Von Ustica nach Ramstein
30 Jahre nach der Flugschau-Katastrophe von Ramstein
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Am 30. Juni 2018 gab es im Rahmen der Demonstration „Stopp Air Base Ramstein“ eine Zwischenkundgebung auf dem Parkplatz an der Gedenkstätte für die Opfer der Katastrophe von Ramstein, die sich dort vor fast dreißig Jahren, am 28. August 1988, bei einer Flugschau ereignet hatte. Der Redner spricht von Ramstein. Er spricht nicht von Ustica. Gerd Feldbauer hat in der Tageszeitung „junge Welt“ mehrfach über Ramstein, aber auch über Ustica geschrieben – 1998, 1999, 2011, 2014. Auch andere Autoren haben sich in dieser Zeitung mit Ustica befasst. Es sind in der Zeitung „junge Welt“ über die Jahre – bis 2014 – mindestens sechs Artikel erschienen, in denen es um Ustica als auch um Ramstein geht. Doch bei einer Google-Suche mit „ustica ramstein site:jungewelt.de“ wird nur ein einziger Artikel aufgeführt, obwohl auch die anderen Artikel im Netz sind. Wie ist das möglich? Ist Google so schlecht? Oder so gut? Gut in Sachen Vertuschung? Was könnte es sein, was es zu vertuschen gilt?
Auf dem Parkplatz an der Gedenkstätte für die Opfer der Katastrophe von Ramstein spricht am 30.6.2018 ein Arzt für Innere Medizin, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin über die Katastrophe. Worin der Zusammenhang zwischen Ramstein und Ustica besteht, erfahren wir von ihm nicht. Wir erfahren nicht, dass zwei Piloten der italienischen Kunstflugstaffel „Frecce tricolori“, die am 28. August 1988 in Ramstein mit ihren kollidierenden Maschinen zu Tode kommen, diejenigen waren, die einen Bezug zu dem Ereignis hatten, das sich am 27. Juni 1980 nördlich von Palermo im Mittelmeer nahe der Insel Ustica zutrug. Wir erfahren nicht, dass die Piloten kurz nach der Flugschau von Ramstein von einem italienischen Untersuchungsrichter hätten vernommen werden sollen. Und wir erfahren nicht, dass einer der beiden Piloten geäußert hatte, er wolle bei der Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter aussagen. Und wir erfahren auch nicht, dass vor dem Tod der beiden Piloten bereits zahlreiche andere Personen, die zu dem Ereignis von Ustica einen Bezug hatten, auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen waren.
Was hat es mit Ustica auf sich?
„Was geschah an jenem Abend des 27. Juni 1980? Um 20.59 Uhr stürzte die Passagiermaschine DC 9 McDonnell Douglas der italienischen Fluggesellschaft Itavia unweit der nördlich von Sizilien liegenden kleinen Insel Ustica ins Thyrrenische Meer. Alle 81 Insassen kamen ums Leben. Wie später ans Licht kam, befanden sich zu dieser Zeit zirka 30 Jäger, Radarflugzeuge, Flugzeugträger und U-Boote der NATO in diesem Gebiet im Einsatz. Aus Berichten italienischer und US-Medien wurde schon bald bekannt, dass der libysche Staatschef Muammar Al-Ghaddafi Ziel des im Rahmen eines NATO-Manövers geführten Angriffs war. Er befand sich an Bord einer sowjetischen Tupolew zur selben Zeit über Ustica. Seine Maschine dreht aber überraschend ab. Es sickerte durch, dass proarabische Kreise in Rom Kenntnis von dem Anschlagsplan erhalten hatten und Ghaddafi in letzter Minute warnten. Das Attentat sollte in Tripolis einen Putsch auslösen. Der die Rakete abschießende Pilot hatte die DC 9 für die Tupolew gehalten, da sich beide Flugzeuge im Profil ähnelten.“
Das schreibt Gerhard Feldbauer am 04.10.2011 in der Zeitung „junge Welt“ in einem Artikel mit dem Titel „Urteil zu NATO-Terror – Der Militärpakt wollte 1980 den libyschen Staatschef Ghaddafi umbringen. Seine Jäger schossen aber eine italienische Passagiermaschine ab“.
