Frieden - Antifaschismus - Solidarität

20 Jahre seit NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien – Teil 1 und 2

Der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien am 24. März 1999 markierte das Ende des Friedens in Europa, ein Frieden, der seit der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs gehalten hatte, zumindest in Europa. Mit Beiträgen in loser Folge wird RT-Deutsch in den nächsten Wochen die wichtigsten Stationen der NATO-Vorbereitungen auf diesen Krieg in Erinnerung rufen.

Wir veröffentlichen die ersten beiden Teile hier zusammenhängend.

Übersicht

Teil 1 – 16.02.2019: Ursachen, Hintergründe, Fake News und False Flag von Rainer Rupp

Teil 2 – 21.02.2019: Deutschlands Rückbesinnung auf unrühmliche Traditionen von Klaus Hartmann


Teil 1 (Erstveröffentlichung auf RT-Deutsch am 16.02.2019)

Ursachen, Hintergründe, Fake News und False Flag

von Rainer Rupp

Unter der Maske einer „humanitären Intervention“, die mit „Fake News“ und „falschen Flaggen“ gerechtfertigt wurde, führte der „Wertewesten“ nach alter Art Krieg für wirtschaftliche, geopolitische und -strategische Vorteile. Dem Krieg gegen Jugoslawien sollten in den nachfolgenden zwei Jahrzehnten viele weitere unprovozierte, vollkommen illegale Angriffskriege folgen, die alle nach dem gleichen Muster gestrickt waren. Mit ihnen versuchte die US-geführte Angriffsgemeinschaft, anfangs mit Erfolg, der ganzen Welt den Stempel ihrer „liberalen Ordnung“ aufzudrücken.

Der 24. März 1999 war der Tag, an dem NATO-Bomber ihren ersten Angriff gegen Belgrad flogen, gegen die Hauptstadt Serbiens, das damals noch eine Teilrepublik von Rumpf-Jugoslawien war. Und ein UNO-Mandat für den Angriff hatte die NATO nicht. Es gab auch keinen anderen Grund, der irgendwie den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags ausgelöst hätte. Laut offiziellen Erklärungen aus den Hauptstädten der NATO-Länder wurde Serbien aus humanitären Gründen zerbombt, um den Menschen dort „Demokratie, Menschenrechte und freie Marktwirtschaft“ zu bringen. Da bei dem NATO-Bombenterror auf Zivilisten keine Rücksicht genommen wurde, mussten Tausende unschuldige Menschen sterben, darunter viele Kinder. Für diese Todesopfer prägte der damalige, stets in die Kamera grinsende NATO-Sprecher Jamie Shea den verharmlosenden Begriff des Kollateralschadens. Mit anderen Worten, die Tausende von Toten und Zigtausende von verwundeten Zivilsten in Serbien waren die leider unvermeidbaren Opfern dieser NATO-Lektion in Humanismus.

Der Grund für den NATO-Angriff hatte mit Humanität und Demokratie ebenso wenig zu tun wie die späteren US/NATO-Kriege in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien, etc. Der wahre Grund war, dass Rumpf-Jugoslawien unter Führung seines Präsidenten Slobodan Milošević sich nicht dem Diktat der neoliberalen Un-Wertegemeinschaft des Westens unterwerfen wollte. Und damit war es ein Dorn im Fleisch der westlichen „Neuordnung“ Osteuropas, die nach dem Ende des Kalten Krieges von den USA und der EU mit imperialer Überheblichkeit und im Stil eines neuen Kolonialismus betriebenen wurde.

Tatsächlich hatte sich nach der Selbstauflösung der Sowjetunion 1991 eine heiße Konkurrenz zwischen den USA und den Staaten der Europäischen Union um Einfluss und Investitionsmöglichkeiten in den ehemals realsozialistischen Staaten Osteuropas entwickelt. Ökonomisch ging es Brüssel und Washington hauptsächlich darum, die Filetstücke der osteuropäischen Wirtschaft und Forschung aus den Zwängen des Volkseigentums zu befreien und für die Westkonzerne zu privatisieren. Vor lauter Futterneid kamen sich die europäischen und amerikanischen Geier dabei heftig in die Quere.

Das ging so weit, dass ein Emissär von US-Präsident Bill Clinton nach Brüssel kam, um zuerst im NATO-Hauptquartier (der Autor dieser Zeilen war damals dort dabei) und anschließend in der nur vier Kilometer entfernten EU-Kommission die Europäer zu warnen, dass die nur ja nicht glauben sollten, sie könnten Osteuropa wie ihren Hinterhof behandeln und die USA von der „Neuordnung“ der Region ausschließen. Aber mit dem Besuch des Clinton-Emissärs in Brüssel waren die Spannungen nicht verflogen.

