren Köpfe hinweg entschieden wird, über ihn wissen möchten, sogar wissen müssten – zum Beispiel als Souverän in Demokratien“.

1999, das Jahr der NATO-Aggression gegen Jugoslawien, markiert über diese „ewige Wahrheit“ hinaus einen qualitativ weitergehenden Schritt: die Perfektionierung der Strategie eines Informationskrieges. „Für Politiker und Militärs galt der Waffengang im Kosovo als gelungener Testfall für künftige ‚Information Operations‘, einen elementaren Bestandteil der neuen ‚Information Warfare‘-Strategie“, schrieb Elvi Claßen im Oktober 1999 auf telepolis. „Noch nie zuvor war die militärisch-politische Informations-Intervention im Krieg so vielschichtig und umfassend, so aggressiv und effektiv wie während dieses Krieges.“

Für Viele überraschend strahlte die ARD am 8. Februar 2001 die investigative Dokumentation von Jo Angerer und Mathias Werth aus: „Es begann mit einer Lüge. Wie die NATO im Krieg um Kosovo Tatsachen verfälschte und Fakten erfand“. Auf der Seite des Kasseler Friedensratschlags wurde kommentiert:

Das einzig Bedauerliche, ja, wirklich Ärgerliche an der ARD-Dokumentation ist, dass sie erst jetzt zu sehen war. Warum nicht schon im April 1999? Die meisten Tatsachen, die hier ausgebreitet wurden, waren ja schon bekannt (…) Scharpings Lügen haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Journalisten werden sich fragen müssen, warum sie damals dieses Spiel mitspielten, warum der Großteil der Kolleginnen und Kollegen in den Zeitungs- und sonstigen Medienredaktionen mit den Wölfen geheult hat.

Kurt Gritsch, Historiker und Konfliktforscher, Autor des Buches Inszenierung eines gerechten Krieges? Intellektuelle, Medien und der Kosovo-Krieg (Georg Olms Verlag 2010), teilte in einem Leserbrief (an den österreichischen Standard, 14. März 2012) mit, warum er nicht mehr gerne Zeitung liest:

Als Student las ich 1998 von gewaltsamen Übergriffen von Polizeieinheiten auf Zivilisten im Kosovo. Die Sachlage schien eindeutig, so gut wie niemand wäre ohne Sympathie für die verfolgten Albaner gewesen. Zugleich fanden wir alle, dass man Serbien mit seinem ’neuen Hitler‘ Slobodan Milosevic, der nicht auf diplomatische Verhandlungen reagierte und ’seine eigenen Bürger‘ ermordete, zur Räson bringen musste, notfalls auch mit Gewalt. Der Krieg sollte mit Krieg gestoppt werden. Dass dadurch die Zahl der Toten am Ende mehr als verzehnfacht würde, konnten wir uns nicht vorstellen.

Im Frühjahr 1999 schickte die NATO Kampfflugzeuge, die ausschließlich serbische Militäreinrichtungen bombardierten (von den planvoll getroffenen Schulen und Krankenhäusern erfuhr ich erst viel später), was die Albaner vor einem ’neuen Auschwitz‘ (Joschka Fischer) retten sollte. Doch als die Massenbombardements auf Serben überraschenderweise doch keine Menschenrechte schützten, sondern zur Massenvertreibung der Albaner führten, kam plötzlich Skepsis auf. Irgendetwas konnte da nicht stimmen, auch wenn alle maßgeblichen deutschsprachigen Massenmedien weiterhin behaupteten, dass die Luftschläge (das Wort ‚Krieg‘ wurde tunlichst vermieden) erfolgreich seien.

Die Mainstream-Meinung sprach nur von zwei Alternativen: eingreifen oder zusehen, wobei letzteres mit dem Vorwurf ergänzt wurde, dass man so niemals Krieg gegen Hitler hätte führen können. Ein dritter Weg schien nicht zu existieren (die schon 1998 vorhandenen Lösungsvorschläge der Friedensforscher schafften es nämlich erst gegen Kriegsende in die großen Medien), Fakten wurden einfach unterschlagen, wie z. B. die Strategie der albanischen Terroreinheit UCK, einen Bürgerkrieg anzufachen, die eigenen Leute zu opfern und dadurch die NATO zum Eingreifen zu bewegen (von wegen Holocaust!).

