Feindbildkonstruktion: Russland und Putin in den westlichen Medien
Aus: „FREIDENKER“ Nr. 4-14 EXTRA, Dezember 2014, S. 40-43, 73. Jahrgang
von Sabine Schiffer
Beitrag auf der Konferenz „Der „Westen“ und Russland“ am 06.09.2014 in Berlin
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Wie man sich einen Feind bastelt, bekommen wir derzeit lehrbuchmäßig vorgeführt. Das einfachste Mittel ist das, was der niederländisch-spanische Kommunikationswissenschaftler Teun van Dijk knapp zusammenfasst: „Betone die schlechten Eigenschaften Deines Gegenübers und Deine guten Eigenschaften!“
Das Betonen erreicht man durch verschiedene Techniken. Dazu gehören:
- Eine möglichst stereotype Auswahl von Fakten
Man betone die Fehlentwicklungen in Russland – nicht die guten Entwicklungen – und möglichst negative Eigenschaften des „Regierungschefs“, den man möglichst auch nicht „Präsident“ nennt. Gegenproben würden die Praxis schnell entlarven, wenn man beispielsweise Obama als „Chef des Weißen Hauses“ oder „Kapitol-Chef“ bezeichnen würde.
- Zuweisungen bestimmter Entwicklungen
Der Protest von Menschen in der Ostukraine wird durch die Nomination „pro-russische Separatisten“ mit Blick auf Russland reduziert und Motive und Kontext ausgeblendet bzw. umgedeutet. Während man der neuen Regierung in Kiew im Gegensatz zu der Janukowitschs nicht mehr zuschreibt, sie „bekämpft das eigene Volk“, wird Putin als Verantwortlicher für die Eskalation verantwortlich gemacht. Das wohlbekannte Syntagma „Kampf gegen den Terror“ schafft auch hier Legitimation für menschen-, verfassungs- und völkerrechtlich verbotene Militäraktionen.
Zur Praxis unbelegter (Schuld-)Zuweisungen gehört der mediale Umgang mit dem Absturz von MH17 über der Ostukraine. Vorschnell wurden die sogenannten Separatisten und Putin dafür verantwortlich gemacht. Jetzt, wo auch der Beschuss durch einen Jagdbomber diskutiert wird, der auf die Ukraine als Täter hindeuten würde, verzögert sich die Veröffentlichung relevanter Untersuchungsergebnisse.[1]
- Hinzudichten kleinerer und größerer Lügen
Beispielhaft lässt sich an der Kaukasus-Krieg-Berichterstattung von 2008 noch demonstrieren, wie Russland für die Taten eines anderen Staates – in dem Fall Georgiens – verantwortlich gemacht wurde. Nicht zuletzt das teilzensierte ARD-Interview von Thomas Roth, das dadurch die Initiative Georgiens für den Konflikt verschleierte, zeugt von bewusster Feindbildzeichnung.[2]
Ganz aktuell betrifft das die Behauptung regulärer russischer Truppen in der Ukraine – die Quelle für die Satellitenbilder, die dies beweisen sollen, ist die NATO.[3] Zur Illustration seiner „Berichte“ auf der Website wählt der WDR Fotos von russischen Panzern und Soldaten aus dem besagten Konflikt mit Georgien 2008. Ob diese allerdings wirklich aus Gori stammen und nicht etwa aus Tschnivali, das von Georgien angegriffen wurde, wäre zu prüfen – und nicht erneut herunter zu beten.[4]
Der Abschuss eines Militärhubschraubers in Syrien aus dem Jahre 2013 wird in tagesthemen und heute als Abschuss eines solchen Hubschraubers über der Ukraine im Jahre 2014 verkauft.