Weiter Gerhard Feldbauer: „Der Terrorakt der NATO-Jäger… kam vor kurzem erneut in die Schlagzeilen. Am 21. September [2011] berichtete die römische Repubblicca, ein Gericht in Palermo habe die italienische Regierung verurteilt, den Angehörigen der 81 Opfer des Absturzes der italienischen Verkehrsmaschine eine Entschädigung von 100 Millionen Euro zu zahlen.“ Und: „Die beiden Piloten“, die 1988 in Ramstein ums Leben kamen, „waren am 27. Juni 1980 als Jagdflieger über Ustica im Einsatz und nach der Flugschau zur Vernehmung vorgeladen. Es kam ans Licht, dass bis dahin über ein Dutzend Zeugen, alle Mitwisser der Umstände des Absturzes, auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen bzw. – wie in italienischen Medien immer wieder offen geäußert wurde – umgebracht worden waren.“ Und: „Eindeutiges Ziel war, es sollte keine Überlebenden geben, die aussagen konnten, dass die Maschine von einer Rakete getroffen wurde. Das Mailänder Nachrichtenmagazin Panorama berichtete 1989, die DC 9 sei von dem Piloten aufs Wasser aufgesetzt worden und habe sich noch einige Stunden über Wasser gehalten. Sie sei erst gesunken, nachdem ihr Rumpf im Morgengrauen von Froschmännern eines britischen U-Bootes gesprengt wurde. Panorama zitierte einen Zeugen aus Militärkreisen, dass es bis zu dieser Sprengung noch Überlebende gegeben habe.“
Damit liegt die Erklärung für das Verhalten von Google auf der Hand. Google ist offensichtlich eins der modernen Instrumente des Imperiums, das kein Interesse daran hat, einen Zusammenhang sichtbar werden zu lassen, der den verbrecherischen Charakter des Imperiums offen legt. Dass per Google die Verschleierungsabsicht deutlich wird und Google sich selbst entlarvt, ist aber zu begrüßen. Denn damit wird ersichtlich, dass eine Darstellung der Wahrheit zu nahe kommt und Informationen enthält, vor dem das Imperium meint, sich schützen zu müssen. Die Suchmaschine Google wird demgemäß bisweilen auch als Selektionsmaschine bezeichnet.
1991 war die technische Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten wie heutzutage. 1991 gab es das „World Wide Web“ im Internet noch nicht – zumindest nicht für die breite Öffentlichkeit – und damit kein Wikipedia, keine so genannt „sozialen“ Netzwerke wie z.B. das vom britischen Guardian als „mega-genialer“ Arm des Imperiums bezeichnete Facebook und keine Suchmaschinen wie Google. Aber es gab ein anderes Herrschaftsinstrument – eins, das es auch heute noch gibt. Es trägt den Namen DER SPIEGEL und bezeichnet sich als Nachrichtenmagazin. Die Verwandtschaft der Begriffe „Nachrichtenmagazin“ und „Nachrichtendienst“ kann Zufall sein.
