Mit Ernst Thälmann verteidigen wir den Antifaschismus
Mit Ernst Thälmann verteidigen wir den Antifaschismus, unsere Geschichte und eine sozialistische Zukunft
Rede des Bundesvorsitzenden des Deutschen Freidenker-Verbandes Klaus Hartmann in Ziegenhals bei Berlin am 19. April 2009
Liebe Freundinnen und Freunde,
Genossinnen und Genossen!
Wir sind zusammengekommen, um des 123. Geburtstages von Ernst Thälmann am 16. April zu gedenken. Wir ehren das Andenken, das Leben und das Lebenswerk dieses großen deutschen Arbeiterführers und Antifaschisten. Gegen den Zeitgeist, also den Geist der Herrschenden, also gegen den herrschenden Ungeist.
In „Zeiten wie diesen“, wo ihr gepriesener Kapitalismus – für alle erkennbar – wieder das Krankenbett hüten muss, können sie kein Erinnern an Alternativen gebrauchen. Genau dies ist auch der tiefere Grund für den Skandal dieser geschlossenen, geschändeten Gedenkstätte. Es soll möglichst dauerhaft ein geistiges Klima geschaffen werden, in dem „kein Gedanke an Sozialismus“, an progressive Gesellschaftsveränderung mehr denkbar sein soll.
Auch mit unserer heutigen Veranstaltung setzen wir einen Kontrapunkt zum herrschenden Programm des Vergessens und den Versuchen den Faschismus reinzuwaschen.
Gegen ihr Programm der Geschichtsverfälschung und Gehirnwäsche, gegen das Verschweigen, Verketzern und Dämonisieren setzen wir unsere Hochachtung und Anerkennung der Lebensleistung von Ernst Thälmann, des großartigen Kampfes der deutschen Kommunisten gegen Faschismus und Krieg und all jener Menschen, die für eine sozialistische Gesellschaft kämpften und kämpfen.
Wenn ich heute die Ehre habe, an diesem historischen Ort die Geburtstagsrede für Ernst Thälmann zu halten, freut es mich zugleich, nicht als erster Freidenker an dieser Stelle zu sprechen. Namhafte Genossen unseres Verbandes taten dies vor mir, wie Herbert Mies, Rechtsanwalt Hans Bauer oder Prof. Dr. Kurt Gossweiler. Und es erfüllt uns mit Stolz, dass unser langjähriger Freidenker-Funktionär Uwe Scheer in Hamburg die Ernst-Thälmann-Gedenkstätte leitet.
Freidenker gehörten zu den ersten Opfern der Nazi-Diktatur. Die Proletarischen Freidenker wurden bereits 1932 durch Brüning‘sche Notverordnung verboten, der Deutsche Freidenker-Verband wurde im März 1933, also noch vor den Gewerkschaften, von den Nazis verboten und aufgelöst. Das Vermögen wurde geraubt, die leitenden Funktionäre mussten ins ausländische Exil fliehen.
Der Vorsitzende Max Sievers entfaltete eine umfangreiche publizistische Tätigkeit, mit der er zum Widerstand gegen den Faschismus aufrief. Er fiel 1943 im besetzten Belgien an der Grenze zu Frankreich der Gestapo in die Hände und wurde in Berlin von Freißlers sogenanntem Volksgerichtshof wegen ‚Hochverrat‘ zum Tode verurteilt, im Januar 1944 wurde er von den Faschisten im Zuchthaus Brandenburg-Görden mit dem Fallbeil ermordet.
Die Geschichte der Freidenker in der Weimarer Republik (oder sagt man, analog zur DDR – ehemalige Weimarer Republik?) steht wie die aller Organisationen der Arbeiterbewegung für die Irrungen und Spaltungen in jener Zeit. Mehrfache Parteiwechsel leitender Funktionäre, erbitterte Kämpfe zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten – das gab es auch bei den Freidenkern. Letztlich existierten am Vorabend des Faschismus zwei parteipolitisch orientierte Organisationen.
Die Lehren aus der Niederlage gegen die Faschisten zu ziehen, ist etwas ganz anderes als die alleinige Schuld den Kommunisten und Ernst Thälmann persönlich in die Schuhe zu schieben. In der jungen und noch unerfahrenen Partei focht er einen energischen Kampf sowohl gegen den Rechtsopportunismus wie gegen linkes Sektierertum.
Wenn wir über die Fehler der politischen Arbeiterbewegung in jener Zeit sprechen, dann ist es unredlich, nicht über die Bewilligung der Kriegskredite für den ersten imperialistischen Weltkrieg zu sprechen.
