Demokratie – Medien – Aufklärung

Die Wirklichkeit sichtbar machen

Foto-Grafik und Montage im 125. Heartfieldjahr

Aus: „FREIDENKER“ Nr. 2-16, Juni 2016, S. 18-31, 75. Jahrgang

von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

 

Fotografie und Grafik im Einsatz für den Frieden und Fortschritt.

Der Maler, Typograph und Multifunktionskünstler John Heartfield, dessen 125. Geburtstag wir in diesem Jahr begehen, vereinigt in seinen unvergesslichen Fotomontagen die Techniken seiner Zeit zu einer neuen foto-grafischen Gestaltung. „Ich male mit Foto“… Das Hauptwerk seiner politischen Fotomontage, die vor heute 100 Jahren durch die Dada-Erhebung beeinflusst wurde, ist durch den hunderttausendfachen Druck in der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung (1930-1938, ab 1933 als Volksillustrierte aus dem Prager Exil) überliefert. 1926 (also vor 90 Jahren) ruft Willi Münzenbergs A-I-Z zur Gründung der Arbeiterfotografen-Vereinigung auf. Es gibt Berührungspunkte, Weiterentwicklung und ein Fortbestehen der Aufklärung mittels unterschiedlicher Kunstformen und Fotografie.

„Zwei alte Herren, reif fürs Panoptikum“, eine Fotomontage aus dem Jahr 1961, konnte dem westorientierten Deutschland unter Kanzler Adenauer gefährlicher werden als die meisten Politikerreden: mit Hohn und Spott wird der deutsche Nachkriegs-Bundeskanzler Konrad Adenauer als Geburt eines Schattenwurfes, als Menschwerdung des Kanonenroboters, dargestellt. Zur westdeutschen Wiederbewaffnung ist damit (fast) alles gesagt. „Überragende schöpferische Kraft“ attestieren die Westfälischen Nachrichten am 14.6.1960 anlässlich einer Heartfield-Ausstellung in Münster, allerdings „selten einmal eine Allegorie, in der die weltanschauliche Bindung zugunsten echter künstlerischer Gestaltung zurücktritt“. Eine verräterische Position, zumal das Gros der Exponate die Enttarnung der NS-Propaganda behandelt.

Wer war dieser Mensch, der in seinen besten Zeiten ein Millionenpublikum erreichte und dennoch in der Kunstgeschichtsschreibung bis ins fortgeschrittene 20. Jahrhundert (im Westen) weitgehend ausgespart blieb? Am 31. Dezember 1918 nimmt John Heartfield (gemeinsam mit seinem Bruder Wieland Herzfelde und Erwin Piscator) auf dem Gründungsparteitag der KPD in Berlin von Rosa Luxemburg sein Mitgliedsbuch entgegen. Seine Bekanntschaft mit George Grosz veranlasst ihn, seine vor 1917 geschaffenen Gemälde (meist Landschaften) zu vernichten. Dada ist da. Im Zürcher „Cabaret Voltaire“ wird 1916 von ins Exil geflohenen Künstlern „Dada“ ausgerufen. Mitten im Ersten Weltkrieg proklamierten Kunstschaffende „die Ohnmacht und Lächerlichkeit, die Sinn- und Wertlosigkeit aller Kunst und Philosophie, jeglicher Kultur, Bildung und Zivilisation der modernen Gesellschaft angesichts ihres totalen moralischen und politischen Versagens“. (Wieland Herzfelde) Anders als viele deutsche Maler und Schriftsteller, die sich 1914 mit Hurrah-Geschrei in einen Kriegstaumel reißen lassen, besteht Dada auf Antikunst und Antikrieg.

