Antideutsches Denken: Eine pseudo-linke Ideologie
Dr. Sabine Schiffer, Institut für Medienverantwortung
Teil 1 Um welches Phänomen geht es?
Als der Antisemitismusvorwurf gegen den griechischen Finanzminister Varoufakis und die gesamte griechische Regierung aufkam, schickte mir mein Kollege einen Hinweis auf den Artikel in Springers „Welt“ mit dem Vermerk: „Da ist es.“ [http://www.welt.de/debatte/kommentare/article136950193/So-judenfeindlich-sind-Tsipras-und-seine-Leute.html] Ja, wir hatten so etwas erwartet. Denn es ist in den letzten Jahren gängige Praxis geworden, dass Kritik am Wirtschaftssystem mit Antisemitismusvorwürfen bekämpft und somit erschwert wird. Dies erging der globalisierungskritischen Bewegung Attac ebenso wie Blockupy oder Sarah Wagenknecht. Letztere wurde kürzlich in Twitter mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert, weil sie in einer Talkshow kritisiert hatte, dass man in Griechenland einen Umbau der Wirtschaft im neoliberalen Sinne durchführe. Wohlgemerkt, sie hat sich dabei nicht auf Juden bezogen, aber sie hat Kategorien der Wirtschaft angesprochen. Diejenigen, die dann „Antisemitismus“ schreien, werfen den Kritikern des Wirtschaftssystems einen Zusammenhang mit dem Judentum vor, den sie selber erst herstellen. Das hat Tradition und scheint eine effektive Strategie, um finanz-, wirtschafts- und kapitalismuskritische Positionen zu verunmöglichen.
Im Falle Yannis Varoufakis‘ löste sich die Sache relativ schnell in Wohlgefallen auf – nicht zuletzt durch einen Beitrag auf Spiegel-online [http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/giannis-varoufakis-ist-griechenlands-finanzminister-antisemit-a-1017402.html]. Dort wurde die völkerrechtliche Position des unbequemen Finanzministers gegenüber den Palästinensern erläutert, die er vor Jahren in einer Radiosendung in Australien vertreten hat: Es ging um den „Mauerbau“ in Israel. Wurde also hier Israel als Vorwand benutzt, um eine Person zu diskreditieren, die einige Regularien europäischen und anglo-amerikanischen Neoliberalismus in Frage stellt, indem er sich gegen die Auflagen der nicht gewählten Troika stellt? [Schumann-Doku „Macht ohne Kontrolle“ 90 Min https://www.youtube.com/watch?v=E6aNwBwEm6U]
Es sieht ganz so aus und die Sache hat System. Gerade innerhalb der Linken – aber nicht nur dort – hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten eine Bewegung etabliert und wichtige Schaltstellen besetzt, die die Instrumentalisierung von Juden und Antisemitismusvorwürfen gut beherrscht. Dies kann man anhand der Arbeitsweise eines Bundesarbeitskreises Shalom (BAK-Shalom) der Linksjugend nachvollziehen. Wer nämlich die Prinzipien des BAK-Shalom liest, wird nicht mehr darauf hereinfallen, dass es sich – wie der Name suggeriert – um Israelsolidarität und Friedensliebe handeln könnte. Der ganze zur Schau gestellte Israel-Fetisch in Form von Fahnen, Stickern und dergleichen dient ganz anderen Zwecken.
Wie hältst Du es mit Israel?
Der Mythos einer bedingungslosen Israelsolidarität wurde nicht zuletzt durch die Studie zum deutschen Diskurs über den Nahostkonflikt von Prof. Wilhelm Kempf an der Uni Konstanz widerlegt, aus der hervorging, dass die sog. Israel-Freunde antisemitischer sind als die sog. Palästina-Freunde. Um die Komplexität und Aussagekraft der Studie einschätzen zu können, empfehle ich das Interview mit Rolf Verleger hier auf den Nachdenkseiten [http://www.nachdenkseiten.de/?p=24581]. Psychologieprofessor Verleger war als Berater der Studie tätig und erläutert die Ergebnisse nachvollziehbar, obwohl die Studie komplex angelegt ist – ihre Stärke und Schwäche zugleich, denn im Mediendiskurs wird Einfachheit bevorzugt.