Gräuelpropaganda und verstümmelte Wahrheit 

Heinz Loquai, Bundeswehrgeneral a.D. und OSZE-Beobachter im Kosovo vor der NATO-Aggression, nennt unter anderen. „Massaker“ als „die medialen Katalysatoren für die Weichenstellungen in den politischen Entscheidungsprozessen zum Krieg gegen Jugoslawien.“ Die Funktion der „Vorkriegsberichterstattung als Wegbereiter zum Krieg“ und zum Anheizen der Eskalation belegt er anhand der Berichterstattung „als seriös geltender deutschsprachiger Tageszeitungen über das ‚Massaker von Račak‘“:

Die Behauptung in den Medien: Die Leichen wurden durch die serbischen Mörder verstümmelt: NZZ: ‚Verstümmelte Leichen‘, SZ: ‚Einem Toten waren beide Ohren abgehackt‘, FAZ: ‚Viele Opfer waren … verstümmelt. Schädel eingeschlagen, Gesichter zerschossen, Augen ausgestochen. Ein Mann enthauptet‘ (18. 1. 1999) ‚Einem Toten war der Kopf vom Rumpf abgetrennt, anderen waren die Augen ausgestochen, das Gesicht weggeschossen (20. 1. 1999)‘.

Das Gegenteil wurde im „Untersuchungsbericht finnischer Gerichtsmediziner“ festgestellt: Es gab keine Anzeichen für Verstümmelungen der Leichen. Doch auch solche Erkenntnisse konnten manchen Überzeugungstätern nichts anhaben, wie Loquai ausführt:

Die Untersuchungsergebnisse unparteiischer Gerichtsmediziner waren jedoch kein Hindernis für Journalisten, auch weiterhin von Verstümmelungen und Hinrichtungen zu sprechen. So der Balkan-Korrespondent der FAZ, Matthias Rüb, ein halbes Jahr später: ‚… Die meisten Toten wiesen Schusswunden im Kopf und Genick auf, sie mussten aus nächster Nähe erschossen, geradezu hingerichtet worden sein. Viele Opfer waren außerdem verstümmelt: Schädel eingeschlagen, Gesichter zerschossen, Augen ausgestochen. Ein Mann war enthauptet.‘ Die medialen Ausschmückungen der Art des Todes und die Verstümmelungen an den Toten sollten wohl die besondere Bestialität der Mörder demonstrieren. Der Balkan-Korrespondent der FAZ, Matthias Rüb, erweckte durch die Art einer geradezu besessenen Detailschilderung den Eindruck, als sei er unmittelbarer Zeuge gewesen. Seine Berichte kamen aus Budapest!

Mit Rübs Feststellung: „Es gibt nur ein einziges, was die Barbarei der Taten im Krieg noch übertrifft: Die Phantasie der Barbarei“, gab er unfreiwillig seine eigene Fantasterei zu Protokoll.

Professor Dr. Karl Prümm, Medienwissenschaftler an der Universität Marburg, betitelte seinen Beitrag bei den 33. Mainzer Tagen der Fernsehkritik zur Rolle des deutschen Fernsehens im Kosovo-Krieg Korpsgeist und Denkverbot:

In der Zeitspanne vom Scheitern der Rambouillet-Verhandlungen bis zum Beginn der Bombenangriffe erreichte die Anpassungsbereitschaft an eine Kriegspolitik ihren Höhepunkt … Nachrichten und Sondersendungen suggerierten … eine finale Dynamik, eine Unausweichlichkeit des Luftkriegs. … Das Fernsehen wurde in den ersten Tagen zu einem Verlautbarungsorgan von Politik und Militär.

