Charles Darwin und die Evolutionswissenschaft
Aus: „Freidenker“ Nr. 1-09 März 2009 68. Jahrgang – Thema, S. 6-8
Bereits der Großvater von Charles, Erasmus Darwin, war Arzt und – freethinker, Freidenker! Und auch er betrieb schon Forschungen über die Entstehung der Arten. Charles’ Vater war ebenfalls Arzt, und so sollte selbstverständlich auch der Sohn Medizin studieren. Bis auf die Anatomie fand der junge Darwin daran aber wenig Gefallen, die damals üblichen ‚barbarischen‘ Operationsmethoden (ohne Betäubung) lösten bei ihm Übelkeit aus und den Entschluss, das Studium abzubrechen.
Danach begann er auf Drängen seines Vaters ein Theologiestudium, doch nebenbei beschäftigte er sich intensiv mit naturwissenschaftlichen Themen und unternahm zahlreiche Exkursionen in die Natur. Als sensationell und befreiend erschien ihm der Vorschlag seines Botanikprofessors, als Wissenschaftler an Bord eines Forschungsschiffes, das die Küsten Südamerikas vermessen sollte, auf Weltreise zu gehen. Im Dezember 1831 startete Darwin die von ihm bereits langersehnte Forschungsreise auf dem Vermessungsschiff „HMS Beagle“, auf der er die Erkenntnisse gewann, die er später zu seiner Evolutionstheorie ausbaute.
Im Oktober 1835 legte die „Beagle“ wieder in England an, die Reise hatte Darwin lang unter anderem nach Südamerika, zu den Galapagos-Inseln und nach Neuseeland geführt. Dort sammelte er massenhaft geologische, zoologische und fossile Proben, seine Notizen umfassten weit über 1000 Seiten. Darwin fand nicht nur eine ihn überwältigende Vielfalt der Natur, ihm bisher unbekannte Arten der verschiedenen Kontinente, sondern verblüffende Fossilien längst verschwundener Arten. Die Frage nach dem ‚warum‘, nach den Regeln ihres Entstehens wie nach den Gründen ihres Verschwindens trieb ihn um.
In Chile erlebte die Schiffsbesatzung Anfang 1835 ein heftiges Erdbeben, das neben fürchterlichen Zerstörungen auch bewirkte, dass Muschelbänke nun einen Meter oberhalb des Wasserspiegels lagen. Darwin schlussfolgerte, dass die Fossilienfunde von Meeresgetier Hunderte Kilometer im Landesinneren daher rühren konnten, dass sich das Land im Laufe der Jahrtausende gehoben, ganze Kontinente aus dem Ozean gewachsen sind.
Auf den Galapagos-Inseln gesammelte Vögel ordnete er zunächst den ihm bekannten heimischen Vogelarten zu, genauere Untersuchungen nach seiner Rückkehr offenbarten aber, dass es sich um Finkenarten handelte, alle entschieden weniger ausdifferenziert als europäische Vogelarten. Ihm wurde klar, dass die Galapagos-Inseln noch sehr jung waren, und die Natur noch nicht die Möglichkeit hatte, wie andernorts Jahrmillionen zu experimentieren und unterschiedlichste Varianten auszudifferenzieren.
Theorie vom Wandel der Arten
Im Sommer 1837 zeichnete der 28-Jährige in eines seiner Notizbücher eine berühmt gewordene Skizze: eine Art Stammbaum, der das Entstehen, Variieren und Aussterben von Arten in Grundzügen zeigt. Die Notiz trägt die Überschrift „I think“ („Ich denke“). Darwin verfasste zahlreiche Büchern über seine geologischen Entdeckungen, zugleich arbeitete er seine Theorie der Entwicklung der Arten durch natürliche Selektion nach und nach aus. Die unterschiedlichen Arten stammen demnach von gemeinsamen Vorfahren ab und haben sich von Generation zu Generation auseinander entwickelt. Dabei setzten sich jeweils die am besten an ihre Umwelt angepassten Individuen einer Art durch und pflanzten sich fort. Die am besten angepass-te Art lebt weiter.