 

„Dada ist Gott und John Heartfield ist sein Prophet“ (George Grosz)

1920 erreicht Dada Berlin. Bei der Eröffnung der Ersten (und letzten) Internationalen Dada-Messe sind neben „Monteurdada“ John Heartfield und seinem Bruder, dem Gründer und Leiter des Malik-Verlages, Wieland Herzfelde, Raoul Haumann, Otto Burchard, der „Oberdada“ Johannes Baader, George Grosz und Hanna Höch beteiligt. Sie verkünden: Die Kunst ist tot. George Grosz und Wieland Herzfelde schreiben 1925, nachdem das „dadaistische Zwischenspiel“ (1916-1922) auch in Köln, Hannover, New York und Paris aufgeflammt war, rückblickend in einer Veröffentlichung des Malik-Verlags: „Der Dadaismus war keine gemachte Bewegung sondern ein organisches Produkt, entstanden als Reaktion auf die Wolkenwanderer-Tendenzen der sogenannten heiligen Kunst… während die Feldherren mit Blut malten… Wir sahen damals die irrsinnigen Endprodukte der herrschenden Gesellschaftsordnung und brachen in Gelächter aus. Noch nicht sahen wir, dass diesem Irrsinn ein System zugrunde lag…. Wir anderen aber sahen die neue große Aufgabe: Tendenzkunst im Dienste der revolutionären Sache.“ „Der dadaistische Mensch ist der radikale Gegner der Ausbeutung“ heißt es in der Berliner Dada-Messe und „Dada kämpft auf seiten des revolutionären Proletariats“. Wegen „Aufreizung zum Klassenhaß“ und „Beleidigung der Reichswehr“ – unter der Decke angebracht war die Figur eines Offiziers in Reichswehruniform mit eisernem Kreuz und einer Schweinemaske – trat der Staatsanwalt auf den Plan, beschlagnahmte unter anderem die einzig erschienene Ausgabe von „Jedermann sein eigener Fußball“.

Der von seinen Freunden Johnny Genannte hatte 1916 seinen Namen aus Protest gegen die deutsche Kriegspropaganda von Helmut (Hellmuth) Herzfeld in John Heartfield geändert. Auch sein Bruder Wieland änderte den Namen geringfügig, indem er Herzfeld ein „e“ hinzufügte. Aus Georg Groß wurde George Grosz. Der kleine, ehrgeizige und von steter Unrast getriebene Johnny sprang in einer Wochenschau, die die blutige Maidemonstration von 1929 zeigt, „wie von der Tarantel gestochen“ (Wolf Reiss) auf und bezichtigt einen körperlichen Riesen, der Beifall für das brutale Polizeivorgehen klatscht, unablässig als Schwein: „Sie Schwein, Sie Schwein, Sie sind ein Schwein!“ Das „Schwein“ prügelt Heartfield halb bewusstlos. Der rächt sich mit einer glühenden Fotomontage, in der er sich mit finsterer Stirn selbst darstellt, wie er dem Verantwortlichen des „bestialisch-brutalen Vorgehens“, dem sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Zörgiebel den Hals abschneidet.

Die neue Kunst der – von Heartfield erfundenen – politischen Fotomontage bot fortan alle Möglichkeiten der Demontage von Autoritäten und der Entlarvung von politischen Lügen oft in Form von Bloßstellung oder Umkehrung der Machtverhältnisse (siehe Dimitroff). John als Fotoregisseur, Monteur und Ideengeber, sein Bruder Wieland als Ideengeber und Texter. Fotografen, allen voran Janos Reismann, und Retuscheure, aber auch Darsteller in theaterartigen Inszenierungen sind an der Entstehung des Werkes des Perfektionisten Heartfield beteiligt.

 

Lachen als vernichtende Waffe

„Das? Das ist die Zeit / Sie schreit nach Satire“ Mit Witz und Respektlosigkeit gegen nicht akzeptable Autoritäten. Das ist nicht nur die Basis der Zusammenarbeit mit Kurt Tucholsky. 1929 erscheint im Neuen Deutschen Verlag der Satire-Bildband „Deutschland, Deutschland über alles“ mit Texten von Tucholsky und Illustrationen von John Heartfield. Tucholsky bewunderte die Vorläufer der Fotomontagen in den Malikschen Buchumschlägen: „Wenn ich nicht Peter Panter wäre, möchte ich Buchumschlag im Malik-Verlag sein“. Im selben Jahr wird Heartfield, der 1922 als Ausstattungsleiter der Reinhardtbühnen arbeitet und gleichzeitig für die Kommunistische Partei als Agitator, Redner und Gestalter wirkt, auf der Internationalen Werkbundausstellung „Film und Foto“ in Stuttgart ein eigener Raum mit Abteilungen „Male mit Foto! Dichte mit Foto!“, „Foto Grafik“, „Fotomontage“ eingerichtet.