Diese Art von „Journalismus“ erhielt erst „im nächsten Krieg“, gegen den Irak 2003, den selbstsprechenden programmatischen Namen „eingebetteter Journalismus“. Bei einer Podiumsdiskussion (Burg Schlaining, Juli 2003) erklärte Walter Feichtinger (Offizier und Konfliktforscher, Landesverteidigungsakademie Wien) die Funktionsweise: „Der in die kämpfende Truppe eingebettete Journalist erhält eine genau definierte Informationsdosis vermittelt“. Er muss „mit den Soldaten um sein Leben zittern“ und er hat „das gleiche Informationsdefizit“.

Dieser Mechanismus erleichtert zwar der Militärführung die PR, aber er ist nicht Bedingung für das entsprechende Funktionieren der Journaille – der oben portraitierte, „weit vom Schuss“ sitzende FAZ-Kriegstreiber Rüb ist nur eines von vielen traurigen Beispielen. Deshalb formulierte der Freidenkerverband in seinem Aufruf „Für Aufklärung!“ (2009): „Der in der Kriegsberichterstattung erfundene ‚eingebettete Journalismus‘ ist ein Schlüsselbegriff der gesamten, wie gleichgeschaltet funktionierenden Medienwirklichkeit, er enthüllt die zentrale Aufgabe: die Einschläferung jeden kritischen Geistes, die Ausschaltung jeder selbstständigen Gehirntätigkeit.“

Falls aber ein Medium trotz aller Anstrengungen nicht so funktioniert wie erwartet, können die Regierenden immer noch eingreifen. Ulrich Ladurner berichtete über das Beispiel, wo Großbritanniens Regierungschef Tony Blair höchstpersönlich eingriff, damit die BBC ihren Chefkorrespondenten aus Belgrad abzieht: „Blair hielt ihn für zu ’serbenfreundlich‘.“ Und dann bleibt immer noch das Ärgernis, dass der „Feind“ eigene Medien unterhält, die in der Regel das Gegenteil von dem senden, was man in den Ländern „der Guten“ hören will. Sie wurden im faschistischen Deutschland „Feindsender“ genannt, das Abhören und Weiterverbreiten ihrer Nachrichten war als „Wehrkraftzersetzung“ unter Strafe gestellt.

NATO bombardiert gezielt Medieneinrichtungen 

Spomenka Lazić, Korrespondentin des „Alternative Information Network“, berichtete am 10. April 1999 von der Drohung eines NATO-Offiziers an die Belgrader Adresse, „dass auf Grund der Propagandalügen das Gebäude des staatlichen Fernsehens bombardiert würde, falls es nicht der Ausstrahlung von Programmen ausländischer Stationen – oder gar der NATO selbst – zustimme.“ Zwei Tage später beruhigte jedoch NATO-Sprecher Jamie Shea den besorgten Aidan White, Generalsekretär der Internationalen Journalistenvereinigung: „Die alliierten Streitkräfte werden Radio- und Fernsehanlagen nur dann bombardieren, wenn sie sich innerhalb militärischer Anlagen befinden … Die NATO hat nicht die Absicht, Sendeanlagen grundsätzlich zu bombardieren.“ Das war, wie vom NATO-Sprecher kaum anders zu erwarten, glatt gelogen.

Am 23. April 1999 bombardierten NATO-Kampfflugzeuge das RTS-Gebäude (Radio Televizje Serbije) in Belgrad, wobei 16 Menschen starben und 17 verletzt wurden. Dagegen erhoben zahlreiche nationale und internationale Journalistenverbände Protest, der Vorsitzende des serbischen Verbandes Milorad Komrakov protestierte dagegen, dass „zum ersten Mal in der Geschichte Medien zu Kriegszielen“ geworden seien. Laut einem Bericht von Amnesty International aus London hat die NATO „wissentlich ein ziviles Objekt angegriffen“, und sie „muss klar vorausgesehen haben, dass Zivilpersonen, die sich zum Zeitpunkt des Angriffs im RTS-Gebäude befanden, getötet würden.“

Der Angriff war völkerrechtswidrig, weil er gegen das humanitäre Völkerrecht verstieß, nämlich gegen das 1. Zusatzprotokoll zum Genfer Abkommen, nach dem nur solche Objekte als legitime militärische Ziele gelten, die „wirksam zu militärischen Handlungen beitragen“ und „einen eindeutigen militärischen Vorteil“ begründen. Laut Amnesty rechtfertigte sich die NATO, RTS sei bombardiert worden, weil der Sender die „Botschaft des Hasses“ verbreite und den serbischen Nationalismus anheize. Großbritanniens Premier Blair befürwortete den Angriff:

Es ist sehr, sehr wichtig, dass die Menschen begreifen, dass diese Fernsehstationen Teil des diktatorischen Apparats von Milošević sind.

