Frieden - Antifaschismus - Solidarität

20 Jahre seit NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien – Teil 15 und 16

Der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien am 24. März 1999 markierte das Ende des Friedens in Europa, ein Frieden, der seit der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs gehalten hatte, zumindest in Europa. Mit Beiträgen in loser Folge wird RT-Deutsch in den nächsten Wochen die wichtigsten Stationen der NATO-Vorbereitungen auf diesen Krieg in Erinnerung rufen.

Wir veröffentlichen die Teile 15 und 16 hier zusammenhängend.

Übersicht

Bisher veröffentlicht:

Teil 1 – 16.02.2019: Ursachen, Hintergründe, Fake News und False Flag von Rainer Rupp

Teil 2 – 21.02.2019: Deutschlands Rückbesinnung auf unrühmliche Traditionen von Klaus Hartmann

Teil 3 – 25.02.2019: Luftangriffe in Bosnien-Herzegowina als Test für Kosovo von Rainer Rupp

Teil 4 – 01.03.2019:  Falsche-Flagge-Massaker als Vorwand für NATO-Aggression von Rainer Rupp

Teil 5 – 02.03.2019: Warum wurde Milošević zum Hassobjekt des Westens? von Klaus Hartmann

Teil 6 – 04.03.2019: Das „Račak-Massaker“ – Teil des NATO-Drehbuchs (I) von Doris Pumphrey

Teil 7 – 06.03.2019: Das „Račak-Massaker“ – Teil des NATO-Drehbuchs (II) von Doris Pumphrey

Teil 8 – 08.03.2019: Teil des NATO-Drehbuchs – „Massaker von Srebrenica“ (I) von George Pumphrey

Teil 9 – 09.03.2019: Teil des NATO-Drehbuchs – „Massaker von Srebrenica“ (II) von George Pumphrey

Teil 10 – 09.03.2019: Terror-Paten und die letzte Chance von Klaus Hartmann

Teil 11 – 20.03.2019: Der Countdown läuft – Die letzten Tage vor dem Angriff von Rainer Rupp

Teil 12 – 21.03.2019: Lügen, bis sich der Balkan biegt von Klaus Hartmann

Teil 13 – 22.03.2019: Momentaufnahme zwei Tage vor dem Angriff von Rainer Ruppp

Teil 14 – 24.03.2019: Kriegsverbrechen und Kriegslügen von Ralph Hartmann

Neu auf dieser Seite:

Teil 15 – 02.04.2019: Scharping & Co. als Münchhausen 2.0 von Klaus Hartmann

Teil 16 – 18.04.2019: Medienlügen (1) – Zum Tod von Mira Marković von Klaus Hartmann


Teil 15 (Erstveröffentlichung auf RT Deutsch am 02.04.2019)

Scharping & Co. als Münchhausen 2.0

von Klaus Hartmann

Nach zwei Überfällen Deutschlands auf Jugoslawien, musste der dritte Versuch gegenüber der eigenen Bevölkerung gründlich vorbereitet werden. Ohne moralisierende Begründung ging da gar nichts. Also musste als Kriegs-Zweck-Lüge ein „Faschismus“ her, der zu bekämpfen sei.

Unterhalb der Latte von einem „Faschismus“, den es dort zu bekämpfen gälte, ging da gar nichts. Am besten also – den Spieß umdrehen und die Geschichte auf den Kopf stellen: unsere dunkle (deutsche) Vergangenheit verpflichte uns geradezu – wieder Krieg zu führen. Klingt absurd, lief aber genauso ab.