Misstrauisch beäugten sich die transatlantischen Verbündeten bei ihren Aktivitäten im Osten und wetteiferten miteinander, den Osteuropäern möglichst erster die Segnungen des sogenannten „freien Marktes und der liberalen Ordnung“ zu bringen, einschließlich der erschreckenden Folgen wie nie dagewesener Kinderarmut, Billiglöhnen, Abschaffung des sozialen Netzes, Verlotterung der Bildungsapparats, Zusammenbruch der medizinischen Versorgung, einschließlich katastrophaler Arbeitslosigkeit und durch Armut erzwungener Massenemigration. Bulgarien hat inzwischen 20 Prozent seiner Bevölkerung verloren; zählt man nur die Gruppe der 20- bis 40-Jährigen, dann sind es mehr als 40 Prozent, die ins EU-Ausland gegangen sind.

Nur in einem bedeutenden osteuropäischen Land wollte die Regierung mit dem arbeiterfeindlichen West-Export der „liberalen Ordnung“ partout nichts zu tun haben. Stur pochte die Führung in Belgrad auf ihre nationale Souveränität. Engstirnig beharrten die unverbesserlichen Betonköpfe dort auf ihrem immer noch funktionierenden sozialistischen Wirtschaftsmodell. Für den liberalen Wertewesten war allein die Fortexistenz dieses Jugoslawiens mit seinem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević eine nicht länger hinnehmbare Provokation geworden. Jugoslawien erwies sich als giftiger sozialistischer Dorn im Fleisch der wirtschaftsliberalen Neuordnung Osteuropas.

Bei der Aufgabe, den „vergifteten Dorn“ zu neutralisieren, hat sich dann in den Jahren nach 1991 vor allem das wiedervereinigte Großdeutschland hervorgetan. Lange vor allen anderen NATO- und EU-Staaten hatte die deutsche Bundesregierung mit der Unterstützung nationalistischer Separatistenbewegungen in den jugoslawischen Teilrepubliken begonnen. Daraus entstanden die ersten zwei Sezessionskriege auf dem Balkan, zuerst ein kurzer in Slowenien, dem ein heftiger, längerer in Kroatien folgte. Daraus gingen die beiden Länder als Sieger hervor, vor allem dank deutscher militärischer und finanzieller Hilfe.

Die europäischen NATO-Länder und EU-Partner Deutschlands, vor allem aber die USA, hatten diesem unerwarteten Vorpreschen Deutschlands in militärische Abenteuer auf dem Balkan zuerst mit Befremdung und Ablehnung zugesehen. Für einige Monate ging in den Hauptstädten der NATO-Verbündeten die Angst um, dass nach der Einvernahme der DDR die großdeutsche Ideologie und deutsche Alleingänge in Berlin wieder fröhliche Urstände feiern würden. Diese Angst legte sich erst nach einer intensiven, diplomatischen Offensive Berlins, in deren Folge die EU-Staaten schließlich bereit waren, die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens anzuerkennen.

Einige Monate nach den EU-Staaten folgten dann die USA mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens. Das markierte einen folgenschweren Wendepunkt für den weiteren Verlauf der sogenannten „Balkankrise“, denn es machte den Weg frei für die direkte Einmischung Washingtons und für die daraus folgende gewaltsame Zerschlagung Restjugoslawiens mit Bomben und Granaten.

Im weiteren Verlauf der Balkan-Tragödie verfolgten die Europäer und die USA vordergründig dasselbe Etappenziel, nämlich die weitere Zerstückelung Restjugoslawiens und die Integration der Einzelteile in ihre „liberale Weltordnung“. Dennoch zog die transatlantische Gemeinschaft nicht am selben Strang. Denn das sicherheitspolitische Establishment in Washington hatte plötzlich einen Weg entdeckt, wie man mithilfe der Balkankrise die inzwischen weithin als abgehalftert angesehene NATO wieder zur wichtigsten sicherheitspolitischen Organisation Europas machen könnte. Für Washington war diese von außerordentlicher Bedeutung, denn nur über die NATO, die von den USA beherrscht wurde, hatte Washington in der Vergangenheit maßgeblich die militärischen, politischen und wirtschaftlichen Geschicke in den Staaten Westeuropas steuern können. Ohne die NATO hätten die Amerikaner in Europa nichts mehr zu sagen.

