Weltanschauung & Philosophie

Fundsachen und ihre Zeit

Aus: „Freidenker“ Nr. 1-09 März 2009     68. Jahrgang  – Thema, S. 8-11

 

Seit Darwins bahnbrechendem Werk über die Entstehung der Arten belegen Funde bis in unsere Tage immer wieder, dass die Evolutionstheorie den Rahmen absteckt, in dem der Mensch sich entwickelt hat. Als sein wegweisendes Werk entstand, waren nicht einmal der Urvogel Archaeopteryx oder einer der gigantischen Dinosaurier entdeckt.

Auch Funde, die auf den ersten Blick Darwin der ‚Schlamperei‘ überführen, bestätigen seine Theorie: Im September 1835 hatte er auf den Galápagos-Inseln vor der Küste von Ecuador zwei Leguan-Arten entdeckt, erst 1986 wurde zufällig in der Nähe des Vulkans Wolf auf der Galápagos-Insel Isabela eine dritte entdeckt, aufgrund ihrer rosa Färbung „Rosada“ genannt. Forscher fanden heraus, dass die Entwicklungspfade der Rosadas und der übrigen Landleguane sich wohl schon vor rund 5,7 Millionen Jahren teilten.

Für das Jahr 2009 hat die Paläontologische Gesellschaft den Juravenator starki zum Fossil des Jahres gewählt. Es handelt sich um Europas besterhaltenen Raubdinosaurier, und seit kurzem ist das Sensationsfossil im Jura-Museum Eichstätt zu bewundern.

Juravenator bedeutet „Jurajäger“. Der kleinwüchsige Dinosaurier war etwa so klein wie ein Huhn, allerdings mit sehr langem Schwanz. Wie die Untersuchung ergab, war er aber zum Zeitpunkt seines Todes noch sehr jung und damit sicher nicht ausgewachsen. Zehn Jahre lang hatte das Jura-Museum Eichstätt ein Steinbruchareal in Schamhaupten für eine wissenschaftliche Grabung gepachtet. Nur wenige Monate vor Ablauf des Pachtvertrages machte das Grabungsteam einen sensationellen Fund, der im Jahr 2006 nach jahrelanger, penibler Präparationsarbeit und der wissenschaftlichen Bearbeitung durch zwei renommierte Dinosaurierforscher der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte.

Am 26.2.2009 berichtete der „stern“ über den jüngsten Fund versteinerter Fußabdrücke am Turkanasee im Norden Kenias. Die 1,5 Millionen Jahre alten Abdrücke stammen vermutlich vom Homo erectus, und zeigen eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem heutigen Homo sapiens. Die Frühmenschenart Homo erectus tauchte erstmals vor etwa 1,9 Millionen Jahren in Afrika auf. Die Analyse der Spuren zeigt, dass der Gang in nahezu allen Einzelheiten dem heutigen Gehen entsprach: Zunächst das Aufsetzen der Ferse, dann die Gewichtsverlagerung und das Abrollen über den Fußballen und den großen Zeh. „Das sind die Kennzeichen des modernen menschlichen Gangs, die mit einem langen Schritt und ausgedehnten unteren Gliedmaßen verbunden sind – dem Schlüssel zur Energieeffizienz des Gehens“, schreiben die Forscher.

Vom Alter des Menschen, des Lebens, der Erde

Die Altersbestimmung solcher Funde und älterer Fossilien war zu Lebzeiten Darwins noch nicht möglich. Erst 1895, dreizehn Jahre nach Darwins Tod am 19.4.1882, entdeckte Henri Becquerel die Radioaktivität. Mit ihrer Hilfe ist die Altersmessung von Fossilien möglich, denn gemäß physikalischem Gesetz zerfallen pro Zeiteinheit eine bestimmte Anzahl von Atomen eines radioaktiven Stoffes: je mehr radioaktive Atome in einer Versteinerung (oder einer geologischen Schicht) zerfallen sind, umso älter ist sie, man spricht von der „radioaktiven Uhr“ im Gestein.

