Für die Versammlungsfreiheit
Die CSU plant massive Einschränkungen des Versammlungsrechts
Aus: Freidenker Nr. 2/3-08 September 2008 67. Jahrgang – Themen
Corinna Poll:
Alle Bewohner Bayerns haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. (Art. 113 Bayr. Verfassung)
Durch die Föderalismusreform ist die Regelung des Versammlungsrechts vom Bund an die Länder übertragen worden. Das bedeutet, dass die Bundesländer eigene Regelungen erlassen können, aber nicht müssen – wenn sie darauf verzichten, gilt wie bisher weiter das Bundesversammlungsgesetz. Mögliche Folge ist, dass in Zukunft an verschiedenen Orten in der BRD völlig unterschiedliche Bedingungen für Demonstrationen und Veranstaltungen gelten – was z.B. in Hamburg erlaubt ist, kann in München mit hohen Geldbußen belegt sein (der umgekehrte Fall ist allerdings vergleichsweise unwahrscheinlich). Niemand wird behaupten, dass das Bundesversammlungsgesetz von 1953 fortschrittlich sei, aber verschiedene Urteile des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere der Brokdorf-Beschluss, haben es zumindest so ausgestaltet, dass Versammlungen und Demonstrationen nach diesem Bundesrecht durchführbar sind.
Arroganz der Macht
Nun hat die CSU, ihrer Vorreiterrolle beim Abbau von Grundrechten getreu, ein bayerisches Versammlungsgesetz vorgelegt, das es in sich hat. Wahrscheinlich in der Hoffnung, dass während der Fussball-Europameisterschaft niemand bemerkt, was da verabschiedet werden soll, wurde im Gesetzgebungsverfahren bei der vorgeschriebenen Verbändeanhörung außer den Kreisverwaltungsreferaten und dem Bayerischen Ju-gendring niemand angehört – nicht einmal der DGB!
Allerdings ging diese Rechnung nicht auf, gegen diesen Anschlag auf unsere Versammlungsfreiheit hat seit der Veröffentlichung des Gesetzesvorhabens ein breites Bündnis mobil gemacht. Dabei sind Parteien und Gewerkschaften und die unterschiedlichsten Verbände und Vereine. Auf der Homepage http://muenchen.verdi.de kann man Stellungnahmen verschiedener Gruppen nachlesen. Mit Demonstrationen, z.B. am 31.5. in München und einer bayernweiten Demonstration am 21.6. zur CSU-Zentrale, die vom DGB getragen wurde, mit Mahnwachen, einer Fahrradsternfahrt und vielen hundert Petitionen wurde versucht, dieses Gesetz zu stoppen. Auch der Freidenkerverband war natürlich bei beiden Demonstrationen dabei, unter dem Motto „Frei versammeln, frei demonstrieren, frei denken!“.
Gerade beim Umgang mit den Petitionen hat die CSU wieder einmal die Arroganz der Macht demonstriert: Mit ihrer Mehrheit im Ausschuss hat sie zunächst ihren eigenen Gesetzesentwurf verabschiedet und dann alle Einwendungen für erledigt erklärt, weil ja der Gegenstand der Petitionen bereits beschlossen wurde … Zwar hat die CSU einige Änderungen an ihrem Entwurf vorgenommen – wohl auf Grund der Proteste, aber auch, weil bei der Expertenanhörung, die die Opposition im Landtag durchgesetzt hat, sogar die von der Regierung benannten Experten das Gesetzesvorhaben in Teilen als verfassungswidrig kritisiert hatten. Diese Änderungen sind aber weitgehend kosmetisch, die massiven Eingriffe in die Versammlungsfreiheit bleiben. Am 16.7., in der vorletzten Sitzung des Landtags vor der Sommerpause, wurde das Gesetz verabschiedet. Und hier wurde der Protest zumindest noch einmal vorgetragen: Die Opposition sorgte dafür, dass es eine der längsten Debatten wurde, die es im bayerischen Landtag in den letzten Jahren gegeben hat. Derzeit wird in verschiedenen Zusammenhängen an einer Klage zum Bundesverfassungsgericht gegen dieses Gesetz gearbeitet.
