Frieden wird aus Mut gemacht
von Marion Schneider
Die meisten Menschen haben ein tiefes Bedürfnis nach Frieden. Sie wünschen sich Frieden in ihrer Familie, Frieden mit ihren Freunden, Frieden an der Arbeit, Frieden in ihrem Land. Doch sehr oft verhalten sich die Menschen nicht friedlich. Sie suchen zum Beispiel Streit, wollen recht haben, behaupten etwas, von dem sie wissen, dass sie es gar nicht wirklich wissen, lassen ihre Wut an anderen aus oder wollen unbedingt die Besten sein. Deshalb denken viele Menschen, dass Frieden eine Illusion ist – die Menschen sind dafür nicht geschaffen, weil sie zu egoistisch sind.
Dann wieder sehen wir, wie glücklich die Menschen sind, wenn sie ein friedliches Miteinander erleben dürfen – in der Familie, im Dorf, der Hausgemeinschaft oder dem Stadtteil, in der Freundesgruppe oder dem Kollegenkreis. Dann kann man denken, dass es eigentlich nichts Schöneres gibt als Harmonie. Man kann diese Atmosphäre auch erreichen, wenn man gemeinsam singt oder Sport betreibt, und auch in der Schule oder an der Arbeit kann Gleichklang herrschen. Meist stellt er sich dadurch her, dass es Menschen gibt, die dafür sorgen, Lehrkräfte oder Vorgesetzte zum Beispiel – oder auch wir selbst, wenn wir uns darum bemühen. Es ist auch möglich, die Rahmenbedingungen einer Gruppe so festzulegen, dass Frieden dadurch eher eine Chance hat, zum Beispiel durch Unternehmensziele oder Vereinsprinzipien.
Es muss außerdem Vorbilder und Gemeinschaften geben, die Frieden praktizieren, Frieden muss erlebbar werden, wenn wir selbst daran glauben sollen. Deshalb sollten wir uns die Frage stellen, wie wir selbst Beiträge für ein friedliches Zusammenleben leisten können und an uns arbeiten, selbst Vorbilder zu werden oder zu sein, und dazu sollte Frieden ja erst einmal in uns selbst herrschen. Was also tun, um den Frieden in und um uns zu stärken und auch in unserem Handeln Frieden zu finden? Gibt es wesentliche Bausteine dafür?
Da ist zunächst das Selbstbewusstsein. Sich selbst zu kennen, ein lebenslanger Prozess, dem wir nicht ausweichen können, wenn wir Frieden in und mit uns schließen wollen. All das, was wir uns von anderen wünschen, müssen wir auch mit uns selbst praktizieren: Respekt, Verständnis, Mitgefühl und Akzeptanz, sich selbst beobachten und zuhören können. Praktizieren wir das mit uns selbst, so entsteht Selbst-Liebe.
Wir kennen alle die Liebe zu anderen. Wir lieben unsere Eltern, Großeltern, Ehepartner, Kinder, einen Fußballer oder eine Fußballerin, Kunstschaffende oder Musiker, ein Hobby, die Arbeit, Familienmitglieder oder Kollegen (die Auswahl überlasse ich Ihnen, irgendetwas findet sich doch sicher auch für Sie?). Andere zu lieben gibt uns Kraft und Stärke. Doch es ist nicht genug, „nur“ die anderen zu lieben. Sich selbst zu lieben und sich lieben zu lassen ist genauso wichtig. Wir können es den anderen in der Regel nur dann erlauben, uns aus vollem Herzen zu lieben, wenn wir uns auch selbst lieben. Aus dieser Liebe der anderen zu uns wiederum, wenn wir sie erlauben, stammt der Mut in uns! Ja, es gehört Mut dazu, sich lieben zu lassen – mit all den eigenen Schwächen, die man selbst am besten kennt, mit all den Fragen, Zweifeln, die wir in uns tragen, mit all den Ängsten, die uns quälen.
Ich habe erfahren, dass es hilft, sich selbst im Spiegel anzuschauen, nicht nur einmal, sondern oft. Dies ist mir sehr schwer gefallen, und ich musste mich anfangs dazu richtig zwingen. Hintergrund für meine Scham und meine Hemmung, mich selbst im Spiegel anzuschauen war ein Erlebnis mit meinem Großvater. Ich saß ihm als Kind gegenüber und sah mich selbst gespiegelt im Fenster. Das machte mir Freude, und ich beobachtete mich bei meinen Bewegungen. Plötzlich schrie mich mein Opa an – vielleicht hatte er nur schlechte Laune, ich weiß es nicht. „Denkst Du ich sehe nicht, wie Du Dich im Spiegel anschaust, Du eitler Fratz?“ Ich war total schockiert, weil ich auf seine Aggression überhaupt nicht vorbereitet war. Und im Anschluss daran war ich sehr traurig und beschämt. Und schaute mich jahrelang nur noch im Spiegel an, wenn es sein musste. Dies hat meine Scham vor mir selbst und vor anderen nur noch verstärkt. Ich hatte Angst, mich selbst zu sehen.