Oder über die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, der Führer der jungen KPD Anfang 1919, über den Marschbefehl für die Reichswehr gegen die Revolutionäre, die Erdrosselung der Novemberrevolution; die politischen Morde während der ganzen Zeit, die heute „erste deutsche Demokratie“ genannt wird, bis hin zum Blutmai 1929.
Natürlich ist es dringend, auch heute noch, die Lehren aus der Niederlage der Arbeiterbewegung zu ziehen. Sie lauten Einheit, insbesondere Aktionseinheit. Sicher ist der Spruch über die Kommunisten als „rotlackierte Faschisten“, den der Vorsitzende der West-SPD Kurt Schumacher prägte, keine solche Lehre aus dem Faschismus, ganz im Gegenteil.
Denn eine weitere zentrale Lehre lautet: Absage an jeden Antikommunismus, der Grundtorheit unseres Jahrhunderts. Dass diese Lehre heute weitgehend unbekannt zu sein scheint, könnte daran liegen, dass im Grunde noch immer die gleichen Kräfte das Sagen haben, die einst Hitler an die Macht schoben. Hitler war für sie nur eine besonders brutale Variante ihrer eigenen Herrschaftssicherung, aber immerhin eine Lebensversicherung für den Imperialismus.
Damit diese Wahrheit vergessen wird, nicht ausgesprochen werden darf, dafür haben die Herrschenden ein umfangreiches ideologisches Waffenarsenal angelegt. Die Beherrschung der Köpfe, früher die Monopolzuständigkeit von Thron und Altar, ist an die Medien delegiert.
An erster Stelle setzen sie unliebsame Begriffe auf den Index – z.B. den Imperialismus, der zwar als Wort erlaubt, aber als Begriff tabu ist – zumal er die Endlichkeit ihrer Herrschaft anzeigt.
Zur Verdammung des Sozialismus sollte in Deutschland die juristische „Aufarbeitung“ der sogenannten „SED-Diktatur“ beitragen – als eines nicht hinterfragbar als Unrechtsstaat zu klassifizierenden Gebildes. Entsprechend den Worten des Dienstherrn Kinkel anlässlich eines Deutschen Richtertages machte sich die vorgeblich unabhängige Justiz an die Umsetzung seines Auftrages der „Delegitimierung der DDR mit juristischen Mitteln“.
Hier muss man einen Moment innehalten, denn nicht nur der Inhalt dieser Worte ist skandalös. Man stelle sich vor: Der Vertreter der Exekutive gibt der Legislative einen Auftrag! Sie treten die Gewaltentrennung, das Fundament ihrer eigenen Staatsrechtslehre mit Füßen. Und das nennen sie dann „Rechtsstaat“!
Zur Durchsetzung ihrer Ideologie vom „Unrechtsstaat“ DDR haben sie Horden von Kalten Kriegern in die annektierten Gebiete in Marsch gesetzt, darunter auch einen besonders ausgekochten Gröger.
Zu den besonders zynischen Leistungen der Delegitimierung gehört, die DDR einerseits als Staat des „verordneten Antifaschismus“ zu beschuldigen, dann DDR-Urteile gegen Nazi-Verbrecher aufzuheben, deren Richter der DDR offenbar aus Rachegelüsten wegen Rechtsbeugung anzuklagen, um schließlich der DDR wegen der nach ihrem Ende in Erscheinung getretenen Neonazis mangelnde antifaschistische Effektivität vorzuwerfen.
Wir ziehen als Fazit: Es ist genau die Hetze gegen den sogenannten „verordneten Antifaschismus“, die geradewegs zur Rehabilitierung des Faschismus und zur Förderung der Neonazis führt.
Das zentrale Anliegen der Herrschenden ist, zu verdrängen, dass sich die Deutsche Demokratische Republik ab 1949 als Bollwerk im Kampf gegen die alt- und neonazistischen Kräfte in der BRD erwiesen hatte. Angesichts der bundesdeutschen Realität soll vergessen gemacht werden, dass zu den Verpflichtungen Deutschlands nach der Befreiung vom Faschismus die Enteignung der Kriegsverbrecher und die Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum gehörte. Es geht ihnen darum, die geschichtliche Rolle des antifaschistischen deutschen Staates zu negieren.
