Märchen aus tausendundeiner Nacht
Wenn sich im korrupten politischen Establishment und bei der mit ihm verfilzten Drecksjournaille wieder einmal große Empörung breitmacht, zeigt der moralische Kompaß aufgeklärter Menschen unfehlbar an, daß jemand etwas sehr gutes getan haben muß.
Diesertage sind es sieben Bundes- und Landtagsabgeordnete der AfD, die sich den staatstragenden Shitstorm redlich verdient haben. Mit einer Reise. Einer Reise in die syrische Hauptstadt Damaskus. Um sich ein eigenes Bild von der Situation im Land zu machen, wie sie verlauten ließen. Was wie ein löbliches, aber doch vor allem ganz normales Ansinnen erscheinen möchte, trifft die deutschen Wadenbeißer der transatlantischen Kriegsmafia direkt ins Mark.
„Damaskus“ hat nämlich für brave Deutsche gar nicht zu existieren, seitdem 2012 die diplomatischen Beziehungen zur Arabischen Republik Syrien völkerrechtswidrig abgebrochen wurden. Die Legende, daß in Syrien ein „Volksaufstand“ gegen einen „blutigen Diktator“ tobt, ist bei uns seit sieben Jahren staatsoffizielle Doktrin. In die Welt gesetzt wurde sie vom US-Außenministerium, damals noch unter der Leitung der Massenmörderin Hillary Clinton, und diente einzig der Bemäntelung der aggressiven US-Interventionsstrategie zur Zerschlagung des syrischen Staates, die seitdem auf mehreren Ebenen, unter anderem durch Ausrüstung und Steuerung salafistischer Terrorgruppen, betrieben wird und hauptursächlich für die Dauer und Heftigkeit des Syrienkrieges ist.
Auch Deutschland ist Kriegspartei und hat durch verschiedene kriminelle Maßnahmen große Schuld am Leid der syrischen Bevölkerung auf sich geladen. Um so wilder deuten Regierung und gleichgeschaltete Medien auf den „Schlächter Assad“.
Welch ein Frevel, daß deutsche Parlamentarier es da wagen, in die Hauptstadt des Leibhaftigen zu fahren und uns vor Augen zu führen, daß dort, trotz den barbarischen Wirtschaftssanktionen unserer westlichen Menschenfreunde, ein friedliches, zivilisiertes Leben herrscht. Not und Elend regieren in den vom Terror unterjochten Landesteilen, also da, wo der schlimme „Diktator“ keine Kontrolle ausübt.
Und die Beißreflexe funktionieren. Weil sich die AfD-Abgeordneten mit dem Minister für nationale Versöhnung Ali Haidar und dem Großmufti Ahmed Hasun trafen, urteilte der deutsche Regierungssprecher: „Wer dieses Regime hofiert, disqualifiziert sich selbst.“ Aus den Twitteraccounts der „Etablierten“ schäumte es regelrecht. Von der AfD-Reise zu „Assads Schergen“ war die Rede, und davon, daß der Großmufti 2011 gedroht habe, Selbstmordattentäter nach Europa zu schicken; er avancierte gar zum „Terrorwerber“. Alle Stichworte wurden dankbar von den Hetzpostillen aufgegriffen, die Behauptung, Hasun habe Europa mit Selbstmordattentaten gedroht, ist breit wiederholt worden.
Nur die Wahrheit bleibt bei Deutschlands Starjournalisten leider auf der Strecke. Ali Haidar ging als Oppositioneller in die Regierung der nationalen Einheit; er vertritt selbst öffentlich die Meinung, daß Assad nicht länger Präsident bleiben solle. Und der Großmufti? Haben Abgeordnete einer dezidiert anti-islamischen Partei sich tatsächlich mit einem islamischen Führer getroffen, der Selbstmordanschläge in Europa befürwortet? Schon in einem Gespräch mit dem SPIEGEL 2011 stellte er klar: „Ich habe nicht mit Selbstmordattentaten gedroht, sondern ein Szenario geschildert, wie es sich leicht aus der Situation entwickeln kann, und habe vor dem, was kommen könnte, gewarnt. Man hat Sätze aus dem Kontext gerissen und ihnen eine andere Färbung gegeben. Der Zusammenhang, auf den sich meine Äußerung bezogen hat, war im Übrigen eine Notwehrsituation: ein möglicher Nato-Angriff auf Syrien […] Wenn es dazu kommt, wird die Welt explodieren. Dann kommt es zum ganz großen Blutbad, das auch Sie im Westen in Mitleidenschaft ziehen wird. Deshalb sollte sich gerade Europa mehr in der Region engagieren: Die Europäer wären bessere Friedensvermittler als die Arabische Liga.“
Aber daß der Unterschied zwischen Warnen und Drohen bei deutschen Journalisten quasi unbekannt ist, weiß man ja schon von der Berichterstattung über Aussagen des russischen Präsidenten. In dem genannten Interview macht der Großmufti noch zahlreiche weitere bemerkenswerte Aussagen, darunter: „Ich glaube an die strikte Trennung von Staat und Kirche“, und: „Ich fühle mich als Großmufti aller 23 Millionen Syrer, nicht nur der Muslime, sondern auch der Christen und sogar der Atheisten. Ich bin ein Mann des Dialogs. Wer weiß, wenn mich eines Tages ein Agnostiker mit den besseren Argumenten überzeugen sollte, trete ich über zum Nicht-Glauben.“ Von solchen religiösen Führern würde sich selbst der Freidenkerverband mehr wünschen. So steht es also um den „Terrorwerber“, mit dem sich die AfDler getroffen haben.
Die führenden deutschen Medien sind nicht willens, uns auch nur einen kleinen Ausschnitt der Komplexität der syrischen Tragödie sehen zu lassen, sie können nur plump hetzen und diffamieren. Bei aller aufrichtigen Anerkennung für die Courage der Reisenden kann es uns nicht freuen, daß diese Initiative aus der Mitgliedschaft einer stockreaktionären Partei kommt und natürlich mit der Forderung nach Rückführung syrischer Flüchtlinge eng verknüpft ist. Angesichts der stramm prozionistisch und damit letztlich antisyrisch orientierten Parteiführung dürfte sie im eigenen Haus zu erheblichen Verstimmungen führen, aber das ist nicht unser Problem.
Unser Problem ist, daß die politische Linke durch Naivität und Opportunismus ein Vakuum im Feld der Aufklärung geschaffen hat, in das die Rechten eindringen können. Das Aufspringen auf die Ideologie des humanitären Imperialismus und Sympathie für den kurdischen Separatismus haben die fortschrittlichen Kräfte von einer klaren Solidarisierung mit dem syrischen Verteidigungskampf abgehalten. Als Freidenker wollen wir dazu beitragen, diesen Fehler zu korrigieren.
Ein SPD-Abgeordneter Mützenich forderte, daß sich parlamentarische Ausschüsse mit der Reise der AfDler befassen sollten. Ein Untersuchungsausschuß wäre wirklich eine gute Idee: Nämlich zu den gegen Syrien gerichteten Völkerrechtsbrüchen der Bundesregierung. Ob den auch erst AfD-Abgeordnete fordern müssen, oder ob die Linke das schafft?
Sebastian Bahlo
Stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes
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