Die Macht der Medien
Aus: Freidenker Nr. 4-07 Dezember 2007 66. Jahrgang – Thema, S. 24-28
von Bernd Fricke
Wer kennt ihn nicht, den Begriff der Mediengesellschaft. Aber leben wir wirklich in einer solchen, so wie wir früher beispielsweise in der Steinzeit oder im Atomzeitalter gelebt haben?
Fakt ist, Medien beeinflussen unser tägliches Leben in zunehmendem Maße. Es gibt kaum einen Ort, an dem wir vor ihnen sicher sind. An fast jeder Ecke blinkt, piept oder klingelt etwas.
Wir werden von optischen und akustischen Reizen im wahrsten Sinne des Wortes regelrecht überschwemmt. Die riesigen Reklametafeln, die unser Stadtbild maßgeblich mitbestimmen, sind hier ebenso zu nennen wie die Informationsflut aus Funk, Fernsehen oder Internet.
Aber ist das Beweis genug für die Existenz einer Mediengesellschaft? Um diese Frage besser beurteilen zu können, müssen wir tiefer in die Materie eindringen.
Medien beeinflussen nicht nur unser tägliches Leben, sondern auch uns selbst. Sie enthalten oft versteckte Botschaften, die uns – wohlfeil verpackt – ein sorgenfreies, selbstbestimmtes Leben voller Glück und Spaß verheißen. Alle gesellschaftlichen Bereiche stehen dir offen, wenn du es nur willst und zur richtigen Zeit den richtigen Kaffee trinkst oder die richtige Zigarette rauchst. Rauche, staune, gute Laune! So einfach ist das? Oder vielleicht nicht?
Kriegstreiberei
Ein anderes Beispiel: Der Irakkrieg wurde wie fast alle modernen Kriege mit einer riesigen Medienkampagne vorbereitet. Presse, Funk und Fernsehen versuchten uns nahezu unisono weiszumachen, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge und dadurch zu einer Gefahr für den Weltfrieden geworden sei, die man auslöschen müsse. Heute wissen wir, dass die angeblichen Beweise gefälscht waren und einzig und allein dem Zweck dienten, den amerikanischen Angriffskrieg gegen den Irak zu rechtfertigen.
Es sind also nicht die Medien als solche, die uns beherrschen, sondern immer die Menschen, die sich ihrer bedienen, um die eigenen Macht- und Herrschaftsansprüche damit durchzusetzen bzw. abzusichern. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob Medien per se als Machtinstrumente fungieren oder sich nur als solche missbrauchen lassen. Solange wir in einer Gesellschaft leben, in der es ein Oben und ein Unten gibt, wird es immer auch Menschen geben, die zur Absicherung ihrer Machtinteressen nicht vor der Manipulation der Wahrheit zurückschrecken.
Umgekehrt sind tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen kein Garant dafür, dass Macht nicht mehr missbraucht wird und die Medien ihre Unschuld zurückgewinnen. Wie bemerkte schon Bert Brecht in anderem Zusammenhang so treffend: „Der älteste Trick der Bourgeoisie besteht darin, das Volk freiwillig seine Unfreiheit wählen zu lassen.“ Man könnte hinzufügen: Die Medien lassen sich dabei nur allzu gern zur Hure machen.
Noch einmal: Die veröffentlichten Satellitenbilder von vermeintlichen Produktionsstätten für Massenvernichtungswaffen, die dazugehörigen Kommentare in Funk und Fernsehen sowie die Archivaufnahmen vom historischen Giftgasangriff im Nordirak werden erst im Kontext der medialen Vermittlung zu einem Manipulationsinstrument und damit zum Mittel der Politik. Für sich genommen sind sie eher harmlos, ja nahezu wertfrei, ähnlich der Fotografie einer schönen Blume oder eines Sonnenuntergangs am Meer. Erst als die amerikanische Regierung sich ihrer bediente, um damit ihre eigenen Ziele besser durchsetzen zu können, wurden die an sich harmlosen Bilder und Kommentare zu Instrumenten einer imperialen Politik.