Der Autor dieser Zeilen arbeitete in jener Zeit in der Politischen Abteilung im NATO-Hauptquartier in Brüssel, und er erinnert sich noch sehr gut daran, wie dort eingefleischte „Atlantiker“ gemeinsam mit Washington geradezu verzweifelt – und mit teils irrwitzigen Vorschlägen – nach neuen Aufgaben für die Organisation suchten, um der NATO ihren alten Glanz und ihr Prestige zurückzugeben, sodass Washingtons Führungsrolle in Europa unangetastet bleiben würde.

Eine Auflösung der NATO, wie sie nach der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Vertrags auch von vielen Politikern in Westeuropa gefordert wurde, wäre dagegen für die Strategen in Washington eine außenpolitische Katastrophe gewesen, nämlich das Ende der US-Hegemonie über Westeuropa. Das hätte auch bedeutet, dass die USA aus dem Rennen um die Aufteilung Osteuropas geworfen worden wären, wo sich viele lukrativen wirtschaftliche, geopolitische und -strategische Möglichkeiten eröffneten.

Es war die Balkankrise, bzw. der Bürgerkrieg in Jugoslawien, zu dem die Bundesrepublik Deutschland die Initialzündung geliefert hatte, der den Strategen in Washington die Augen öffnete, wie die NATO wieder als die „alleinige, für den Frieden in Europa unersetzliche Organisation“ ins Spiel gebracht werden konnte. Dafür aber mussten die Bemühungen der EU-Europäer, die Krise ohne die NATO und damit ohne die USA mit rein europäischen Organisationen und Mitteln zu lösen, erst einmal hintertrieben werden. Das übten die Amerikaner dann als erstes im Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina, und mit Erfolg.

Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes

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Teil 2 (Erstveröffentlichung auf RT-Deutsch am 21.02.2019)

Deutschlands Rückbesinnung auf unrühmliche Traditionen

von Klaus Hartmann

Bei dieser Zerstörung eines UN- und OSZE-Gründungsmitglieds spielte Deutschland von Anbeginn eine Vorreiterrolle – und konnte sich dabei auf eine lange, beschämende Tradition stützen.

Der deutsche Imperialismus wollte nach dem Anschluss der DDR sein außenpolitisches „Gesellenstück“ machen, indem er – im Dezember 1991, in Person des damaligen bundesdeutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher – durch vorauseilende Anerkennung der Separation Kroatiens und Sloweniens die Führungsrolle übernahm, sekundiert von Österreich und dem Vatikan.

Aber welche Tradition war das, auf die man sich besann, um nicht mehr „wirtschaftlicher Riese, aber politischer Zwerg“ zu sein? Bundeswehr-Generalinspekteur Naumann gab Anfang 1993 die Parole aus: „Es gibt zwei Währungen in der Welt: wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen.“ Der nächste Bundesaußenminister, Klaus Kinkel, sinnierte mit Bezug auf die „deutsche Wiedervereinigung“ 1993:

Zwei Aufgaben gilt es parallel zu meistern: Im Inneren müssen wir wieder zu einem Volk werden, nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: Im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potenzial entspricht.

Zweimal zuvor gescheitert? Ganz klar: Gemeint waren Kaiser Wilhelm II., der 1918 und Adolf Hitler, der 1945 „gescheitert“ war. Noch deutlicher wurde der CSU-Politiker Edmund Stoiber:

Kohl vollendet das, was Kaiser Wilhelm und Hitler nicht erreicht haben.

Der erste „Gescheiterte“, Kaiser Wilhelm II., hatte im Juli 1914 erklärt: „Mit den Serben muß aufgeräumt werden, und zwar bald“. Das von Walter Kollo komponierten Lied „Die Männer sind alle Verbrecher“ wurde zynisch umgetextet: „Die Serben sind alle Verbrecher, ihr Land ist ein dreckiges Loch!“.Auf den Truppentransportzügen an die Front stand: „Serbien muß sterbien“. Eine Obsession, eine Verirrung – oder gab es dafür „rationale“ Gründe?

Ernst Jäckh, „Mitteleuropa-Vordenker“ und Herausgeber der Zeitung „Das größere Deutschland“, begründete den deutschen Drang nach Südosten 1916 damit, dass die „deutsche Not und Notwendigkeit südostwärts zwingt: Der Landweg über Mitteleuropa wird so der Umweg nach Übersee … als einziger und letzter Weg in die Welt … wir müssen diesen Weg gehen, suchen und sichern“. Sein Gesinnungsfreund Friedrich Naumann, Namensgeber der FDP-Parteistiftung, unterstützte diese „Stoßrichtung“ 1915/1916:

Alles, was an der Bagdadbahn liegt, liegt an der für uns notwendigen Linie Hamburg–Suez, die wir uns von niemandem dürfen sperren lassen“. Daher seine Schlussfolgerung: „Das serbische Gebiet kann nicht als feindliches Kastell innerhalb des mitteleuropäischen Schützengrabenverbandes geduldet werden.