Die NATO-Aggression war auch ein Musterbeispiel dafür, wie die Bevölkerung in einen Krieg hineingelogen wird. Das deutsche Regierungspersonal gab für den NATO-Krieg das Letzte. Außenminister Joseph Fischer verkaufte den Krieg unter der Losung „Nie wieder Auschwitz!“. Deutsche Widerstandskämpfer, unter ihnen Esther Bejarano, Kurt Goldstein und Peter Gingold, wehrten sich in Zeitungsanzeigen gegen Fischers „neue Auschwitzlüge“:

Wir Überlebenden von Auschwitz und anderen Massenvernichtungslagern verurteilen den Missbrauch, den Sie und andere Politiker mit den Toten von Auschwitz, mit dem von Hitlerfaschisten im Namen der deutschen Herrenmenschen vorbereiteten und begangenen Völkermord an Juden, Sinti und Roma und Slawen betreiben. Was Sie tun, ist eine aus Argumentationsnot für Ihre verhängnisvolle Politik geborene Verharmlosung des in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen Verbrechens. Weltfrieden und internationale Sicherheit werden jetzt gefährdet, indem gegen ein Gründungsmitglied der UNO Krieg geführt wird, Krieg von deutschem Boden aus. […] Sich als Begründung für einen solchen Krieg auf Auschwitz zu berufen, ist infam.

Der frühere CIA-Agent Robert Baer kommentiert:Als deutscher Politiker hätte er eigentlich über ein gewisses historisches Gespür verfügen sollen bezüglich solcher unsachlichen Vergleiche.“ Fischer aber machte weiter auf „Antifaschist“ und nannte die Kriegsgegner „Weißwäscher eines neuen Faschismus“.

Bundeswehrgeneral Heinz Loquai, für die OSZE in Jugoslawien unterwegs, analysierte: „Die deutsche Politik hat den Krieg gegen Jugoslawien damit gerechtfertigt, die NATO habe gegen einen an den Kosovo-Albanern sich vollziehenden Völkermord bzw. eine humanitäre Katastrophe eingreifen müssen. Die meisten Medien transportierten bzw. verstärkten diese Botschaft. Sie hat sich heute verfestigt.“ Er verweist auf „Die Zeit“‘: „angesichts eines drohenden Genozids im Kosovo“ habe es sich‚ „bei Lichte besehen“ um „einen moralisch legitimierten Krieg“ gehandelt, an gleicher Stelle ist von „völkermörderischem Gemetzel“ und „akutem Genozid“ die Rede. Olaf Scholz, damals Generalsekretär der SPD behauptet, mit dem Militäreinsatz der Bundeswehr habe Deutschland bei der „Bekämpfung von Völkermord“ geholfen.

Ludger Volmer, Staatssekretär im Auswärtigen Amt: „Alle Analysen deckten sich in dem Befund, daß ohne Reaktion die Serben glauben würden, sie hätten nun freie Bahn für ihre Vertreibungs- und Vernichtungspolitik.“ Alle Analysen? Keineswegs – Heinz Loquai lobt in seinem Buch „Der Kosovo-Konflikt – Wege in einen vermeidbaren Krieg“ die „exzellenten Berichte der deutschen Botschaft in Belgrad“, doch Volmer hielt sie lieber unter Verschluss: „Die Bitte, einige Berichte auszugsweise für diese Studie zitieren zu dürfen, wurde vom Auswärtigen Amt abschlägig beschieden. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Ludger Volmer, begründete dies wie folgt: ‚Die Berichterstattung der Botschaft Belgrad zum Thema Kosovo stellt immer noch eine politisch sensitive Materie dar, deren Veröffentlichung unerwünschte politische Auswirkungen haben könnte‘.“

Unerwünschte Auswirkungen? Die nannte man früher „Wehrkraftzersetzung“ und „Defätismus“. Die arbeiten dem Feind in die Hände und können daher nicht geduldet werden, früher nicht, und 1999 auch nicht: Loquai wurde wegen seiner Kritik an der deutschen Kriegsbeteiligung von Scharping abberufen, obwohl sich die OSZE für sein Verbleiben eingesetzt hatte.