Deshalb ist auch um Faschismus und Antifaschismus und um deren Deutungshoheit die „Erinnerungsschlacht“ entbrannt. So wie Thälmann und der kommunistische Widerstand negiert werden, werden Einzelbeispiele aus bürgerlichen Kreisen zum allein gültigen, quasi staatsoffiziellen Widerstand geadelt.
Deshalb bestehen die herrschenden Sprachregler auch fanatisch darauf, dass die Hitler-Diktatur nicht bei ihrem Namen Faschismus genannt wird, sondern die betrügerische Eigenwerbung der Faschisten gelten soll, es habe sich um „Nationalsozialismus“ gehandelt.
Nach der Befreiung vom Faschismus haben die Überlebenden geschworen: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Nie wieder – das wurde zum breiten gesellschaftlichen Konsens in Deutschland, in der BRD wie in der DDR. Nie wieder darf von deutschem Boden ein Krieg ausgehen! Damit war es nach 1990 schnell vorbei.
Nach wiedererlangtem Vollbesitz seiner Kräfte schickte sich Deutschland 1990 umgehend an, sein außenpolitisches Gesellenstück zu machen, durch Heimholung seines traditionellen Hinterhofs, mittels Zerschlagung Jugoslawiens.
Beim blutigen Finale im Verein mit den USA bei der NATO-Aggression 1999 wurde die antifaschistische Verpflichtung „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“ entsorgt, und durch Joseph Fischers „Nie wieder Auschwitz“ ersetzt, was der rosa-olivgrünen Bundesregierung bedeutete: Überall, wo nach ihrer Auffassung ein „neues Auschwitz“ droht, wird dies durch Krieg präventiv verhindert. Der Kriegsminister Scharping durfte sogar im Fernsehen von einem „KZ in Pristina“ halluzinieren, ohne dass der Arzt kam.
Auschwitz wird überall dort neu erfunden, wo man die Bundeswehr aufmarschieren lassen will. Eine solch infame Relativierung des faschistischen Judenmordprogramms, und zwar regierungsamtlich, war bislang präzedenzlos. Diese neue Auschwitzlüge, wie Überlebende des Vernichtungslagers die neue Unverschämtheit nannten, stellt einen Meilenstein staatsoffizieller Liquidierung des Antifaschismus dar.
Zusätzlich wird die antifaschistische Verpflichtung Deutschlands umgelogen zu einer angeblichen „Staatsraison“ – der bedingungslosen Solidarität mit Israel. Sie fordert die Anerkennung eines ominösen „Existenzrechts“ (nicht etwas der Existenz) eines Staates, der bis heute ohne definierte Grenzen, aber mit ständigem Landraub existiert. Die geforderte Solidarität mit dem Israel der Apartheid ist ein Missbrauch der Opfer des Faschismus für die aktuellen Geschäfts- und Herrschaftsinteressen des Imperialismus.
Ideologisch flankiert wird dies damit, jede Kritik an Israel, den USA oder auch den Machenschaften des Finanzkapitals als „antisemitisch“ zu brandmarken. Mit diesem falschen, heuchlerischen und inflationär gebrauchten Vorwurf des „Antisemitismus“ wird dieser selbst entwertet, unbrauchbar gemacht und steht für die notwendige Kritik des realen rassistischen Judenhasses nicht mehr zur Verfügung.
Mit dem Kampf für den Erhalt dieser Gedenkstätte, und indem wir das Andenken an Ernst Thälmann in Ehren halten, verteidigen wir den Antifaschismus gegen seine Liquidatoren.
Wir wissen: Ernst Thälmann polarisiert, unser Engagement braucht Mut, es ist nicht mit dem ‚Mainstream‘ kompatibel. Ernst Thälmann ist resistent gegen die Weichspüler des Reformismus und des Revisionismus. Wer Thälmann sagt, meint auch Lenin. Aber während Marx und Engels vielleicht noch verziehen wird, ist das bei Lenin unvorstellbar. Lenin „hat es tatsächlich gemacht“ – die Revolution, nicht alleine natürlich, aber diese Oktoberrevolution 1917 hat ihm die Herrschaft bis heute nicht verziehen, und wird es auch nicht tun.
Doch gerade angesichts solcher Aspekte müssen wir verdeutlichen: Der Kampf für die Erhaltung dieser Gedenkstätte in Ziegenhals und ein ehrendes Andenken an Ernst Thälmann ist keine parteipolitische Frage. Es geht um die Verteidigung des Antifaschismus als Ganzes, um das Geschichtsbild und die Frage, wer es bestimmt.