US-Präsident Clinton ergänzte, Jugoslawiens Präsident Slobodan Milošević benutze das Fernsehen „für die Verbreitung von Hass und Desinformation. Daher ist es keine Medienanstalt im konventionellen Sinn.“ Hingegen steht im Kommentar des Handbuchs der deutschen Bundeswehr:

Erhebt man die direkte Einwirkung auf den Kriegswillen der gegnerischen Bevölkerung zum legitimen Ziel militärischer Gewaltanwendung, so kann es im Ergebnis … keine Grenzen der Kriegführung mehr geben.

Was die NATO am „Feindsender“ RTS störte, waren nach einem Bericht von Le Monde Aussagen wie „Wo es Tote gibt, ist die deutsche Armee“, oder „Die Geschichte der Vereinigten Staaten beginnt mit einem Völkermord, dem Völkermord an den Indianern, nun folgt der Völkermord an den Serben. Serbien hat Hitler überlebt und wird auch Clinton überleben.“ Früher erfreuten sich Sendungen aus Belgrad größerer Beliebtheit: Radio Belgrad war seit 1941 der Soldatensender der deutschen Wehrmacht, und beglückte allabendlich mit „Lili Marleen“ ein 6-Millionen-Publikum.

Wiederkehrendes Muster der westlichen Kriegsführung

Am Abend des 24. März 1999 sollte Fulvio Grimaldi, Korrespondent des italienischen RAI-Fernsehkanals, dem Publikum das Märchen von der NATO-Aggression als „humanitäre Intervention“ erzählen. Grimaldi:

Ich wusste, dass das eine falsche Erzählung war… Das war mein letzter Tag beim Staatsfernsehen RAI. Am nächsten Morgen ging ich weg, nahm eine Kamera und ging nach Belgrad und erlebte da etwas, was sich dann immer wieder wiederholt hat: In den ersten Tagen der Bombenangriffe auf Belgrad wurde das serbische Fernsehsystem zerstört. In den ersten Tagen des Angriffs auf Libyen wurde das libysche Fernseh- und Radiosystem zerstört. In den ersten Tagen der Angriffe auf Irak wurde das Fernsehsystem – ich war da im Hotel neben dem Informationsministerium, wo es sich befand – zerstört. Die Sache ist die, dass man die Stimme des Anderen nicht hören darf…

Dies ziele direkt auf die „Heimatfront“ der NATO-Länder: „Die westliche Bevölkerung durfte nur durch die Mainstream-Medien, die ja der Macht gehorchten, informiert werden. Die Tatsache, dass die andere Stimme getötet wurde, zerstört wurde, nicht gehört werden durfte: das ist ein Zeichen, dass es keine Demokratie mehr gab im Westen. Dass alle Demokratien ein Scheinwesen waren.“

Die NATO strebte nicht nur die Lufthoheit für ihre Bomber, sondern mit den Bombern auch die Deutungshoheit über ihren Krieg an. Lehrreich ist die Zerstörung des RTS-Gebäudes noch in mehrfacher Hinsicht. Von ihren Mordopfern abgesehen, war der „Erfolg“ der NATO-Aktion bescheiden: Ganze drei Stunden nur musste RTS sein Programm unterbrechen. Der NATO-Oberkommandierende General Wesley Clark sagte dazu: „Dennoch hielten wir es für einen guten Schritt, und die politische Führung war derselben Meinung.“