Fragwürdige Formulierungen
Begründet hat die Bayerische Staatsregierung ihren Vorstoß u.a. damit, dass eine bessere rechtliche Handhabe gegen die immer öfter aufmarschierenden Neo-Nazis geschaffen werden soll. Dazu erklärt das Bürgerforum Gräfenberg:
„Die Einschränkung von Grundrechten ist nach Auffassung des Bürgerforums Gräfenberg kein geeignetes Mittel gegen Rechtsextremismus, Fremdenhass und Intoleranz. Damit tritt das Bürgerforum entschieden dem von politischer Seite erweckten Eindruck entgegen, dass der Entwurf zu einem neuen bayerischen Versammlungsgesetz den Zielen des bundesweit beachteten Widerstands der Gräfenberger Bürger gegen rechtsradikale Aufmärsche in ihrer Stadt Rechnung tragen könnte (…) Für die Stadt Gräfenberg, die mit ihren Aktionen gegen die Neonazi-Aufmärsche über die Grenzen unseres Landes hinaus Anerkennung als beispielgebend für Gemeinsinn und Zivilcourage findet, würde das geplante neue Versammlungsgesetz vor allem eines bedeuten: Auch unser Widerstand gegen Demokratiefeinde könnte künftig verboten werden.“
Gerade das jüngste Urteil zu den Heß-Gedenkmärschen in Wunsiedel zeigt, dass es auch mit der bestehenden Gesetzeslage genügend rechtliche Mittel gegen solche Umtriebe gibt. Die Menschen in Bayern wehren sich vor Ort gegen die Nazis, die CSU hingegen ist bisher eher dadurch aufgefallen, dass sie versucht, die Proteste gegen Nazis zu kriminalisieren.
Das ganze Gesetz ist davon geprägt, dass sehr schwammige Formulierungen den Ordnungsbehörden große Ermessensspielräume geben – was im Umkehrschluss für Versammlungsteilnehmer/innen eine große Unsicherheit mit sich bringt. Ein Beispiel: Eine Versammlung kann verboten werden, wenn sie
„an einem Tag oder Ort stattfinden soll, dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, und (…) durch sie die unmittelbare Gefahr einer erheblichen Verletzung grundlegender sozialer oder ethischer Anschauungen besteht.“ (Art. 15)
Was ist eine „erhebliche Verletzung grundlegender sozialer oder ethischer Anschauungen“? Vielleicht eine zu deutliche Kritik am ‚bayerischen Papst‘? Gerade die Kritik an herrschenden Anschauungen macht schließlich den Wesensgehalt des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit aus. Und gerade in München führt jede Demonstration, die einigermaßen zentral stattfindet, an einem Ort vorbei, dem ein „an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt“…
Versammlungen können aber auch verboten werden, wenn „Rechte Dritter unzumutbar beeinträchtigt werden“ (Art. 15). Weil diese „Rechte Dritter“ nicht näher bestimmt werden, bedeutet das, dass ein Grundrecht versagt werden kann, wenn z.B. der Straßenverkehr beeinträchtigt wird oder während einer Demonstration in der Innenstadt Ladeninhaber ihre Umsätze gefährdet sehen!
Es werden zudem viele zusätzliche Hindernisse für die Durchführung von Versammlungen eingeführt, so muss z.B. die Veranstaltung 72 bzw. 96 Stunden vorher angemeldet werden, bisher waren es 48 Stunden. (Art. 13)
„Militanzverbot“
Und wenn die Veranstaltung nicht verboten oder verhindert werden kann, ist mit dem Gesetz zumindest dafür gesorgt, dass die Demonstranten nicht zu machtvoll auftreten können: Mit dem sogenannten „Militanzverbot“ liegt ein Verbotsgrund vor, wenn „die Versammlung oder ein Teil hiervon nach dem äußeren Erscheinungsbild (…) den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt und damit eine einschüchternde Wirkung entsteht“. Das könnte erst einmal als ein Absatz, der sich gegen SA-ähnliche Aufmärsche der Neonazis richtet, interpretiert werden – wenn da nicht die Begründung des Gesetzgebers wäre: Als Indizien für Militanz werden hier Fahnen, Trommeln und Abzeichen aufgezählt. Dann wird zwar festgestellt, dass es sich hierbei um grundsätzlich erlaubte Hilfsmittel zur Wirksamkeitssteigerung der Demonstration handelt, dass es aber auf den Gesamteindruck ankomme. Und hier wird es dann offensichtlich, was nicht erlaubt ist: Ein Eindruck von „Gewaltbereitschaft und Kampfbereitschaft.“ Nun ist „Kampfbereitschaft“ etwas, was gerade Streikdemonstrationen zu Recht mit Stolz für sich in Anspruch nehmen. Auch hier ist also wieder ein großer Spielraum für willkürliche Entscheidungen der Einsatzleiter gegeben. Das Militanzverbot soll übrigens auch für nichtöffentliche Versammlungen gelten.