Eine zentrale Rolle auf dem mit Lügen gepflasterten Weg in den Krieg spielte Kriegsminister Scharpings Behauptung, „dass schon im Dezember 1998 eine systematische Säuberung des Kosovo und die Vertreibung der Kosovo-Albaner geplant waren…“. Als „Beweis“ präsentierte er Anfang April 1999 auf einer Pressekonferenz den sogenannten „Hufeisenplan“: Auf einer Landkarte wurden Stellungen serbischer Sicherheitskräfte so miteinander verbunden, dass die Linie die Form eines Hufeisens beschrieb, womit die „Stoßrichtung“ gegen die Bevölkerung „bewiesen“ sein sollte. Allerdings bewies das „Dokument“ zunächst etwas anderes, nämlich die schlechten Sprachkenntnisse der Verfasser.

Der Bundeswehr-Generalinspekteur von Kirchbach behauptete, dass der Plan „Potkova“ heiße, was serbisch „Hufeisen“ bedeuten würde. Leider falsch: So bezeichnet man ein Hufeisen auf Kroatisch, in Bulgarien würde es „Podkova“ heißen, auf Serbisch hingegen „Podkovica“. Aber das merkten die Plan-Erfinder dämlicherweise nicht. Denn nach der dank Deutschland erfolgreichen Sezession Kroatiens wurde auch die bisher geltende gemeinsame Sprache „serbokroatisch“ getilgt und die regionalen Dialekte zu eigenständigen „Sprachen“ aufgeblasen. In Deutschland galt fortan „kroatisch“ als „die Balkansprache“, und so sind die deutschen „Generalplaner“ eben mal Opfer ihres eigenen antiserbischen Chauvinismus geworden.

Der „Hufeisenplan“ sollte angeblich vom serbischen Generalstab stammen, tatsächlich hat ihn Scharping aus Fischers Außenministerium, und dem wurde er in Sofia vom bulgarischen Geheimdienst zugespielt, wie der „Spiegel“ Anfang 2000 offenbarte. Die bulgarische Regierung drängte auf NATO-Mitgliedschaft – und war offenbar daher um Gefälligkeiten bemüht. Der Öffentlichkeit vorgezeigt wurde der „Plan“ naheliegenderweise nie – man musste eben fest an ihn glauben. Manche Richter urteilten eher „ungläubig“ – so das Oberverwaltungsgericht Münster am 24. Februar 1999: „Für ein geheimes Programm oder einen auf serbischer Seite vorhandenen stillschweigenden Konsens, das albanische Volk zu vernichten, zu vertreiben oder sonst in der vorstehend beschriebenen extremen Weise zu verfolgen, liegen keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte vor“.

Heinz Loquai: „Ich kann nur sagen, dass der Verteidigungsminister bei dem, was er über den Hufeisenplan sagt, nicht die Wahrheit sagt.“ Scharping besteht aber darauf: „Die militärischen Aktivitäten der NATO dienen einem politischen Ziel, nämlich die Abwendung einer humanitären Katastrophe beziehungsweise die Verhinderung ihres weiteren Anwachsens.“ Ganz anders der Lagebericht der OSZE-Mission vom 17. März 1999, also eine Woche vor Kriegsbeginn, in dem es hieß: „Es gibt zur Zeit keine so genannte humanitäre Katastrophe, und eine solche ist auch nicht zu erwarten, wenn die Hilfsmaßnahmen fortgesetzt werden.“