Aber nicht diese wurde für das Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen, sondern der Repräsentant der Opfer: der RTS-Direktor Dragoljub Milanović. Sein „Vergehen“: Er habe das Gebäude nicht räumen lassen – obwohl kein Nachweis über einen Evakuierungsbefehl möglich war, aber laut CNN-Nachrichtenchef Jordan „die NATO vor aller Welt ankündigte“, die Studios anzugreifen. Immerhin hatten westliche Anstalten in Belgrad ihre Mitarbeiter vor einem Aufenthalt im RTS-Gebäude gewarnt. Amnesty International gegenüber bestätigten NATO-Funktionäre, es habe keine konkrete Warnung an die jugoslawische Regierung oder RTS gegeben, weil eine solche ihren Piloten gefährdet hätte. Hier sieht Amnesty einen weiteren Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht, demzufolge Angriffen „eine wirksame Warnung vorausgehen muss, es sei denn, die gegebenen Umstände haben dies nicht erlaubt“.

Nach dem vom Westen dirigierten Regime Change im Oktober 2000 kam in Belgrad ein Marionettenregime an die Macht und ließ Milanović zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilen. Er ist die einzige Person, die jemals wegen eines von der NATO begangenen Verbrechens vor Gericht gestellt und bestraft wurde – und zwar als Angehöriger der Opfer-Seite. So erwiesen sich die neu eingesetzten Herrschaften in Belgrad als willige Weißwäscher der NATO-Verbrechen und zuverlässige Stimme ihrer neuen Herren. Wie allerdings die Medien in den NATO-Ländern ihr Publikum in den Krieg hineingelogen haben, ist ein besonderes Kapitel und einer genaueren Betrachtung wert.

Klaus Hartmann ist Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes,
Präsident der Weltunion der Freidenker und
Co-Vorsitzender des Internationalen Komitees Slobodan Milo
šević

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Teil 18 (Erstveröffentlichung auf RT-Deutsch am 18.05.2019)

Medienlügen (3) – Die vierte Waffengattung

von Klaus Hartmann

Um die „Legitimationskrise“ der NATO zu lösen, in der sie nach Auflösung des Ostblocks geraten war, mussten dringend neue Aufgaben gefunden werden. Dazu war der Umbau in ein globales Interventionsbündnis nötig. Westliche Medien unterstützten dieses Manöver bereitwillig.

Um die „Notwendigkeit“ der fortwährenden Existenz der NATO zu beweisen, mussten andere internationale Institutionen der Unfähigkeit überführt werden, den Frieden auf dem Balkan zu sichern. OSZE-Beobachter Heinz Loquai gab dazu drei Monate nach Ende der offenen NATO-Aggression gegen Jugoslawien zu Protokoll: „Mitte Januar [1999] wuchs der Druck in Richtung einer militärischen Lösung aus der NATO, allen voran die USA, rapide. … Außerdem konnte ja ein militärisches Eingreifen der NATO ohne UN-Mandat faktisch einen Anspruch bestätigen, den die USA bisher in den Verhandlungen über eine neue Bündnisstrategie noch nicht durchzusetzen vermocht hatten.“

Die mediale Vorkriegsberichterstattung hatte nach Loquai die „Funktion als Wegbereiter zum Krieg“, „deutsche Tageszeitungen machten sich zu Planierraupen für den Weg in den Luftkrieg gegen Jugoslawien“.

Der Konfliktforscher Kurt Gritsch analysierte die Rolle der Medien in seinem 2016 erschienenen Buch „Krieg um Kosovo.Geschichte, Hintergründe, Folgen“. Er hat die Konfliktberichterstattung von FAZ, Süddeutscher, Zeit, Spiegel und taz im Krisenjahr 1998 bis vor Kriegsbeginn im März 1999 untersucht. Mit dem Ergebnis:

Auffallend war, dass alle fünf untersuchten Zeitungen zu keinem Zeitpunkt deeskalierend berichtet haben, wie dies beispielsweise die UNESCO-Mediendeklaration von 1978 verlangt, sondern stattdessen ein militärisches Eingreifen der NATO forderten. Dazu wurde offenbar sehr gezielt ein jugoslawisch-serbisches Feindbild aufgebaut, indem man an das negative Jugoslawien-Bild aus dem ‚Bosnien-Krieg‘ anknüpfte.