Aber bereits die Gründungserklärung des BAK-Shalom vom Mai 2007 gibt genügend Hinweise, worum es wirklich geht und warum die ideologische Verknüpfung mit Israel und Juden dafür nötig ist. Ziel der Plattform ist angeblich die Bekämpfung von „Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressivem Antikapitalismus“. Dabei betont man einerseits die Rolle Israels als Paria unter den Staaten und stellt nüchtern fest, wo sich Linke rauszuhalten haben:
„Die deutsche Linke wird den Nahostkonflikt nicht lösen. Deshalb geht es uns nicht um konkrete Vorschläge für ein Vorankommen des Friedensprozesses.“
Das ist eindeutig und das merkt man, wenn Vertreter dieser Strömung auftreten – denn dem Frieden sind sie nicht verpflichtet. So wird die palästinensische Hamas (deren Gründung von Israel als Gegengewicht zur PLO unterstützt wurde), nicht als antiisraelisch, sondern als antisemitisch eingestuft und ein „eliminatorischer Judenhass“ bei ihr ausgemacht. Diese Verkürzung erlaubt es, jeder Friedensverhandlung mit dieser Organisation und den Palästinensern generell eine Absage zu erteilen.
Statt im klassischen linken Sinne Herrschaftsverhältnisse zu analysieren und den Stärkeren und den Schwächeren im Nahostkonflikt festzustellen, wird mit dem Verweis auf „antiemanzipatorische Bewegungen“, wie beispielsweise die Hamas, der Bogen zur Abschaffung einer weiteren linken Position geschlagen: die Absage an den angeblich „obsoleten Antiimperialismus“ (sic!). Die geforderte Absage an den Antiimperialismus diene als „Voraussetzung für die Neukonstituierung einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik.“ Emanzipatorisch, also fortschrittlich, sei demnach auch, entgegen dem Antiamerikanismus nun an der Seite „Amerikas“ gegen die antimodernen und antisemitischen Feinde der USA und Israels zu kämpfen – also gegen „den politischen Islam“. Dieser sei eben keine „nationale Befreiungsbewegung“ mit „fortschrittlichen Zielen“, deshalb dürfe sie trotz der völkerrechtswidrigen Herrschaftsverhältnisse nicht unterstützt werden. Mit dieser Absage an linke Herrschaftskritik wird das Tor für die Unterstützung von Kriegstreibern aufgestoßen.
Über diese Stufen der Aushebelung linker Positionen, über denen stets das Damoklesschwert des früher vornehmlich rechts verorteten Antisemitismus schwebt, wird der Schwenk hin zu der Behauptung einer Übernahme rechter Positionen durch die Linke gemacht. Demnach seien die „nazistische Hetze gegen den liberalen Kapitalismus, das Finanzkapital und die Globalisierung“ Teil der nicht fortschrittlichen, sprich „regressiven“, Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft. Nun ist klar, was mit regressivem Antikapitalismus gemeint ist, nämlich jede Kritik am Kapitalismus.
Damit ist auch klar, dass die sog. antideutsche Bewegung (deren Gründungsgeschichte wir uns hier ersparen wollen) eine zutiefst antilinke Bewegung ist. Ein Kuckucksei im Nest der einzig verbliebenen politischen Partei, die noch in Teilen gegen den Kapitalismus als Akkumulationssystem zuungunsten der Mehrheit der Menschen und gegen die daraus resultierenden Kriege (=Imperialismus), die das Völkerrecht verletzen, sind. Und dafür muss Israel als Metapher herhalten. Und um die hier entworfene Grundkonstellation nicht zu gefährden, darf auch der Nahostkonflikt nicht gelöst werden – genauso wenig wie der gleichzeitig implizierte „War on Terror“. In diese Logik passt die von einem Stephan Grigat mit Vehemenz betriebene Initiative „Stop the Bomb“, wo es vermeintlich um die Verhinderung einer iranischen Atombombe geht – in Wirklichkeit aber um die Legitimation zum Angriff auf den Iran, angeblich aus Liebe zu Israel.