Und die Erwiderung Loquais: „Zur Rechtfertigung des Krieges gegen Jugoslawien behaupteten deutsche Politiker, schon Mitte März 1999 hätten jugoslawische Truppen eine Großoffensive im Kosovo begonnen. Auch die Medien berichteten einige Tage vor Beginn des Krieges darüber. Welche Lage herrschte nun tatsächlich wenige Tage vor Kriegsbeginn im Kosovo? Die OSZE, die mit ca. 1.400 internationalen Beobachtern vor Ort in der Provinz war, fasste ihre Erkenntnisse für den 17. und 18. März 1999 wie folgt zusammengefasst: ‚Die Lage ist über die ganze Provinz hinweg angespannt, aber ruhig.‘ Von einer jugoslawischen Großoffensive hatten offenbar auch die Nachrichtenexperten des deutschen Verteidigungsministeriums nichts bemerkt. Am 22. März, also zwei Tage vor Beginn des Luftkrieges gegen Jugoslawien, stellen die Nachrichtenexperten u.a. fest: ‚Entgegen Medienberichten sei derzeit weiterhin keine Großoffensive jugoslawischer Sicherheitskräfte in Kosovo erkennbar‘.“

Der Film von Jo Angerer und Mathias Werth „Es begann mit einer Lüge“, ausgestrahlt am 8. Februar 2001 in der ARD, trägt den Untertitel „Wie die Nato im Krieg um Kosovo Tatsachen verfälschte und Fakten erfand“. Darin wird Scharping (vom 27. März 1999) zitiert: „Wir wären ja auch niemals zu militärischen Maßnahmen geschritten, wenn es nicht diese humanitäre Katastrophe im Kosovo gäbe mit 250.000 Flüchtlingen innerhalb des Kosovo, weit über 400.000 Flüchtlingen insgesamt, und einer zurzeit nicht zählbaren Zahl von Toten.“

Loquai setzt den Legenden entgegen: „Faktum ist, dass in keinem der Berichte der OSZE oder der Experten des militärischen Nachrichtenwesens von einer derartigen Situation die Rede ist. Noch am 22. März 1999, d. h. zwei Tage vor Kriegsbeginn, heißt es in einer Lageanalyse des Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr: „Tendenzen zu ethnischen Säuberungen sind weiterhin nicht zu erkennen.“ Drei Tage vorher hatte das Auswärtige Amt festgestellt: „Von Flucht, Vertreibung und Zerstörung im Kosovo sind alle dort lebenden Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betroffen.“

Die Friedensforscher Prof. Dr. Dieter Lutz und Dr. Reinhard Mutz vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg stellen zur NATO-Unterstützung für die albanische UÇK fest: „Die NATO aber hat sich… im Kosovo-Konflikt sehenden Auges zum Instrument einer auch mit den Mitteln von Terror und Mord nach Unabhängigkeit und Macht strebenden UÇK gemacht, zumindest aber machen lassen.“ Und sie nennen die Stichworte „Massaker von Rogova“, „Massaker von Račak“, „KZ von Pristina“ oder auch den „Hufeisenplan“ als Beispiele für die gezielte Täuschung der Bevölkerung in Deutschland.

In „Es begann mit einer Lüge“ heißt es: „Bilder von Massengräbern zum Beispiel standen der NATO nicht zur Verfügung.“ Was tun? Die „Panorama“-Sendung vom 18. Mai 2000 zitiert aus Scharpings „Kriegstagebuch“: „Es ist abscheulich. Diese Lumpen und Verbrecher bringen wahllos Menschen um, rauben ihre Opfer aus, vertreiben sie oder vergewaltigen die Frauen. Umso unverantwortlicher, dass einige öffentlich immer wieder einen Stopp oder eine Pause der Luftangriffe fordern.“ Zum „Beweis“ zeigt er Bilder von einem „Massaker“ von Rugovo, Ende Januar 1999: 23 Tote Albaner, nebeneinander: „Auf dem Flug zum NATO-Gipfel in Washington hatten mir Mitarbeiter die Bilder von getöteten Kosovo-Albanern gezeigt. Beim Anschauen der Fotos Übelkeit. Ist Entsetzen steigerbar? Später bitte ich meine Mitarbeiter, die Bilder für eine der Pressekonferenzen vorzubereiten. (…) Wir haben sehr gut recherchiert und uns Bildmaterial besorgt, das OSZE-Mitarbeiter am Morgen gemacht haben zwischen sieben und acht Uhr.“

