Kultur & Kunst

Burg Waldeck – Wurzeln im Wind … (1)

Linkes Liedgut … aus der Zeit gefallen?

Linker Liedersommer auf Burg Waldeck vom 19. bis 21. Juni 2015
(Bericht der Online-Zeitung
Schattenblick – © by Schattenblick, 2015)

Foto: © 2015 by Schattenblick

Franz Josef Degenhardt (2011), Diethart Kerbs (2013), Rolf Schwendter (2013), Walter Mossmann (2015), Arno Klönne (2015) – innerhalb weniger Jahre sind wichtige Akteure der in der Aufbruchstimmung der 1960er Jahre für die BRD tonangebenden Liederfestivals verstorben, die auf der im Hunsrück gelegenen Burg Waldeck stattfanden. Die Zeitzeugen dieses Kapitels linker Kultur- und Bewegungsgeschichte werden rarer, und die Brüche in der Kontinuität des immer notwendiger werdenden sozialen Kampfes klaffen weiter auf. Hier geht es nicht um das nostalgische Abfeiern in der Rückschau zusehends verklärter Zeiten, sondern die nach wie vor unabgegoltene Frage nach der Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung, von Krieg und Kapitalismus harrt ihrer Präzisierung und Konkretisierung.

Heute, da zahllose Open Air-Konzerte im Sommer Menschen jeden Alters und jeden muskalischen Interesses anziehen, kann man sich wohl kaum vorstellen, was es 1964 bedeutete, in einem entlegenen Flecken unter freiem Himmel eine Form von Musik zu machen, die in jeder Hinsicht aus dem handelsüblichen Rahmen fiel. Als ein kleiner Kreis von 400 Menschen vor einem halben Jahrhundert den Neubeginn des politisch engagierten Singens in deutscher Sprache wagte, wurde der Grundstein für eine bis heute wirkungsmächtige Legende gelegt. Der Aufbruch der linken und revolutionären Jugend fand an diesem Ort auf eine musikalische Weise Ausdruck, die bis dahin unter Gesinnungsverdacht stand. Das Volkslied war durch den Nazismus kontaminiert, und die Schlager der Nachkriegszeit schienen den Eindruck zu bestätigen, daß deutsche Liedtexte an die völkische Ideologie Hitlerdeutschlands und ihrer restaurativen Erben in der Bundesrepublik verloren waren.

Daß dies nicht so blieb, dafür standen Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp, Hannes Wader, Reinhard Mey und Walter Mossmann, um nur einige Namen bis heute bekannter Sänger zu nennen, mit ihren ganz anderen Liedern ein. Bis auf Süverkrüp, der sich bereits in den 1950er Jahren mit widerspenstigen Ansagen einen Namen machte, standen die Konzerte auf Burg Waldeck am Beginn ihrer Jahrzehnte währenden Karriere als politische Liedermacher. Obwohl abseits der
Metropole Frankfurt und anderer Zentren der Jugend- und Studentenbewegung gelegen, entwickelten sich die Festivals auf Burg Waldeck zum musikalischen Mikrokosmos linker Kämpfe und Debatten, der bereits am Ende dieses Festivalszyklusses 1969 deutliche Zerfallstendenzen aufwies.

Der damals aufgebrochene Konflikt zwischen kultureller Repräsentation und ideologischer Konfrontation beendete auch die Bereitschaft bürgerlicher Medien und vor allem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das Festival weit über die Kreise linker Aktivistinnen und Aktivisten hinaus bekannt zu machen. Wie in den USA, wo das Woodstock-Festival 1969 nicht etwa den Höhepunkt der Counterculture, der radikalen Absage an das bürgerliche Establishment und die Entwicklung neuer Lebensformen markierte, sondern die Jugend mit dem psychedelischen Pomp kulturindustrieller Aneignung in den Schoß der Gesellschaft zurückfand, machte sich auch in Westeuropa Resignation über die mangelnde Bereitschaft der Massen breit, nicht nur ein größeres Stück vom Kuchen einzufordern, sondern die gesamte Bäckerei zu erobern.

