Was Großbritanniens „Koalition der Willigen“ in der Praxis bedeutet
London und Paris wollen eine „Koalition der Willigen“ zur Entsendung von Truppen in die Ukraine bilden. Wozu würde es führen, wenn das tatsächlich umgesetzt würde, und welche Interessen verfolgt die britische Regierung dabei?
von Anti-Spiegel (d.i. Thomas Röper)
Erstveröffentlichung am 26.03.2025 auf anti-spiegel.ru
Der französische Präsident Macron und der britische Premierminister Starmer wollen eine „Koalition der Willigen“ zur Entsendung von Truppen in die Ukraine bilden. Obwohl die Gespräche darüber laufen, sind bisher praktisch keine der daran beteiligten Länder bereit, auch tatsächlich eigene Truppen in die Ukraine zu schicken, sondern reden von Unterstützung der Idee beispielsweise mit Logistik.
Von Anfangs 200.000 Soldaten, die als angebliche „Friedenstruppen“ in die Ukraine geschickt werden sollten, ist man inzwischen bei nur noch 10.000 angelangt und es stellt sich unwillkürlich die Frage was die eigentlich für einen praktischen Nutzen haben sollen, wenn sich an der Front Millionen von Soldaten gegenüberstehen.
Hinzu kommt, dass Russland immer wieder darauf hingewiesen hat, dass es keine Soldaten aus NATO-Ländern in der Ukraine akzeptieren, sondern sie als legitime Ziele betrachten wird.
Auch wenn Macron schon lange über die Entsendung europäischer Soldaten in die Ukraine spricht, hat Großbritannien bei den aktuellen Ideen ganz klar die Führungsrolle übernommen. Es stellt sich also die Frage, warum London so sehr auf die Entsendung von Truppen in die Ukraine drängt, auch wenn das einen Krieg mit Russland zur Folge haben kann.
Dazu hat ein Experte der russischen Nachrichtenagentur TASS einen sehr aufschlussreichen Artikel geschrieben, den ich übersetzt habe.
Beginn der Übersetzung:
Europa zieht in den Krieg: London plant eine gefährliche, mehrstufige Strategie
Andrej Nisamutdinow über die „Koalition der Willigen“ und was die mögliche Entsendung europäischer Truppen in die Ukraine zur Folge haben könnte
Vor über 60 Jahren erschien die französische Komödie „Babette zieht in den Krieg“. Darin flieht eine naive junge Frau, gespielt von Brigitte Bardot, nach Großbritannien, um dort den Schrecken des Krieges zu entkommen. Doch das britische Kommando hat seine eigenen Pläne: Es schickt sie mit dem Auftrag zurück nach Frankreich, eine geschickte Spionage- und Sabotageaktion durchzuführen.
Heute versucht die britische Regierung, ein ähnliches Szenario zu verwirklichen: Kontinentaleuropa soll die Rolle von Babette spielen, die gedrängt wird, ihre Truppen in die Ukraine zu schicken, um gegen Russland zu kämpfen. Das hat zwar mit einer Komödie nichts zu tun, dafür ist es nur einen Schritt von einer großen Tragödie entfernt.
„Koalition der Willigen“
Nach dem Beginn der Militäroperation hat Großbritannien die wohl härteste Position gegenüber Russland eingenommen. Es genügt, daran zu erinnern, dass der damaligen britischen Premierminister Boris Johnson die Unterzeichnung der Abkommen zwischen Russland und der Ukraine im Frühjahr 2022 verhindert hat, der eilig nach Kiew reiste und vorschlug: „Führt einfach Krieg“.
Es ist bemerkenswert, dass London, das als Hauptideologe der Fortsetzung des Konflikts auftrat, um Russland eine strategische Niederlage zuzufügen, in Bezug auf die Höhe der militärischen und finanziellen Hilfe für die Ukraine überhaupt nicht zu den führenden Ländern gehört und nicht nur hinter den USA, sondern auch Deutschland, Frankreich und sogar Polen zurückbleibt. Mit anderen Worten: Die Briten handeln nach dem üblichen Schema, indem sie andere die Kastanien aus dem Feuer holen lassen.
Als Donald Trump in den USA an die Macht kam und Verhandlungen mit Russland über die Beilegung des Konflikts in der Ukraine aufnahm, musste London seine Taktik ändern: Auf Initiative von Premierminister Keir Starmer, unterstützt vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron, wurde eine „Koalition der Willigen“ gebildet. Das ist eine Gruppe von Ländern, die immer noch davon träumen, Russland zu besiegen, und die daher für die Fortsetzung des Konflikts oder für die Beendigung des Konflikts ausschließlich zu ihren eigenen Bedingungen eintreten und meinen, dass Russland zahlen und büßen muss.