„Panorama“ weiter: „Fernsehbilder von genau diesem Morgen. Tatsächlich: ein OSZE-Mann, mit grüner Jacke, Henning Hensch, ein deutscher Polizeibeamter, erster internationaler Ermittler vor Ort.“ Doch der Fotograf widerspricht dem Kriegsminister: „Es war nicht so. Die Leichen haben da zwar gelegen, aber sie sind dort hingebracht worden von den serbischen Sicherheitsbehörden, nachdem die eigentliche Tatortaufnahme – und das hängt wieder zusammen mit diesem Ermittlungsrichter – abgeschlossen war, nachdem beschlossen war: wir bringen die Leichen jetzt weg.“ „Der Beweis durch Fernsehbilder: Zuerst liegen die Leichen verteilt im Ort, wie nach einem Gefecht. Keine Zivilisten, sondern UÇK-Kämpfer. Nach diesen Aufnahmen dann werden die Leichen zusammengetragen und fotografiert. Und genau diese Fotos hält Minister Scharping für Beweise eines Massakers.“ Loquai: „Also zu einem Massaker hat es eigentlich der deutsche Verteidigungsminister dann interpretiert.“

Im Mai 1999 wusste Scharping, „dass im Dorf Izbica bis zu 200 Personen ermordet und die Leichen verscharrt worden sein sollten … Bald darauf hatten wir Bilder zur Verfügung, die eindeutig frische Grabfelder in Izbica und auch im Nachbarort Krasnika zeigten.“ Nach Kriegsende fanden UN-Ermittler an den bezeichneten Orten – keine Leichen. Scharpings kongenialer Partner, der NATO-Sprecher Jamie Shea, wusste von „einem der größten Massengräber im Kosovo“ in Ljubenić bei Peć. Dort hätten serbische Streitkräfte in aller Eile 350 Leichen vergraben. UN-Ermittler inspizierten den Ort und fanden sieben Leichen. Die UÇK-Propaganda behauptete, dass in einem riesigen Massengrab in der Trepča-Mine 6.000 Kosovo-Albaner ihr Leben verloren hätten. Nach dem Krieg fanden UN-Ermittler nicht die Spur eines einzigen Opfers. Angeblich massakrierte kosovo-albanische Intellektuelle traten 14 Tage nach ihrem vermeintlichen Lebensende quicklebendig in Berlin bei einer Pressekonferenz auf.

Zwecklügen für die Rechtfertigung des Krieges, Kriegszweck-Lügen ohne Zahl. Scharping, der es darin zur traurigen Meisterschaft brachte, wurde dafür mit dem Schmähtitel „der irre Rudi vom serbischen Fötengrill“ verspottet. Hintergrund ist seine abenteuerliche Schilderung am 22. April 1999 im deutschen Fernsehen, dass „ermordeten Schwangeren der Bauch aufgeschlitzt wird und der Fötus erst gegrillt und dann in den Bauch zurückgelegt wird.“ Die Serben hätten „mit abgeschlagenen Köpfen von Kindern Fußball gespielt“, und dann fantasierte Scharping auch von einem „Konzentrationslager in Pristina“.

Im erwähnten Film „Es begann mit einer Lüge“ heißt es: „Pristina, die Hauptstadt des Kosovo, war Schauplatz einer perfiden Propagandageschichte: Im Mittelpunkt stand das Fußballstadion.“ Scharping (am 28. März 1999): „Wenn ich höre, dass im Norden von Pristina ein Konzentrationslager eingerichtet wird …“ Und damit es niemand überhört: „Ich sage bewusst KZ“. Davon fanden weder Aufklärungsdrohnen eine Spur noch der im Filmbeitrag befragte kosovo-albanische Politiker Shaban Kelmendi, der von seinem Haus direkt auf dieses Stadion blicken konnte, und „keinen einzigen Gefangenen oder eine Geisel“ gesehen hat.