Umdeutungen im größeren Ausmaß liegen vor, wenn etwa der Kontext und der Konjunktiv einer Putin-Äußerung weggelassen und so die Behauptung kreiert wird: „Wenn ich will, kann ich Kiew in zwei Wochen einnehmen.“[5] Wenn jedoch der Befragte russische Präsident EU-Kommissionschef Barroso gegenüber deutlich machen wollte, dass er nicht an Eskalation und Krieg interessiert sei, was man daran sehe, dass er nicht umsetze, was möglich wäre, dann klingt der konjunktivische Originalsatz schon anders: „Wenn ich wollte, könnte ich in zwei Wochen Kiew einnehmen.“
- Unterstellen von (eigenen?) Zielen
Ein Beispiel für die Zuweisung des eigenen Verhaltens stellt die Interpretation des NATO-Gipfels in Wales dar. Tagesschau.de kolportiert willfährig die veröffentlichte Sicht der NATO, warum sie ihr „Frühwarnsystem“ modernisieren wolle: „Damit will das Bündnis auf die ,hybride Kriegsführung‘ reagieren, die sie Russland und der Ukraine vorwirft, damit ist das Anheizen des Konflikts gemeint etwa durch die Verbreitung von Falschmeldungen oder die Beeinflussung der pro-russischen Bevölkerung.“ Indikativ und Wortwahl verraten, dass tagesschau.de die Dinge nicht anders betrachtet, als die NATO (vgl. tagesschau.de 5.9.2014). Selbstreflexion über eigene Falschmeldungen? Fehlanzeige! Und der Tausch von handelndem Agens und reagierendem Patiens vollzieht sich ganz unbemerkt nebenbei (vgl. Spiegel 5.9.2014: Kommentar zu Russlands Geopolitik. Zurück im kalten 20. Jahrhundert).
Vergleicht man die Militärpräsenz von Russland und den USA weltweit, dann kommt man auf eine aussagekräftige Anzahl von Militärbasen außerhalb des eigenen Territoriums: 25 auf russischer Seite stehen an die 1000 auf US-Seite gegenüber. Dennoch wird im Kontext der Ukraine-Berichterstattung Russland „Imperialismus“ und „Weltmachtstreben“ unterstellt. Eine Karikatur von DeepResource veranschaulicht hingegen die Ausdehnung der NATO und treibt die Ironie durch den beigefügten Text auf die Spitze: „Russland will Krieg. Es rückt nahe an die NATO-Basen heran.“
[http://deepresource.wordpress.com/2014/04/04/russia-wants-war]- Messen mit zweierlei Maß
Die doppelten Standards machen sich allein in folgender Gegenüberstellung bemerkbar, wie sie unter Journalisten durchaus kursiert: Deutsche Medien machen Fehler, während russische Staatspropaganda betreiben.
Dringend möchte ich das gleichnamige Kapitel im Buch „Was passiert in Russland?“ von Gabriele Krone-Schmalz empfehlen. Während Russland/Putin alle möglichen Eigenschaften und Interessen unterstellt werden, bleiben viel zentralere Fakten möglicherweise ausgeblendet. Auch ihre Interviews zum Thema sind erhellend, gerade wenn sie auf die weitestgehend ausbleibende Berichterstattung über die westlichen Interessen zu sprechen kommt. Stichwort: EU-Assoziierungsabkommen, NATOErweiterung.
Umgekehrt wird gerne Vergleichbares als anders dargestellt:
– Die Annahme der Referenden auf der Krim und im Kosovo wurden total unterschiedlich bewertet.
– Auch die Wahlen in Syrien und der Ukraine unter vergleichbaren Umständen bekamen einmal gute und einmal schlechte Noten. Die in der Ukraine wurden begrüßt, die in Syrien verdammt.
– Und die gerne erwähnte Geheimdiensttätigkeit Putins war bei George Bush Senior weit weniger ein Thema.
- Dämonisierung und Dehumanisierung des ausgemachten Gegners
– „Putin muss draußen bleiben“ (G8-Gipfel) In dieser Spiegel-Überschrift wird die Geringschätzung gegenüber dem Präsidenten Russlands deutlich, der sprachlich so behandelt wird wie ein Hund.
