Die militärische Intervention der Alliierten gegen Sowjetrussland 1918-1922
Historischer Überblick von Wolfgang Schürer
1. Bemerkungen zum Ausscheiden Russlands aus den Alliierten
Am 07. November 1917 (am 25. Oktober 1917 nach dem Julianischen Kalender) erfolgte die sozialistische Revolution in Russland. Am 05. Dezember 1917 schloss Sowjetrussland einen provisorischen, 10 Tage später einen unbefristeten Waffenstillstand mit den 4 Mittelmächten (Deutschland, Österreich-Ungarn, Türkei, Bulgarien). Am 03. März 1918 unterzeichnete Sowjetrussland den Friedensvertrag von Brest-Litowsk mit den Mittelmächten. 10 Tage später trat der Friedensvertrag in Kraft.
2. Die militärische Intervention in Nordrussland, 04. März 1918 bis 12. Oktober 1919
Die Alliierten landeten zuerst in Murmansk und am 02. August 1918 in Archangelsk. Das Vereinte Königreich stellte den größten Teil der Truppen, hierzu gehörte auch eine kleine Anzahl von Kanadiern und eine sehr kleine Zahl von Australiern. Die Vereinigten Staaten schickten die zweitgrößte Anzahl von Soldaten. Es folgten Frankreich und Italien.
3. Die Tschechen und Slowaken im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn
Vor dem Ersten Weltkrieg war Österreich-Ungarn, nach Russland und Deutschland, der Staat mit der drittgrößten Bevölkerungszahl in Europa. Die Tschechen waren, mit ungefähr 12 % Anteil, die größte ethnische Minderheit. Der Anteil der Slowaken betrug etwa 4 %. Nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurden in Russland, aus tschechischen Kriegsgefangenen der österreichisch-ungarischen Armee, die Tschechischen Legionen gebildet. Am 05. Februar 1916 wurde, in Paris, ein Tschechischer Nationalrat (TNR) gebildet. Aus dem TNR entstand, im Mai 1917, der Tschechoslowakische Nationalrat (TSNR). Aus den Tschechischen Legionen wurden die Tschechoslowakischen Legionen.
4. Die militärische Intervention in Russisch-Fernost, 12. Januar 1918 bis 24. Juni 1922
Japan stellte den weitaus größten Teil der Soldaten, mehr als 3-mal so viele wie die anderen Alliierten (Vereinigte Staaten, Kanada, Vereinigtes Königreich, Italien, Frankreich) zusammen. Die Alliierten schickten fast 4-mal so viele Truppen wie nach Nordrussland. Japan besetzte Wladiwostok, das Gebiet zwischen dem Ostufer des Amur und dem Japanischen Meer, ein Gebiet nordöstlich von Chabarowsk und ein Gebiet südöstlich von Tschita. Die anderen Alliierten zogen bis Juli 1920 ab.
(In einem Vertrag, unterzeichnet am 20. Januar 1925, gab Japan auch Nordsachalin zurück. Die Insel war 1905 in einen japanischen Süden und einen russischen Norden geteilt worden. Japan hatte auch den russischen Norden besetzt.)
5. Der anti-sowjetische Aufstand der tschechoslowakischen Legionen
Gemäß Artikel 8 des Friedensvertrages von Brest-Litowsk sollten die Kriegsgefangenen Russlands und der Mittelmächte repatriiert werden. Der TSNR verfügte bereits über 2 Divisionen. Er handelte mit der Sowjetregierung ein Abkommen aus, dass die tschechoslowakischen Soldaten mit der Transsibirischen Eisenbahn (TSEB) an die Pazifikküste gebracht werden sollten. Sie sollten dann, per Schiff, erst in die Vereinigten Staaten, und dann nach Frankreich gebracht werden. Der Abtransport sollte in kleinen Gruppen geschehen, die Soldaten durften nur Handfeuerwaffen und Munition für den Wachdienst bei sich führen. Die TSEB—Züge wurden jedoch mit jeweils über 1.000 Soldaten gefüllt, es wurden große Mengen Munition und Maschinengewehre in den Zügen versteckt. Am 14. Mai 1918 stoppte die Sowjetregierung den Abtransport der Soldaten und befahl ihre Entwaffnung. Eine Minderheit gehorchte. Die Mehrheit rebellierte und brachte die TSEB unter ihre Kontrolle. Das Vereinigte Königreich anerkannte, am 03. Juni 1918, den TSNR. Frankreich folgte am 29. Juni 1918, die Vereinigten Staaten am 11. August 1918.
