Demokratie – Medien – Aufklärung

Unselig-Sprechung von René Schuster und Albert Fetsch

Der Deutsche Freidenker-Verband hat – angeregt von der segensreichen Praxis der Konkurrenz – beschlossen, seinerseits verdiente Persönlichkeiten mit einer Unselig-Sprechung oder einer Scheinheilig-Sprechung zu würdigen. Unsere Würdenträger genießen den Vorteil, dass sie noch lebendig sind und diese Ehrung zu Lebzeiten genießen dürfen, während der Vatikan ja ausnahmslos Verblichene in ihrem vermeintlichen Leben nach dem Tod beehrt.

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René Schuster und Albert Fetsch haben die Voraussetzung der Unselig-Sprechung – den authentischen Ruf der Unseligkeit und Wundertätigkeit – mit wunderlichen Taten begründet, die hier gewürdigt werden sollen.

Beide Herren haben Probleme mit zumindest einer Frau, nämlich Vanessa Hessler, ihres Zeichens Model und Schauspielerin. Sie diente bislang beiden Herren als Werbemaskottchen der Telefonmarke Alice. Telefónica O2 hatte den Festnetzbetreiber Hansenet mit rund 2,2 Millionen Kunden Ende 2010 für 900 Millionen Euro von Telecom Italia mit der Vereinbarung übernommen, die Marke Alice zwei weitere Jahre zu nutzen und dann schrittweise vom Markt zu nehmen. Dabei wurde auch Vanessa Hessler als das werbewirksame ‚Gesicht von Alice‘ mit eingekauft, sie hätte aber erst zum Vertragsablauf Ende 2012 ‚vom Markt genommen‘ werden können.

Doch Ende Oktober 2011 dämmerte unseren Unseligen die Chance, ihre Sympathiewerberin früher in die (libysche) Wüste zu schicken – in der italienischen Zeitschrift „Diva e Donna“ hatte sie ihre Liebesbeziehung zu Muatassim Al Gaddafi offenbart: „Das war eine leidenschaftliche Geschichte, wir sind vier Jahre lang zusammen gewesen.“ Damit nicht genug, eine eigene Meinung zu den Vorgängen in Libyen äußerte sie auch noch.

Dass der Sohn und sein Vater von der NATO ermordet worden sind, kommentierte sie: „Ich mag nicht daran denken, dass es wahr ist. Es ist alles sehr traurig“. Die Gaddafis seien nicht so gewesen, wie sie dargestellt werden, sie habe „normale Menschen“ getroffen. Das libysche Volk sei ihr weder besonders arm, noch besonders reich und nicht fanatisch vorgekommen. „Man muss nicht alles glauben, was so gesagt wird“, meinte sie. „Wir – Frankreich und Großbritannien – haben die Rebellen finanziert. Die Leute wissen nicht, was sie tun“. Weitergehende Kommentare zur Situation lehnte sie mit dem Hinweis ab, „es tut mir zu sehr weh“, und „in diesem Moment widert mich alles an, außer Libyen“. Libyens Schicksal liege ihr jedenfalls sehr am Herzen.

 Sofort schlug die große Stunde öffentlicher Entrüstung, und die nutzten umgehend René Schuster, der bei O2 den CEO gibt (hier wohl zu übersetzen mit Chef-Exekutionsoffizier) und sein Herold Albert Fetsch. Das Interview sollte am 1. November 2011 erscheinen, wurde aber durch Vorabmeldungen von Agenturen in alle Welt verbreitet. Schon am 28.10.2011 wurde Telefónica-Sprecher Albert Fetsch zitiert, dass die „privaten Äußerungen“ Hesslers „in keiner Weise der Position des Unternehmens entsprechen“, man sie nicht akzeptieren könne, und von ihr eine Distanzierung erwarte. Am Tag vor Erscheinen des Interviews stellte Fetsch fest, „ein solches Statement haben wir bis heute nicht erhalten. Daher haben wir beschlossen, die Zusammenarbeit zu beenden. Sie wird ab sofort nicht mehr unsere Werbefigur sein“.