Im Ergebnis des 1. Weltkriegs verlor das von österreich-ungarischen, deutschen und bulgarischen Truppen angegriffene und besetzte Serbien über 1 Million Menschen, nicht weniger als 24 Prozent seiner Bevölkerung. Im 2. Weltkrieg wollte sich das faschistische Deutschland freie Hand für den Überfall auf die Sowjetunion verschaffen und drängte Jugoslawien zum Beitritt in den Dreimächtepakt (die „Achse“ Deutschland-Japan-Italien) am 25. März 1941.

Nach ihrer Rückkehr aus Berlin wurden jene Regierungsvertreter von Massendemonstrationen und Streiks empfangen und wurden abgesetzt, am 5. April 1941 schloss das Land einen Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion. Am 6. April 1941 starteten Deutschland und Italien daraufhin ihren Balkanfeldzug mit Luftangriffen auf Belgrad. Aufgrund dessen musste sogar der für den 15. Mai 1941 geplante Überfall auf die Sowjetunion auf den 22. Juni 1941 verschoben werden, was der Wehrmacht den „Russischen Winter“ bescherte. Während des 2. Weltkriegs verloren wiederum 1.690.000 Menschen in Jugoslawien ihr Leben.

Mit dem Ende der Sowjetunion beginnt die Zerstörung Jugoslawiens

Nach 45 Jahren Frieden, trotz Kaltem Krieg, begannen die Aktionen des Westens zur Zerstörung Jugoslawiens unmittelbar zur Zeit des Untergangs des sozialistischen Staatensystems in Europa. Manche Linke hatten zwar von der nun fälligen „Friedensdividende“ geträumt, aber die Rechnung ohne den imperialistischen Wirt gemacht: Jugoslawien hatte seine „Puffer-Funktion“ verloren, und der Sieg im „Kalten Krieg“ wurde erst komplett, wenn auch die letzten sozialistischen Restbestände – mindestens in Europa – abgeräumt waren.

Bundeswehr und Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände veranstalteten im Herbst 1991 eine gemeinsame Tagung in Fürstenfeldbruck, bei der der ehemalige Verteidigungsminister Rupert Scholz von der „unbestreitbar fundamentalen gesamtdeutschen Bedeutung des Jugoslawienkonflikts“ sprach:

Wir glauben, dass wir die wichtigsten Folgen des zweiten Weltkrieges überwunden und bewältigt hätten. Aber in anderen Bereichen sind wir heute damit befasst, noch die Folgen des Ersten Weltkrieges zu bewältigen. Jugoslawien ist als eine Folge des ersten Weltkrieges eine sehr künstliche, mit dem Selbstbestimmungsrecht nie vereinbar gewesene Konstruktion.

Nachdem in Kroatien 1990 separatistische Nationalisten die Wahl gewonnen hatten, wurde ein Referendum über die Loslösung von Jugoslawien angesetzt und die Verfassung der Republik entsprechend geändert: Die Serben wurden als konstituierendes Staatsvolk gestrichen und unter die nationalen Minderheiten einsortiert. Straßen und Plätze mit Namen von Antifaschisten erhielten Namen von Ustascha-Faschisten aus dem „Unabhängigen Kroatien“ der Jahre 1941 bis 1944.

Nach ständigem diplomatischem wie publizistischem Druck setzte Deutschland Ende 1991 durch, dass auch die Europäische Gemeinschaft diesen ersten Separatstaat Kroatien anerkannte. Außenminister Hans-Dietrich Genscher pries sich als „ehrlicher Makler“ und behauptete, dass die von der Bundesrepublik vorangetriebene Anerkennung „den Menschen dort die Befriedung gebracht hat“. Tatsächlich hat die deutsche Kampagne den Bürgerkrieg befeuert.