Geologen haben festgestellt, dass Afrika und Amerika, die vormals einen gemeinsamen Kontinent bildeten, vor ca. 120 Millionen Jahren auseinandergerissen wurden. Die östliche Spitze Brasiliens „passt“ noch erkennbar gut in den westafrikanischen Golf von Guinea, und beide Kontinente entfernen sich noch heute jährlich um mehrere Zentimeter von einander. Das aus gemeinsamen Vorfahren hervorgegangene pflanzliche und tierische Leben hat sich seit der Trennung auf getrennten Wegen entwickelt und unterschiedlichste Formen hervorgebracht.

Während wir im Jahr 2009 unserer Zeitrechnung leben, hat kaum ein heute Lebender noch das Jahr 1900 erlebt. Der von uns als ‚Mittelalter‘ bezeichnete Zeitraum erscheint uns unvorstellbar weit in der Vergangenheit, und gar erst das Jahr „Null“, an dem eigentlich nichts seinen Anfang nahm, als eine spätere religiöse Legende.

Dass es seit Milliarden von Jahren Leben auf der Erde gibt, übersteigt jede Vorstellungskraft. Versteinerte Spuren von frühen primitiven Bakterien finden sich in 3,8 Milliarden Jahren altem Felsgestein. Vor drei Milliarden Jahren schlossen sich die Einzeller zu Mehrzellern zusammen. Vor 530 Millionen Jahren entwickelten sich aus Quallen und Würmern Vorläufer der Fische, als erste Pflanzen an Land entwickelten sich Moose vor 400 Millionen Jahren.

Vor 350 Millionen Jahren robbten die ersten Fische an Land, um ihre Eier in Seen und Tümpeln abzulegen. Vor 250 Millionen Jahren erschienen erste Reptilien mit Lederhaut und kalkschaligen Eiern, die so für den dauerhaften Aufenthalt an Land ausgestattet waren, die Entwicklung der Dinosaurier begann. Vor 150 Millionen Jahren haben sich Blütenpflanzen, Vögel und Säugetiere entwickelt, die Dinosaurier aber beherrschten die Erde bis zu einer großen Katastrophe vor 65 Millionen Jahren: Ein riesiger Meteorit schlug auf der Erde ein, hinterließ einen bis heute erkennbaren Krater vor der mexikanischen Küste, und löste eine Klimaka-tastrophe aus: Flutwellen, Flammenmeer, Staub und Asche in den obersten Atmosphäre-Schichten, Temperaturabfall. Den kaltblütigen Dinosauriern fehlte die Sonnenwärme, sie starben aus und machten den Säugetieren Platz, die sich weiter ausdifferenzierten.

Gegenüber diesen Zeitspannen ist die menschliche Geschichte außerordentlich kurz. Vor dem oben erwähnten Frühmenschen Homo erectus, der die Erde vor knapp zwei Millionen Jahren betrat, lebten ältere Urahnen des heutigen Menschen – der Vormensch, wissenschaftlich als Australopithecus bezeichnet.

Ein sensationeller Fund war Lucy oder Dinknesh am 30. November 1974 im äthiopischen Hadar, ein gut erhaltenes Skelett dieser Vormenschen, manchmal auch ‚Affenmenschen‘ genannt. Lucy wird als eine erwachsene Frau von etwa 25 Jahren beschrieben, 3,2 Millionen Jahre alt, und gehört zur Stammesfamilie der Australopithecus. Der Fund führte zur Beschreibung der neuen Art Australopithecus afarensis, und weitere Funde 1978 in Tansania belegen, dass dieser bereits vor rund 3,7 Millionen Jahren auf zwei Beinen gehen konnte.

Der große Zeh dieses Vormenschen saß bereits, wie beim heutigen Menschen, vorne am Fuß, was für das Abrollen beim Laufen entscheidend war, und nicht mehr seitlich abgespreizt, wie zum Klettern und Hangeln in Ästen zweckmäßig. Von ihm unterschied sich sein ‚Nachfolger‘, der Frühmensch Homo erectus dadurch, dass dieser erstmals in der menschlichen Evolution längere Beine als Arme aufwies: ein Zeichen, dass der Mensch ‚vom Baum herabgestiegen war‘. Er ähnelte dem heutigen Menschen bereits stark – in Körpergröße und Gewicht, und auch im Verhältnis der Gliedmaßen zueinander.

