Der Versailler Vertrag
Historischer Überblick von Wolfgang Schürer
1. Die Pariser Friedenskonferenz: 18. Januar 1919 bis 21. Januar 1920;
32 Staaten handelten die Friedensverträge mit den 5 besiegten Mittelmächten aus:
3 europäische (Vereinigtes Königreich, Frankreich, Italien) und 2 außereuropäische Großmächte (Vereinigte Staaten, Japan);
7 sonstige europäische Staaten (Polen, Tschechoslowakei, JugoslawienA, Rumänien, Griechenland, Belgien, Portugal);
5 Staaten des Empire (Indien, Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika);
11 lateinamerikanische Staaten (Brasilien, Peru, Ecuador, Bolivien, Uruguay, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama, Cuba, Haiti);
4 sonstige Staaten (China, ThailandA, HedschasA, Liberia);
(A=Jugoslawien hieß bis 1929 „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“. Thailand hieß bis 1939 „Siam“. Hedschas gehört seit 1932 zu Saudi-Arabien.)
2. Die 5 Friedensverträge, benannt nach Pariser Vororten;
Versailles, (Deutschland, Großmacht), unterzeichnet am 28. Juni 1919;
Saint-Germain-en-Laye (Österreich), unterzeichnet am 10. September 1919;
Neuilly (Bulgarien), unterzeichnet am 27. November 1919;
Trianon (Ungarn), unterzeichnet am 04. Juni 1920;
Sevres (Türkei), unterzeichnet am 10. August 1920;
(Der Staat hieß bis 1923 „Osmanisches Reich“. Der Vertrag trat nicht in Kraft. An seine Stelle trat der Friedensvertrag von Lausanne, unterzeichnet am 24. Juli 1923.)
3. Deutschlands 10 europäische Kriegsgegner im Ersten Weltkrieg
(Chronologische Reihenfolge: Tag des Kriegseintritts gegen Deutschland)
1914: Russland, Frankreich, Belgien, Vereinigtes Königreich, Serbien, Montenegro;
1916: Portugal, Rumänien, Italien;
1917: Griechenland
Die Großmacht Russland schloss am 15. Dezember 1917 einen Waffenstillstand und am 03. März 1918 den Friedensvertrag von Brest—Litowsk mit den Mittelmächten. Nach der Kapitulation der Mittelmächte annullierte Russland diesen Vertrag. Russland wurde von der Teilnahme an der Pariser Friedenskonferenz ausgeschlossen.
4. Deutschlands außereuropäische Kriegsgegner im Ersten Weltkrieg
Japan erklärte 1914 den Kriegszustand mit Deutschland und beteiligte sich an der Besetzung der deutschen Kolonien im Pazifik und China. Japan beteiligte sich nicht am Krieg in Europa.
Die Vereinigten Staaten erklärten am 06. April 1917 den Kriegszustand mit Deutschland und beteiligten sich am Krieg in Europa.
Nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten erklärten Brasilien, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama, Kuba und Haiti den Kriegszustand mit Deutschland. Diese 7 Staaten beteiligten sich nicht am Krieg in Europa. Peru, Ecuador, Bolivien und Uruguay brachen die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab.
China und Liberia erklärten ebenfalls den Kriegszustand mit Deutschland, beteiligten sich jedoch ebenfalls nicht am Krieg in Europa. Thailand erklärte den Kriegszustand mit Deutschland und schickte ein Regiment nach Frankreich.
5. Jugoslawien, die Tschechoslowakei, Polen und Hedschas als Teilnehmer der Pariser Friedenskonferenz
Die Großmacht Österreich-Ungarn zerfiel im Herbst 1918. Jugoslawien entstand 1918 aus der Vereinigung von Serbien und Montenegro mit Gebieten (Bosnien, Kroatien, Slowenien), die vorher zu Österreich-Ungarn gehört hatten. Die Tschechoslowakei wurde 1918 aus früheren österreichisch-ungarischen Gebieten gebildet. Polen war vor dem Ersten Weltkrieg zwischen Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland aufgeteilt. Hedschas stand vor dem Ersten Weltkrieg unter türkischer Oberhoheit.
6. Die Verkleinerung Deutschlands
Deutschlands Fläche wurde von knapp 541.000km² auf knapp 469.000 km² reduziert. Deutschland verlor über 72.000 km², etwa 13,3 % seines Gebietes. Das verlorene Gebiet war etwas größer als das des heutigen Bundeslandes Bayern.
Polen erhielt fast ganz Posen, den größten Teil von Westpreußen, Teile von Schlesien, einen sehr kleinen Teil von Ostpreußen und einen winzigen Teil von Pommern. Danzig wurde ein autonomes Land im polnischen Zollgebiet. Zwischen Pommern und Ostpreußen lag nunmehr der polnische Korridor.
Frankreich erhielt das 1871 von Deutschland annektierte Elsass-Lothringen zurück. Das Saargebiet wurde wirtschaftlich voll in Frankreich integriert.