Loquai kommt zum gleichen Befund:

Insgesamt lässt sich feststellen, dass führende deutsche Tageszeitungen gewalttätige Auseinandersetzungen und ihre Folgen dramatisierten. Der Umfang von Kampfhandlungen, die Flüchtlingszahlen, das Ausmaß von Operationen der Sicherheitskräfte wurde zum Teil maßlos übertrieben. Serbische Gewalttätigkeiten wurden aufmerksam registriert, nicht selten überzeichnet, die der Kosovo-Albaner oft ignoriert.

In ihrer Berichterstattung über Račak transportierten Medien nicht nur die teilweise unrichtigen Vorgaben aus der OSZE, sondern sie erzeugten selbst fiktive Tatbestände, die geeignet waren, ein emotionales Feindbild zu schaffen beziehungsweise ein bereits vorhandenes emotional zu festigen. Medien wurden zu Weichenstellern für den Krieg, indem sie ‚Zwangsläufigkeiten‘ konstruierten und den politischen Handlungsspielraum auf die Option Krieg einschränkten.

Zwecks Kriegsvorbereitung: Gezielte Abwertung und Diffamierung der OSZE

Dabei setzen die Wegbereiter zum Krieg laut Loquai gezielt auf die Diffamierung und Abwertung der OSZE. In der als „liberal“ geltenden Süddeutschen Zeitung schwadronierte Peter Münch über „die Leute, die die Toten zählen“: „Dem gefährlichen Einsatz im Kosovo zeigt sich die OSZE bisher nicht gewachsen.“ Er spricht generell von der OSZE als einer „konturlosen Organisation“, der durch den Einsatz im Kosovo „endlich ein klares Profil“ gegeben werden sollte. Die OSZE ist für Münch ein „aufgeblasener Popanz“. Es spreche immer mehr dafür, „dass sie sich dieser Mission nicht gewachsen zeigt – organisatorisch, strukturell und machtpolitisch“.

Die besonders kriegstreiberisch agierende Frankfurter Allgemeine Zeitung befindet selbstverständlich, „die OSZE-Mission müsse als gescheitert angesehen werden“. Ihr Balkan-Korrespondent Mathias Rüb erkennt (aus Budapest), die OSZE müsse „als Handlanger der Serben erscheinen“, und „nach dem Massaker von [Račak] steht die OSZE hilflos mit blutbefleckten Händen da“. Sie werde von den Serben als „Papiertiger“ verhöhnt, „ihr internationales Ansehen nehme allmählich Schaden“.

Ohne Drumherumgerede bringt es die Neue Zürcher Zeitung auf den Punkt: „Eine Lösung könnte nur ein Krieg gegen [Jugoslawiens Präsidenten] Milošević bringen … Gerecht wäre ein Krieg gegen Miloševićs menschenverachtendes Regime, weil die Verbrechen gegen Menschenrechte nur zu zähmen sind, wenn ihr Urheber von der Macht verjagt ist.“

Die Zwischenbilanz von Heinz Loquai:

Medien bauen einen Handlungszwang für die Politik in mehrfacher Weise auf: Die journalistische Ausschmückung eines Verbrechens, die Bestialisierung von Tätern, das Versagen nicht-militärischer Konfliktlösung und die Diffamierung der dafür stehenden Organisation, die Konstruktion einer ‚Keine-Alternative-Situation‘ zur militärischen Intervention, zum Krieg. Diese von den Medien aufgebaute Weichenstellung zum Krieg war eine Wende hin zum Krieg im Kosovo-Konflikt.

Frei erfunden: Jugoslawische Großoffensive im Kosovo

Um den Krieg herbeizureden, wurde eine „Großoffensive jugoslawischer Truppen“ erfunden: „Serbische Großoffensive im Kosovo“ (Die Welt, 23. März 1999), „Serben auf dem Vormarsch“ (FAZ, 23. März 1999), „Eine neue grausame Runde von Kämpfen und Vertreibungen ist nach der Pariser Konferenz in Gang gekommen“ (SZ, 22. März 1999), „Serben starten neue Offensive im Kosovo“ (FR, 22. März 1999), „die Serben rücken mit 40.000 Soldaten und schweren Waffen ein“ (Die Welt, 22. März 1999).