Bis Mitte der 1990er Jahre wurden an den beiden Fundstellen, der Umgebung des Turkana-Sees in Kenia und in Äthiopien weitere, noch ältere Teile von Hominiden-Skeletten gefunden: zwischen 4 und 4,4 Millionen Jahre alt. Diese beiden „Äthiopier“ und „Kenianer“ konnten beide aufrecht gehen, gehörten aber unterschiedlichen Arten an. Der äthiopische Zweig starb irgendwann aus, nur die menschenähnlichere, kenianische Linie kommt für die Ahnenschaft des Menschen in Frage.

Knochenfunde des Homo errectus in 300.000 Jahre alten Gesteinsschichten fanden sich im Nahen Osten, am Schwarzen Meer, in Asien und in Europa. Hierzu zählen auch die Funde des Neandertalers im Rheinland, die zu Lebzeiten Darwins von Steinbrucharbeitern zu Tage gefördert wurden.

Demgegenüber begann erst mit der dritten Etappe vor frühestens 200.000 Jahren die Geschichte des „modernen Menschen“, des Homo sapiens. Er ging erst vor ca. 100.000 Jahren von Afrika aus auf Wanderschaft und koexistierte, wie Funde beweisen, ca. 50.000 Jahre neben seinen älteren ‚Vettern‘. Nach Europa gelangten die „Modernen“ erst vor 35.000 Jahren, wenige Tausend Jahre später waren die Neandertaler verschwunden. Die Menschen begannen mit der Herstellung komplizierter Werkzeuge, nutzten Knochen als Werkstoffe, entwickelten einen Tauschhandel mit Muscheln und Bernstein.

Sensationelle Zeugnisse einer umgehend aufblühenden Kultur brachte 1994 die Entdeckung von Höhlenmalereien im Tal der Ardèche in Frankreich. Die Darstellung von Löwen, Nashörnern, Pferden und ganzen Tierherden war plastisch und perspektivisch. Und: mehr als 30.000 Jahre alt.

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Etwas Ironie zum Schluss: Wem das freilich alles zu lange dauerte, und zu unübersichtlich ist, kann sich auch an leichter Fassliches halten: Im 17. Jahrhundert versuchte sich bereits jemand an der Altersbestimmung der Erde. Mangels verlässlicherer Quellen und wohl auch aus beruflichen Gründen – er war irischer Erzbischof – hielt sich James Ussher an die Bibel. Und kam zu einem sagenhaft exakten Ergebnis: Es war die Nacht vom 22. zum 23. Oktober 4004 (vor ‚Christus’), in der ‚Gott‘ die Erde gemacht hat. Also vor etwas mehr als 6010 Jahren, das ist doch was Genaues.

Dem guten Bischof, dem es an besseren Erkenntnissen mangelte, ist nicht unbedingt ein Vorwurf zu machen. Dass jedoch noch heute Menschen die ‚Schöpfungsgeschichte‘ wörtlich nehmen, als „gleichberechtigte Hypothese“ im Biologieunterricht behandelt sehen wollen, verschlägt einem schon die Sprache. Eine besonders fanatische Fraktion der Kreationisten unter den Evangelikalen der USA besteht auf den Tag auf das ‚Schöpfungsdatum‘ 4004 v.u.Z. – sie  werden die „Short-Termer“ genannt, „Kurz-Zeitler“ könnte man salopp sagen.

Man sollte sie nicht verwechseln mit den „Flat-Earthern“, auch wenn sich beide Gruppen überschneiden. Diese „Flach-Erdler“ wollen mit Macht ihre Auffassung durchsetzen, dass die Erde eine Scheibe ist. Wenn das kein Grund ist, an der evolutionären geistigen Höherentwicklung zu zweifeln …


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