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Wenn der Spiegel aus Moskau berichtet…

Russland mit der Ukraine verwechselt?

Im Spiegel ist ein Artikel des Moskauer Büros erschienen, der die Wahrheiten mal wieder auf den Kopf stellt. Demnach würden in Russland junge Männer gejagt, um sie zwangsweise an die Front zu verfrachten. Verwechselt der Spiegel Russland und die Ukraine?

von Anti-Spiegel (d.i. Thomas Röper)

Erstveröffentlichung am 29.12.2024 auf anti-spiegel.ru

Ich bin von Christina Hebel, der Lügenbaronin des Spiegel, einiges gewöhnt, aber ihr aktueller Artikel über Wehrpflichtige in Russland, erweckt den Eindruck, dass sie Russland mit der Ukraine verwechselt. Dass Frau Hebel in ihren Artikeln sogar so dreist lügt, dass der Spiegel sie hinterher heimlich ändern muss, ist nicht neu. Dass Frau Hebel anti-russisch ist, ist ebenfalls nicht neu. Aber der Spiegel-Artikel von Frau Hebel mit der Überschrift „Wehrdienst in Russland – »Wir finden dich, Verweigerer«“ ist ein bemerkenswertes Stück Desinformation aus dem Handbuch der westlichen Propaganda, weshalb sich ein näherer Blick auf den Artikel lohnt, um die Mittel der Propaganda zu verstehen.

Die Kurzversion des Artikels ist schnell erzählt: Frau Hebel berichtet über einige junge Männer aus Moskau, die sich vor dem Wehrdienst verstecken, und sie erweckt dabei den Eindruck, in Russland würden regelrechte Menschenjagden stattfinden, um junge Männer gegen ihren Willen an die Front zu verfrachten.

Etwas Normales zur Sensation aufblasen

In Russland gilt die Wehrpflicht und wie in jedem Land der Welt, in dem die Wehrpflicht gilt, ist es eine Straftat, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Das gilt für Russland genauso, wie übrigens auch für Deutschland, wo die Wehrpflicht nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt wurde. In Deutschland gibt es für Wehrpflichtige, die sich dem Wehrdienst (oder dem Ersatzdienst) verweigern, den Begriff „Totalverweigerer“, und ihnen drohen laut Gesetz übrigens empfindliche Strafen.

Als Lektüre empfehle ich dazu das Wehrstrafgesetz (WStG), denn dort erfährt man, dass die Strafe für „Eigenmächtige Abwesenheit“ (§ 15 WStG) in Deutschland bis zu drei Jahre Haft beträgt. Sogar auf „Leichtfertiges Nichtbefolgen eines Befehls“ (§ 21 WStG) stehen bis zu zwei Jahre Haft. Die Liste der Strafen in dem Gesetz ist lesenswert.

Aber zurück zum Thema der Totalverweigerer. Sollte die Wehrpflicht in Deutschland wieder in Kraft gesetzt werden, gilt für Totalverweigerer, dass sie von Polizei und Feldjägern gesucht werden. Werden sie gefasst, gibt es zunächst Disziplinarmaßnahmen der Bundeswehr (inklusive Arrest), danach werden ihre Fälle der Staatsanwaltschaft übergeben, die wegen Gehorsamsverweigerung und anderer Straftatbestände, wie der schon erwähnten eigenmächtigen Abwesenheit, oder Fahnenflucht Strafverfahren eröffnet.

All das erfährt man in dem Artikel von Frau Hebel aber nicht, obwohl es früher immer wieder, auch im Spiegel, Berichte über deutsche Totalverweigerer gegeben hat. Frau Hebel schreibt stattdessen einen emotionalen und dramatischen Artikel über einige Russen, die sich der Wehrpflicht entziehen, deswegen von der russischen Polizei gesucht werden und sich verstecken, wobei sich nicht überprüfen lässt, ob es diese Fälle gibt, oder ob Frau Hebel sie sich ausgedacht hat.

Menschenjagden in Russland?