Bei Organisationen wie dem BAK Shalom handelt es sich im Grunde um eine Art Rekrutierungsplattform, von wo aus Netzwerke in die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Partei Die Linke hinein geknüpft werden. Bestimmte Karrieren wurden gezielt gefördert und damit können durchschaubare Interessen durchgedrückt werden – wie in einem Artikel des Magazins Hintergrund ausführlich beschrieben wird. [http://www.hintergrund.de/20100317759/politik/inland/die-linke-von-innen-umzingelt.html]
Tod auch dem Antifaschismus
Die Aufsatzsammlung von Susann Witt-Stahl und Michael Sommer mit dem Titel „Antifa heißt Luftangriff“ unterstreicht, wie der Antifaschismus durch diese Strategie neutralisiert wird [http://www.laika-verlag.de/edition-theorie/%C2%BBantifa-hei%C3%9Ft-luftangriff%C2%AB]. Die Herausgeber legen großen Wert auf die Unterscheidung zwischen Antifaschisten und Nazi-Gegnern. Letztere bekämpfen nur Nazis, eine bestimmte Erscheinungsform von Faschismus. Erstere hingegen nehmen alle Erscheinungsweisen des Faschismus in den Blick, bekämpfen seine Ursachen, also die kapitalistische Produktionsweise, und fordern deren vollständige Beseitigung.
Pseudo-Antifaschisten wie etwa „Antideutsche“ nennen sich oft genug weiterhin „Antifa“, obwohl sie im Grunde für den Erhalt der kapitalistischen Verhältnisse kämpfen – sie sind getarnte Neocons oder Neurechte. Wie militant die Vertreter dieser anti-Antifa auftreten, erfuhr Herausgeberin Witt-Stahl bei einer Lesung während der Leipziger Buchmesse. Antideutsche begnügten sich nicht mehr nur mit Stören und Pöbeleien, sondern gingen physisch aggressiv gegen anwesende Araber im Publikum vor [https://aknahost.wordpress.com/2015/03/17/stellungnahme-zur-buchlesung-antifa-heist-luftangriff/].
Zu den neuen Strategien der Bewegung weiter unten mehr. Im Moment bleiben wir noch bei den antilinken Argumentationsmustern, weil man diese inzwischen in einigen Diskursen zur Befürwortung von Krieg und Neoliberalismus wiederfinden kann – und zwar überparteilich. Wenn es nicht verblendete Jugendliche wären, könnte man glatt meinen, das ausgeklügelte System hätten sich Agenten ausgedacht.
Teil 2 Entlarvende Argumentationsmuster
Versuch einer Rehabilitation für Kapitalmaximierung & neoliberale „Globalisierung“
Etwas ausgefeilter mit Blick auf die Aushebelung von Kapitalismuskritik kommt die Theorie bei einem der ideologischen Denker der antilinken Bewegung zum Ausdruck: Samuel Salzborn, Professor an der Universität Göttingen. In einem Beitrag für die Jüdische Allgemeine vom 27.10.2011 wirft er der gesamten Occupy-Bewegung Antisemitismus vor [http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/11509]. Und das geht so: Tendenzen zur „Personalisierung“ und „Moralisierung“ des Protests verweisen nach Salzborn „auf eine Kapitalismuskritik, die strukturell antisemitisch ist“. Während man abstrakte Strukturen gesellschaftlicher Verhältnisse nicht begreife, würden „konkrete Menschen in die Verantwortung für ein System“ genommen.
