Trauerrede für Thomas Sachs
von Ernst Schwarz am 6.11.2024, Frankfurt a.M., Friedhof Heiligenstock
Liebe Renata, lieber Peter,
liebe Freundinnen und Freunde von Thomas, sehr geehrte Trauergäste!
Wir trauern um Thomas Sachs.
Die Familie trauert um ihren liebevollen Bruder und Schwager.
Wir trauern um einen lieben Freund, Kollegen, Mitstreiter, Genossen, Lehrer, geduldig, zurückhaltend, bescheiden, freundlich, verständnisvoll, zuverlässig, hilfreich, klug, entschlossen und mutig.
Wir trauern um einen Kämpfer für eine wirklich menschliche, eine sozialistische Gesellschaft, in der den Arbeitern, den angeblich kleinen Leuten, die Früchte ihrer Arbeit zugutekommen, in der sie überhaupt eine Ausbildung, einen Arbeitsplatz finden, in der sie selbst gemeinsam ihr Leben und ihre Arbeit organisieren, in der sie selbst gemeinsam die Macht besitzen und ausüben, die sich dann nicht länger in den Händen einer winzigen Minderheit von schwerreichen Ausbeutern befindet, wie es hier und heute noch immer der Fall ist.
Unser großer Dichter Bert Brecht sagte:
„… die Stärksten kämpfen ein Leben lang. Diese sind unentbehrlich.“
Seit vier Wochen spüren wir, dass uns nun so ein Unentbehrlicher fehlt. Wir alle hatten gewünscht und gehofft, dass er uns, besonders den Jüngeren unter uns, noch ein Vierteljahrhundert erhalten bleibt. Diesen Wunsch, diese Hoffnung müssen wir heute zu Grabe tragen.
Thomas, damals noch in Westberlin, erlebte als Siebzehnjähriger den Angriff auf die spärlichen demokratischen Rechte durch die Notstandsgesetze, vor allem aber den breiten Widerstand dagegen. Mit wachen Sinnen registrierte er die Ermordung von Benno Ohnesorg, die entschlossenen sogenannten „wilden“ Streiks, u.a. der Metallarbeiter, teils mit, teils ohne und teils auch gegen Gewerkschaftsführer, die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam, ihre willfährige und feige Unterstützung durch ihre westdeutschen Vasallen, die Schüsse auf den NATO-Gegner Rudi Dutschke, den Überfall des zionistischen Israel auf seine Nachbarn, wiederum mit massiver westdeutscher Unterstützung. Aus all dem zog er die Schlussfolgerung: Kampf gegen den Imperialismus und gegen den Abbau demokratischer Rechte und für eine Räterepublik ist lebensnotwendig.
Er nahm an vielen Aktionen teil und organisierte sich in der KPD/ML-Neue Einheit und als Mathematiklehrer in der GEW, hat dort jahrzehntelang stets ehrenamtlich unermüdlich u.a. in der Rechtsberatung gearbeitet. Er war Mitglied im Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne und im Deutschen Freidenker-Verband.
Als Deutschland den kriminellen völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien mitinitiierte, Bomben warf und Uranmunition schoss, war Thomas, anders als viele Linke, auf der Straße. Und so blieb der Unermüdliche der Friedensbewegung, der Bewegung gegen Verarmung und Sozialabbau, der Bewegung gegen die Demontage demokratischer Rechte treu bis zu seinem Tod.
Ihm wurden in seinem Leben so manche Stöckchen hingehalten, über die er springen sollte. Er sprang nicht.
Ihm wurden in seinem Leben eine Reihe Gesslerhüte zum Grüßen hingestellt. Er grüßte nicht.
Thomas, der gerne mit vielen Gleichgesinnten für eine gute Sache marschierte, hatte eine Besonderheit: Wenn es erforderlich war, schwamm er, der Freundliche, Höfliche, Bescheidene, auch ganz alleine gegen den Strom, so, wie es das folgende Lied fordert:
(Liedvortrag:)
Was keiner wagt
Was keiner wagt, das sollt ihr wagen,
was keiner sagt, das sagt heraus,
was keiner denkt, das wagt zu denken,
was keiner anfängt, das führt aus.