Die beständig weiter entwickelten, ab einem bestimmten Zeitpunkt bewusst „dialektisch“ (Herzfelde) angewandten Fotomontagen bestanden – zunächst auf Bucheinbänden – und spätestens seit 1930 in der regelmäßigen Mitarbeit bei der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung A-I-Z aus mindestens zwei (aber immer möglichst wenigen) Elementen, die gegeneinander gerichtet waren. Auf dem Bucheinband der 2. Auflage (1928) von John dos Passos, Drei Soldaten sitzen die Soldaten auf der Titelseite beschaulich beisammen, auf der Rückseite liegen sie tot in verbrannter Landschaft. Die Herstellung von Montagen für Münzenbergs A-I-Z im Wochenrhythmus erfordern stete Aktualität in der Auseinandersetzung mit den Endjahren der Weimarer Republik, die unter Zörgiebel, Noske und Genossen in Deutschland und mit Mussolini (Heartfield-Montage 1928: Das Gesicht des Faschismus) in Italien alles andere als unblutig verlaufen.

 

Willi Münzenberg ruft zur Vereinigung der Arbeiterfotografen auf

1926 erfolgt in der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung der Aufruf zur Bildung einer „Vereinigung der Arbeiterfotografen Deutschlands (VdAFD), die im November in einem vorläufigen Reichsausschuss zusammentritt und 1927 in Erfurt in einer Konferenz mit internationalen Gästen sich gründet. Bereits im August 1926 erscheint die erste Ausgabe „Der Arbeiter-Fotograf“ als Forum des Austausches und der Weiterbildung der überwiegend aus Amateuren, 1932 aus 3000 Mitgliedern in 125 Ortgruppen besteht. Die vielfach anonym oder unter Pseudonym arbeitenden – so gut wie ausschließlich männlichen – Fotografen fertigen überwiegend Fotodokumentationen oder Fotoreportagen, so Eugen Heilig, der auch Redakteur des vereinsinternen „Arbeiter-Fotograf“ ist, über „Hunger im Frankenwald“ oder „Akkord im Dreck“, die der A-I-Z in groß aufgemachten Bildseiten sehr willkommen sind. Die VdAFD ist laut ihrer Statuten parteiunabhängig und offen für Mitwirkende, wenn sie im Geiste der Kritik und angestrebten Verbesserung der herrschenden Zustände aktiv sind, aber dennoch unübersehbar der KPD nahestehend.

1930 initiiert die SPD zusammen mit den Naturfreunden die Gründung des konkurrierenden Arbeiter-Lichtbild-Bundes, um die eigene Klientel nicht an die Kommunisten zu verlieren. Die Zeitschrift „Das Neue Bild“ wird hierzu ins Leben gerufen, erscheint aber nur von Juli 1930 bis Dezember 1931. Der Versuch musste fruchtlos bleiben, denn ein den Arbeiterfotografen vergleichbarer Anspruch der gesellschaftlichen Einwirkung beschränkt sich auf formal „schöne“ Bilder und auf bestenfalls genreartige Alltagsszenen.