Der geschickte Schachzug liegt hier darin, dass anhand der Kritik an einigen Bankern und Börsenspekulanten und der damit unterstellten Unfähigkeit das Systemische zu kritisieren, genau diese systemische Kritik unaussprechbar wird – weil jedem Kritiker des Systems latenter Antisemitismus unterstellt werden kann. Denn Autoren wie Salzborn assoziieren hierbei sofort Juden – als imaginierte Finanzhaie, die Profit aus Aktien und Geldgeschäften ziehen würden. Der Vorwurf zielt also genau am Kern der behaupteten Sache, „Systemkritik“, vorbei und erreicht sein Ziel der Tabuisierung von Kapitalismuskritik durch genau diesen Kreisschluss, eine Tautologie.
Wie Salzborn sich selbst als intelligenter als die vielleicht verunsicherten Adressaten inszeniert, wird in der folgenden Passage deutlich, die die gelungene Verquickung offen legt, womit er die angestrebte Zensur zu erreichen sucht:
„Dabei geht es nicht um eine „verkürzte Kapitalismuskritik“, sondern um einen antisemitischen Antikapitalismus, der eben die Struktur der kapitalistischen Vergesellschaftung intellektuell nicht begreift, aber gerade deshalb infantil gegen sie rebelliert. In ihrer gefühlten Ohnmacht verfolgen die Globalisierungsgegner vielleicht subjektiv gar keine antisemitischen Ziele, objektiv ist das Potential zum manifesten Antisemitismus aber in jeder Kapitalismuskritik angelegt, die personalisierend und moralisierend auftritt.“
Im Folgenden übernimmt Salzborn die Einteilung der Nazis in „schaffendes“ und „raffendes“ Kapital, ohne die Begriffe zu nennen – aber er stellt den Geldgeschäften und dem Finanzkapital die Arbeit und das Industriekapital gegenüber und weist diese Einteilung den Kapitalismuskritikern zu. Durch die Kritik der sog. Globalisierungsgegner am Profit aus Kapitalismus und Finanzkrise sei die Argumentation demnach automatisch antisemitisch, wobei Salzborn geschickt offen lässt, inwiefern denn das mittelständische Wirtschaften sowie der Lohnerwerb systemisch zu kritisieren seien. Derlei argumentative Lücken – Ellipsen – durchziehen einen Text, nach dessen Lektüre sich vielleicht nicht viele mehr zu rufen trauen: Der Kaiser ist nackt!
Wichtig ist hier der Begriff „verkürzte Kapitalismuskritik“, ein Signalwort für antideutsche Agitation. Die Schüler Salzborns tragen diese verbalen Verwirrstrategien in die Welt, denn es sollte bereits klar geworden sein, dass jedwede Kapitalismuskritik ausgehebelt werden soll, während adjektivisch markierte Formen wie „verkürzt“ oder „regressiv“ noch Glauben machen könnten, dass es eine richtige, eine legitime Kapitalismuskritik im antideutschen Sinne überhaupt noch geben könnte.
Wie hältst Du es mit dem Antisemitismus?
Vor einigen Jahren erhielt eine kleine Umfrage zu Antisemitismus in der Linken mediale Aufmerksamkeit. Die von bestimmten Kreisen hochgejubelte Magisterarbeit eines „Schülers“ Salzborns, der im Peter Lang Verlag eine Reihe mit ähnlich unterqualifizierten Arbeiten hält, kann ihren Ansprüchen zwar nicht gerecht werden, aber zum Aufzeigen der subtil diffamierenden Kommunikationsstruktur ist sie geeignet. (Rezension der Magisterarbeit für interessierte Leserinnen und Leser zum Nachlesen http://www.medienverantwortung.de/wp-content/uploads/2009/07/20141208_IMV-Schiffer_Umfrage-Antisemitismus-Linke.pdf)
Mit irreführenden Fragestellungen, die stark unterstellenden Charakter haben, wird vorgegeben Antisemitismus in der Linken untersuchen zu wollen. Statt jedoch eine seriöse Antisemitismusdefinition vorzulegen und eine neutrale Stichprobe von Linken zu befragen, verlegt sich der Studierende auf eine vom Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz gestützte Einteilung von Medien, deren Klientel er demnach als antisemitisch oder nicht einstuft und so die zu Befragenden auswählt.
