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Europas Weg in den Ersten Weltkrieg

Historischer Überblick von Wolfgang Schürer

1. Die 22 Staaten in Europa 1914

6 Staaten waren Großmächte: Das Vereinigtes Königreich (mit dem Empire), Deutschland (mit Kolonien), Russland (Vielvölkerstaat), Frankreich (mit Kolonien), Österreich-Ungarn (Vielvölkerstaat), Italien (mit Kolonien).

Die Türkei (damals das Osmanische Reich, ein Vielvölkerstaat) und Spanien waren ehemalige Großmächte.

Die Niederlande, Belgien und Portugal besaßen noch umfangreiche Kolonialreiche.

Die 11 anderen Staaten waren:
Südosteuropa: Rumänien, Bulgarien, Serbien, Griechenland, Albanien, Montenegro;
Nordeuropa: Schweden, Dänemark, Norwegen;
Sonstige: Schweiz, Luxemburg.

2. Die Mittellage von Deutschland und Österreich -Ungarn

Die beiden Großmächte hatten eine gemeinsame Grenze und grenzten beide an die Großmacht Russland. Deutschland grenzte außerdem an die Großmacht Frankreich, Österreich-Ungarn an die Großmacht Italien.

Deutschland grenzte an Dänemark, die Niederlande, Belgien und Luxemburg.

Österreich-Ungarn grenzte an Rumänien, Serbien und Montenegro.

Beide Großmächte hatten jeweils eine Grenze mit der Schweiz.

Deutschland hatte 1871 das Elsass und Teile Lothringens von Frankreich annektiert.

Frankreich war seither ein scharfer Gegner Deutschlands.

In Südosteuropa kollidierten die Interessen Österreich-Ungarns und Russlands.

Am 07. Oktober 1879 hatten Deutschland und Österreich-Ungarn ein Militärbündnis gegen Russland geschlossen.

In Südosteuropa kollidierten ferner die Interessen Österreich-Ungarns und Italiens.

Im Grenzgebiet Österreich-Ungarns zu Italien wohnte eine ethnisch-italienische Minderheit. Italien beanspruchte diese Gebiete. Beide Großmächte hatten sich 1914 auf einen Krieg gegeneinander vorbereitet.

3. Die Sprachen im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn

Österreich-Ungarn war, nach Russland und Deutschland, der Staat mit der drittgrößten Einwohnerzahl in Europa. Beim Zensus von 2010 gaben 23,36 % der Einwohner Deutsch und 19,57 % Ungarisch als Hauptumgangssprachen an.

44,79 % nannten 6 slawische Sprachen (Tschechisch, Polnisch, Kroatisch-Serbisch-Bosnisch, Ukrainisch, Slowakisch, Slowenisch;).

7,77 % nannten 2 romanische Sprachen (Rumänisch und Italienisch).

4,51 % machten andere Angaben.

4. Russland und die slawischen Minderheiten Österreich-Ungarns

Russland, das sich zum Schutzherrn aller Slawen außerhalb des Zarenreiches ernannt hatte, versuchte, mit panslawistischer Propaganda unter den 8 slawischen Ethnien, Österreich-Ungarn zu destabilisieren.

5. Serbien und die Südslawen Österreich-Ungarns

Die Wohngebiete der Kroaten, Slowenen und muslimische Bosnier lagen in Österreich-Ungarn. Die ethnischen Serben waren jedoch zwischen Serbien (ca. 60 %) und Österreich-Ungarn (etwa 40 %) aufgeteilt. Serbien hatte das Ziel, diese Gebiete Österreich-Ungarns mit sich zu vereinen.

6. Rumänien, ein Land zwischen Österreich-Ungarn und Russland

1914 wohnten etwa 25 % aller ethnischen Rumänen in Österreich-Ungarn und ca. 15 % in Russland. Die ethnischen Rumänen hatten Wohngebiete in diesen beiden Großmächten. Rumänien wollte diese Gebiete mit sich vereinen.

