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Karl Liebknecht – Märtyrer, Held, Vorbild?

Aus: „Freidenker“ Nr. 4-08   67. Jahrgang – Thema

von Horst Schneider

Jährlich pilgern Zehntausende zur Erinnerung an die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts zur Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde. Die Toten mahnen. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren die Verkörperung des Kampfes der besten Deutschen gegen die Rüstungshaie, die Kriegstreiber und Volksverhetzer. Sie setzten sich in der Novemberrevolution 1918 für eine sozialistische Perspektive Deutschlands ein, nachdem sie leidenschaftlich die Oktoberrevolution in Russland begrüßt hatten. Damit zogen sie den tödlichen Hass der Bourgeoisie auf sich.
Sie wurden Märtyrer ihrer edlen Sache. Sind sie auch Helden? Wir wissen, dass Bertolt Brecht das Land pries, das keine Helden nötig hat. Zu diesen glücklichen Ländern gehört Deutschland nicht. Bundespräsident Horst Köhler hat in Zusammenarbeit mit der Körber- Stiftung zu einem Wettbewerb unter dem Motto „Helden verehrt – verkannt – vergessen“ aufgerufen. Der Wettbewerb ist für Schüler und Schulen gedacht und mit 250.000 Euro dotiert. Teilnehmer sollen Helden suchen, die „wagemutig und stark“ sind und etwas Außergewöhnliches geleistet oder sich unerschrocken einer schweren Aufgabe gestellt haben. Der Wettbewerb wird von einem 13-köpfigen Kuratorium geleitet, zu dem der Leiter des Bundespräsidialamtes und als Mitglieder u.a. Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, und die Professoren Rürup und Schäfer gehören.
Damit die Schüler nicht die falschen Helden wählen, hat der Bundespräsident in einem Aufruf einige Tipps gegeben. Mancher, der früher als Held galt, ist es heute nicht mehr. Horst Köhler nennt zwei beispielhafte Gruppen, „aufrechte Menschen“, die „im Nationalsozialismus jüdische Mitbürger vor Verfolgung und Tod bewahrt haben“ und „Oppositionelle, die in der DDR trotz persönlicher Nachteile unerschrocken für die Freiheit eingetreten sind.“
Antifaschisten, die schon 1933 gewarnt hatten: „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ zieht Köhler nicht in Betracht, denn damit könnte er u.a. die Frage provozieren, warum deren Denkmäler nach 1990 abgewickelt wurden. Liebknecht und Luxemburg waren Verfechter der sozialistischen Idee, die Horst Köhler verteufeln hilft.
Im Begleitheft der Körber-Stiftung werden Beispiele angeboten, darunter Christian Führer, im November 1989 Pfarrer an der Leipziger Nikolaikirche als „Ikone der friedlichen Revolution“. General Wolfgang Schneiderhan, Chefinspekteur der Bundeswehr, favorisiert den Piloten Oberleutnant Ludger Völker, allerdings (noch) nicht, weil er in Jugoslawien oder „am Hindukusch“ für die Verteidigung gebombt hat, sondern weil er beim Absturz seiner Maschine die Gemeinde Strassberg vor Schaden bewahrte.
Es wird sich zeigen, welche Helden die Schüler von heute bevorzugen. Hoffentlich ist der Bundespräsident abermals enttäuscht – wie bei der Studie Klaus Schroeders über das „einseitige“ Wissen von Schülern über die DDR.
Damit kein Missverständnis entsteht: Ich plädiere nicht dafür, dass Repräsentanten des Kapitals wie Horst Köhler ihre Gegner würdigen. Das wäre der Abgrund der Heuchelei. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren unbeugsame Feinde des deutschen Imperialismus und Militarismus, für deren Vernichtung sie kämpften. Ihr Kampf ist eine Schatztruhe für alle, die heute für die Überwindung von Krieg und Ausbeutung kämpfen.
Karl Liebknecht warnte die Jugend in Wort und Schrift vor dem Gift des Militarismus. Er hatte 1906 „Militarismus und Antimilitarismus“ geschrieben und wurde 1907 deswegen zum ersten Mal angeklagt. In diesem Buch hatte er gefordert, dass die SPD die antimilitaristische Erziehung zu ihrer vordringlichen Aufgabe erklärt.