Statt eine saubere Medieninhaltsanalyse zu machen, wird versucht über eine „Leseranalyse“ (à la Verfassungsschutz) Rückschlüsse auf die Sicht der Medien zu ziehen. Hier kommt es immer wieder zu Zirkelschlüssen und Tautologien, weil weder das eine noch das andere präzise geklärt, aber als Faktenbehauptung ständig aufeinander bezogen wird. Wie spekulativ gearbeitet wird, kommt in folgender Passage der Arbeit zum Ausdruck:
„[Das Neue Deutschland] …, dürfte in der radikalen Linken wegen des gemäßigten Auftretens aber eher eine nebensächliche Rolle spielen. Die Leserschaft sollte weniger dogmatisch sein…. In Bezug auf Antisemitismus lässt dies vermuten, dass ihre Leser nichtso stark zum Antisemitismus neigen … Da sie aber einen marxistisch-leninistischen … Hintergrund besitzt, könnten aber gemäß der theoretischen AnnahmenAbgrenzungsprobleme zum Antisemitismus auftreten. In jedem Fall ist die Zeitung eher palästina-solidarisch.“ (S. 87/ Hervorh. von mir)
„Große linke Zeitschriften, bei denen zu erwarten ist, dass ihre Leser deutlich keine Antisemiten sind, sind die Wochenzeitung „Jungle World“ und die Monatszeitschrift „konkret“. Die Jungle World spaltete sich 1997 von der jungen Welt ab, weil der damalige Chefredakteur seine Redaktion von Linksradikalen säubern [sic!] wollte. (S. 88)
Schließlich wird auf Medieninhalte geschlossen: „Die Zeitung, von der aufgrund ihrer Leserschaft angenommen werden kann, dass sie antisemitische Ressentiments bedient, ist die junge Welt.“ (S. 149) Diese Vorgehensweise ist antiaufklärerisch, aber sie führt offensichtlich zum gewünschten Ziel.
Nach einigen Verdrehungen, um die sog. Israelkritik [zur Problematik des Begriffs siehe http://www.perlentaucher.de/buch/sabine-schiffer-constantin-wagner/antisemitismus-und-islamophobie.html] zu tabuisieren, indem man Parallelen zu Nazi-Maßnahmen zieht, und der üblichen Unterstellung, dass die eigene Israelfixierung bei den Angegriffenen auszumachen sei, ist folgender Signalsatz zu lesen: „Antisemitismus hängt mit einer rückwärtsgewandten Kapitalismuskritik zusammen.“ (sic!)
Da der Marxismus-Leninismus als strukturell prädestiniert für Antisemitismus ausgemacht wird (s.o.), sei die Kritik am Kapitalismus „strukturell antisemitisch“. Die Unterscheidung von Realwirtschaft und Kapitalwirtschaft entspräche nämlich der von „schaffendem und raffendem“ Kapital – so steht es im Text. Im Duktus von echter Nazisprache heißt es dann: „Wird Israel eine elementare Bedeutung für den Erhalt des Kapitalismus zugesprochen, ergibt sich daraus eine „diesseitige Eschatologie“ und „politische Heilslehre“, nach der der Weg zum Paradies über die Lösung der Judenfrage ginge.“ (Hervorh. von mir)
Die exklusive Begriffswahl hat System. Sie soll die Nacktheit des Kaisers verdecken. Wie
perfide und unverblümt darüber hinaus die Kapitalismuskritik mit einer angeblichen „Judenfrage“ verknüpft wird, zeigt sich hier überdeutlich.