Nach dem Krieg findet das Werk von Walter Ballhause große Beachtung, das in konzentrierter Form und geraffter Zeit, die Geschehnisse in und um Hannover von 1930-1933 wiedergibt. Mit versteckter Kamera fotografiert der knapp 20jährige soziales Elend, bettelnde Krüppel des Ersten Weltkrieges und die aufziehenden NS-Schrecken mit ideologischer Kriegsvorbereitung. Der autodidaktisch Gebildete und hoch Talentierte schafft als junger Mensch ein gewaltiges Zeitdokument, das gleichzeitig ein herausragendes fotografisches Werk darstellt. 1982 wird Ballhause auf dem Kongress der 1978 unter Mitwirkung und auf Initiative des Münchner Kunsthistorikers Richard Hiepe wieder ins Leben gerufenen Arbeiterfotografie-Vereinigung zum Ehrenmitglied ernannt. Die seit 1972 erscheinende Zeitschrift „Arbeiterfotografie“ widmet Ballhause 2012 (Nr. 96/97) eine Monographie (wie dem ebenfalls 1911 geborenen Antikriegsfotografen Anton Tripp, Nr. 95).

 

Künstler gegen Atomtod – Kunst für Frieden

Kaum dass auch dieser Krieg zu Ende ist und niemand sich offen zur NS-Ideologie mehr bekennt – im Gegenteil – steht die Wiederbewaffnung, Gründung eines eigenes Heeres und der Beitritt zum „Nordatlantik-Pakt, Nato“ (vollzogen 1954 mit den „Pariser Verträgen“) unter Kanzler Adenauer auf der Agenda (siehe Heartfield 1961: Der Krieg und sein Schatten), der sich noch im Dezember 1949 „prinzipiell gegen eine Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland“ ausspricht. Von Franz Josef Strauß ist der Satz überliefert: „Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen.“ (zit. nach Kunst für Frieden) Adenauer 1952: „Der beste Weg, den deutschen Osten wiederzuerlangen, ist die Wiederbewaffnung Deutschlands innerhalb der Europa-Armee.“ Und Staatssekretär Hallstein spricht vom „Zusammenschluß des freien westlichen mit dem vom Bolschewismus befreiten östlichen Europa – bis hin zum Ural“. Da wären wir also im HIER und JETZT angelangt! Gegen die Wiederbewaffnung und Atombewaffnung stehen Wissenschaftler (Göttinger Manifest, 1957), Politiker (Gustav Heinemann, 1953: „Wir müssen erkennen, daß die antisowjetische Hetze den Vorspann für die westliche Rüstungspolitik darstellt… Wir haben gegen die Propaganda, welche die psychologische Bereitschaft zum Krieg schaffen soll, ebenso Widerstand zu leisten, wie gegen die militärische Kriegsvorbereitung.“ ), Friedensbewegte („Ohne Uns“, „Kampf dem Atomtod“ mit Heinrich Böll, Erich Kästner, Erich Ollenhauer… als Vorläufer der Ostermarschbewegung) und Künstler („Künstler gegen Atomkrieg“, 1958) auf. Der Zeichner Carlo Schellemann ruft „Künstler im In- und Ausland“ auf, „sich mit ihren Werken am Kampf gegen die Atombewaffnung zu beteiligen.“ (Hans Wallner in Kunst für Frieden) Es entstand eine Ausstellung aus eigens geschaffenen und von älteren Künstlern zur Verfügung gestellten Werken, wovon die bekanntesten der Holzschnitt von Otto Pankok, „Christus zerbricht das Gewehr“ von 1951 und Frans Masereel „Die neue Armee“ von 1954, sein dürfte. Nachdem die SPD sich nach vormaliger materieller und finanzieller Unterstützung von der „Kampf dem Atomtod“-Bewegung zurückgezogen und sich stattdessen mit dem Godesberger Programm von 1959 zur Unterstützung einer zu gründenden Bundeswehr zuneigte, wurde es für die zusammengetragene Ausstellung unter Ehrenpatenschaft von Erich Kästner zunehmend schwer, Gelder und Räume zu erlangen. Massiver Antikommunismus rundete das Bild der Gegnerschaft einer Ausstellung, die allen Künstlern (auch der DDR) offenstand, ab. Dem von mehrfachem Berufsverbot betroffene Münchner Kunsthistoriker und zeitweilige Hochschullehrer Richard Hiepe gelang es gemeinsam mit dem damaligen Präsidenten des „Deutschen Kulturtages“, Karl Saller, die Ausstellung in wechselndem Umfang zu etablieren. Eine Broschüre zur Ausstellung mit einem Holzschnitt-Titel von Frans Masereel erscheint. Um den Jahreswechsel 1959/60 konstituiert sich in München die Künstlergruppe „tendenz“ überwiegend aus Mitgliedern der Künstler gegen Atomtod.