„Alles Blödsinn“, „Hirngespinst“ und „Räuberpistole“
Am 1. April 1991 versichert DER SPIEGEL, dass alles Blödsinn sei. Es war seinerzeit – als GRÜNE und TAZ noch nicht in dem Maße wie heute in Diensten des Imperiums agierten – die TAZ, die sich kritisch mit dem Fall Ramstein befasste. Deshalb musste DER SPIEGEL schreiben:
„Durch ihre vermeintliche Ramstein-Enthüllung, machte die taz ihren Lesern weis, habe in Deutschland und Italien ‚eine intensive Neubewertung des Ramsteiner Desasters begonnen‘. So habe der Zweibrücker Oberstaatsanwalt Norbert Dexheimer aufgrund der Artikel den Schlußbericht der italienischen Strafverfolgungsbehörden ‚dringend angemahnt‘. Dexheimer zum SPIEGEL: ‚Nichts davon ist wahr, alles Hirngespinste.‘ Der Jurist denkt ‚gar nicht daran‘, sich mit dem Tod der Frecce-Tricolori-Piloten neu zu befassen. Auch die Mitglieder des Bonner Verteidigungsausschusses, die monatelang die Ramstein-Katastrophe untersuchten, halten nichts von einer Neuauflage. Der Wormser SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Gerster, der die Geheimniskrämerei der Militärs immer wieder scharf kritisiert hat, hält die taz-Version für eine ‚absolute Räuberpistole‘. Immerhin waren deutsche, italienische und amerikanische Militärs, die das Ramstein-Desaster prüften, eindeutig zu dem Ergebnis gekommen, das Unglück sei durch einen Fehler Nutarellis ausgelöst worden. Zudem gibt es keinerlei Belege für die Behauptung, Nutarelli und Naldini hätten ‚unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus Ramstein vernommen werden‘ sollen, weil sie sich ‚unmittelbar vor dem Absturz in der Luft‘ in der Nähe der DC-9 befunden hätten. Die angeblichen Zeugen, die für die römische Justiz laut taz von ‚enormer Wichtigkeit‘ waren, konnten von dem Abschuß unmöglich etwas mitbekommen haben. Kommissionspräsident Gualtieri: ‚Una cosa assurda‘, alles Blödsinn.“
DER SPIEGEL versteht es – wenn es sein muss – mit Begriffen wie „Blödsinn“, „Hirngespinst“ oder „Räuberpistole“ zu operieren. Von einem Organ des Imperiums kann man das erwarten. Fehlt noch der Begriff „Verschwörungstheorie“. Der gehörte 1991 womöglich noch nicht in dem Maße zum Arsenal der Organe, deren Aufgabe es ist, kritische Fragen und Aufklärung verdeckter Operationen zu unterbinden.
Wie sich das Imperium gegen störende Erkenntnisse zu wehren versucht, zeigt in modernen Zeiten auch das Instrument Wikipedia. Zur Katastrophe von Ramstein ist unter „Sonstiges“ von der „Vermutung einer Verschwörung“ die Rede. In dem zugehörigen Absatz heißt es:
„Vereinzelt wurde ein Zusammenhang des Flugtagunglücks mit dem bis heute nicht vollständig aufgeklärten Absturz von Itavia-Flug 870 bei der Mittelmeer-Insel Ustica im Jahr 1980 hergestellt. Dies beruht darauf, dass von den drei in Ramstein gestorbenen Piloten zwei, nämlich Nutarelli sowie Mario Naldini, Zeugen des Absturzes vor Ustica gewesen waren und eine Woche nach der Flugschau vor einem italienischen Untersuchungsausschuss hätten aussagen sollen. Noch 25 Jahre nach der Katastrophe vertrat Giancarlo Nutarelli, der Bruder des Unglückspiloten, die Theorie, auf seinen Bruder sei durch Manipulation des Flugzeugs ein Mordanschlag verübt worden, um ihn als Zeugen des Abschusses von 1980 auszuschalten.“
Das ist gekonnt formuliert. Es entsteht der Eindruck von echter Information. Die ist es aber nicht. Denn die Ursache des „Absturzes vor Ustica“ und die Verantwortlichen dafür bleiben ausgeblendet. Es darf nicht deutlich werden, dass es sich um ein Verbrechen handelt – ein Verbrechen allerdings, das die falschen getroffen hat und für das der italienische Staat zu Schadensersatzleistungen an die Hinterbliebenen verurteilt worden ist.
Operation „Arabischer Frühling“
Erst 2011 war es dann soweit. Ein um Dimensionen größeres Verbrechen wurde in die Tat umgesetzt – in aller Öffentlichkeit begleitet von den üblichen Feindbildkonstruktionen. Die NATO hat dabei im Rahmen der Operation „Arabischer Frühling“ einen blühenden Staat in die Steinzeit gebombt. Und Revolutionsführer Gaddafi, der zu einer immer größeren Gefahr für das Imperium zu werden drohte – insbesondere weil er Afrika in die Unabhängigkeit vom US-dominierten Finanzkapital zu führen trachtete – konnte liquidiert werden.
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann sind Herausgeber der Neuen Rheinischen Zeitung,
Vorstandsmitglieder des Bundesverbandes Arbeiterfotografie
und Mitglieder des Deutschen Freidenker-Verbandes
Fotos: Ramsteiner Gedenkstätte für die Opfer der Katastrophe
(arbeiterfotografie.com)