„Die Deutschen tragen eine besondere Verantwortung“

US-Außenminister Warren Christopher vertrat die Auffassung, „dass beim gesamten Anerkennungsprozess … schwere Fehler gemacht wurden … und die Deutschen eine besondere Verantwortung tragen“, nach Frankreichs Außenminister Roland Dumas waren „die Verantwortlichkeiten Deutschlands und des Vatikans für die Beschleunigung der Krise offenkundig enorm.“ Lord Carrington, Vorsitzender der Jugoslawienkonferenz, warnte, dass eine frühzeitige Anerkennung Sloweniens und Kroatiens „der Funke sein (könnte), der Bosnien-Herzegowina in Brand setzt.“

In diesem Sinne schrieb UNO-Generalsekretär Perez der Cuellar am 14.12.1991 an Genscher:

Ich nehme an, dass Sie von der großen Sorge… gehört haben,… dass eine verfrühte selektive Anerkennung eine Erweiterung des gegenwärtigen Konflikts in jenen empfindlichen Regionen nach sich ziehen würde. Solch eine Entwicklung könnte schwerwiegende Folgen für die ganze Balkanregion haben und würde meine eigenen Bemühungen und diejenigen meines persönlichen Gesandten… für friedenserhaltende Maßnahmen… ernsthaft gefährden.

Der serbische Präsident Slobodan Milošević konstatierte, dass Jugoslawien „das erste Opfer der Politik des Revanchismus“ nach der Vereinigung Deutschlands wurde. Doch Deutschland munitionierte die Bürger- bzw. Stellvertreterkriege in Kroatien und Bosnien nicht nur politisch, sondern auch wortwörtlich: Angeblich „abgerüstete“ Panzer des Typs T-55 sowie Kampfflugzeuge MiG-21 aus Beständen der aufgelösten Nationalen Volksarmee der DDR wurden an die Separatisten geliefert, und kamen – umgespritzt – zum Einsatz, natürlich gegen „unseren Erbfeind“ Serbien.

Auch der Vatikan beließ es nicht bei frommen Wünschen. Nach Auffassung des Buchenwaldhäftlings, antifaschistischen Widerstandskämpfers und Freidenkers Emil Carlebach bestand die Rolle des Vatikan darin, dass „er 1944 vor den heranrückenden Alliierten Ustascha-Gold im Wert von 200 Millionen Dollar ‚in Sicherheit‘ brachte, es zunächst zur Fluchthilfe der Ustascha-Verbrecher ‚anlegte‘ und schließlich 1990 mit Zins und Zinseszins als Milliardengeschenk dem – dank Deutschland – neu erstandenen ‚unabhängigen‘ Kroatien zurückzahlte.“

Die „führende Rolle“ des deutschen Imperialismus bei der Zerstörung Jugoslawiens ist unbestritten, doch die vorgebliche Unterstützung der USA für den Erhalt Jugoslawiens war bestenfalls verbaler Art und weniger als die Hälfte der Wahrheit. Denn diese Erzählung „vergisst“ die verschärfte Wirtschaftskrise Jugoslawiens in den 1980er Jahren, dessen Auslandschulden (insbesondere gegenüber dem IWF) sich auf über 30 Milliarden DM beliefen. Die Hochzinspolitik der USA bewirkte, dass Jugoslawien seine Zinsrückzahlungen nicht mehr leisten konnte und unter die Zwangsverwaltung des Internationalen Währungsfonds gestellt wurde.

Die Ausplünderung des Landes auf Grundlage der von Weltbank und Weltwährungsfonds verordneten „Reformen“ zielte nicht zufällig auf Destabilisierung und Auflösung des Bundesstaates. Bereits 1984 hatte die Reagan-Administration die jugoslawische Wirtschaft mit einer Geheimdirektive (National Security Decision Directive / NSDD 133) ins Visier genommen, berichtet Prof. Michel Chossudovsky aus Kanada:

Ihr Titel lautete schlicht: ‚Die Politik der USA in Bezug auf Jugoslawien‘ (und) stimmte im Wesentlichen mit einer früheren Direktive über Osteuropa von 1982 überein (NSDD 54). Sie forderte unter anderem fortgesetzte Anstrengungen zur Entfachung von ‚stillen Revolutionen‘ mit dem Ziel der Überwindung kommunistischer Regierungen und Parteien, während die Länder Osteuropas wieder dem Wirkungskreis des Weltmarktes unterworfen werden sollten.

So wurde der Boden für wirtschaftliches Chaos, Proteste und separatistische Tendenzen bereitet, die man nur noch fördern musste, um die Opfer in Stellvertreterkriege zu hetzen. Dies wiederum war erforderlich, um das „Eingreifen des Westens“ vorzubereiten, der dann folgerichtig sein Zerstörungswerk mit der NATO-Aggression 1999 krönte.

Klaus Hartmann ist Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes

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