General a. D. Heinz Loquai, OSZE-Beobachter zu dieser Scharping-Erfindung: „Hier muss ich mich wirklich beherrschen, weil der Vergleich mit Auschwitz und der Situation im Kosovo eine ungeheuerliche Behauptung ist. Man muss sich als Deutscher schämen, dass deutsche Minister so etwas getan haben, denn ein normaler Mensch, ein normaler Deutscher, wird vor Gericht zitiert, wenn er in derartigem Ausmaße Auschwitz verharmlost. Und dass ein deutscher Minister von KZs im Kosovo sprach, ist auf der gleichen Linie … ich finde es im Grunde genommen ungeheuerlich, dass gerade Deutsche diese Vergleiche gewählt haben.“

Abschließend muss der Autor dieses Beitrags einräumen, dass die in der Überschrift (Münchhausen 2.0) gezogene Parallele zu Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen nicht ganz passend ist. Erstens war der historische „Lügenbaron“ ein echter Adliger, während Scharping lediglich mit Kristina Gräfin Pilati von Thassul zu Daxberg in einem Pool plantschte, was „schöne“ Bilder für die Klatschpresse hergab; diese Bilder des „Turtelpaares“ waren dann allemal ein größerer „Aufreger“ als Scharpings Lügen und der verfassungswidrige Krieg. Als verbindend könnte man sehen, dass auch Münchhausen im Krieg war, doch während Scharping kämpfen ließ, kämpfte der Baron selbst, wurde Leutnant und Rittmeister. Scharpings Krieg ging gegen einen Verbündeten Russlands, Münchhausen kämpfte im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg und im Russisch-Schwedischen Krieg auf der russischen Seite. Aber die Hauptsache: Baron Münchhausen hatte bei seinen Lügen keine Menschen auf dem Gewissen, „unsere“ heutigen Lügner hingegen Tausende.

Klaus Hartmann ist Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes,
Präsident der Weltunion der Freidenker und
Co-Vorsitzender des Internationalen Komitees Slobodan Milo
šević

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Teil 16 (Erstveröffentlichung auf RT-Deutsch am 18.04.2019)

Medienlügen (1) – Zum Tod von Mira Marković

von Klaus Hartmann

Am 14. April 2019 starb Prof. Dr. Mirjana Marković im russischen Exil. Sie war die Witwe des jugoslawischen und serbischen Präsidenten Slobodan Milošević. Ihr Tod war für jene, die sich ohne Scham „Qualitätsmedien“ nennen, willkommener Anlass für den Blick in ihre Archive.

In diesen Archiven fanden sie ihre eigenen Feinbildprodukte, mit denen sie vor 20, 30 Jahren das Publikum auf die NATO-Aggression gegen Jugoslawien vorbereitet hatten.

Die Stoßrichtung der psychologischen Kriegsvorbereitung ging damals gegen die Serben, wobei umstandslos an die bekannte rassistische Losung vom „slawischen Untermenschen“ angeknüpft werden konnte. Ein Land ohne Regierung, aber mit einem „Regime“, und statt eines gewählten Präsidenten mit einem „Diktator“ an der Spitze. Über die Methoden und die Gründe, Slobodan Milošević zur Hassfigur, zum Inbegriff des Bösen aufzubauen, wurde hier schon berichtet. Aber es geht noch eine Drehung gehässiger: Dahinter steht meist – und in diesem Fall tatsächlich – eine starke Frau.

Im Kriegsvorbereitungskontext legt „starke Frau“ natürlich nahe, dass sie als Einflüsterin ihres Mannes seine Entscheidungen beeinflusste. „Sie zog als kommunistische Universitätsprofessorin in kritischen Momenten seiner Karriere die Fäden im Hintergrund“, erfährt man in der Neuen Zürcher Zeitung. So erinnert man sich von der Nachrichtenagentur AFP bis zur New York Times wieder des Ehrentitels „Lady Macbeth des Balkans“, sie sei „die treibende Kraft hinter dem Aufstieg Miloševićs“ gewesen, und „die ehrgeizige Frau ging mit Härte auch gegen politische Gegner vor“.