7. Das französisch-russische Bündnis gegen Deutschland

Es wurde, auf französische Initiative, am 05. August 1892 unterzeichnet und trat am 04. Januar 1894 in Kraft. Für Frankreich trat der Bündnisfall ein, wenn Russland im Krieg mit Deutschland wäre, oder, wenn Russland im Krieg mit Österreich-Ungarn wäre und Österreich-Ungarn von Deutschland unterstützt würde. Für Russland trat der Bündnisfall ein, wenn Frankreich im Krieg mit Deutschland wäre.

Deutschland war die einzige der 6 Großmächte in Europa, die sofort mit einem Zweifrontenkrieg gegen 2 andere Großmächte rechnen musste.

8. Die Rolle des Vereinigten Königreiches

Es war die einzige der 6 Großmächte, die an keine andere Großmacht grenzte.

Es betrachtete seit dem Wiener Kongress 1814/15 Russland als seinen Hauptgegner.

Es schloss am 08. April 1904 mit Frankreich die ENTENTE CORDIAL, de jure ein Abkommen zum Interessenausgleich in der beiderseitigen Kolonialpolitik, de facto ein Nichtangriffspakt, der die Zusammenarbeit beider Großmächte gegen Deutschland einleitete. Im Japanisch-Russischen Krieg 1904-1905 stand das Vereinigte Königreich auf der Seite Japans. Danach betrachtete es Deutschland als seinen Hauptgegner. Am 31. August 1907, in Sankt Petersburg, schloss das Vereinigte Königreich mit Russland einen Vertrag zum Interessenausgleich in Mittelasien. Der Vertrag war faktisch gegen Deutschland gerichtet. Die ENTENTE CORDIAL war zur TRIPLE ENTENTE erweitert worden.

9. Der italienisch-türkische Krieg 1911-1912, eine weitere Eskalationsstufe

Italien näherte sich der TRIPLE ENTENTE an.

Deutschland und Österreich-Ungarn betrachteten die Türkei als Partner.

Am 29. September 1911 erklärte Italien der Türkei den Krieg. Italien erhielt, im Friedensvertrag von Lausanne, vom 18. Oktober 1912, Libyen und den Dodekanes, eine ägäische Inselgruppe, von der Türkei.

10. Die Balkan-Stellvertreterkriege 1912-1913 als letzte Eskalationsstufe

Russland ermunterte Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro zum Angriff auf die Türkei. Der Angriff, unterstützt von Italien, begann am 08. Oktober 1912.

Deutschland und Österreich-Ungarn unterstützten die Türkei. Albanien erklärte am 28. November 1912 seine Unabhängigkeit von der Türkei. Die restliche europäische Türkei wurde fast vollständig unter die 4 Balkanstaaten aufgeteilt.

Bulgarien, der Hauptgewinner, griff am 29. Juni 1913 Serbien und Griechenland an.

Rumänien, Montenegro und die Türkei stellten sich gegen Bulgarien, das in den Verträgen zu Bukarest (10. August 1913, mit den 4 Balkanstaaten😉 und Konstantinopel (29. September 1913, mit der Türkei😉 auf viele Gebietsgewinne verzichten musste.

Bulgarien näherte sich Deutschland und Österreich-Ungarn an. Serbien und Griechenland stellten Gebietsansprüche an Albanien. Österreich-Ungarn stellte sich auf die Seite Albaniens. Italien stellte sich gegen Albanien.

11. Deutschlands Pläne für einen Zweifrontenkrieg

Helmut Graf von Moltke war seit 1857 Chef des preußischen und 1871-1888 Chef des deutschen Generalstabes. Otto von Bismarck war 1862-1890 Ministerpräsident Preußens und 1871-1890 deutscher Reichskanzler. Beide wollten den Krieg, an der Westfront und der Ostfront, jeweils mit der Hälfte der deutschen Truppen, defensiv führen, und den Krieg diplomatisch beenden. Ab 1890 sollte der Krieg gegen Frankreich defensiv, der Krieg gegen Russland, zusammen mit Österreich-Ungarn, offensiv geführt werden. Zuerst wollte man Russland, dann Frankreich zum Frieden zwingen.

Nach der britisch-französischen ENTENTE CORDIALE 1904 musste Deutschland auch mit einem Krieg gegen das Vereinigte Königreich und das Empire rechnen.