Wer sich nicht auf den langen Marsch durch die Institutionen begab und sein Heil als Karrierepolitiker oder anderweitig in den Funktionseliten angekommener Erfolgsmensch machte, dem blieben die DKP und diverse K-Gruppen, der Weg in den bewaffneten Kampf oder der nur scheinbar unideologische Aktivismus der Spontis und Autonomen für die Fortsetzung des revolutionären Eintretens für soziale und gesellschaftliche Emanzipation. Das deutschsprachige politische Lied, mal folkloristisch, dann wieder rockig oder punkig, begleitete diesen Weg mit kämpferischem Elan, aber auch düsteren Zwischentönen, die die Konflikte und Befindlichkeiten linker Aktivistinnen und Aktivisten paßförmig abbildeten. Im Dortmunder Musikverlag pläne, dessen Name an eine antifaschistischen Zeitschrift der Bündischen Jugend in den 1930er Jahren anknüpfte, hatten sich mehrere Musiker und Aktivisten zusammengefunden, die auf Burg Waldeck groß geworden waren. Unter diesem Label wurde ein Großteil des politischen, deutschsprachigen wie internationalen Liedgutes, das die siebziger und achtziger Jahre der BRD prägte, veröffentlicht.

Spätestens mit dem Anschluß der DDR an die BRD verebbten die Ausläufer jener revolutionären Radikalität, die den Aufbruch der sechziger Jahren prägte, in den Nischen der Autonomen- oder Antiglobalisierungsbewegung. Das traditionelle politische Lied der vor allem in der DDR gepflegten Tradition Ernst Buschs und Bertolt Brechts fristet seitdem ein Mauerblümchendasein, das auch durch neue Entwicklungen im Punk und Hip Hop nicht wettgemacht werden kann. Während die in zahllose Genres und Subgenres ausdifferenzierten musikalischen Stilformen und die Innovationen digitaler Technik weit mehr Menschen als früher in die Lage versetzen, ihre originäre Musik auch ohne teure Studiotechnik perfekt zu produzieren, reflektiert der Mangel an kämpferischer Energie im deutschsprachigen Folk und Rock den historischen Niedergang der kommunistischen, anarchistischen und linksradikalen Bewegungen.

Alle Fotos der Galerie: © 2015 by Schattenblick

„Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten“

Hier einen Bezug zum musikalischen Aufbruch der sechziger Jahre, der vor allem durch die Festivals auf Burg Waldeck und die Essener Songtage in Erinnerung bleibt, herzustellen fällt dementsprechend schwer. Der 2015 zum sechsten Mal als Kulturseminar ausgetragene Linke Liedersommer hat es daher schwer, trotz des historisch symbolträchtigen Ortes ein Publikum zu mobilisieren, das von seiner Zahl und Breitenwirkung her an die Festivals vor 50 Jahren anknüpfen könnte. Getragen von viel ehrenamtlichem Engagement vor allem aus den Kreisen des Deutschen Freidenker-Verbandes wird dennoch versucht, abseits von bloßer Unterhaltung und kommerziellen Interessen eine Tradition des politischen Liedes aufrechtzuerhalten, bei der die Kunst vor allem mit Hand und Stimme gemacht wird.

Und so wird nicht nur auf der Bühne und am Lagerfeuer gesungen und gespielt, sondern auch zur Geschichte und Theorie des politischen Liedes debattiert. In Workshops zu Liedern von Migration, Flucht und neuer Heimat, über Lieder vom 70. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg, über Violeta Parra und die Frauenbewegung in Lateinamerika, über die Geschichte der Politband Floh de Cologne oder den Einsatz musikalischer Mittel in Streiks und Arbeitskämpfen verteilten sich die aus der ganzen Bundesrepublik angereisten Festivalgäste über das großzügige Gelände der Burg Waldeck.

Auch wenn die entlegene, von drei Seiten durch kaum begehbare Steilhänge umgebene Lokalität verhindert, daß Menschen eher zufällig auf das Ereignis stoßen oder ihm fernbleiben, weil ihnen der Aufwand des weiten Weges als zu groß erscheint, so bietet er doch eine ideale Umgebung für Treffen, bei denen man sich ganz auf die Sache und die damit befaßten Menschen konzentrieren will. Die hochgelegene Lage inmitten der herbschönen Natur des Hunsrücks öffnet den Blick auf weite Waldlandschaften und schafft Distanz zu einem Weltgetriebe, das in der Monstrosität kriegerischer Zerstörung, ökologischer Verwüstung und sozialer Verelendung immer weniger Raum zur Besinnung auf eine Gegenposition läßt, die dem scheinbar unaufhaltsamen Verlauf globaler Krisendynamik nicht unterliegen muß.

