Der Friedensvertrag von Brest-Litowsk, 3. März 1918
Historischer Überblick von Wolfgang Schürer
1. Die Ostfront am 07. November 1917
Die Ostfront verlief von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Die Mittelmächte hatten einige Teile des damaligen Russlands (Kongress-Polen, heutiges Litauen, Süden des heutigen Lettland) und den größeren Teil des damaligen Rumäniens besetzt. Russland hatte den äußersten Nordosten des damaligen Österreich-Ungarns besetzt.
2. Die russisch-türkische Front
Russland hatte den äußersten Nordosten der Türkei (damals das Osmanische Reich) besetzt.
3. Persien (seit 1935 Iran) im Ersten Weltkrieg
Persien war 1907 in eine britische (im Süden) und eine russische (im Norden) „Einfluss-Zone“ aufgeteilt worden. Persien erklärte am 01. November 1914 seine Neutralität. Russische und britische Truppen kämpften gegen türkische, deutsche und österreichisch-ungarische Truppen in Persien.
4. Der Aufruf der Sowjet-Russlands zur Beendigung des Ersten Weltkrieges
Am 07. November 1917 (nach dem Julianischen Kalender am 25. Oktober 1917) erfolgte die sozialistische Revolution in Russland. Einen Tag später forderte die Sowjet-Regierung die Alliierten und die Mittelmächte auf, unverzüglich einen Waffenstillstand abzuschließen und den Ersten Weltkrieg durch einen „Frieden ohne Annexionen und ohne Kontributionen“ zu beenden. Die Alliierten lehnten ab, die Mittelmächte signalisierten Zustimmung.
5. Der Waffenstillstand zwischen Sowjet-Russland und den Mittelmächten
Der Waffenstillstand wurde am 05. Dezember 1917, zunächst provisorisch für 10 Tage, geschlossen, und am 15. Dezember 1917 unbefristet verlängert. Die russischen Truppen zogen aus dem neutralen Persien ab.
6. Die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk, ab dem 22. Dezember 1917;
Die 4 Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn, Türkei, Bulgarien) und Sowjet-Russland verhandelten einen Separatfrieden zum Ausscheiden Sowjet-Russlands aus dem Ersten Weltkrieg. Sowjet-Russland verlangte einen Friedensvertrag ohne Annexionen und ohne Kontributionen.
7. Die Unabhängigkeit Finnlands
Finnland war seit 1809 ein autonomer Staat unter russischer Oberhoheit, der Zar war der Großfürst von Finnland. Am 06. Dezember 1917 proklamierte Finnland seine Unabhängigkeit. Sowjet-Russland anerkannte die Unabhängigkeit am 31. Dezember 1917.
8. Kongress-Polen im Ersten Weltkrieg
Kongress-Polen war 1814/15, auf dem Wiener Kongress, geschaffen worden. Der Zar war der König des Landes. Nach der russischen Volkszählung von 1897 hatte Kongress-Polen 9,402 Millionen Einwohner. 99,3 % der Einwohner nannten eine der folgenden 6 Sprachen als ihre Muttersprache. Diese 6 Sprachen waren:
Polnisch | Jiddisch | Deutsch | Ukrainisch | Litauisch | Russisch |
71,9 % | 13,5 % | 4,3 % | 3,6 % | 3,2 % | 2,8 % |
Kongress-Polen wurde 1915 von den Mittelmächten besetzt. Am 05. November 1916 proklamierten Deutschland und Österreich-Ungarn die Unabhängigkeit Kongress-Polens von Russland.
9. Litauen im Ersten Weltkrieg
Litauen wurde 1915 von Deutschland besetzt. Am 11. Dezember 1917 proklamierte Litauen seine Unabhängigkeit von Russland.
10. Die Unabhängigkeitserklärung der Ukraine
Am 20. November 1917 bildete sich in Kiew eine antisowjetische nationalistische bürgerliche Regierung. Am 22. Januar 1918 erklärte sie die Unabhängigkeit der Ukraine von Russland.