Die Sprecherin von euronews kann zwar weder den Vornamen Mirjana noch den Nachnamen Milošević unfallfrei aussprechen, verkündet aber gelassen, „er gilt als Hauptverantwortlicher der Balkankriege.“ Die New York Times spricht von einem „Paar an der Macht“, das „in Serbien Chaos angerichtet habe“. Slobodan Milošević, Präsident Jugoslawiens, wollte das Land vor der Zerstörung durch westgesponserte Separatisten bewahren, die US-Zeitung macht daraus, er habe das Land „in katastrophale Kriege in Kroatien, Bosnien und im Kosovo geführt“ – was man dem US-Publikum mit seinen bekannten Geografie-Kenntnissen vielleicht glaubhaft machen kann.

Noch bunter treibt es der Spiegel mit dem Urteil: „Sie galt als große Stütze des einstigen serbischen Machthabers und Kriegsverbrechers Slobodan Milošević.“ Da hat sich wohl klammheimlich der Claas Relotius wieder in der Redaktion eingeschlichen. Während „der Machthaber“ bei Kriegspropagandisten ja zum normalen Hetz-Wortschatz gehört, wird es beim „Kriegsverbrecher“ kritisch: Milošević gehört zwar international zu den vielgescholtensten Männern, aber juristisch ist er unbescholten. Der Spiegel verdächtigt ihn öffentlich einer rechtswidrigen Tat, was de facto einen Verstoß gegen § 164 Strafgesetzbuch darstellt, und – lebten wir in einem Rechtsstaat – „mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ werden müsste.

Für den deutschen Regierungspropagandasender Deutsche Welle war Mira Marković eine „umstrittene Ideologin“, doch nicht nur das: “ Milošević und Marković werden viele unaufgeklärte politische Morde ebenso angelastet“. Das war’s aber schon, jedoch – mit der Namensgebung einer „Lady Macbeth“ als Inkarnation des Perversen und Bösen wird ja schon die Verwicklung in politische Morde in nicht justiziabler Form suggeriert. Dazu machen Räuberpistolen über Auftragsmorde an einem oppositionellen Journalisten und Miloševićs Amtsvorgänger Ivan Stambolić die Runde. Wer Genaueres wissen will, stößt auf den Hinweis, dass „sie seit 2003 in Russland lebte“, ebenso auf einen Interpol-Haftbefehl, den die neue NATO-fromme serbische Regierung in just jenem Jahr beantragt hatte.

Doch bevor jetzt die Fantasie mit der geneigten Leserschaft durchgeht, sei zur Aufklärung gesagt: Dieser Internationale Haftbefehl stützt sich ausschließlich auf eine einzige Anklage, die gerne „Manipulation mit staatlichen Immobilien“ genannt wird, konkret aber lediglich die Vergabe einer staatlichen Wohnung an das Kindermädchen ihres Enkels zum Gegenstand hatte – wenn auch an der „Warteliste“ vorbei. Die Faktenlage war offenbar höchst kompliziert, weshalb das zuständige Belgrader Gericht über 15 Jahre für ein Urteil brauchte. 2018 lautete der Schuldspruch auf ein Jahr Gefängnis, leider war die „Tat“ da schon verjährt; weshalb das Berufungsgericht im März 2019 das Urteil aufgehoben hat. Zu der angeordneten Neuverhandlung wird es wohl nicht mehr kommen. Zu den Vorwürfen der Involvierung in Mordanschläge auf ihre politischen Gegner stellt der Wiener Standard klar: „Eine Klage gegen Marković war in diesem Zusammenhang allerdings nie erhoben worden.“ Bleibt eine Wohnung für das Kindermädchen des Enkels – ein veritables Kapitalverbrechen.