Die Patrioten in Jugoslawien haben dafür die Losung geprägt: „Die Aggressoren werden nicht unsere Geschichte schreiben!“ Genau darum geht es auch in unserem Kampf. Es geht um die Anklage und den Kampf gegen ein Verbrechersystem mit Namen Imperialismus.
Wir müssen deutlich und uns selbst bewusst machen: Dies ist auch ein internationalistischer Kampf. Der Imperialismus hat nicht nur Ernst Thälmann auf dem Gewissen. Denken wir an die ungezählten Mordanschläge gegen Fidel Castro, denken wir an seine Mordopfer Patrice Lumumba, Salvador Allende und auch Slobodan Milosevic. Dies ist ein Kampf gegen die fortschreitende Zerstörung und für die Verteidigung des Völkerrechts, gegen die zunehmende imperialistische Militarisierung der internationalen Beziehungen.
Wir müssen deutlich machen und in dem Bewusstsein kämpfen, das dies Teil eines umfassenden Aufklärungsprogramms ist, gegen Gehirnwäsche, Volksverdummung und die Enteignung unserer eigenen Geschichte, für die eigenständige weltanschauliche und ideologische Position der Ausgebeuteten und Unterdrückten.
Und es ist auch ein Kampf um praktische Demokratie. Das muss man sich einmal vorstellen: Da gibt es tausendfachen Protest national und international gegen die Schließung und Schändung dieser Gedenkstätte – und es gibt kein Echo, keine Antwort, keine Reaktion aus der Landesregierung! Wo gibt’s denn so was? Menschen, die nichts verteidigen als das Recht, finden keinen Adressaten! Und das nennt man dann auch noch „Rechtsstaat“!
Man fragt sich: Hat Ministerpräsident Platzeck ein Schweigegelübde abgelegt? Oder gilt in Brandenburg jetzt die Omertà – die Schweigepflicht der Mafia?
Jedenfalls scheint es höchste Zeit, über neue Aktionen nachzudenken, die der Landesregierung helfen, ihre Hemmungen abzubauen, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden, mit den Protesten angemessen umzugehen. An was denke ich dabei? Wenn ich das Grundstück der Gedenkstätte hinter mir betrachte, fällt mir eine Losung der Gewerkschaften ein, als die Unternehmer Streiks durch Aussperrung bekämpfen wollten: „Wer aussperrt, gehört eingesperrt!“, hieß sie, und wurde von vielen fantasievollen Aktionen begleitet.
Oder ich denke an die Politiker in diesem Land, die schwer an ihrer Würde und Verantwortung tragen. Sie alle haben einen Wohnsitz und auch einen Amtssitz. Wie wäre es da mit einer Aktion: „Lasst Ihr uns nicht rein, lassen wir Euch nicht raus!“? Ich denke dabei auch an Aktionen von Jugendverbänden, die Ausbildungsplätze oder Weiterbeschäftigung forderten, und dafür kurzerhand die Staatskanzlei oder die Zentralen von Unternehmerverbänden zugemauert haben. Nicht mit Ziegeln und Beton, nein, nur mit Holz oder Pappmaché. Auf so einer, gut platzierten, Wand könnte stehen: „Herr Platzeck, durchbrechen Sie die Schweigemauer!“
Ich wollte nur die Fantasie etwas anregen und Euch auf andere Gedanken bringen, sicher habt ihr noch viele gute Einfälle. Jedenfalls dürfen wir nicht nachlassen, wir müssen die Forderung unüberhörbar machen: „Macht endlich das Tor auf!“
Mit unserer Aktion ehren wir das Andenken an Ernst Thälmann: An seinen Mut und seine Entschlossenheit, seine Unbestechlichkeit und seine Unbeugsamkeit – auch angesichts schlimmster Bedrohung keinen Millimeter von dem als wahr und als recht Erkannten abzurücken.
Dieser Haltung und diesem Kampf sind wir verpflichtet, um der Gehirnwäsche entgegenzutreten, unsere Geschichte und Weltanschauung zu verteidigen, um den menschenfeindlichen Imperialismus zu überwinden und eine menschliche, menschengerechte, eine sozialistische Gesellschaft zu erkämpfen.
Klaus Hartmann
Bundesvorsitzender des
Deutschen Freidenker-Verbandes
Bild: Klaus Hartmann bei einem Vortrag im Ernst-Thälmann-Zelt des DDR-Kabinett Bochum und der GRH beim UZ-Pressefest 2016
Foto © NRhZ-Online – Neue Rheinische Zeitung