Dänemark, im Ersten Weltkrieg neutral, erhielt Nordschleswig.
Litauen, vor dem Ersten Weltkrieg ein Teil von Russland, erhielt das Memelgebiet als autonomes Land.
Belgien erhielt Gebiete um die Städte Eupen und Malmedy.
Die Tschechoslowakei erhielt das Hultschiner Ländchen, einen sehr kleinen Teil von Schlesien.
Die abgetretenen Gebiete verteilten sich wie folgt auf diese 6 Staaten:
– Polen 66,3 %
– Frankreich 22,7 %
– Dänemark 5,5 %
– Litauen 3,7 %
– Belgien 1,4 %
– Tschechoslowakei 0,4 %
7. Die Bevölkerung der abgetretenen Gebiete
Deutschland hatte, laut Volkszählung vom 01. Dezember 1910, 64,926 Millionen Einwohner, davon lebten 6,476 Millionen (10,0 %) in den abgetretenen Gebieten.
Die Menschen in den abgetretenen Gebieten, mit Ausnahme der Saarländer, verloren ihre deutsche Staatsagehörigkeit. Sie konnten jedoch für Deutschland optieren, wären dann jedoch Ausländer. Die Danziger erhielten eine eigene Staatsangehörigkeit. 1935 sollten die Saarländer entscheiden, ob sie den gegenwärtigen Status behalten, oder zu Frankreich kommen oder wieder zu Deutschland gehören wollten.
Nach der Volkszählung vom 16. Juni 1925 lebten in Deutschland 807.000 Menschen, die am 01. August 1914 in den abgetretenen Gebieten gewohnt hatten, darunter 558.000 in den voll an Polen abgetretenen Gebieten, 44.000 in Danzig, 132.000 in Elsass-Lothringen, 37.000 im Saargebiet, 16.000 im Memelgebiet, 12.000 in Nordschleswig, 5.000 in Eupen-Malmedy, 3.000 im Hultschiner Ländchen.
8. Die Gebietsabtretungen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker
In Nordschleswig fand ein international kontrolliertes Plebiszit statt. 112.115 Menschen waren Abstimmungsberechtigte, 101.400 beteiligten sich, 75.431 stimmten für Dänemark, 25.329 für Deutschland, 640 ungültig.
In Oberschlesien fand, am 20. März 1921, ein französisch kontrolliertes Referendum statt. 1.220.016 Personen waren Abstimmungsberechtigte, 1.190.425 beteiligten sich, 707.298 stimmten für Deutschland, 479.259 für Polen, 3.868 ungültig.
Frankreich setzte eine Teilung Oberschlesiens durch: Polen erhielt 3.214 km² mit 996.500 Einwohnern, bei Deutschland verblieben 7.794 km² mit 1.116.500 Einwohnern.
Alle anderen Gebietsabtretungen erfolgten ohne Volksabstimmungen.
9. Der Artikel 231 des Versailler Vertrages
Die Siegermächte wiesen den besiegten Mittelmächten, insbesondere Deutschland, die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg zu. Diese Schuldzuweisung war die Grundlage für Reparationen. Deutschland sollte, gemäß Artikel 235 des Versailler Vertrages, in 3 Jahresraten, Wirtschaftsgüter im Wert von 20 Milliarden Goldmark liefern. Auf einer Konferenz in Paris (24. bis 29. Januar 1921) wurde Deutschlands Lieferungen auf 269 Milliarden Goldmark in 42 Jahresraten erhöht. 1 kg Gold entsprach 2.790 Goldmark. 269 Milliarden Goldmark entsprachen 96.416 Tonnen Gold.
(Am 02. August 2024 betrugen die Währungsgoldreserven der Welt, nach IMF-Angaben, 35.938,6 Tonnen, darunter entfielen 8.133,5 Tonnen auf die Vereinigten Staaten.)
10. Schlussbetrachtungen
Die Vereinigten Staaten ratifizierten den Versailler Vertrag nicht. Im Senat, am 19. März 1920, gab es 49 JA-Stimmen bei 35 NEIN-Stimmen. Bei 84 Stimmen hätte die erforderliche Zweidrittelmehrheit bei 56 Ja-Stimmen gelegen. 7 Ja-Stimmen fehlten.
China unterzeichnete, als einziger der 32 Teilnehmer der Pariser Friedenskonferenz, den Versailler Vertrag nicht, da die deutsche Kolonie in China an Japan übergeben wurde.
Russland protestierte gegen den Versailler Vertrag (und auch die anderen 4 Pariser Vorortverträge) und solidarisierte sich mit den Menschen der 5 besiegten Staaten.
Wolfgang Schürer ist Vorsitzender des Kreisverbandes Offenbach a. M. der Freidenker
Bild oben: Deutsche Verhandlungsdelegation 1919 in Versailles (v.l.n.r.: Walther Schücking, Johannes Giesberts, Otto Landsberg, Ulrich von Brockdorff-Rantzau, Robert Leinert, Carl Melchior)
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-R01213 / CC-BY-SA 3.0 de
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