 

Richard Hiepe gründet die Kunstzeitschrift Tendenzen und Arbeiterfotografie

Im Februar 1960 erscheint die erste Ausgabe der von Richard Hiepe und Carlo Schellemann initiierten Kunstzeitschrift „tendenzen“ – unter späterer Mitwirkung der Grafiker Bernd Bücking und Guido Zingerl. Die „tendenzen“-Ausgabe 105 widmet sich 1976 der „Engagierten Fotografie“, die in einem Beitrag von Dieter Mielke das Wirken der „Arbeiterfotografie in der BRD“ vorstellt. Von November 1973 bis November 1975 erscheinen die ersten fünf Ausgaben der von der Hamburger Gruppe ins Leben gerufenen Zeitschrift Arbeiterfotografie zunächst im Eigendruck mit einer angegebenen Auflage von 2000 Exemplaren zum Preis von DM 1,50. Richard Hiepe wird mit dem Maler, Fotografen und Hochschullehrer Jörg Boström zum Motor der 1978 in Essen gegründeten „Arbeiterfotografie“ als bundesweiter Vereinigung. Mit Studenten der Fachhochschule Bielefeld werden Projekte im Sinne von Arbeiterfotografie realisiert. Konkurrierend mit Hiepe (Riese Proletariat und große Maschinerie), aber praktisch unschlagbar ist der ebenfalls in Bielefeld lehrende Kulturwissenschaftler und langjährige Werkbundvorsitzende Roland Günter (Fotografie als Waffe), der seit 2014 Ehrenmitglied im heutigen Bundesverband Arbeiterfotografie ist. Eine Sammlung aller bis 2015 erschienener Zeitschriften-Ausgaben erwarb das spanische Nationalmuseum Reina Sofia in Madrid. Ebenso erwarb das Museum die 2015 in der Ausstellung von Kurator Jorge Ribalta „On the Reinvention of Documentary and the Critique of Modernism“ in einer weltweit zusammengestellten Schau sozialkritischer Fotografie gezeigten Exponate von Arbeiterfotografie aus den 1970er Jahren. Schwerpunkt lag auf einer neuen Generation von Künstlern, die sich der unterdrückten revolutionären Impulse des Kalten Krieges widersetzten.

 

Wacht auf, Verdammte dieser Erde!

Willi Münzenberg und John Heartfield gelten als bedeutende Vorbilder der Arbeiterfotografie, die gegenüber der historischen Vorläufer-Organisation VdAFD (1926/27 bis offiziell 1933) nun bald 40 Jahre ihre Wirkung entfaltet. 2007 wurde in einer großen Schau und mit einer mehrtägigen Veranstaltung in Erfurt des Ursprungsdatums vor 80 Jahren gedacht. Zum 35jährigen Bestehen des Bundesverbandes zeigte das Kunst-Geschoß der Stadtgalerie im Schützenhaus Werder an der Havel 2013 eine Schau unter dem provokativen Titel „Wacht auf, Verdammte dieser Erde!“ in Kooperation mit dem Deutschen Freidenker-Verband und dem Euregioprojekt Frieden. Auf der langen Strecke seit 1972 / 1978 gab es immer wieder öffentliche Kongresse, Publikationen einzelner Gruppen und selbstverständlich Ausstellungen. Vor allem die (nicht ganz regelmäßig weil unkommerziell) erscheinende Zeitschrift „Arbeiterfotografie“ bot und bietet Raum zur Vorstellung von sozialfotografischem Wirken weniger bekannter bis weltberühmter Fotograf/inn/en. Desgleichen ist das Ziel der 1990 in Köln gegründeten Galerie Arbeiterfotografie, die im Herbst 2016 „Heartfield Dada Arbeiterfotografie“ im Rahmen der Internationalen Photoszene zeigen wird. Der Magnum-Fotograf Sebastiao Salgado, der Fotos und Erlöse seines Projekts „Terra“ der Landlosenbewegung in Brasilien widmet, antwortet 1997 im Interview mit Arbeiterfotografie (Nr. 84, Amerika Teil 2) auf die Frage, was er mit seinen Fotos bewirken will: „Ich hoffe, dass meine Bilder helfen können, Diskussionen zu provozieren. Alleine richten wir nichts aus. Aber alle zusammen, mit Ihnen, Ihrer Zeitschrift, mit dem „Stern“, mit den Herausgebern, den Verlegern des Buches „Terra“, mit den Menschen in Deutschland, die bereit sind, diese Probleme zu sehen, können wir etwas tun.“