Vom Hinschauen zum Durchblicken
Was lernen wir daraus? Wer nicht von den Medien beherrscht werden will, muss lernen, sie zu durchschauen. Wer sie durchschauen will, muss mit ihnen umgehen können. Dies ist jedoch leichter gesagt als getan, obwohl heute in fast jedem Haushalt ein PC steht und nahezu jeder Mensch der sogenannten zivilisierten Welt schon einmal ein Foto geschossen oder eine Videoaufnahme gemacht hat. Das Problem ist komplizierter, als man denkt. Es genügt nämlich nicht, Medien einfach nur so zu gebrauchen. Man muss auch einiges über sie wissen, ihre Sprache verstehen, um nicht zu ihrem Opfer zu werden.
Medien sind ein wichtiger Teil des Kommunikationsprozesses. Sie dienen zur Übermittlung von Botschaften und treten dabei als Vermittler zwischen Sender und Empfänger auf. Als Sender bezeichnet man denjenigen, der einem anderen etwas mitteilen will, als Empfänger denjenigen, dem etwas mitgeteilt werden soll. So ist es möglich, über Medien Kontakte zu knüpfen, und das nicht erst seit der Erfindung des Internets. Auch handgeschriebene Briefe, die hin und her geschickt werden, sind in diesem Sinne Medien.
Medien können auch helfen, die Welt besser zu verstehen. Was wären wir ohne Schulbücher, Zeitungsnachrichten, Dokumentarfilme etc.? Doch Achtung: Das, was in Schulbüchern steht, in Funk und Fernsehen gesendet wird, muss nicht immer der Wirklichkeit entsprechen, es könnte manipuliert sein, es könnte bewusst zur Herrschaftsabsicherung eingesetzt werden.
Bild und Realität
Auch deshalb ist es wichtig, dass man nicht nur vom Alltagsgebrauch des Mediums etwas versteht – wo muss ich beim Fotografieren draufdrücken? – sondern sich früher oder später tiefergehend mit der Sache befasst. Ähnlich wie beim Erlernen einer Fremdsprache ist es auch im Bereich der Medien lohnend, sich zusätzlich ihre ‚Grammatik‘ anzueignen.
Da jedes Medium seine eigene Sprache besitzt, darf man nicht von der ‚Grammatik der Medien‘ sprechen, sondern immer nur von der Grammatik eines bestimmten Mediums.
Nehmen wir zum Beispiel die Fotografie. Ihre Erfindung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat im wahrsten Sinne des Wortes die Welt verändert. War es bis dahin die Aufgabe von Malern und Grafikern, dem gefälligen Publikum Bilder von sich und der Welt zu liefern, so traten an ihre Stelle von nun an in zunehmendem Maße professionelle Fotografen. Anfang des 20. Jahrhunderts kamen dann noch die Filmemacher hinzu.
Fotografie und Film wurden zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz für die bildenden Künste, was in letzter Konsequenz dazu führte, das diese sich neuen Aufgabengebieten zuwendeten. Das möglichst wirklichkeitsgetreue Abbilden lag von nun an in den Händen der Fotografen und Filmemacher, während die meisten Künstler sich in zunehmendem Maße der Abstraktion zuwendeten. Kein anderes Medium als die Fotografie war und ist in der Lage, schneller, perfekter und preisgünstiger ein Abbild von der Wirklichkeit zu liefern.
Doch genau darin liegt das Problem. Indem der Fotoapparat all das, was sich zum Zeitpunkt der Aufnahme vor seiner Linse befindet, naturgetreu wiedergibt, baut er einen Wahrheitsanspruch auf, den er so nicht einlösen kann. Immerhin ist es der Fotograf, der durch den Sucher schaut, Standort, Perspektive und Ausschnitt bestimmt. Und damit bestimmt er zugleich, was wir von der Wirklichkeit zu sehen bekommen und wie wir es sehen.
Ich gebe ein Beispiel: Von unzähligen Wahlplakaten blicken immer wieder die gleichen idealisierten Gesichter von Politikern auf uns herab, um uns mit ihrem Lächeln davon zu überzeugen, dass es keinen besseren Kandidaten für das angestrebte Amt gäbe. Doch was sagen diese Fotos darüber hinaus noch über die dargestellten Personen aus? Nichts!
Nun mag man einwenden, dass es auch andere, bessere Fotos gibt. Das ist zwar richtig, aber das Problem bleibt das gleiche: Jedes Foto ist manipulierbar, da es immer nur einen räumlich-zeitlichen Ausschnitt der Wirklichkeit widerspiegelt. Würden wir es uneingeschränkt für ein Abbild der Wahrheit halten, so könnte es passieren, dass wir diesen fatalen Irrtum später bereuen. Auch hier ist die Medienkampagne gegen Saddam Hussein wieder ein gutes Beispiel. Mehrere Politiker, die damals aufgrund der scheinbar unwiderlegbaren Beweislage den amerikanischen Präsidenten unterstützt haben, geben mittlerweile offen zu, dass sie einem Irrtum – man könnte auch sagen einer Täuschung – aufgesessen sind.