Unter der schönen Überschrift „Veranstalterrechte und -pflichten“ (Art. 10) sind eigentlich nur Pflichten für die Veranstalter aufgeführt, Pflichten für die Ordnungsbehörden werden nicht benannt. Dafür wird durch Art. 4 und 10 der Leiter einer Versammlung zum Hilfssheriff, zum verlängerten Arm der Polizei gemacht. Als Mittel dazu werden unter anderem neben der Auflösung der Versammlung „Aufrufe zur Gewaltfreiheit und Distanzierungen gegenüber gewaltbereiten Anhängern“ aufgezählt, man will also mal wieder spalten und aufteilen in ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Demonstrant/innen. Tut der Leiter dies nicht zur Zufriedenheit der Polizei, so steht darauf Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Außerdem soll der Leiter bereits im Vorfeld, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass die Versammlung einen gewalttätigen Verlauf nehmen kann“, verpflichtet werden, „geeignete Maßnahmen dagegen zu ergreifen“. Abgesehen davon, dass unklar ist, was im Vorfeld geeignete Maßnahmen sind – soll ein Veranstalter den Prognosen von Polizei und Verfassungsschutz blind glauben oder gar selbst ermitteln?
Neue Straftatbestände
Datenschutz ist bekanntermaßen nicht im Sinne der bayerischen Staatsregierung. So müssen z. B. die persönlichen Daten des Leiters und der Ordner im Vorfeld angegeben werden (klar, sonst kann man sie ja nicht als ungeeignet ablehnen, s. nächster Abs.).
Weiterhin finden sich Regelungen, die das Filmen bei Versammlungen gestatten, „Übersichtsaufnahmen“ (aus denen beim heutigen Stand der Technik problemlos einzelne Personen identifiziert werden können) wären nicht nur erlaubt, sondern müssten nie gelöscht werden. (Art. 9) Mit dem Änderungsantrag hat die CSU jetzt eingefügt, dass nach Ablauf der Löschungsfrist von einem Jahr keine Einzelpersonen aus diesen Übersichtsaufnahmen mehr identifiziert werden dürfen – wer’s glaubt …
Sowohl bei Versammlungen unter freiem Himmel als auch in geschlossenen Räumen können der Leiter und die Ordner als unzuverlässig oder ungeeignet abgelehnt werden. (Art. 10, 13) Das bedeutet, dass eine einfache Ordnungsbehörde einzelnen die Ausübung eines Grundrechts aberkennen kann. Außerdem kann die Zahl der Ordner nicht nur wie bisher beschränkt, sondern als Auflage auch erhöht werden – damit könnten nicht nur von einer größeren Zahl von Personen die Daten erlangt, sondern durch die Anforderung einer großen Zahl von Ordnern auch Versammlungen erschwert oder verhindert werden.
Nicht nur für mangelnde Willfährigkeit des Leiters, sondern insgesamt wurden die Strafen und Geldbußen meist erhöht und einige neue Straftatbestände geschaffen.
Im Unterschied zum bisher geltenden Bundesversammlungsgesetz sind in dem Entwurf nicht mehr nur dann Einschränkungen vorgesehen, wenn die „öffentliche Sicherheit“ gefährdet ist, sondern es ist die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ genannt. Auch dies stellt eine massive Erweiterung der Gründe für Einschränkungen des Versammlungsrechts dar.
Wer wird angesichts dieser Rechtsunsicherheit und der drohenden Strafen noch wagen, eine Versammlung anzumelden, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt?
Wir hingegen setzen uns dafür ein, dass die im Grundgesetz und der Bayerischen Verfassung garantierte Versammlungsfreiheit endlich wirklich realisiert wird. Und wir werden uns auch durch das neue bayerische Versammlungsverhinderungsgesetz nicht daran hindern lassen, unser Grundrecht wahrzunehmen!
Corinna Poll,
Vorsitzende DFV OV München
www.muenchen.freidenker.org,
freidenker-muenchen@t-online.de
Das geplante Versammlungsgesetz ist nur ein kleiner Teil der Angriffe, die zur Zeit sowohl auf Bundesebene als auch insbesondere in Bayern gegen die Grundpfeiler des Rechtsstaats geführt werden. Die Vorschläge von Wolfgang Schäuble reichen von der Aufhebung des Folterverbots über Abschaffung der Unschuldsvermutung und die flächendeckende Beobachtung bis hin zum Freibrief für gezielte Todesschüsse.
Jetzt hat er mit dem neuen BKA-Gesetzentwurf die Grundlage dafür gelegt, dass das BKA weitgehende polizeiliche und geheimdienstliche Befugnisse erhält. Das reicht vom Einsatz verdeckter Ermittler und V-Leuten über Online-Durchsuchung, Durchsuchungen, Lauschangriff in Wohnungen, Telefonüberwachung und Ortung von Mobiltelefonen bis hin zur Rasterfahndung. Auch „präventiv“, dass heißt, ohne einen konkreten Anlass, soll das BKA tätig werden dürfen.
Übrigens, in Bayern sind viele der geplanten Eingriffe bereits Realität: Bereits seit 2006 dürfen z.B. Telefone „präventiv“ abgehört werden, die bayerische Variante der Online-Durchsuchung wurde ebenfalls jetzt beschlossen und die Überwachung von KfZ durch sogenanntes „Kennzeichen-Screening“ läuft auch bereits.
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