Da haben wir sie, die Angst. Eigentlich entsteht sie bei Gefahr. Sie ist ein Warnsignal, dass etwas für uns gefährlich werden oder sein könnte. Sie sagt uns, dass wir uns in Acht nehmen sollen, nicht aber, dass der Schaden wirklich entstehen wird. Ob oder in welcher Weise uns ein Schaden entsteht, hängt von unserem Handeln ab – und bei Angst davon, ob wir uns in Acht nehmen. Viele Kinder aber werden schon früh so geprägt, dass Angst bedeutet, etwas nicht tun zu sollen, dass die Angst also die Vorstufe des realen Schadens verkörpert. Angst bedeutet dann, etwas nicht zu tun. In Wirklichkeit aber bedeutet Angst nur, sich vorzusehen. Oft sind es ganz wichtige Erlebnisse, die wir verpassen würden, wenn wir die Angst als Zeichen dafür nähmen, etwas nicht zu tun. Sie ist manchmal sogar ein Zeichen dafür, dass etwas besonders wichtig für uns ist!
Angst bedeutet also nur, dass wir aufpassen müssen. Mit einer Haltung des Respekts vor und der Zusammenarbeit mit der Angst können wir der Angst die Rolle zuweisen, die ihr gebührt: Sie ist unsere Partnerin, und durch sie sind wir der Gefahr nicht mehr hilflos ausgeliefert. Nur wir selbst sind es auch, die die Angst in uns beruhigen oder verändern können. Lassen wir uns von der Angst beherrschen, so sind wir von außen lenkbar und zu Gehorsam zu bringen. Bleiben wir aber selbst in der Herrschaft über unsere Angst, so können wir sie überwinden und zu Mut werden lassen.
Die Angst zu Mut werden lassen – dazu ist es nötig, dass wir uns selbst sehen und zuhören, uns selbst empfinden und verstehen. Zum Verstehen wiederum gehört das Hinsehen, das Stehenbleiben, das Anschauen, das Zuhören und der aufrichtige Wunsch, die Argumente oder Gefühle von uns selbst oder von anderen zu begreifen. All das sind wichtige Bausteine, um uns selbst und andere lieben zu können, zu erkennen, dass wir oder sie liebenswert sind. Wir sind es wert, geliebt zu werden. Diese Überzeugung bringt uns den Mut, den wir brauchen, um der Angst zu widerstehen. Sie gibt uns die Chance, unsere guten Eigenschaften immer weiter zu entwickeln. Die Selbstliebe ist es auch, der uns davor beschützt, Dinge zu tun, die wir gar nicht tun wollen sondern sie nur deshalb tun, weil wir anderen gefallen wollen. Denn der Mut, sich selbst zu lieben, ist ein Bekenntnis zu sich selbst, seinen eigenen Stärken und Schwächen und führt zu dem Mut, sich lieben zu lassen. Der Ausgangspunkt für die Überwindung der Angst, für den Mut liegt also immer und nur in uns selbst und unseren Entscheidungen, Tag für Tag.
Die Fähigkeit, zu lieben und die Erlaubnis, geliebt zu werden sind wichtige Grundlagen für einen Dialog, einen Austausch, weil beide Qualitäten das Interesse – an sich selbst und an dem Gegenüber – zum Ausdruck bringt. Sich selbst und anderen in die Augen zu schauen gibt auch die Grundlage dafür, der Welt um uns herum ins Auge zu schauen, sie nicht angstvoll und abgrenzend zu erleben, sondern neugierig und interessiert und damit das eigene und das andere Wachstum zu befördern. So entsteht das Mitgefühl, eine Eigenschaft oder Qualität, ohne die die Entwicklung unserer Welt unweigerlich in den Abgrund führt. Wir alle haben objektiv gesehen ein Überlebensinteresse daran, dass die Welt das Mitgefühl übt und praktiziert. Seien wir also ein lebendes Beispiel dafür!
Fehlender, gar verweigerter Dialog und die Ausgrenzung anderer als nicht zu uns gehörend sind Zeichen der eigenen Schwäche und Angst. Geben wir diesen Gefühlen und Bedürfnissen nach, anstatt den Mut zum Dialog aufzubringen, verstärken wir den Unfrieden. Unsere Suche nach Bestärkung durch Gleichgesinnte befördert, wenn wir gleichzeitig Andersdenkende ausgrenzen, die totalitären Tendenzen in unserer Gesellschaft. Und immer sollte uns dabei klar sein, dass wir selbst die Vorbilder sind, nach denen wir suchen.