Natürlich gibt es in Russland, wie in jedem Land mit geltender Wehrpflicht, einige Männer, die sich dem Wehrdienst zu entziehen versuchen. Das ist nichts Besonderes, sondern normal und wie gesehen, gab es das auch in Deutschland. Aber Frau Hebel nutzt dieses Thema für anti-russische Propaganda, indem sie suggeriert, in Moskau würde die Polizei regelrecht Jagd auf junge Männer machen, um sie an die Front zu bringen, und schon in der Einleitung des Artikels schreibt:

„Die Armee von Wladimir Putin braucht dringend Nachwuchs. Die Folge: Polizisten holen junge Männer in Moskau mittlerweile aus U-Bahnen, Autos und Wohnungen, um sie einzuziehen.“

Und im Artikel heißt es beispielsweise:

„Schon seit Beginn der sogenannten Spezialoperation werden in Moskau Männer im wehrpflichtigen Alter angehalten und kontrolliert. (…) »Es wird regelrecht Jagd auf junge Männer gemacht«, sagt Alexej Tabalow, Leiter der Bewegung »Schule für Wehrpflichtige«. Die Menschenrechtsorganisation informiert jene, die nicht zur Armee wollen, über ihre Rechte.“

Frau Hebel verschweigt hier ziemlich dreist, warum vor allem junge Männer in Moskau heute öfter kontrolliert werden. Der Grund sind die häufigen Terroranschläge der ukrainischen Geheimdienste in Moskau, bei denen die Täter fast immer Männer waren. Alleine in den letzten zwei Wochen gab es in Moskau mehrere versuchte Terroranschläge, von denen einer, die Ermordung des Chefs der russischen ABC-Truppen, erfolgreich war, andere Terrorzellen wurden in den letzten Tagen von russischen Geheimdiensten ausgehoben, bevor sie Anschläge begehen konnten. Und das sind nur die bekannt gewordenen Fälle, aus ermittlungstechnischen Gründen wird bekanntlich nicht über alle vereitelten Terroranschläge berichtet.

Es gibt also einen sehr konkreten Grund für die vermehrten Kontrollen in Moskau, die allerdings im Alltag kaum zu spüren sind. Moskauer Freunde haben mir von Kontrollen erzählt, ich selbst war im Dezember insgesamt fast zehn Tage in Moskau, wurde aber nicht ein einziges Mal von der Polizei angesprochen.

Von Menschenjagden, über die Frau Hebel berichtet, kann in Russland keine Rede sein. Vielmehr vermengt Frau Hebel, um einen weiteren, dramatisch klingenden anti-russischen Artikel zu schreiben, zwei Themen, die nichts miteinander zu tun haben: Die vermehrten Polizeikontrollen in Moskau wegen der ukrainischen Terroranschläge, und das auch in Deutschland bekannte Phänomen der Totalverweigerer.

In Russland müssen Wehrpflichtige übrigens nicht an die Front im Donbass, dort werden nur Berufssoldaten eingesetzt. Aber bei Frau Hebel klingt das natürlich ganz anders und sie suggeriert den Spiegel-Lesern, dass in Russland junge Männer von der Straße eingefangen werden, um sie an die Front zu schicken.

Nicht gelogen, „nur“ suggeriert

Frau Hebel berichtet aus Moskau und sie kennt natürlich die russische Gesetzeslage, die das bewusste Verbreiten von Lügen über die russische Armee und ihren Einsatz an der Ukrainefront unter Strafe stellt. Daher formuliert Frau Hebel das sehr geschickt, indem sie beispielsweise schreibt:

„Zwölf Monate dauert die Grundausbildung als »Srotschnik« bei der russischen Armee: Das Training an der Waffe schließen die Wehrdienstleistenden nach wenigen Monaten ab, danach müssen sie Dienst in ihren Einheiten tun. Lange hieß das vor allem herumsitzen. Heute nicht mehr.“

Frau Hebel weiß sehr genau, dass Wehrpflichtige in Russland nicht an die Front kommen. Da sie nach russischem Recht zu dem Thema nicht offen lügen darf, was ihr Probleme an ihrem Wohnsitz Moskau einbringen würde, suggeriert sie die Unwahrheit, ohne sie tatsächlich zu behaupten, indem sie schreibt, lange habe Wehrdienst in Russland „vor allem herumsitzen“ bedeutet, aber „heute nicht mehr“.