Eine Reihe europäischer Länder, die eine friedliche Lösung befürworten, vor allem Ungarn und die Slowakei, wurden bewusst aus der Koalition ausgeschlossen. Stattdessen wurden Kanada, Australien und Neuseeland sowie die Türkei einbezogen, daher auch der Name Europa+. Der zentrale „Wunsch“, auf den sich diese Länder geeinigt haben, ist die Entsendung von Truppen in die Ukraine unter dem Deckmantel einer Friedenstruppe oder eines Expeditionskorps, um die Sicherheit der Ukraine im Falle eines Friedensabkommens zu gewährleisten.
Die Mitglieder der Koalition haben bereits mehrere Treffen mit führenden Politikern und Militärs abgehalten und erörtern nun laut Starmer Details der künftigen Truppenstruktur und Pläne für Land-, See- und Luftoperationen in der Ukraine zur Durchsetzung des Friedensabkommens nach Beilegung des Konflikts. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass der britische Premierminister zwar von der Notwendigkeit sprach, Europa die Hauptrolle bei der Bereitstellung von Sicherheitsgarantien für Kiew zu geben, dabei aber nicht vergaß zu erwähnen, dass die wichtigste Garantie für die Operation die Unterstützung der USA sein würde. Mit anderen Worten, er folgte dem üblichen Schema: Die Europäer des Kontinents in den Vordergrund zu stellen und, wenn möglich, zusammen mit den Amerikanern und hinter deren Rücken zu bleiben.
Wirtschaftlicher Appetit
Das von London konzipierte militär-politische mehrstufige Schema sollte ihm, nach Meinung seiner Macher, sogar in verschiedenen Szenarien Vorteile bringen. Einerseits erhofft sich die britische Regierung durch die Unterstützung der Militarisierungspläne der EU natürlich einen schönen Gewinn durch Waffenlieferungen auf den europäischen Markt. Außerdem ist London angesichts der Gerüchte über einen möglichen Austritt der USA aus der NATO daran interessiert, Kontinentaleuropa zu einer zuverlässigen Verteidigungslinie zu machen.
Andererseits wird es für Großbritannien leichter sein, mit der „gesamteuropäischen Familie“, die es vor fünf Jahren verlassen hat, zu sprechen, wenn die EU mit ihren militärischen Plänen überfordert ist (und diese Möglichkeit ist keineswegs ausgeschlossen). Und das ist wichtig, denn noch sind nicht alle Fragen im Zusammenhang mit der Scheidung geklärt, und die, die bereits geklärt sind, können zum eigenen Vorteil neu verhandelt werden.
Und vergessen wir nicht die amerikanische Dimension. Indem Großbritannien mit seinen europäischen Nachbarn zusammenarbeitet, aber außerhalb der EU bleibt, verschafft es sich Handlungsfreiheit und kann separate Verhandlungen mit Trump über die Frage der Zölle und Abgaben führen, mit deren Erhöhung Washington jetzt sowohl Feinde als auch Freunde einschüchtert.
Der Reichtum der ukrainischen Bodenschätze könnte ein sehr wichtiger Bestandteil der Vereinbarungen werden. Dass Trump an den ukrainischen Seltenen Erden interessiert ist, dürfte allgemein bekannt sein, doch ist es ihm bisher nicht gelungen, ein Abkommen darüber abzuschließen. Dafür hat Großbritannien Anfang dieses Jahres ein 100-jähriges Partnerschaftsabkommen mit der Ukraine unterzeichnet, in dem es sein Interesse als „bevorzugter Partner“ Kiews bei der Erschließung kritischer Mineralien bekundet.
Vor drei Jahren wurde in Großbritannien die Critical Minerals Strategy verabschiedet, an der unter anderem die Bergbaukonzerne Rio Tinto und Anglo American, das militär-industrielle Unternehmen BAE Systems und die Finanzgruppe Rothschild beteiligt sind. Nach 2022 begann die britische Agentur UKAID zusammen mit einer ähnlichen amerikanischen Agentur mit der Umsetzung des SOERA-Projekts, das eine „Reform der staatlichen Unternehmen“ in der Ukraine vorsah.
