Linker Liedersommer gegen Ausbeutung und Krieg
Dokumentiert: Interviews, Berichte und Fotos vom Linken Liedersommer 2010
Cathrin Schütz
»Wieder in den Dialog mit Künstlern kommen«
Freidenker laden zum Linken Liedersommer gegen Ausbeutung und Krieg auf Burg Waldeck im Hunsrück. Ein Gespräch mit Klaus Hartmann
Klaus Hartmann ist Vorsitzender des Deutscher Freidenker-Verbandes
Auf Burg Waldeck im Hunsrück fanden in den 1960er Jahren die legendären Festivals statt, aus denen eine linke Liedermacherszene hervorging. Diese hat nicht unmaßgeblich zur Politisierung der »68er« beigetragen. An diesem Wochenende gibt es eine Neuauflage. Wollen die Freidenker diese Tradition wiederbeleben?
Wir haben 2005 unser erstes Kulturseminar zum Thema »Politisches Lied gegen Faschismus und Krieg« auf Burg Waldeck veranstaltet. Das war anläßlich des 60. Jahrestages der Befreiung. Der Antifaschist Lorenz Knorr machte dort auf die Bedeutung des Emotionalen bei der Gewinnung von Jugendlichen für den Widerstandskampf aufmerksam. Der Liedermacher Ernst Schwarz und die Sängerin Sonja Gottlieb trugen einige aktuelle Stücke vor. Davon ausgehend überlegten wir, wie das politische Lied die aktuellen Kämpfe heute inspirieren könnte.
Ein »Remake« der alten Festivals wäre nicht machbar, aber wir wollen, daß die Akteure sozialer Kämpfe mit fortschrittlichen Künstlern und Kulturschaffenden wieder in einen engeren Dialog kommen. Vor zwei Jahren, als die »68er« jubiläumsbedingt in aller Munde waren, haben wir auf Burg Waldeck über das Thema »Das politische Lied von 1968 bis 2008« diskutiert. Dort hatten schon mehr Mitwirkende Gelegenheit zur künstlerischen Selbstdarstellung. Doch es überwiegt weiterhin der Gedanken- und Meinungsaustausch. Am Samstag abend gibt es allerdings einen Auftritt aller anwesenden Künstlerinnen und Künstler.
Der Deutsche Freidenker-Verband, der gemeinsam mit der Jenny-Marx-Gesellschaft einlädt, hat in diesem Jahr das Motto »Linker Liedersommer – für eine solidarische Welt – gegen Ausbeutung und Krieg« gewählt. Wie werden die politischen Inhalte vermittelt?
Der Schwerpunkt liegt auf Workshops, in denen diskutiert wird, wo man auch kreativ sein kann. Als Freidenker ist uns grundsätzlich wichtig, daß alle, auch die »Nichtfachleute« ihre eigenen Gedanken artikulieren, daß sie mitreden können und das Klima dafür stimmt. Thematisch reicht das Spektrum vom demokratischen Volkslied über Umweltlieder, jiddische Lieder bis hin zu Arbeiterliedern. Das französische Chanson zwischen Revolte und Revolution ist ebenso Gegenstand wie linke Kulturarbeit oder Anfänge und Niedergang der Musikindustrie. Eine Lesung zum »Heiligendamm-Prozeß« und die Vorstellung der Lieder des verstorbenen Gerhard Gundermann runden das Programm ab.
Welche Künstler werden erwartet?
Wir erwarten als Sängerinnen und Sänger, Liedermacher oder Kabarettisten Gabi Ambach, Blandine Bonjour, Sonja Gottlieb, Marianne Schmidt-Hangstörfer, Stephan Lung, Ernst Schwarz, Jane Zahn, Reinhard Frankl und Christian Völker, um nur einige zu nennen. Diether Dehm ist unter dem Künstlernamen »Lerryn« und Bernd Köhler als »Schlauch« bekannt. Die »G8«-Lesung macht der Romanautor Michael Schnack, und die »Geschäfte« mit und hinter der Musik erhellt Kai Degenhardt. Schließlich stellt »Die Bandbreite« HipHop mit aktuell-kritischen Texten vor.
Die Bandbreite ist Ziel von Angriffen der sogenannten Antideutschen. Haben Sie die Gruppe deshalb eingeladen?
Ich habe sie 2009 kennengelernt, als die Antideutschen eine Veranstaltung der Arbeiterfotografie mit der »Bandbreite« im Frankfurter Club Voltaire verhindern wollten. Die seien antisemitisch, sexistisch und Verschwörungstheoretiker. Das ist aus der Luft gegriffen. In ihrem Lied zum 11.September vertritt »Die Bandbreite« die Verschwörungstheorie von Bush und Pentagon nicht. Ihre Frage »Habt ihr das etwa selbst gemacht?« reicht den antideutschen, zionistischen Gruppen, Boykotte wie gegen Ilan Pappe und Norman Finkelstein zu fordern. Als Konstantin Wecker für den Linken Liedersommer auf seiner Facebook-Seite warb, wurde auch er wüst beschimpft. Die Mitglieder des Bundestages von der Linkspartei Christine Buchholz, Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke erklärten dazu treffend, daß man »bei Liedermachern nicht jeder Liederzeile zustimmen« müsse, aber wenn die künstlerische Freiheit nicht dem Antifaschismus widerspricht, müsse sie »gegen terroristische Allmachtsphantasien von Antideutschen mit allen zivilen Mitteln verteidigt werden«.