In Erwartung des ‚skandalösen‘ Interviews hatte die Meutejournaille zur Hetzjagd geblasen. Laut „Rheinische Post“ „verteidigte das 23 Jahre alte Model das Regime des Diktators“, ihre „Einschätzung sorgt für Kopfschütteln“, sie sei „eine erschreckend naive junge Frau“, die laut „Berliner Morgenpost“ „ihr Verhältnis zur Diktatorenfamilie Gaddafi seltsam naiv wahrgenommen zu haben scheint“, die „Welt“ tadelte, sie „sagte einige nicht besonders reflektierte Dinge“. Laut „Stern“ hat sie sich „sehr naiv über das Terrorregime in Libyen geäußert“, die „bz“ befindet, „zum Umbruch in Libyen sagt sie Abenteuerliches“, sie „offenbart wenig Feingefühl zum Schicksal des libyschen Volkes“, und die „Süddeutsche Zeitung“ urteilt strafverschärfend: sie „zeigt keine Reue“. Den Vogel schoss im „Focus“ eine Inga Catharina Thomas ab, offenbar eine Frauenrechtlerin: „Vanessa, pack Deine Brüste ein“ – „auf diese heiße Nummer hätte sie gerne verzichten können“ – „muss offenbar noch lernen … dass man sich … nicht bei Diktatoren-Sprösslingen … auszieht“ –mit ihren Sudelzeilen sagte die Autorin aber mehr über sich, als über die Geschmähte.

So schreiben dieselben Konzernmedien, die zuvor als vierte Waffengattung zur Jagd auf Gaddafi bliesen, am siebenmonatigen Terrorbombardement der NATO und 60.000 toten Libyern nichts auszusetzen hatten – „eingebetteter Journalismus“ eben, wie die Kriegsherren dies dankbar und höhnisch zugleich nennen. Einstimmig hat diese pluralistische Medienwelt eine einzige Gegenstimme niedergemacht, die sich ihrem Gesinnungsdiktat vorsichtig zu widersetzen wagte. Und die Vorstandetage heulte sofort mit den Wölfen: dass sich die freie Meinungsäußerung von Vanessa Hessler „nicht mit den Werten und Vorstellungen von Telefónica“ vertrage. Zur Werteorientierung des Konzerns gibt ein anderes Beispiel Auskunft: Nachdem ein Nazi wüste Morddrohungen auf einen kriegskritischen Blog im Internet (http://haraldpflueger.com/) postete, war Albert Fetsch bereit, die Daten seines Nazi-Kunden „auf Anordnung“ an die Justizbehörden weiterzuleiten – leider waren sie durch ‚Zufall‘ nur wenige Stunden später ‚verschwunden‘, wie Kripo und Staatsanwaltschaft mitteilten. „Gelöscht, obwohl der Fetsch weiß, dass eine Morddrohung kein Kavaliersdelikt ist“, kommentierte der Betroffene im Frühjahr 2011.

Andere ‚Werte‘ hat der Konzern im Sinn, wenn er fünf Tage nach Vanessas Rauswurf verkündete, dass ihr noch 1100 Beschäftigte folgen werden. Da man „alle Unternehmensbereiche neu organisiert“, wird die Belegschaft auf etwa 5000 geschrumpft, die Festnetzzentrale im nordrhein-westfälischen Verl sowie die Niederlassungen in Dortmund, Frankfurt, Hannover, Leipzig und Stuttgart geschlossen.

René Schuster und Albert Fetsch haben mit ihrem Wirken Zeugnis abgelegt von einer bemerkenswerten Mischung aus Mainstream-Gehorsam und voller Hingabe an den höchsten Konzernwert, den Maximalprofit. Sie haben sich die Unselig-Sprechung redlich verdient. Sie möge die Gemeinde der O2-Kunden zu besonderer Andacht anregen.


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Siehe auch: Warum „Unselig-Sprechung“ durch den Deutschen Freidenker-Verband?


Foto: Alexander Hauk / www.bayern-nachrichten.de
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