Auf die eine oder andere Weise ging es auch in den Liedern des Abends darum, diese Gegenposition zu entwickeln und zu stärken. Nachdem der österreichische Kulturverein Willy zum Auftakt Das Sprachenlied präsentierte, in dem der Klassencharakter unterschiedlicher Sprachregelungen auf die ironische zugespitzte Gabel genommen wird, ergriff Klaus Hartmann vom Deutschen Freidenker-Verband das Wort.

Sich nicht mit der elenden sozialen Lage abzufinden und sie als individuelles Schicksal hinzunehmen, sondern die Konkurrenz zu anderen aufzuheben und das Herrschaftsmittel der Spaltungen zurückweisen, lautete das Credo seiner Rede. Zwar sprächen die Menschen eine gemeinsame Sprache, aber verstünden einander nicht, weil die vorherrschenden, durch Konzernpresse und öffentlich-rechtliche Medien produzierten Sprachregelungen keine andere Absicht verfolgten, als soziale Spaltungen zu vertiefen. Dem sei mit dem Hauptanliegen der Aufklärung entgegenzutreten, das Trennende zu erkennen, zu analysieren und zu überwinden.

Als ein Beispiel für diese Sprachregelungen ging Hartmann auf die gegen angeblich faule Griechen gerichtete Propaganda ein, die darin gipfelt, daß staatstragende Sozialdemokraten erklärten, ihre Geduld mit den Griechen sei nun zu Ende. Die Griechenlandhilfe sei ein Betrug im Wort, gehe es doch nicht darum, der Bevölkerung zu helfen, sondern die Ansprüche der Gläubigerbanken und -staaten zu befriedigen. Rassistische Kampagnen dieser Art hätten es leicht, weil es zu wenig Gegenwehr gegen sie gebe.

Das gelte auch für die Zuspitzung der Kriegsgefahr im Konflikt zwischen den NATO-Staaten und Rußland. An dieser Stelle bedauerte Hartmann, daß innerhalb der Friedensbewegung Spaltungsdiskussionen geführt würden, und forderte dazu auf, sich doch nur 30 Jahre zurückzuerinnern, als die alte und neue Friedensbewegung zu gemeinsamer Stärke gefunden hätten. Das Inquisitionsgebaren und die Abgrenzungsbemühungen mancher Linker dienten letztlich nur den Kriegstreibern, die derzeit mit dem Aufbau der gegen Rußland gerichteten Raketenabwehr dafür sorgten, daß künftig auch atomar bewaffnete Kurz- und Mittelstreckenraketen russisches Territorium erreichen könnten. Das wiederum habe zur Folge, daß russische Atomraketen wieder Westeuropa und die USA bedrohten. Auf diese Weise würde der epochale Vertrag zwischen Reagan und Gorbatschow, der vor 30 Jahren die Hoffnung auf die nunmehr als illusionär zu bezeichnende Friedensdividende nährte, in die Tonne getreten. Dem sei die Parole „Verständigung mit Rußland anstatt Marsch in den dritten Weltkrieg“ entgegenzuhalten.

Anläßlich dessen, daß Bundeskanzlerin Merkel nicht zur Militärparade zum Sieg über den deutschen Faschismus nach Moskau reisen wollte, fragte Hartmann, ob es ihr denn unangenehm sei, daß der Faschismus besiegt wurde. Schließlich habe die Bundeswehr den Jahrestag dieses Sieges, den 9. Mai, mit einem großen Fest in Berlin begangen, zu dem alle NATO-Partner eingeladen wurden, um den am gleichen Tag 1955 erfolgten Beitritt der BRD zur NATO feierlich zu begehen. Um dieser Entwicklung kämpferisch entgegenzustehen, bedürfe es viel Kraft, die, so wünschte er allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Linken Liedersommers, auch aus den Liedern dieses Abends zu schöpfen sei.

Dieser Aufforderung hätte es kaum bedurft, sprachen die Lieder, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Faschismus und Krieg richteten, doch für sich selbst. Auf einen besinnlichen Text über das Leben im Bombenkeller und ein Lied über den Widerstand der Edelweißpiraten gegen das NS-Regime, mit dem Sonja Gottlieb aufwartete, folgte eine hintergründige Reflexion Jürgen Egers über die Instrumentalisierung der Kritik am Stalinismus zur Dämonisierung der DDR. Guy Dawson sang über irische Migranten, die aus Armut nach England zogen, um in der Fremde zu arbeiten, und dort auch noch als IRA-Terroristen verdächtigt wurden. Daran schloß sich ein biografischer Song Brendan Behans über sein Leben im Knast an.