Alfred von Schlieffen war 1891-1906 deutscher Generalstabschef und verfasste 1905 folgenden Plan: Die Hauptmasse der deutschen Truppen sollte im Westen aufmarschieren, Frankreich über die Niederlande, Belgien und Luxemburg angreifen, und Frankreich zum Frieden zwingen. Österreich-Ungarn sollte zunächst die Hauptlast des Krieges gegen Russland tragen. Nach dem Sieg über Frankreich sollte die Hauptmasse der deutschen Truppen Russland angreifen und zum Frieden zwingen. Man wusste, dass man das Vereinigte Königreich und das Empire nicht zum Frieden zwingen könnte, hoffte jedoch, dass man mit der damals einzigen Weltmacht einen diplomatischen Interessenausgleich erreichen könnte.

Der Schlieffenplan wurde mehrfach modifiziert, es sollte kein Einmarsch in die Niederlande erfolgen, da man hoffte, über diesen neutralen Staat noch einen gewissen überseeischen Handel führen zu können.

12. Weitere Bemerkungen zur Eskalation 1911-1913

Am 07. Februar 1911 schloss das Vereinigte Königreich mit den Vereinigten Staaten, deren Aufstieg zur Weltmacht bereits begonnen hatte, einen Schiedsvertrag: Jeder Interessenkonflikt zwischen beiden Staaten sollten schiedsgerichtlich geregelt werden.

Deutschland musste nunmehr damit rechnen, dass die Vereinigten Staaten im Falle eines britisch-deutschen Krieges auf der britischen Seite stehen würden. Der modifizierte Schlieffenplan war ab 1913 der einzige Kriegsplan, der jetzt noch in Deutschland vorbereitet wurde. Deutschland setzte alles auf eine Karte, einen Blitzsieg über Frankreich.

13. Bemerkungen zum Ersten Weltkrieg

4 der 22 Staaten in Europa gehörten zu den Mittelmächten, 10 zu den Alliierten.

2 Staaten wurden trotz Neutralität besetzt. 6 Staaten blieben neutral und unbesetzt.

Zuerst erklärte Österreich-Ungarn den Krieg an Serbien. Die folgenden Daten geben jeweils den Tag des Eintritts in den Ersten Weltkrieg an.

Land Kriegseintritt
Mittelmächte
Österreich-Ungarn 28.07.14
Deutschland 01.08.14
Türkei 02.11.14
Bulgarien 14.10.15
Alliierte
Serbien 01.08.14
Russland 01.08.14
Frankreich 03.08.14
Belgien 04.08.14
Vereinigtes Königreich 04.08.14
Montenegro 07.08.14
Italien 23.05.15
Portugal 09.03.16 A
Rumänien 27.08.16
Griechenland 30.06.17 B
Unbesetzte neutrale Staaten
Spanien
Niederlande
Schweden
Dänemark
Norwegen
Schweiz
Trotz Neutralität besetzte Staaten
Luxemburg von Deutschland am 02.08.14
Albanien zuerst von Italien ab 28.10. 14

A England und Portugal sind seit 1386 verbündet.
B Die Alliierten besetzten Griechenland ab Februar 1915.

Am 05. Dezember 1917, nach der sozialistischen Revolution am 07. November 1917 (25. Oktober 1917 nach dem Julianischen Kalender), schloss Russland mit den Mittelmächten einen Waffenstillstand und schied am 03. März 1918, durch den Friedensvertrag von Brest-Litowsk, endgültig aus den Alliierten aus.

Am 06. April 1917 waren die Vereinigten Staaten, auf der Seite der Alliierten, in den Krieg eingetreten. Die Alliierten besiegten die Mittelmächte im Herbst 1918. Bulgarien kapitulierte am 29. September, die Türkei am 30. Oktober, Österreich-Ungarn am 03. November, Deutschland am 11. November. Österreich-Ungarn zerfiel.

Die Vereinigten Staaten waren die Weltmacht Nummer Eins geworden.

Wolfgang Schürer ist Vorsitzender des Kreisverbandes Offenbach a. M. der Freidenker


Bild oben: „Der Weltkrieg“ ( Zigarettensammelalbum des Cigarretten Bilddienstes Dresden ) – Transport deutscher Truppen an die Westfront (1914 ).
Repro: Wolfgang Sauber, CC BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=97441850