Dagegen die 1.400 OSZE-Beobachter im Kosovo: „Die Lage ist … angespannt, aber ruhig“. Und die Nachrichtendienstler des deutschen Verteidigungsministeriums: „Entgegen Medienberichten ist derzeit weiterhin keine Großoffensive jugoslawischer Sicherheitskräfte in Kosovo erkennbar.“ Zum Beginn des zweiten Irakkrieges im Jahr 2003 urteilte der Bonner Professor Christian Hillgruber über die Wirkung der Medien als Motor der Eskalation zum Krieg:

Die von den Medien geschürte öffentliche Meinung verlangte unerbittlich moralisch begründeten Aktionismus. Sie erhielt, was sie einforderte: blutigen Tribut an eine von den Medien erzeugte öffentliche Meinung.

Ein Höhepunkt bei der Manipulation des Publikums war die Geschichte über „serbische Konzentrationslager“, ausgedrückt in der Überschrift des Berliner Kurier: „Serben-Killer treiben Albaner in KZ-Zonen.“ Selbstzufrieden verteidigte Udo Röbel, Chefredakteur der Bild, die Lügen aus dem Hause Springer – und war ganz stolz, dass diese vom Lügenbaron Rudolf Scharping, Deutschlands damaligen Verteidigungsminister, begierig aufgegriffen wurden:

Ich habe keine Angst, Dinge beim Namen und auf den Punkt zu bringen, wie man es von ‚Bild‘ erwartet. Wenn Sie die Seite ‚Sie treiben sie ins KZ‘ sehen – dieses Bild war so eindrucksvoll, der Treck von Zehntausenden aus Pristina, das sprach eigentlich für sich selbst. Und wenn dann an diesem Tag der Verteidigungsminister von KZs in Serbien oder im Kosovo spricht, dann bekommt es mit diesem Bild und dieser Zeile eine unheimliche Dramatik.

Das Hohelied auf den „europäischen Einigungskrieg“

Der schon erwähnte Kurt Gritsch zitierte 2012 in einem Leserkommentar für den österreichischen Standard Jürgen Todenhöfer: „Jeder hat ein Recht auf eigene Meinung, aber keiner auf eigene Fakten.“ Aber wenn die „eigenen Fakten“ doch einem „höheren Ziel“ dienen?

So sang man in der Zeit dem Außenminister Joschka Fischer im Jahr 2001 Lobgesänge hinterher, aus dem Munde von Matthias Geis: In „den Zeiten des Kosovo-Krieges … herrschte der Schrecken – aus Vertreibung und drohendem Völkermord. Auch damals war militärisches Handeln notwendig, musste durchgesetzt und einer Öffentlichkeit vermittelt werden, deren Zweifel von Woche zu Woche, von Kollateralschaden zu Kollateralschaden wuchsen. Und auch damals war es der Außenminister, der nicht nur die moralische Dimension des Krieges beschwor, sondern ihn zum ‚europäischen Einigungskrieg‘ adelte und in großen Würfen den Balkan nach Europa holte.“ Mit großen Bombenabwürfen, ist man versucht, zu korrigieren.

Jedenfalls ist der „europäische Einigungskrieg“ eine glanzvolle Parodie auf das „Friedensprojekt EU“, von dem im aktuellen Wahlkampf an allen Ecken gesungen wird. Doch der Zeit-Herausgeber Josef Joffe weiß, wofür die Tausenden Toten gut waren, und schwärmt über die rot-grüne Bundesregierung: Bundekanzler Gerhard Schröder und Fischer sei „der Ausbruch aus dem Ghetto außenpolitischer Verantwortungslosigkeit“ gelungen.

Klaus Hartmann ist Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes,
Präsident der Weltunion der Freidenker und
Co-Vorsitzender des Internationalen Komitees Slobodan Milo
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