Denis Diderot – „Weiß man je, wohin man geht?“
Aus Freidenker Nr. 1-09 März 2009 68. Jahrgang – Bücher für Freidenker
Was weiß man als „normal“ gebildeter Mensch über Diderot? Höchstens, dass er zu den Enzyklopädisten gehörte. Es ist das Verdienst dieses neuen allgemeinverständlichen Lesebuchs, unser Diderot-Bild auszumalen und dynamisch zu gestalten sowie sein Werk einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen. Als erster Band in der vorgesehenen neu begründeten Reihe Humanismus – neu entdeckt gibt uns der Tübinger Philosophiehistoriker Werner Raupp in diesem unterhaltsamen Werk eine vertiefte Übersicht über das vielfältige Wirken Diderots.
Durch eine umfassende Einleitung bekommen wir ein plastisches Bild von dem Lebensweg einer vielschichtigen und interessanten Persönlichkeit. Anhand von vielen Textzeugnissen, sowohl von Diderot selbst als auch von seinen Zeitgenossen, wird sein literarisches Oeuvre sowie sein Wirken anschaulich dargestellt. Kontemporäre Illustrationen, Reproduktionen von Gemälden und Stichen, bereichern den Band und sorgen dafür, dass die Periode für uns lebendig wird. Wir erfahren, dass Diderot zu der Gattung der philosophes, der Universalgelehrten, gehörte, die, ähnlich wie Goethe, prägend waren für das 18. Jahrhundert. Es werden die üblichen biographischen Daten und der Werdegang dargestellt; Diderot wird in Zeit und Raum lokalisiert. Wir lernen Diderot nicht nur als Herausgeber der Enzyklopädie, sondern auch als Schriftsteller, Kunst- und Literaturkritiker sowie als Philosoph und Politiker kennen. Spätestens aber wenn man erfährt, dass Diderot auch Autor pikaresker Romane war, ist man auf das Weitere gespannt. Man wird nicht enttäuscht. Ein Zitat kann als charakteristisch für ihn gesehen werden:
„Meine Liebe gehört den Büchern; mit ihnen bin ich vollkommen glücklich und zufrieden, mehr brauche ich nicht“, wobei dies alles andere als eine trockene, asketische Tätigkeit war. Wir erfahren, dass Diderot auf Betreiben der Zensur ins Gefängnis kam, und durch die Polizeibehörde unter Beobachtung stand – galt doch die Herausgabe einer Enzyklopädie, „eines Buches wie die Bibel“ (Peter Prange) als revolutionäre Tätigkeit! Die damals, viel stärker als heute, bestehenden vielfachen Verknüpfungen und Kontakte unter den Geistesgrößen kommen zum Ausdruck – kein geringerer als Lessing übersetzte Diderots Theaterstücke ins Deutsche. Diderot wiederum übersetzte Werke aus dem Englischen, z.B. von Shaftesbury, ins Französische. Diderot stand fest in der humanistischen Tradition. Die Einflüsse, die auf ihn gewirkt hatten, vor allem der englischen Deisten (Locke, Hume, Bacon), sowie sein eigenes Nachwirken, bis hin zu Darwins Evolutionstheorie und Engels Dialektik werden fundiert dargestellt. Die Literatursammlung, die den Hauptteil des Werkes bildet, ist beachtlich und beredt. Auszüge aus Diderots vielfältigem literarischem Schaffen belegen das Genie dieses Aufklärers. Es gibt Auszüge aus seinen Romanen „Die geschwätzigen Kleinode“ und „Die Nonne“, letzteres inspiriert durch das Schicksal seiner Schwester, sowie aus seinen ästhetischen, philosophischen und politischen Werken. In letzteren zeigt er sich als Wegbereiter der Demokratie. Weiten Raum nehmen amüsante Beschreibungen aus dem Salon, seinen kunstkritischen Betrachtungen, ein. Maler wie Chardin, Greuze und Robert werden im Plauderton besprochen. Es gibt schließlich umfangreiche Zeitzeugen: humorvolle Schilderungen von seiner Tochter und von Rousseau, Korrespondenz-Exzerpte, z. B. aus dem Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller. Artikel aus der Enzyklopädie selbst dürfen selbstverständlich nicht fehlen: von „Amerika“, über „Liebe der Geschlechter“ und „Sauerkraut“, bis hin zum „Zölibat“ sind sie repräsentativ ausgewählt.
In seinem Vorwort bringt der Herausgeber seine eigene humanistische Philosophie bestens zur Geltung. Ein Geleitwort wurde von dem Bestseller-Autor Peter Prange, selbst Verfasser eines bekannten Diderot-Romans, geliefert. Es gibt einen Anhang mit Quellenverzeichnis, Zeittafel, Bibliographie und Namensverzeichnis. Eine menschliche Nuance bietet die Aphorismensammlung, die gleichsam als Einleitung für die von Werner Raupp begründete neue Buchreihe anzusehen ist.
Werner Raupp (Hg.): Denis Diderot – „Weiß man je, wohin man geht?“ Ein Lesebuch. (Reihe: „Humanismus – neu entdeckt“), Bd. 1, 2008. 484 Seiten, Hardcover, 60 Abbildungen, Lebenstafel, Quellen- Anmerkungsteil, Geleitwort von Peter Prange, Preis: 27,90 Euro€ (ISBN: 978-3-936088-95-3); (auch beim Herausgeber für 19 Euro zu beziehen: dr.werner-raupp@ gmx.de).
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