11. Bemerkungen zum Siedlungsraum der Ethnie der Ukrainer
Die ethnischen Ukrainer wohnten hauptsächlich in Russland. Nach der Volkszählung von 1897 gab es in Russland 22,381 Millionen ukrainische Muttersprachler (im Zarenreich wurde Ukrainisch „Kleinrussisch“) genannt. In Österreich-Ungarn wurde Ukrainisch „Ruthenisch“ genannt, beim Zensus von 1910 nannten 3,999 Millionen Menschen Ukrainisch als Hauptumgangssprache. Der 1917/18 proklamierte ukrainische Staat hatte keine klaren Grenzen. Die ethnischen Ukrainer lebten hauptsächlich auf dem Lande. In den Städten wohnten mehrheitlich Angehörige anderer Ethnien (z. B. Russen, Polen, Deutsche, Ungarn) und Juden mit jiddischer Muttersprache. Östlich des Dnjepr bestand auch ein großer Teil der Landbevölkerung aus Russen. Die ukrainischen Nationalisten beanspruchten ein Gebiet, das deutlich größer war als das der Ukraine Ende 2013.
12. Der „Brotfrieden“ der Mittelmächte mit der Ukraine in Brest-Litowsk
Der separate Friedensvertrag wurde am 09. Februar 1918 geschlossen. Damit hatten 4 Staaten die Unabhängigkeit der Ukraine von Russland anerkannt, jedoch nicht den von den ukrainischen Nationalisten beanspruchten Siedlungsraum. Die Ukraine verpflichtete sich, bis zum 31. Juli 1918 fast 1.000.000 Tonnen Getreide, 50.000 Tonnen Rinder (Lebendgewicht), 400 Millionen Hühnereier, außerdem Speck und Zucker, Textilfasern (Flachs, Hanf), sowie mineralische Rohstoffe (z. B. Manganerz) an Deutschland und Österreich-Ungarn zu liefern. (Die beiden Mittelmächte schlossen außerdem ein Militärbündnis mit der Ukraine.)
13. Die Besetzung der Ukraine durch die beiden Mittelmächte 1918
Sowjet-Russland protestierte am 10. Februar 1918 gegen den separaten Friedensvertrag, erklärte den Kriegszustand mit den 4 Mittelmächten für beendet und gab bekannt, dass es demobilisieren werde, ohne die Friedensbedingungen der 4 Mittelmächte anzuerkennen. Am 18. Februar 1918 begannen 250.000 deutsche und 250.000 österreichisch-ungarische Soldaten mit der Besetzung der Ukraine. Am 03. März 1918 unterzeichnete Sowjet-Russland den Friedensvertrag.
14. Die Besetzung Russisch-Transkaukasiens durch die Türkei 1918
Am 26. Mai 1918 erklärte Georgien seine Unabhängigkeit, 2 Tage später folgten Armenien und Aserbaidschan. Am 04. Juni 1918, im Vertrag von Batumi, anerkannte die Türkei die Unabhängigkeit dieser 3 Länder. Türkische Truppen besetzten die 3 Länder.
15. Die Besetzung Georgiens durch Deutschland 1918
Am 28. Mai 1918 schlossen Deutschland und Georgien ein Militärbündnis. Am 08. Juni 1918 trafen die ersten deutschen Soldaten in Georgien ein.
16. Estland im Ersten Weltkrieg
Das Gebiet des heutigen Estland gehörte vor dem Ersten Weltkrieg zu Russland. Am 24. Februar 1918 erklärte Estland seine Unabhängigkeit. Deutsche Truppen besetzten das Land.
17. Lettland im Ersten Weltkrieg
Das Gebiet des heutigen Lettland gehörte vor dem Ersten Weltkrieg zu Russland. Deutsche Truppen besetzen 1915 den Süden und 1918 den Norden des Landes.
18. Bessarabien im Ersten Weltkrieg
Bessarabien liegt zwischen den Flüssen Pruth (im Westen) und Dnjestr (im Osten), die beide in das Schwarze Meer münden. Es gehörte vor dem Ersten Weltkrieg zu Russland. Der russische Zensus von 1897 (1,935 Millionen Einwohner) ergab folgende Verteilung der Muttersprachler:
Rumänisch | Ukrainisch | Jiddisch | Russisch | Bulgarisch | Deutsch |
47,6 % | 19,6 % | 11,8 % | 8,0 % | 5,3 % | 3,1 % |
4,6 % nannten andere Sprachen.