Darwin fasste dies in den Prinzipien Variation und Selektion zusammen, sein Ansehen als Wissenschaftler wuchs, aber noch traute er sich nicht, seine zwingende Schlussfolgerung zu veröffentlichen: Dass auch der Mensch dem Tierreich entstammt, als Ahnen kamen nur die ihm Ähnlichsten, die Affen in Frage, die sich vor ‚ewig‘ langen Zeiten verwandelt haben mussten: Aufrechter Gang, Wachstum des Gehirns, Verlust des Fells, Entwicklung des Sprachorgans. Damit wäre das religiöse Dogma zusammengebrochen – dass der Mensch als ‚Krone der Schöpfung‘ von ‚Gott‘ nach dessen ‚Ebenbild‘ geschaffen wurde. Nicht zu Unrecht fürchtete er einen Aufschrei der Entrüstung und die Feindschaft der Kirche. Seinem Freund J. D. Hooker hatte er seine Bedenken drastisch geschildert: „Mir ist, als müsste ich einen Mord gestehen.“
1858 sandte der Forscher Alfred Russel Wallace von einer südostasiatischen Insel aus einen Brief an Darwin, in der er eine Evolutionstheorie formulierte, die derjenigen Darwins glich. Mit Hilfe einiger befreundeter Forscher wurde die getrennt entwickelte Theorie unter Nennung Darwins und Wallace’ Urheberschaft am 1. Juli des Jahres erstmals öffentlich vorgestellt werden. Ermutigt und gedrängt von Wallace’ Erkenntnissen begann Darwin in den späten 1850er Jahren mit der Ausarbeitung eines Manuskripts für sein Hauptwerk. Und erst mit seinem am 24. November 1859 veröffentlichten Buch „Über die Entstehung der Arten“ („On the Origin of Species“) stieß die Theorie über die Entstehung der Arten auf großes öffentliches Interesse.
Kein ‚Schöpfer‘
Darwins Evolutionstheorie wurde in der Folge weiterentwickelt und untermauert. Sie ist die Grundlage der modernen Biologie geworden und gilt längst nicht mehr als Theorie, sondern als Tatsache, die auch weitere Disziplinen beeinflusst hat. Sie bietet eine plausible und naturwissenschaftliche Erklärung für die biologische Vielfalt in der Natur und die Stellung des Menschen darin, aber Darwin hat damit nicht nur die Biologie revolutioniert, der Wandel der Weltsicht hat auch unübersehbare philosophische Konsequenzen. Die religiös verbreitete Anmaßung der Menschen, Gottes Ebenbild zu sein, hat sich als Illusion erwiesen. Dies muss schlichteren Gemütern als Gotteslästerung erscheinen, und deshalb erregt sie Darwin bis heute.
Dr. Matthias Glaubrecht, Evolutionsbiologe und Direktoriumsmitglied des Berliner Museums für Naturkunde, meint zu diesen Kontroversen: „Heute sehen wir immer klarer, dass es nicht darum geht, sich entscheiden zu müssen, ob ein Affe unser Adam war oder die biblische Schöpfung stattgefunden hat. Vielmehr sind immer mehr Menschen davon überzeugt, dass dies gar keine gleichberechtigten Alternativen sind. Und das wohl zu Recht.
Die Naturwissenschaften können die Gottfrage nicht beurteilen. Denn Gott ist eine Frage der Religion. Er lässt sich mit naturwissenschaftlichen Methoden weder widerlegen noch beweisen. An Gott lässt sich glauben; doch der Naturforschung ist er prinzipiell entzogen – und daher für diese auch nicht eigentlich interessant.
Da Darwins Evolutionstheorie Teil der Naturforschung ist, kann sie nur innerhalb ihrer eigenen Grenzen beurteilt werden, eben als wissenschaftliche Theorie. Anders ausgedrückt: Religion und Wissenschaft sind zwei getrennte Welten. Solange sich Kirchen auf die biblische Schöpfungserzählung berufen, müssen sie sich auch daran messen lassen, wie sich dies mit naturwissenschaftlich feststellbaren Fakten und Theorien vereinbaren lässt.
Evolutionsbiologen haben aber gar kein professionelles Interesse an einer solchen Vereinigung, da für sie religiöser Glaube eine gänzlich andere Betrachtungsebene ist. Deshalb sollte es uns bei der Diskussion über die Evolutionstheorie nicht länger um den angeblichen Widerspruch Darwin versus Gott gehen; denn mit Darwin hat sich die Evolutionstheorie von der Annahme eines Schöpfers emanzipiert. (…)
Nach allem, was wir mit naturwissenschaftlichen Methoden herausfinden können, müssen wir heute konstatieren, dass sich das Leben auf der Erde autonom und ohne göttliches Zutun entwickelt hat. Das ist die simple Botschaft und das Vermächtnis Charles Darwins. Deshalb ist die auf ihn zurückgehende Evolutionstheorie das am tiefsten greifende und machtvollste Gedankengebäude, das in den letzten 200 Jahren erdacht wurde. (…)
Wenn es um Darwin geht, so ist also mit vollem Recht abwechselnd von einem Kopernikus der Biologie, einem Newton des Grashalms oder einem Einstein der Arten die Rede. Charles Darwin war all dies. Er war ohne Frage nicht nur leidenschaftlicher Naturforscher und origineller Denker, sondern vor allem einer der brillantesten und kreativsten Geister, dessen Theorien bis heute aktuell geblieben sind.“
(zit. n. Die Welt, 6.1.2009)
Darwin-Karikatur, erschienen am 22. März 1871 im Magazin The Hornet
Von Unbekannt – Gemeinfrei, Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23436