 

Wenn ihr nicht Hand mit Hand vereint…

„Jetzt müssen die friedfertigen Menschen aller Länder noch enger zusammenarbeiten und alle für die Stärkung und Rettung des Weltfriedens ihre Kräfte mobilisieren, da kriegslüsterne Machthaber wiederum zum Krieg drängen,“ schrieb John Heartfield 1967 als Abschiedszeilen etwa ein Jahr vor seinem Tod in einem Katalog fürs Stockholmer Moderna Museet. …“müssen alle friedliebenden Menschen, gleichgültig welcher unterschiedlicher politischer Meinungen, sich aufs engste zusammenschließen, im Kampf zur Erhaltung des Friedens.“

„Wenn ihr nicht Hand mit Hand vereint, Wenn ihr nicht Ellbogen an Ellbogen reiht, Werdet ihr den letzten Winkel des Hauses und den Bruder verlieren“ heißt es 2007 in einer Theater-Inszenierung des Arbeiterfotografie-Mitglieds Inge Kleutgens in Kolumbien.

Walter Ballhause schrieb den Arbeiterfotografen 1982 ins Buch: „Kämpfen wir! Wenn wir es nicht tun, so verlieren wir auch heute diesen Kampf. Dessen sollten sich alle bewußt sein …, dass es um das Überleben der Menschen auf der Erde überhaupt geht. Darum: Nichts verwischen, aber alles Trennende beiseite schieben und alles Gemeinsame in den Vordergrund rücken. Das wünsche ich.“

Damit es kein weiteres „Menschenschlachthaus“ gebe, vor dem Wilhelm Lamszus mit „Bildern vom kommenden Krieg“ in Vorahnung zum Ersten Weltkrieg unter Verbot und Verfolgung warnte, geben wir das Wort (mit seinem gewaltigen Bildvermächtnis) an John Heartfield:

„Mein Bruder Wieland Herzfelde, mein steter Helfer und immerwährender Mitkämpfer gegen Ausbeutung und Krieg, schrieb ein Gedicht, „Des Friedens Soldaten“ betitelt.

Es beginnt:

Wir sind des Friedens Soldaten
keiner Nation
und keiner Rasse Feind.

Es endet:

„Völker euern Kindern
bleibe erspart der Krieg.
Den Krieg zu verhindern,
sei unser Sieg.“

Diesem großen Sieg gilt seine und meine ganze künstlerische Arbeit seit unserer frühesten Jugend.“


Download

Der Artikel kann auch als PDF-Dokument angesehen und heruntergeladen werden:

 Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann: Die Wirklichkeit sichtbar machen (Auszug aus FREIDENKER 2-16, ca. 622 KB)


Bild: „Krieg und Leichen – die letzte Hoffnung der Reichen“ – Fotomontage von John Heartfield zum 15. Jahrestag der russischen Mai-Demonstration von 1917, A-I-Z, 1/1932