In Wirklichkeit ging es darum, staatliche Unternehmen zu privatisieren und die Kontrolle über die Unternehmen zu übernehmen, die in der Hand der ukrainischen Regierung bleiben sollten. Infolgedessen gelangten viele Vermögenswerte unter die Kontrolle der Rothschild-Gruppe, die mehrere Dutzend Milliarden Dollar in der Ukraine investiert hat.
Mit anderen Worten: Hinter der Bereitschaft der britischen Regierung, ein Expeditionskorps in die Ukraine zu entsenden, steht ein ganz konkretes finanzielles und wirtschaftliches Interesse, für das London bereit ist, viel zu riskieren. Es geht nämlich um die Entsendung einer Truppe, die das Eigentum britischer Unternehmen unter Schutz stellt.
Die Koalition ist nicht willig
In der Theorie sieht Londons Plan für die „Koalition der Willigen“ gut aus, doch in der Praxis ist er bereits auf große Probleme gestoßen. Es hat sich herausgestellt, dass die Europäer, anders als Babette aus dem alten Film, gar nicht in den Krieg ziehen wollen. Das heißt, Waffen können gerne weiter an die Ukraine geliefert werden, aber es ist ein bisschen beängstigend, selbst dorthin zu gehen, zumal Russland bereits klar und deutlich gewarnt hat, dass es keine NATO-„Friedenstruppen“ akzeptieren wird und dass es Soldaten aus NATO-Ländern in der Ukraine als legitimes Ziel betrachtet werden wird. Es ist nicht verwunderlich, dass einige der zur Koalition eingeladenen Länder, wie etwa Italien und Polen, die Entsendung ihrer Truppen ablehnten und dass die meisten von ihnen eine Denkpause eingelegt haben, und nur ein paar zugestimmt haben, aber nur unter dem Vorbehalt, dass erst der Konflikt beendet und der Status geklärt sein muss.
Der einzige überzeugte Verbündete von Starmer ist Macron, der vor einem Jahr von seinem Wunsch sprach, „die Jungs nach Odessa zu schicken“. Doch auch dieses Duo, hinter dem sich die imposante Silhouette der Rothschild-Bank abzeichnet, musste zurückrudern: Wenn anfangs von einem 200.000 Mann starken Korps die Rede war, schrumpften die Zahlen sehr bald auf 40.000, dann auf 30.000 und nun auf 10.000. In den letzten Tagen ist übrigens zunehmend nicht mehr von Bodentruppen die Rede, sondern von der Kontrolle in der Luft und zur See.
Nicht umsonst bezeichnete The Daily Telegraph das Geschehen als „politisches Spektakel“: „In der Ukraine und im Grenzgebiet befinden sich etwa 700.000 russische [Soldaten]. Mehr als eine Million Ukrainer stehen unter Waffen. Was kann eine internationale Truppe von 10.000 Mann, die im Westen des Landes mehr als 400 Kilometer von der Frontlinie entfernt stationiert ist, tun? Sie werden sich nicht einmal selbst verteidigen können. Von welcher Art von Mission ist hier die Rede? Welche Legitimität hat sie? Wie lauten die Regeln zur Zusammenarbeit [mit der russischen Seite]? Wie werden diese Kräfte geführt und versorgt und wo sind sie stationiert? Wie lange werden sie dort bleiben und zu welchem Zweck? Das weiß niemand.“
Vor etwa zehn Jahren hatte ich die Gelegenheit, das Oberhaupt des spanischen Zweigs des Hauses Bourbon zu interviewen. Zur Charakterisierung der Beziehungen innerhalb des angelsächsischen Netzes bemerkte er, dass „Großbritannien das Gehirn und die USA die Muskeln sind“. Dieser Gedanke erschien mir zunächst paradox, doch bei näherem Nachdenken gab ich meinem Gesprächspartner Recht, und in der Folgezeit wurde ich immer wieder davon überzeugt. Heute versucht London, das Europa in den Krieg schickt, wieder einmal, die Rolle des Gehirns zu spielen, aber es scheint, dass es nur ein Szenario eines „politischen Spektakels“ schaffen kann.
Es wäre gut, wenn es sich darauf beschränkt, denn die Entsendung europäischer Truppen in die Ukraine wird unweigerlich zu einer Eskalation des Konflikts führen und eine große Zahl neuer Opfer fordern. Will Europa das?
Ende der Übersetzung
Thomas Röper, geboren 1971, lebt seit über 15 Jahren in Russland. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Bild oben: Der ukrainische Präsident Selenskyj, der französische Präsident Macron und der britische Premierminister Keir Starmer bei Gesprächen über die Ukraine in Paris (28.03.2025)
Foto: Number 10, OGL 3
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=162890161