Aus: junge welt vom 15.06.2010
Kai Degenhardt und Rainer Rupp
Kein Sex mit Nazis! Der Liedersommer auf Burg Waldeck
Der linke Liedersommer auf der legendären Burg Waldeck im Hunsrück stand am Wochenende unter dem Motto »Linke Lieder gegen Ausbeutung und Krieg«. In späteren Stunden mangelte es nicht an Lagerfeuerromantik, geprägt aber war die Veranstaltung von Aufklärungs- und Kampfliedern der Arbeiterbewegung. Deren Texte wurden in Workshops in ihrem historischen Kontext diskutiert. Einige Lieder wurden anschließend zum gemeinsamen Vortrag einstudiert, was vielen Teilnehmern – die meisten waren zwischen 30 und 50 Jahren – besonders gefiel.
Am Samstag abend gab es ein Konzert mit Diether Dehm, Bernd Köhler (Foto), Blandine Bonjour, Sonja Gottlieb, Jane Zahn und Ernst Schwarz, um nur einige zu nennen. Zunächst dominierte der Waldeck-typische, dem Setting vollkommen angemessene Folk- und Liedermachersound: Gesang zu Gitarren, plugged wie unplugged, Traditionals und Selbstgeschriebenes. Jeder Musiker steuerte zwei bis vier Stücke bei.
Das Finale war ein gut halbstündiger Auftritt des Duisburger HipHop-Duos Die Bandbreite. Mit Turntable, Laptop, Videobeamer und Gesangsmikrofon überführte das Duo den Ansatz des politischen Lieds ins Hier und Heute. Lichtjahre entfernt vom politisch unbedarften Gangster-Rap-Kasperletheater, beleuchten Wojna und DJ Torben mit ihren Texten und Bildern die Widersprüche unserer Zeit, in der im Namen des Friedens Angriffskriege geführt werden, im Namen der Wahrheit immer mehr gelogen wird, oder wir zum Schutz unserer Freiheit mit immer totalitäreren Methoden kontrolliert werden. Titel wie »Doktor Schäuble kommt in deine Wohnung gerollt« oder »Kein Sex mit Nazis« trägt Wojna nach sieben Jahren Gesangsunterricht mitreißend vor. Die Musik ist, na klar, programmiert. Das Waldeck-Publikum zeigte sich sehr angetan und konnte sich ganz nebenbei davon überzeugen, wie lächerlich die von »antideutscher« Seite ausgerechnet gegen diese Band erhobenen Vorwürfe in Sachen Nationalismus, Homophobie, Sexismus, Verschwörungstheorie und was auch immer noch alles sind. Wer meint, satirische Texte eins-zu-eins auf ihre politische Korrektheit überprüfen zu müssen, hat das Genre ohnehin nicht kapiert.
Aus UZ vom 18.06.2010 (Feuilleton)
Linker Liedersommer mit fantastischer „Bandbreite“
Freidenker und Jenny-Marx-Gesellschaft auf Burg Waldeck
Der 3. Linke Liedersommer auf der Burg Waldeck zog vom 11. bis 13. Juni über 120 Menschen in den Hunsrück, um auf der legendären „Waldeck“ politische Lieder zu hören, zu singen und darüber zu diskutieren. Die Freidenker Rheinland-Pfalz und die Jenny-Marx-Gesellschaft Trier haben das Treffen organisiert und sind mit dem Erfolg hochzufrieden – und die Besucher haben zwei Tage genossen in Workshops, Konzerten und am Lagerfeuer.
Sonja Gottlieb stellte in zwei Workshops das demokratische Lied und Umweltlieder vor, Gaby Ambach das jiddische Lied, Blandine Bonjour und Bernd Köhler („Schlauch“) französische Chansons. Gemeinsam mit den Teilnehmern sangen sie diese Lieder auch auf dem Konzert am Samstagabend. Kai Degenhardt referierte über die Geschichte der Musikindustrie und stellte mit Frank Zappa fest, sie sei „noch nicht ganz tot, rieche aber schon komisch“. Die anschließende Diskussion gab viele Anregungen, wie politische Künstler auf den Markt gehen können.