Im Standard konnte man 2003 lesen, Milošević sei „der skrupellose Demagoge“, während Marković „der ‚chinesische Weg‘ politisch faszinierte“ und sie „ihre eigene radikalkommunistische Partei gründete“. Als Titel wurden ihr bei dieser Gelegenheit noch „Die schwarze Frau hinter Milošević“, „Rote Hexe“ und „Frau Rasputin“ verliehen. Zumindest die „Rote Hexe“ betrachtete sie eher als Auszeichnung, was auch in den Gesprächen zum Ausdruck kommt, die sie 2002 bis Anfang 2003 mit dem Korrespondenten Giuseppe Zaccaria der italienischen La Stampa führte, und die er in dem Buch „Erinnerungen einer ‚Roten Hexe‘“ (Verona und Frankfurt am Main 2005, Zambon-Verlag) veröffentlicht hat. Peter Handke kommentierte: „Ein Buch mit solcher Sachkenntnis, solchem Wirkenlassen der Probleme ohne viel persönliche Besserwisserei, ist in Deutschland, vor allem was die ’seriösen Medien‘ (die sich selber so bezeichnen) betrifft, undenkbar geworden.“

Zu ihrem in der Öffentlichkeit kolportierten Bild gab sie zu Protokoll: „Wenn mich jemand provoziert, werde ich zur wütenden Kämpferin. Ein denkender Mensch muss zu jeder Zeit klar und deutlich sagen können, was er für richtig und wichtig hält. Wahrscheinlich haben viele Journalisten, indem sie sich mit dem Lebensstil und der Frisur der interviewten politischen Persönlichkeit oder mit der Art, in der dieser oder jener Rock getragen wurde, aufhielten, nichts anderes getan, als auf neue Weise die alte balkanische Intoleranz gegenüber den Frauen auszudrücken; das Vorurteil, demzufolge einer Person weiblichen Geschlechts nur in zwei Fällen zusteht, am politischen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Sie muss entweder vollkommen unbedeutend in Erscheinung treten, oder so mit männlichen Hormonen ausgestattet sein, dass sie wirklich einem Mann ähnelt.

Mira unterstrich, dass sie als erklärte Kommunistin auftrat und das keinesfalls bereute: „Ich vertrat in der Öffentlichkeit die Ansicht, dass angesichts der Aggressivität der radikalen rechten Parteien die Toleranz der Kommunisten und ihr fortwährendes Üben von Selbstkritik als Zeichen für Minderwertigkeit und Schwäche angesehen würden und dass sie auf diese Weise in der Politik nicht lange überleben könnten. Wenigen war bewusst, dass im Osten nach dem Zerfall der Sowjetunion kein Volk automatisch reich und glücklich geworden war, nur weil es die Regeln des primitiven Kapitalismus angewandt hatte.

Der Autor dieses Beitrags erinnert sich gerne und dankbar an seine eigenen Begegnungen mit Mira und den Gedankenaustausch. Es bestand nie ein Zweifel, dass sie eine starke Persönlichkeit war, die allen Widrigkeiten zum Trotz ihren kommunistischen Idealen und Überzeugungen treu war, und die insbesondere jeden Rassismus und nationalen Chauvinismus zutiefst verabscheute und bekämpfte. Im Grunde genommen spiegelt sich, unbeabsichtigt von den Autoren, genau diese Tatsache in der als Diffamierung gedachten Bezeichnung der „Roten Hexe“. Doch eine allein auf ihre politischen Anschauungen abstellende Auseinandersetzung wäre für die Irreführung der Öffentlichkeit nicht dienlich gewesen, weswegen ein anschaulicheres Gespenst erschaffen werden musste, als Teil der antiserbischen Mobilmachung.

Klaus Hartmann ist Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes,
Präsident der Weltunion der Freidenker und
Co-Vorsitzender des Internationalen Komitees Slobodan Milo
šević

 

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