Im Fokus der Kampagne steht gut erkennbar die „globalisierungskritische Linke“:
„Die globalisierungskritische Linke wehrte sich gegen Privatisierungen und Globalisierung und Liberalisierungen der Weltmärkte auf Kosten der Armen. Das Auftreten der globalisierungskritischen Linken in ihren politischen Kämpfen dabei war nicht prinzipiell fortschrittlich, es war oft antimodern; sie wollte auf gesellschaftlichen Eigentumsverhältnissen beharren […] Wenn Kapitalismuskritik antimodern wird, weil sie die Möglichkeit der positiven Veränderung im Rückschritt sieht, droht sie, wie die Geschichte zeigt, eine Affinität zum Antisemitismus zu entwickeln.“
Während die sog. „Privatisierungen“ als Abschaffung von „Privateigentum“ umgedeutet werden, wird ganz klar: Um „die Juden“ und „Israel“ geht es nicht. Diese dienen primär als Schablone für die Ablehnung linker Kritik an neoliberaler Wirtschaftspolitik. Das ist das zentrale Anliegen dieser Bewegung. Dabei betreibt man das, was man dem politischen Gegner, der Linken, vorwirft: Die Instrumentalisierung von Juden. Indem man – wie man bereits bei der Ablehnung von Occupy und Blockupy sehen konnte – alles, was irgendwie Wirtschaft, Geldpolitik oder das Bankenwesen kritisiert, als antisemitisch diffamiert. So wird jegliche Kapitalismuskritik tabuisiert. Dass man dabei selbst die Verbindung zwischen Geldthemen und Judentum herstellt, nimmt man billigend in Kauf, denn – wie gesagt – um Juden und die Bekämpfung von Antisemitismus geht es nicht.
Im Gegenteil, der Antisemitismus wird durch die aktive Verknüpfung von Geldthemen und Judentum geradewegs gefördert – man benötigt ihn ja auch, als Projektionsfläche für die Ablehnung jeglicher Kapitalismuskritik.
Teil 3 Neue PR-Strategien für den Kampf der Neocons
Denunziationsstrategien jenseits des Antisemitismusvorwurfs
Die Konzepte strategischen Handelns gegen Kriegsgegner und Kritiker am Wirtschaftssystem beschränken sich inzwischen nicht mehr nur aufs Verbale und nicht mehr nur auf Linke, sondern man geht gegen alle vor, die gesellschaftskritische und friedenspolitische Positionen vertreten. Neben Denunziationsblogs gegen angeblich „antiemanzipatorische Personen“ im Internet, direkten Angriffen und Pöbeleien, gibt es mindestens noch eine weitere Strategie, um unliebsame Personen und Äußerungen zu diskreditieren. Am Rande sei zur Klarstellung noch erwähnt, dass das Sammeln persönlicher Daten und deren Veröffentlichung im Internet mitsamt übelster Verleumdungen und Diffamierungen in der rechten Szene üblich ist – ein weiterer Hinweis dafür, dass es sich im Grunde um rechte Agitateure handelt.
Nun aber noch eine Beobachtung zu weiteren Verunglimpfungsstrategien, die unter anderem zeigt, dass die Angegriffenen nicht unbedingt Linke sein müssen: Ich besuchte im Frühjahr letzten Jahres eine Montagsmahnwache in Berlin, nachdem Jutta Ditfurth in 3sat Kulturzeit die gesamte Bewegung als „antisemitisch“ und „verschwörungstheoretisch“ ausgemacht hatte – übrigens genau im Duktus antideutscher „Argumentation“. Und der Begriff „Querfront“ kursiert spätestens seitdem in aller Munde, ganz so als würden sich unsere Medien Sorgen um eine Unterwanderung der Friedensbewegung machen. Die Warnung vor einer solchen „Querfront“, die hier eine Unterwanderung der Linken unterstellen soll, kommt nicht von ungefähr aus der neurechten Szene der Linken, der antideutschen eben.