Fazit: Wir leben zwar in einer durch und durch von Medien geprägten Gesellschaft, doch wäre es falsch, daraus abzuleiten, Medien besäßen ein eigenständiges Machtpotential.
Medien an sich sind harmlos, genauso harmlos wie die Atomspaltung, erst durch deren Nutzung, z.B. für gefährliche Mordwaffen, werden von Menschen die Destruktivkräfte freigesetzt. Wegen dieser Missbrauchbarkeit einen Feldzug gegen die Medien zu beginnen, wäre widersinnig und kurzsichtig.
Demokratisierung
Anstatt sich den Medien zu verweigern oder sie gar zu bekämpfen, ist es wichtig, den kritischen Umgang mit ihnen zu erlernen. Dadurch wäre man ihrem Missbrauch weit weniger ausgeliefert und könnte sie ggf. im emanzipatorischen Sinne nutzen.
Ein fataler Fehler wäre es auch, die Verfügungsgewalt über die Medien ausschließlich den Herrschenden zu überlassen. Was dabei herauskäme, haben wir im Laufe der Geschichte oft genug erlebt und erleben wir täglich, wenn wir bestimmte Fernsehformate konsumieren oder in bestimmten Zeitungen blättern.
Eine Demokratisierung der Medienwelt, die verhindert, das Meinung gleichgeschaltet wird, und sei es auch nur die von der vermeintlichen Meinungsfreiheit, tut deshalb dringend Not.
Dieser Forderung steht aber die Realität der Medienwelt diametral gegenüber. Wir erleben derzeit auch dort, wie sich immer mehr Macht in immer weniger Händen konzentriert. Sehen wir uns als Beispiel einmal die Machenschaften von Europas größtem und weltweit fünftgrößtem Medienkonzern an. Zum Bertelsmann-Imperium mit seinen rund 20 Milliarden Umsatz pro Jahr gehören die Fernsehsender der RTL-Gruppe, der Zeitschriftenverlag Gruner und Jahr (Stern, Capital, Geo usw.), der weltgrößte Buchverlag Random House, das weltgrößte Musikkonsortium SonyBMG (Bertelsmann Musik Group) und der Logistik- und Online – Dienstleister Arvato. Des Weiteren bestanden Verflechtungen zum Spiegel und zur Zeit-Stiftung. (Quelle: Der Tagungsband „Bertelsmann: Ein globales Medienimperium macht Politik“ hrsg. von Thomas Barth, erschienen im Anders Verlag 2006) Haupteigentümerin ist die als gemeinnützig anerkannte Bertelsmann Stiftung, die 1977 zwecks Steuervermeidung gegründet wurde und dem Konzern letztendlich mehr Steuern spart, als sie an Geld für ihre gemeinnützigen Zwecke ausgibt.
All dies wäre – wie oben bereits mehrfach betont – nicht weiter schlimm, würden hinter solch einer Konzentration nicht handfeste machtpolitische Interessen stecken.
Die Methode Bertelsmann
Torben Klimmek titelt in einer Buchbesprechung des Tagungsbandes „Bertelsmann: Ein globales Medienimperium macht Politik“: „Mohn aus Gütersloh – Die berauschte Republik und ihr Großdealer“. In diesem raffinierten Wortspiel vergleicht er den Konzernchef Mohn mit den Erzeugern des gleichnamigen Rauschmittels aus Afghanistan und anderswo. Er schreibt: „[…] in Gütersloh findet sich ein Erzeugnis, das nicht nur denselben Namen, sondern auch eine ähnliche rauschhafte und verhängnisvolle Wirkung wie die […] Rauschgiftpflanze aufweist. Seine Herstellung ist allerdings ganz legal und sogar offiziell erwünscht. Seine Inhaltsstoffe sind schnell genannt: Ökonomisierung aller Lebensbereiche, Konkurrenz auf allen Ebenen, Markt statt Staat, Deregulierung, Privatisierung, Liberalisierung und schließlich Konzernoligarchie statt Demokratie. Dieses Rezept liefert den Grundstoff für das neue Opium des Volkes, gemeint ist das täglich und allenthalben verabreichte Narkotikum namens Neoliberalismus. Mittels seiner bewusstseinsindustriellen Medienmacht und seiner sich als gemeinwohltätig ausgebenden Stiftung versorgt er die längst abhängig gewordene Gesellschaft dieses Landes unentwegt mit seiner Droge in Form der Agenda 2010, der Hartz-Reform-Entwürfe, der Schul- und Hochschulreformen, der privaten Altersvorsorge etc.“
Wie macht Bertelsmann das? Wie kann es einem Medienkonzern gelingen, in allen Bereichen der Politik mitzureden und zu helfen, in letzter Konsequenz nichts anderes als Kapitalinteressen durchzusetzen? Die Rede ist hier nicht von plumper Beeinflussung in Bildzeitungsmanier. Das hat ein solcher Riese nur bedingt nötig. Seine Mittel sind in der Regel viel subtiler und effizienter.