Was ist denn heute, liebe Frau Hebel? Heute gilt für Wehrpflichtige nichts anderes als zuvor. Und das weiß Frau Heben auch, ansonsten hätte sie ja offen schreiben können, dass Wehrpflichtige in Russland an die Front geschickt werden. Da das eine bewusste Lüge über die russische Armee wäre, für die Frau Hebel in Russland strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnte, spricht sie diese Lüge nicht aus. Aber sie formuliert ihren Artikel bewusst so, dass der deutsche Leser zu diesem Schluss kommt.

Obwohl Frau Hebel so offen anti-russisch berichtet, darf sie weiterhin aus Moskau berichten und hat eine Akkreditierung für Journalisten vom russischen Außenministerium, während russische Journalisten im Westen immer öfter ausgewiesen werden, wie erst vor einem Monat das Team eines russischen Fernsehsenders aus Deutschland. Wo kann die Presse also freier arbeiten? Im Westen, oder in Russland?

Das westliche Propagandaprinzip der „Projektion“

Für das, was Frau Hebel hier tut, gibt es einen Fachbegriff, er lautet „Projektion“. Das ist das Prinzip, anderen genau das vorzuwerfen, was man selbst tut. Das ist ein Instrument aus Psychologie und Propaganda, mit dem von den eigenen Sünden abgelenkt und andere dessen beschuldigt werden sollen, was man selbst tut. Wie das funktioniert, haben wir vor einigen Wochen in einer Anti-Spiegel-TV-Sendung mit vielen Beispielen aufgezeigt.

Frau Hebel setzt hier das Propaganda-Instrument der Projektion ein, denn sie suggeriert, dass in Russland das passiert, was in Wahrheit in der Ukraine heute trauriger Alltag ist. Dort fangen Militärrekrutierer junge Männer seit langem gewaltsam auf der Straße, in Bussen und U-Bahnen, in Fitnessstudios, in Einkaufszentren und so weiter ein. Oft werden die Männer, die sich der willkürlichen Zwangseinberufung widersetzen, dabei verprügelt und gewaltsam in Busse gezerrt. Die Rekrutierer dort haben Quoten, die sie erfüllen müssen, weshalb sie bei der Auswahl ihrer Opfer nicht wählerisch sind.

Im Netz gibt es unzählige Videos von diesen Zwangsmaßnahmen und in der Ukraine gibt es für die gewaltsame Verfrachtung von Männern in Busse bereits den Begriff „Bussifizieren“, weshalb es in der Ukraine inzwischen unter Strafe verboten wurde, Videos von diesen gewaltsamen Einberufungen zu veröffentlichen. Offenbar arbeiten sogar schon Taxi-Unternehmen in der Ukraine mit den Zwangsrekrutierern zusammen und melden denen männliche Fahrgäste, die am Ziel ihrer Fahrt von Rekrutierern erwartet werden.

Aber über die Zustände in der Ukraine berichtet der Spiegel nicht, obwohl Christian Esch, der ehemalige Chef von Frau Hebel im Moskauer Spiegel-Büro, seit Beginn der Eskalation oft aus Kiew berichtet hat.

Dass es immer noch Menschen gibt, die als Abonnenten auch noch dafür bezahlen, sich vom Spiegel desinformieren zu lassen, ist ein wirklich interessantes Phänomen.

Thomas Röper, geboren 1971, lebt seit über 15 Jahren in Russland. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.


Bild oben: Militärparade anlässlich des 79. Jahrestages des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg, Moskau 09.05.2024
Foto: Mil.ru, CC BY 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=148203699