Dieter Dehm („Lerryn“) trug zum Thema „Linke Kulturarbeit“ vor, mithilfe von Brecht-Songs und eigenen Liedern, begleitet vom Leiter des „Oktober-Klubs“ Berlin am Klavier und als Chor. Ein ausgemacht amüsanter Vortrag, der viele Einblicke gab in die Probleme und Erfolge von Linker Kulturarbeit. Aufgaben hat sie genug: Sie soll Appetit machen auf die Vergesellschaftung des Eigentums, z.B. an der Deutschen Bank. Sie soll feinste Risse in der Struktur der Gesellschaft entdecken und aufzeigen, sie soll den Sozialismus als ein Glücksversprechen begreiflich machen, besonders Jugendlichen gemeinsames Erleben vermitteln und die Lust am Selbermachen.
Über die Heiligendamm-Prozesse, die er in einem neu erschienenen Buch verarbeitet hat, referierte Michael Schnack, und Stefan Jung, Liedermacher aus Anschau, sang dazu Arbeiterlieder.
Ein Schwerpunktthema war die Auseinandersetzung mit dem viel zu früh verstorbenen Gerhard Gundermann, Liedermacher und Baggerfahrer aus Hoyerswerda. Am Freitag abend noch wurde ein Dokumentarfilm dazu gezeigt, der den ahnungslosen Wessis diesen Künstler nahe brachte, am Sonntag gab es dann einen Vortrag über sein Leben, und der junge Sänger Christian Völker interpretierte Lieder von Gundermann dazu. Ja, und dann gab es aus gegebenem Anlass eine Podiumsdiskussion. Die Freidenker hatten die Hip-Hop-Band „Bandbreite“ eingeladen zum Konzert, und das missfiel einigen Mitbürgern so sehr, dass sie eine Mail-Kampagne lostraten. Angeblich handele es sich um Antisemiten, die sich des schweren Vergehens schuldig gemacht hätten, Verschwörungstheoretiker zu sein. Nun, Freidenker sind frei genug, um ihre Entscheidungen nicht rückgängig zu machen auf irgendwelche Anschuldigungen hin. Die „Bandbreite“ blieb, und auf einer Podiumsdiskussion bekamen die beiden jungen Musiker die Gelegenheit, aus ihrer Sicht zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Ihr Lied zum 11. September „Habt ihr das etwa selbst gemacht?“ benennt die Ungereimtheiten und Lügen zum 11. September und stellt die Frage, ob die, denen der Terroranschlag so genutzt hat, um ihre Ziele zu erreichen, die Finger selbst im Spiel gehabt haben. Das darf nicht sein, und also sind sie seit einem Spiegel-online-Artikel Opfer von Veranstalter-Absagen. Die IG Metall, für die sie Kampagnen-Songs geschrieben haben, lädt sie nicht mehr ein, und jeder Veranstalter, der sie haben will, bekommt es mit einer Kampagne zu tun wie die Freidenker.
Wer sich nach dieser Diskussion noch fragte, warum eine HipHop-Band solchen Zorn auf sich zieht, der wusste es nach dem Konzert am Samstag, dass die „Bandbreite“ mit ihrem Programm krönte: Die Jungs sind einfach zu gut! Ihre Texte, ihre Musik, ihre Performance überzeugen, gehen ins Blut, rütteln auf, bringen zum Lachen und sind trotzdem ernsthaft politisch, emanzipatorisch, revolutionär. Jedes Wort des gut recherchierten, durchdachten Textes ist verständlich, die Musik vielfältig, ohne beliebig zu sein. „Eigentlich“ müssten die Jungs überall zu hören sein, wo Bewegung ist. Wer sich selbst überzeugen will: www.diebandbreite.de anklicken und staunen!
Der erste Teil des Konzerts, in dem sich Laien und Profis das Mikro in die Hand gaben und vom alten bis zum neuesten Lied begeisterten, entpuppte sich so als „Vorprogramm“ zu den Jungs von „Bandbreite“, die auch die vielen Grauhaarigen im Publikum restlos begeisterten.
Ja, es gab viele im politischen Kampf ergraute Besucher – aber sie waren nicht in der Überzahl. Und sie waren fit! Unermüdlich ging es am Lagerfeuer weiter bis zum frühen Morgen, um dann um 10 Uhr am Sonntag wieder mit dem Programm anzufangen. Ein wunderschönes, bewegendes Ende gestalteten Blandine Bonjour und „Schlauch“ mit dem Lied „Le chiffon rouge“ aus der französischen Arbeiterbewegung: Denn die Welt wird so, wie du sie machst: voller Liebe, Gerechtigkeit und Freude!
Dieser linke Liedersommer hat einen Vorgeschmack gegeben auf diese Zeit, und dafür Dank allen Organisatoren, Spendern und Helfern, die ihn möglich gemacht haben. Alle Teilnehmer waren sich einig, dass es nicht der letzte gewesen sein soll. Die Tradition der Liedermacher Ende der 60er Jahre, die „Waldeck“ zu einem Begriff gemacht haben, lebt und wird weiter blühen.
Jane Zahn
Foto: „Die Bandbreite“ beim Linken Liedersommer 2010
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