Und es gibt noch einen weiteren wichtigen Faktor zur Erreichung von Frieden, Angstfreiheit und Mut, nämlich die Disziplin. In der heutigen Zeit ist es jedoch nicht für jeden machbar, diszipliniert zu sein. Eine ganz wesentliche Voraussetzung für die Disziplin ist nämlich die persönliche Einstellung. Was braucht man für die Disziplin. Da ist zunächst die Vision, der Traum, der Wunsch. Die Gefühle für diese Vision müssen so stark sein, dass sie immer wieder Antriebskraft zur Verfolgung der gewünschten Ergebnisse geben. Eine weitere wichtige Voraussetzung für Disziplin ist die Erfahrung von Erfolg. Wenn ein Mensch immer nur enttäuscht wurde, unterdrückt, geschlagen, erniedrigt, dann fehlt ihm oder ihr die Kraft, an sich zu glauben und den Erfolg anzustreben, der durch die Disziplin erreicht werden kann.
Disziplin muss erlernt werden. Das Gute daran ist, dass man es sich selbst beibringen kann. Hier kommen wir zu einer weiteren Voraussetzung für Disziplin: die Fähigkeit zur Selbstkritik und zur Selbstbeobachtung. Dies setzt voraus, dass man sich von sich selbst entfernt wie eine dritte Person auf sich selbst schauen kann. Das muss man lernen. Selbstkritik ist nicht immer angenehm, doch Selbstkritik ist notwendig, um erfolgreich zu sein und auch notwendig, um diszipliniert zu sein. Denn nicht immer macht unser Körper das, was wir wollen. Er hat auch seinen eigenen Willen. Dann müssen wir uns selbst aus der Distanz anschauen, um zu verstehen, warum der Körper unseren Befehlen nicht folgt.
Und damit kommen wir schon zu einem nächsten wichtigen Punkt: die Disziplin ist die Stärke des Willens. Auch hier ist es wichtig, ob der Wille von Kindheit an gestärkt, geschwächt oder gar gebrochen wurde. Je stärker der Wille, desto stärker kann auch die Disziplin sein. Allerdings gelingt es nicht, wenn der Wille immer wieder einmal stark aufflammt, sondern der Wille muss kontinuierlich stark sein oder durch Selbstbeobachtung immer stärker entwickelt werden. Ich muss schauen, wann mein Wille schwach ist und wann mein Wille stark wird, was also meinen Willen unterstützt und was meinen Willen schwächt. Wenn ich einen starken Willen haben möchte, muss ich auch in der Lage sein, mein Leben so zu ändern, dass mir ein starker Wille erhalten bleibt. Oftmals aber kann man sein Leben nicht so einfach ändern.
Zur Disziplin gehören auch Regeln und Strukturen. Es ist wesentlich einfacher, diszipliniert zu sein, wenn man z.B. die Tagesabläufe oder bestimmte Teile des Tages immer wiederkehrend gleich gestalten kann. Es hilft auch, sich bestimmte Gewohnheiten zu eigen zu machen, um sich selbst ein Gerüst zu geben. Disziplin ist eine wunderbare Qualität, und es ist jedem Menschen zu gönnen, so viel wie nötig davon zu haben. Das Gute an der Disziplin ist die Tatsache, dass man sie lernen kann. Man muss es „nur“ wollen!
Die Grundlage des Friedens ist also der Dialog, das miteinander Reden und Verstehen. Ohne die Freiheit aber, die Freiheit zu denken, die Freiheit zu sagen, was wir denken und die Freiheit, dies auch öffentlich zu tun, steht der Frieden auf wackligen Beinen. Das Geheimnis des Friedens ist die Freiheit, und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut und die Menschenliebe.
Finden wir den Mut zum Gemeinsinn und die beständige Mühe, dabei nicht aufzugeben. Lasst es uns wagen, gemeinsam mutig zu sein!
Marion Schneider ist Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung guten Lebens e.V., Unternehmerin und Autorin aus Thüringen
Wir danken der Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrages
Kongress „Frieden und Dialog“
Die Gesellschaft zur Förderung guten Lebens e.V., deren Vorsitzende Marion Schneider ist, organisierte den Kongress „Frieden und Dialog“, der vom 25. bis 27. Oktober 2024 auf der Ordensburg Liebstedt in Thüringen stattfand. Auch auf unserer Webseite hatten wir dazu eingeladen.
Inzwischen gibt es einen umfangreichen Bericht dazu:
„Wir müssen mutig werden“
Rückblick auf den Friedenskongress 2024 in Liebstedt: „Frieden und Dialog“ – Ein Wochenende der Begegnung und des Austauschs
Kundgebung „Aufstehn für Frieden“
Marion Schneider wird auch sprechen auf der Kundgebung „Aufstehn für Frieden“ am 28.12.2024 vor der Clay-Kaserne in Wiesbaden.
Flyer zur Sternfahrt und Kundgebung „Aufstehn für Frieden“ am 28.12.2024 in Wiesbaden (PDF-Dokument, ca. 3,1 MB)
Weitere Informationen zur Kundgebung auf klartext-rheinmain.de
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