– Wie die Bachelor-Arbeit von Mirjam Zwingli, die wir auf unserer Gastbeiträge-Seite unter www.medienverantwortung.de veröffentlicht haben, aufzeigt, findet bereits seit Jahren in der sogenannten „Qualitätspresse“ eine Attributierung Putins mit negativ konnotierten Begriffen wie „Machtmensch“, „Weltmachtstreben“ und „Sowjetrhetorik“ statt, während „Kapitol-Chef“ Obama (Gegenprobe d. Verf.) durchwegs positiv gezeichnet wird mit Begriffen wie „Vision“ und „Perspektiven“. Fakten (s.o.) scheinen den Diskurs nicht zu stören.
– Besonders gravierend sind (unwidersprochene) NAZI-Vergleiche, weil derlei Vergleiche sehr oft Protest hervorrufen, damit einer Relativierung von Nazi-Verbrechen und Holocaust vorgebeugt wird. Im Falle eines akzeptierten Feindbilds jedoch ist folgendes möglich:
– Vergleich mit „Hitler“ (direkt oder indirekt)
– Anwendung von Nazi-Sprache
z.B. „Anschluss“ (der Krim)
z.B. „Blut- und Bodenrhetorik“
- Personifizierung eines Konfliktes (Objektsuggestion vs. Krieg der Völker)
Der Angriff auf Libyen oder den Irak wäre ohne die Personifizierung des Landes und die Darstellung des platzhaltenden Führers als das Böse schlechthin (Saddam=Hitler=Irak oder Gaddafi=Hitler=Libyen) nicht so leicht möglich gewesen. Auch die beste PR-Agentur kann keinen Krieg verkaufen, wenn sie zugibt, dass hier Menschen gegen Menschen kämpfen werden, das Volk. Darum sind die NAZI-Anspielungen, die Personifizierung Russlands und die Dämonisierung Putins nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, sondern als das ernst zu nehmen, was sie sind: Vorboten eines Krieges, der eigentlich ein Wirtschaftskrieg ist und vor allem die EU trifft.
Die geschilderten Facetten der Feindbildkonstruktion sind kein Zufall, sondern das Produkt von Public Relations und Lobbyismus, wobei Medien als Vehikel fest eingeplant sind. Da mag es nicht wenige unreflektierte Mitläufer geben, aber einige wissen was sie tun – und die Verantwortung für Kriegstreiberei kann man nicht mit dem Hinweis auf Unbedacht und unterlassene Gegenrecherche abtun.
Dr. Sabine Schiffer ist Leiterin des Instituts für Medienverantwortung (Berlin/Erlangen) und Beiratsmitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
www.medienverantwortung-foerderkreis.de
[1] Viktor Timtschenko 3.09.2014 Hintergrund http://www.hintergrund.de/201409033226/hintergrund/medien/wiedeutsche-medien-ein-flugzeug-abschossen.html
[2] Jens Berger „Das Interview“ 31.08.2008 Spiegelfechter http://www.spiegelfechter.com/wordpress/392/das-interview
[3] Ralf Sterck „OSZE stellt kein russisches Militär in der Ukraine fest“ 2.09.2014 Telepolis http://www.heise.de/tp/news/OSZE-stellt-kein-russisches-Militaer-in-der-Ukraine-fest-2307224.html
[4] Matthias Meisner „Propagandatricks – oder Pannen in Serie“ 2.09.2014 Tagesspiegel http://www.tagesspiegel.de/medien/falsche-bilder-bei-der-ard-zum-ukraine-konflikt-propagandatricks-oder-pannenin-serie/10637680.html
[5] RTL stellt immerhin Indikativ und Konjunktiv gegenüber, lässt jedoch ebenfalls die weitere Textumgebung weg: http://www.rtl.de/cms/news/rtl-aktuell/angebliche-putin-drohung-an-barroso-wenn-ich-wollte-koennte-ich-in-zweiwochen-kiew-einnehmen-3f71a-51ca-12-2036493.html
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Sabine Schiffer: Feindbildkonstruktion – Russland und Putin in den westlichen Medien (Auszug aus FREIDENKER 4-14, ca. 1,4 MB)
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