Da sich zu den im Programm angekündigten Musikerinnen und Musikern diverse Sängerinnen und Sänger gesellten, die die offene Bühne dazu nutzten, ihre Lieder zu präsentieren, blieben die Auftritte auf wenige Hörproben aus ihrem Repertoire beschränkt. Kerstin Gundt intonierte ein Lied über Hartz IV im Stil eines Hanns-Eisler-Songs, das die soziale Einsamkeit der vom uneingelösten Arbeitszwang abgestraften Menschen herausstrich. Der stets mit verschiedensten Instrumenten präsente Philipp Hoffmann forderte mit Brecht und Eisler „Keiner oder alle, alles oder nichts“.

Nach einem filmischen Intermezzo, das zurück in die Zeit von Floh de Cologne führte und daran erinnerte, wie scharf die Kritik an den herrschenden Verhältnissen und ihren Sachwaltern in den 1960er Jahren formuliert wurde, trat der bei Streiks und auf Demos singende Ernst Schwarz mit Schlagermelodien auf, die textlich so gegen ihren Strich gebürstet sind, daß ihre Urheber sich vermutlich im Grabe umdrehen würden. „Dä Kommunismus, dä hät ene Rhythmus, ener fängk zu schunkele an, bis jeder mit muss. Nur keine Hektik wegen der Dialektik: Venceremos, leev Jenossen, jetz jeit et loß!“ Im Original auf der Kölner Stunksitzung entstanden, lädt solche Stimmungsmusik dazu ein, Mut zu fassen und diese allseits als endgültig gescheitert erachtete Utopie als etwas zu begreifen, dessen Verwirklichung gerade deshalb, weil sie nie gelang, noch bevorsteht.

Mit großem musikalischen Können präsentierten Amei Scheib und Daniel Osorio internationale Lieder, so ein albanisches Volkslied aus der Perspektive eines sogenannten Wirtschaftsflüchtlings und ein chilenisches Lied aus dem Widerstand gegen die Pinochet-Diktatur. Anschließend betrat Diether Dehm die Bühne. Bereits mit 16 Jahren gab der heutige Bundestagsabgeordnete der Linkspartei auf Burg Waldeck seinen Einstand als Liedermacher, und bei den Internationalen Essener Songtagen 1968 gehörte er zu den vier Preisträgern im Wettbewerb für neue Lieder. Zusammen mit Michael Letz, langjähriger musikalischer Leiter des Oktober-Klubs, und Weli Letz trug er „Lob des Lernens“ von Bertolt Brecht vor, nicht ohne auf die Ambivalenz des Themas Enteignung hinzuweisen.

Gerade weil das Monopolkapital ständig enteignet und kleines und mittleres Kapital aufsaugt, gehe es darum, das höchste, imperialistische Kapital dem demokratischen Enteignungsverhältnis zu unterwerfen. An den zu enteignenden Produktionsmitteln klebten natürlich auch Kulturtechniken, die ebenfalls auf demokratische Weise enteignet werden müssen. Das betreffe auch das Lernen, dessen hohen emanzipatorischen Wert Brecht in dem Theaterstück „Die Mutter“ nach einem Roman von Maxim Gorki mit diesem Text würdigte, so Dehm, bevor er zeigte, daß er auf der Bühne quasi zu Hause ist.

Weli Letz, die als gebürtige Bulgarin mit einer mazedonischen Mutter auch in Griechenland lebte, bekundete mit einem Lied von Mikis Theodorakis ihre Solidarität mit der griechischen Bevölkerung. „Vorwärts und nicht vergessen“ – mit dem Solidaritätslied von Brecht und Eisler schließt dieses kurze Ensemble linker Musiktradition und leitet zu einem wiederum ganz anderen Sound über.

© by Schattenblick, 2015
Quelle: http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0026.html


Siehe auch: Burg Waldeck – Wurzeln im Wind … (2)


Bild ganz oben: Konzert am Samstagabend – Philipp Hoffmann, AMUK, Kassel
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