19. Die Annexion Bessarabiens durch Rumänien 1918
Am 09. Dezember 1917 schloss Rumänien einen Waffenstillstand mit den 4 Mittelmächten, der auch für die russischen Truppen im Land galt. Am 05. März 1918 schlossen Deutschland und Rumänien einen Geheimvertrag, der Deutschlands Zustimmung zur Annexion Bessarabiens beinhaltete. Rumänien gewährte den Mittelmächten freien Durchzug in die Ukraine. Am 09. April 1918 wurde Bessarabien von Rumänien annektiert.
20. Weißrussland im Ersten Weltkrieg
Deutschland besetzte 1915 kleine Teile und 1918 Weißrussland westlich des Dnepr. Nach dem Inkrafttreten des Friedensvertrages von Brest-Litowsk, am 15. März 1918, räumten die deutschen Truppen das gesamte Weißrussland.
21. Das Originaldokument des Friedensvertrages von Brest-Litowsk
Es besteht aus einer Einleitung (mit den Namen der Bevollmächtigten aus Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien, der Türkei und Sowjet-Russland) und 14 Artikeln, und wurde in 5 gleichermaßen rechtsgültigen Sprachen (Deutsch, Ungarisch, Bulgarisch, Osmanisches Türkisch, Russisch) verfasst.
(1) Der Krieg ist beendet.
(2) Die gegenseitige Kriegspropaganda wird beendet.
(3) Russland verzichtet auf jedweden Anspruch auf die Gebiete, die westlich der bereits besetzten Linie liegen. Der zukünftige Status dieser Gebiete wird von Deutschland und Österreich-Ungarn bestimmt werden.
(4) Deutschland wird solange weitere Gebiete östlich dieser Linie besetzen, bis dass Russland seine Truppen demobilisiert haben werde. Russland wird die Gebiete in Transkaukasien, die es 1878 erhalten hatte, an die Türkei zurückgeben.
(5) Russland muss alle Kriegsschiffe der Alliierten aus seinen Gewässern entfernen. Russland muss seine Minen in der Ostsee und dem Schwarzen Meer beseitigen.
(6) Russland muss seinen Kampf gegen die Ukraine einstellen. Russland muss sich vollständig aus dem Norden von Lettland, aus Estland, und aus Finnland zurückziehen.
(7) Russland muss die Unabhängigkeit Persiens und Afghanistans anerkennen.
(8) Beide Seiten müssen die Kriegsgefangenen repatriieren.
(9) Beide Seiten verzichten auf Reparationen.
(10) Die diplomatischen Beziehungen werden wiederhergestellt.
(11) Die ökonomischen Beziehungen werden in Anhängen zum Vertrag geregelt.
(12) Alle sonstigen Beziehungen werden in künftigen Verträgen ausgehandelt.
(13) Zur Interpretation sind folgende Sprachen gültig:
Russland und Deutschland: Russisch + Deutsch
Russland und Österreich-Ungarn: Russisch + Deutsch + Ungarisch
Russland und Bulgarien: Russisch + Bulgarisch
Russland und Türkei: Russisch + (Osmanisches) Türkisch
(14) Die Ratifikation wird, in Berlin, innerhalb von 14 Tagen, vollzogen.
22. Die Annullierung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk
Die 4 Mittelmächte kapitulierten im Herbst 1918 vor den Alliierten. Am 13. November 1918 annullierte Sowjet-Russland den Friedensvertrag von Brest-Litowsk.
Wolfgang Schürer ist Vorsitzender des Kreisverbandes Offenbach a. M. der Freidenker
Bild oben: Deutsche Offiziere begrüßen die sowjetische Delegation auf dem Bahnhof von Brest-Litowsk (7. Januar 1918)
Foto: Autor unbekannt, Gemeinfrei
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11771461