6. Die militärische Intervention in Südrussland, 18. Dezember 1918 bis 30. April 1919
Im Herbst 1918 kapitulierten die Mittelmächte vor den Alliierten: Bulgarien am 29. September, die Türkei am 30. Oktober, Österreich-Ungarn am 03. November, Deutschland am 11. November. Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zerfiel völlig. Die Alliierten beherrschten das Schwarze Meer. Sie besetzen die Halbinsel Krim und wichtige Küstenstädte, z. B. Odessa. Frankreich leitete die Intervention, Griechenland stellte das größte Truppenkontingent. Die Größe der alliierten Truppen entsprach etwa der der in Nordrussland.
7. Die Annexion des russischen Bessarabiens durch Rumänien
Rumänien hatte am 09. Dezember 1917 einen Waffenstillstand mit den Mittelmächten geschlossen. In einem Geheimvertrag, vom 05. März 1918, erhielt Rumänien von Deutschland die Zustimmung zur Annexion Bessarabiens. Rumänien annektierte Bessarabien am 09. April 1918. Die Sowjetregierung anerkannte die Annexion nicht, und sie betrachtete Bessarabien als sowjetisches Gebiet unter fremder Verwaltung.
8. Die britische Intervention in Russisch-Transkaukasien, 17. August 1918 bis 24. August 1919
Die Anzahl der Soldaten aus dem Vereinigten Königreich und dem Empire war erheblich größer als die der in allen anderen Teilen Russlands zusammen. Es handelte sich um britisch—indische Truppen, die gegen die Türkei kämpften. Sie besetzten Baku am 17. August 1918. Nach der Kapitulation der Türkei, am 30. Oktober 1918, wurden sie erheblich verstärkt.
9. Die britische Intervention in Russisch-Zentralasien, 11. August 1918 bis 05. April 1918
Britisch-indische Truppen, die im neutralen Persien gegen die Türkei kämpften, intervenierten auf dem Ostufer des Kaspischen Meeres.
10. Die Wiederbildung Polens durch den Ersten Weltkrieg
In Russland wohnten, nach dem 1897-Zensus, 7,391 Millionen polnische Muttersprachler.
In Österreich-Ungarn gab es, nach der 1910-Volkszählung, 4,972 Millionen polnische Sprecher.
In Deutschland lebten, nach dem 1900-Zensus, 3,086 Millionen polnische Muttersprachler.
Im Ersten Weltkrieg rekrutierten Österreich-Ungarn und Deutschland zusammen erheblich mehr ethnische Polen als Russland. Am 16. April 1914 wurden in Österreich-Ungarn die Polnischen Legionen gebildet, die gegen Russland kämpften. 1915 wurde Russisch-Polen von deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen besetzt. Am 05. November 1916 proklamierten die beiden Mittelmächte die Unabhängigkeit Russisch-Polens.
Am 04. Juni 1917 wurde in Frankreich die Blaue Armee gebildet. Sie bestand, mehrheitlich, aus ethnisch-polnischen Kriegsgefangenen Deutschlands und Österreich-Ungarns, aber auch aus der ethnisch-polnischen Diaspora, insbesondere der Vereinigten Staaten und Kanadas. Am 15. August 1917 wurde, in Lausanne, das Polnische Nationalkomitee (PNK) gebildet. Frankreich anerkannte das PNK am 20. September 1917, das Vereinigte Königreich folgte am 15. Oktober 1917, Italien am 30. Oktober 1917, die Vereinigten Staaten am 10. November 1917. Der 11. November 1918, der Tag der Kapitulation Deutschlands, gilt in Polen als Unabhängigkeitstag.
11. Der polnisch-sowjetische Krieg, 14. Februar 1919 bis 18. März 1921
Das wiedergebildete Polen gehörte zu den Alliierten und baute mit deren Hilfe seine Streitkräfte von 50.000 Mann (Anfang 1919) auf mindestens 800.000 Mann (Sommer 1920) auf. Alliierte Offiziere, insbesondere aus Frankreich, waren an der Kriegführung gegen Sowjetrussland beteiligt. Am 25. April 1920 begann die polnische Offensive auf Kiew, am 07. Mai 1920 wurde die Stadt okkupiert. 7 Tage später begann die sowjetische Gegenoffensive. Am 12. August 1920 begann die 13-tägige Schlacht um Warschau, die sowjetischen Truppen wurden zurückgeworfen. Am 18. Oktober 1920 schloss Polen einen Waffenstillstand mit Sowjetrussland. Formal wurde der Krieg durch den Friedensvertrag von Riga beendet. Polen behielt ein Gebiet, das ungefähr 250 km östlich der Curzon-Linie lag, in dem ethnische Ukrainer (im Süden) und ethnische Weißrussen (im Norden) jeweils die Mehrheit der Bevölkerung bildeten.
Wolfgang Schürer ist Vorsitzender des Kreisverbandes Offenbach a. M. der Freidenker
Bild oben: US-Truppen in Wladiwostok 1918
Foto: Von http://nortvoods.net/rrs/siberia/siberia-a.htm, Gemeinfrei
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