Als Reichstagsabgeordneter nutzte er 1913 sein Mandat, um die hochverräterische Tätigkeit solcher Rüstungshaie wie Stumm und Krupp ans Licht zu bringen, die mittels lancierter Pressemeldungen den Rüstungswettlauf dies- und jenseits des Rheins anheizten, um so an der Waffenlieferung für die beiden künftigen Kriegsgegner zu profitieren.
Im Unterschied zur SPD-Fraktion, die 1914 den Kriegskrediten zustimmte,   verweigerte Karl Liebknecht der Regierung die geforderten Gelder. Er folgte damit zwei Erkenntnissen, die er propagiert hatte: „Der Feind steht im eigenen Land!“ und „Der Militarismus ist ein Würgeengel. Er frisst… alle Mittel auf, die einem wahrhaftigen Fortschritt dienen könnten.“
Kerkerhaft und Todesdrohungen konnten Karl Liebknecht nicht abhalten, während des Krieges in Wort und Schrift gegen den Krieg und die Annexionspolitik des kaiserlichen Deutschland aufzutreten, wie z.B. am 1. Mai 1916 auf dem Potsdamer Platz in Berlin. Damit wurde er zum Symbol für das bessere Deutschland. Der berühmte französische Schriftsteller und Kriegsgegner Henry Barbusse lässt seinen französischen Soldaten im Morast der Schützengräben und unter dem gegenseitigen Beschuss aussprechen: „Und doch, sieh! Einer hat dennoch sein Antlitz erhoben. Und es wird einst leuchten in der Schönheit und der Bedeutung seines Mutes… Liebknecht!“
Als Anhänger der Lehre von Karl Marx wusste Karl Liebknecht, dass nur die geeinte revolutionäre Arbeiterbewegung die Kraft aufbringen kann, erfolgreich für die sozialistische Revolution zu kämpfen. Sie erlebten, wie der Opportunismus die SPD zerfraß und SPD-Führer zu Lakaien der Bourgeoisie wurden. Deshalb grenzte er sich im Spartakus-Bund gegen Noske und Ebert ab und spielte folgerichtig eine entscheidende Rolle bei der Gründung der KPD.
Zum Vermächtnis Karl Liebknechts gehört sein Wirken für den Sieg der Novemberrevolution, für die Errichtung einer sozialistischen deutschen Republik, die er am 9. November 1918 vom Balkon des kaiserlichen Schlosses ausrief. Die Militaristen rächten sich mit Massakern an den Arbeitern und Matrosen. Sie fanden die Komplizenschaft der Ebert und Noske, die sich bei der Hetzjagd auf Karl und Rosa beteiligten.
Angesichts der Mordorgie und der Niederlage der Revolution verlor Karl Liebknecht seinen historischen Optimismus nicht. Sein Artikel „Trotz alledem!“ erschien am 15. Januar 1919, seinem Todestag, in der „Roten Fahne“.
Es heißt darin in Sätzen, die wie gemeißelt erscheinen: „Aber es gibt Niederlagen, die Siege sind, und Siege, die verhängnisvoller sind als Niederlagen.“ „Die Geschlagenen von heute werden die Sieger von morgen sein. Denn die Niederlage ist ihre Lehre.“ „Noch ist der Golgathaweg der deutschen Arbeiterklasse nicht beendet – aber der Tag der Erlösung naht… Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird – leben wird unser Programm; es wird die Welt der befreiten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!“
Wir stellten eingangs fest, dass das heutige Deutschland wieder Helden (und Kriegsorden und Heldenfriedhöfe) braucht. Auch wenn dies geleugnet oder vernebelt wird: Das ist die Fortsetzung der kaiserlichen und der faschistischen Aggressionspolitik.
Karl Liebknecht steht gegen diese „Helden“-Tradition. Aber er ist Vorbild, die Verkörperung alles Edlen und Anständigen, was sich in einem Menschen verkörpern kann. Mit den Liebknechts kann Deutschland eine friedliche, menschenwürdige Zukunft erkämpfen, mit den „Krupps“ nicht.

Prof. Dr. Horst Schneider ist Historiker und lebt in Dresden.


Bild: https://pixabay.com/de/users/nastyachernikova720 / Настя Черникова