Schauen wir uns zur Klärung dieser Fragen die Bertelsmannstiftung und ihre Einflussbereiche einmal etwas genauer an: Je mehr sich der Staat aus traditionellen Aufgabenbereichen zurückzieht, desto stärker wird der Einfluss privater Unternehmen. Im Bildungssektor spielt auf diese Weise die Bertelsmann-Stiftung eine führende Rolle. Ihre Vertreter haben u. a. in der Bildungskommission von NRW gesessen und über das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) massiven Einfluss auf die Hochschulpolitik ausgeübt. So ist z. B. die Einführung von Studiengebühren im Wesentlichen auf das Betreiben des CHE zurückzuführen.
Und auch bei der Einführung der sogenannten „selbständigen“ oder „eigenverantwortlichen“ Schule haben Einrichtungen der Bertelsmann-Stiftung ihre Hände im Spiel. Dazu muss man wissen, dass diese Neuerungen im Schulwesen reiner Etikettenschwindel sind. Es geht nicht darum, pädagogische Freiräume zu schaffen oder gar unser Schulwesen zu demokratisieren, im Gegenteil: Die Institution Schule soll mehr und mehr den Belangen der Wirtschaft angepasst werden. Bildung muss ‚sich rechnen‘, das Verhältnis von Input zu Output muss stimmen.
Als Medienunternehmen nimmt Bertelsmann aber auch direkten Einfluss auf die Köpfe der Menschen, und das nicht nur in der Werbung oder einschlägigen Politmagazinen. Die Rede ist von einer mediengelenkten Demokratie, nicht als Ausnahme, sondern als ständig begleitende Einflussnahme auf nahezu allen Gebieten der ‚hohen Politik‘.
So werden Erhebungen wie die PISA- Studie u.a. dazu genutzt, um Druck auf die Regierenden auszuüben und ihre Bereitschaft zu „Reformen“ zu erhöhen, die der breiten Öffentlichkeit dann über die Medien vermittelt werden. Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen mag, nämlich eine Standortbestimmung im Bildungswesen vorzunehmen, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als manipuliert und interessengesteuert. Treibende Kraft bei all diesen Prozessen im Bildungswesen ist hinter den Kulissen die Industrielobby, der hochrangige Europäische Runde Tisch der Industriellen (ERT), dem auch Bertelsmann lange Zeit angehörte.
Diese wenigen Beispiele mögen an dieser Stelle genügen, um die Thesen von der interessengesteuerten und weitgehend monopolisierten Mediengesellschaft zu untermauern. Was kann man aber gegen solche Verhältnisse tun?
Wichtig ist zunächst, dass Licht in das Dunkel gebracht wird. Aufklärung tut Not! Die Menschen müssen erfahren, dass sie manipuliert, manchmal sogar belogen und betrogen werden. Gleichzeitig ist für den Einzelnen aber auch wichtig, die Erfahrung zu machen, dass es Sinn macht, sein ‚Schicksal‘ in die eigenen Hände zu nehmen, sich solidarisch gegen Unrecht und Machtmissbrauch zu wehren. Nur wenn viele Menschen diese Erfahrung sammeln, lässt sich vielleicht langfristig etwas verändern.
Bernd Fricke ist Landesvorsitzender des DFV Niedersachsen
Netzquellen:
. http://www.nachdenkseiten.de/?p=1837
. http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=9486
. http://de.wikipedia.org/wiki/Bertelsmann
Bild: pixabay.com / User: MichaelGaida