Um mir nun ein eigenes Bild zu machen, hielt ich mich am Rande der Versammlung am Brandenburger Tor auf und konnte dort einige junge Leute beobachten, die mehrere Israelfahnen schwenkten. Vom Veranstalter darauf aufmerksam gemacht, dass keinerlei nationale oder auch parteipolitische Fahnen gewünscht seien, packten sie die Flaggen ein. Kurze Zeit später sprach der Journalist Ken Jebsen, den Jutta Ditfurth ganz in antideutscher Manier scharf angegriffen hatte. Die bereits zuvor beobachteten jungen Leute gingen nach vorne und legten sich mitgebrachte Alufolie auf den Kopf. Mit diesen „Aluhüten“ gingen sie ans Podest und jubelten Jebsen lautstark zu. So konnten bestimmte medienwirksame Bilder entstehen, die Jebsen umringt von Aluhutträgern zeigen. Ähnliches wird aus Dresden berichtet.
Was hat das zu bedeuten? Waren das Antideutsche, denen jedes Mittel recht ist, zur Diffamierung dessen, was sie verhindern wollen? Frieden in der Ukraine? Oder waren es Agenten, die genau wussten, wie man einen unliebsamen Redner in die esoterische Ecke stellen konnte? Nicht zuletzt Ditfurth hat die Diffamierungskampagne „Aluhut für Ken“ unterstützt, die unterstellt, dass Jebsen mit Strahlengegnern und anderen Irrationalen gemeinsame Sache machen würde. Natürlich fehlt es auch an Antisemitismusvorwürfen ihm gegenüber nicht. Als günstige Vorlage diente ein eMail-Wechsel und eine Kampagne Henryk Broders gegen den Radio-Moderator. Die Angriffe zielten auf die Existenz des Formats Radio-Fritz beim RBB und die Existenzgrundlagen Jebsens. [http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/eine_frage_der_grundversorgung_beim_rbb] Obwohl letzterer nachweislich nicht aus diesem Grund vom RBB entlassen worden war, haftet ihm seither das Label an – und kann ganz im Sinne antideutscher Agiation ausgeschlachtet werden.
Der gesamte Umgang mit den sog. Montagsmahnwachen deutet auf das Muster einer antideutschen Kampagne hin, denn man sucht nicht das Gespräch, um mit Rednern zu klären, was genau etwa mit dem Hinweis auf die private Federal Reserve Bank in den USA im Rahmen von Wirtschaftskrise und Krieg gemeint sein könnte. Sondern man verknüpft selber solche Äußerungen mit einer Anspielung auf jüdische Banker, um dem Redner Antisemitismus unterstellen zu können. Auch das ist antiaufklärerisch. Statt das zu erkennen, ist es den angeblich um die linke Friedensbewegung Besorgten gelungen, diese damit zu beschäftigungstherapieren.
Nun gibt es durchaus Versuche von rechts, die Kriegs- und Krisenängste der Bevölkerung zu instrumentalisieren und für eigene Zwecke zu missbrauchen. Ihnen darum alle neu auf die Straße Gegangenen zuzuschanzen, reiht sich jedoch genau in die antilinken Strategien sog. Antideutscher ein. Die Spaltung und Schwächung der kapitalismuskritischen Friedensbewegung scheint auf diesem Wege zu gelingen. Auch hier könnte man meinen, dass es sich um einen Agentenstreich und nicht um Zufall handelt.
Antilinke Unterwanderung
Die Tabuisierungsversuche von Kritik an Wirtschaft, Krieg und Entdemokratisierung, die einhergehen mit der Ausweitung von Überwachung und Redeverboten, beschränken sich also nicht auf Linke. Dennoch steht die Partei Die Linke als noch einzig verbliebene Antikriegspartei besonders im Fokus antilinker Agitation. In dem Kontext verwundern die regelmäßig aufscheinenden Kampagnen zur Denunziation angeblicher Antisemiten in der Partei Die Linke nicht und sie kommen jeweils aus den eigenen Reihen – vom sog. Reformflügel.
Um eine angebliche „Regierungsfähigkeit“ à la SPD und Grüne zu erreichen, muss zunächst der kriegsfeindliche Kurs der Parteilinken abgeschafft werden. Dass aber die Wähler bei Vereinheitlichung der Parteiprofile lieber das Original als die Kopie wählen, lässt sich am Schicksal von SPD und Grünen gut ablesen. Eine weitere dem Neoliberalismus verpflichtete
Partei brauchen wir nicht. Die Aufgabe der letzten und zentralen unterscheidenden politischen Position würde Die Linke überflüssig machen und damit auch nicht „regierungsfähig“. Es ist davon auszugehen, dass „Reformer“ innerhalb der Partei wie etwa MdB Stefan Liebich – um nur einen profilierten Namen zu nennen – dies wissen.
Man will nicht unterstellen, dass antilinke Agitatoren in der Partei bezahlte oder einfach nur überzeugte Agenten für diesen Zweck sind, obwohl es im Falle Liebichs – einem Mitglied des transatlantischen Think-Tanks „Atlantik-Brücke“ [www.atlantik-bruecke.org ] – durchaus Hinweise dafür zu geben scheint. So könnte man etwa die Äußerungen des Gedenkstättendirektors von Berlin-Hohenschönhausen, Dr. Hubertus Knabe, werten, der in der FAZ vom 1. Dezember 2014 schrieb: „Bei Claus und Dehm liegen zahlreiche Indizien für eine IM-Tätigkeit vor. Beide bestreiten jedoch als IM für die Stasi tätig gewesen zu sein. Hinzurechnen müsste man eigentlich noch Stephan Liebig der als Jugendlicher mit der Stasi kooperierte (weshalb über ihn keine Akten herausgegeben werden).“
Wer die Veröffentlichungspraxis der Gauck-Folgebehörde in Sachen Stasi-Akten kennt, weiß, dass die in Klammern formulierte Begründung nicht ausreichen würde. Demnach sollte man vielleicht dem Hinweis nachgehen, warum genau keine Einsicht in Liebichs Akte möglich ist – allein um auszuschließen, dass darin ein Hinweis zu finden ist, wie er möglicherweise von einer anderen Behörde oder Organisation nach dem Zusammenbruch der DDR angeworben wurde.
Ob bezahlter Agent, antilinker Neocon oder einfach nur dummer Mitläufer einer vermeintlich fortschrittlichen „Reform“-Bewegung in der Linken, das Ergebnis ist das gleiche: Linke Positionen mit einer sozialen und friedenpolitischen Agenda stehen nicht auf der Liste der Gruppierungen, die geduldet werden – in der sich verschärfenden Wirtschaftskrise, die man mit Mehr vom Gleichen ja nicht bekämpfen kann.
Mehr vom Gleichen führt zu einer Verschlimmerung der Krise, denn man hat nichts an den Strukturen verändert, die dazu geführt haben. Sowohl in der EU, als auch global, führten weder die Finanz-, noch die Banken-, noch die Eurokrise zu einer grundlegenden Veränderung oder auch nur Korrekturen an den Mechanismen, die offensichtlich in die Krise steuern. Kapitalakkumulation ist weiterhin möglich, ja nötig (Stichwort: Wachstumszwang), die Prekarisierung von Arbeit schreitet ebenso fort – wenn auch die Auswirkungen in Deutschland bisher nur ansatzweise zu spüren sind. Das vielfach beschworene Ende der Krise gibt es nicht, wir stehen immer noch am Anfang – und bisher wurde nichts unternommen, den Krisenmechanismus an sich zu bekämpfen.
Und die geschilderten Instrumente der antilinken Antideutschen sollen dafür sorgen, dass darüber auch keine ernsthafte und möglicherweise konstruktive Debatte in Gang kommt.
Dr. Sabine Schiffer
Institutsleitung
Die Autorin ist Beiratsmitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
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Bild: Zeigen einer Israelflagge bei einer Demonstration, 2013
Foto: Fatelessfear
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Antideutsche_Demonstration_Israelflagge.jpg