Wenn keiner ja sagt, sollt ihr’s sagen,
wenn keiner nein sagt, sagt doch nein,
wenn alle zweifeln, wagt zu glauben,
wenn alle mittun, steht allein.
Wo alle lügen, dient der Wahrheit,
wo alle heucheln, macht nicht mit,
verscheucht den Nebel, strebt zur Klarheit,
wo alle weichen, keinen Schritt.
Wo alle beten, laßt sie flehen,
wo alle klatschen, kein Applaus,
wo alle knien, bleibet stehen,
wo alle jammern, lacht sie aus!
Wo alle loben, habt Bedenken,
wo alle spotten, spottet nicht,
wo alle geizen, wagt zu schenken,
wo alles dunkel ist, macht Licht.
Text: Strophen 1,2 und 5 von Lothar Zenetti, Strophen 3 und 4 unbekannt. Musik: Konstantin Wecker
Kein Wunder, dass jemand, der über ein halbes Jahrhundert lang beharrlich Sand ins Getriebe der Milliardäre streut, deren Hass auf sich zieht.
Einer, der widerständig bleibt und immer wieder auf die Straße geht, z.B. gegen einen MRNA-„Impf“zwang.
Der außerdem regelmäßig wagt, für das Recht der Palästinenser auf Leben, gegen deren fortgesetztes Abschlachten durch das Zionistenregime zu demonstrieren.
Der unverschämter Weise den ununterbrochenen Strom an Waffen, Geld, die logistische und propagandistische Unterstützung für Israel durch den Völkermordgehilfen Deutschland anprangert.
Folgerichtig wurde er, Thomas, im Internet abgebildet und verleumdet (feigerweise ohne Impressum) als „Teilnehmer der rechten Verschwörungsszene“ und als „Antisemit“.
Triumphierend schreiben die Verleumder auf ihrer Denunziationsseite:
„Auf Anfrage von Rhein-Main Rechtsaußen distanzierte sich der Frankfurter GEW-Bezirksvorstand scharf von N.N. und Sachs und kündigte Konsequenzen an.“
Der GEW Bezirksvorstand hatte sich tatsächlich willfährig sogleich zum Büttel der Denunzianten gemacht und Thomas sofort weitere Rechtsberatungstätigkeit untersagt. Wohlgemerkt: Thomas hatte diese Tätigkeit jahrzehntelang ehrenamtlich ausgeübt!
Nicht genug damit: der Bezirksvorstand hat auf einer Mitgliederversammlung zur Delegiertenwahl im Sommer dringend davon abgeraten, Thomas als Delegierten zu wählen! Pech für den Vorstand: Thomas, der mutig, ruhig, sachlich, standhaft diesen üblen Anfeindungen die Stirn bot, wurde gewählt!
Nach der Landesdelegiertenkonferenz fragte ich ihn: „Wie war es, gab es neue Anfeindungen?“ Er sagte mir lächelnd: „Nein, eher das Gegenteil, ich bekam Zuspruch und Sympathiebezeugungen!“
Ich bin seit 1972 Gewerkschaftsmitglied. Ich muss sagen: Das Verhalten dieses Bezirksvorstands ist kein Ruhmesblatt.
Liebe Angehörige: Es tut mir leid, dass ich diese Kritik heute am Grab unseres lieben Verstorbenen vorbringe und die Trauerfeier damit belaste. Ich habe lange gezögert, das hier zu sagen. Aber ihm ist kurz vor seinem Lebensende ein großes Unrecht widerfahren. Ich musste es laut und deutlich aussprechen. Ich kann nicht anders. Ich glaube, das bin ich meinem Freund, Gewerkschaftskollegen und Freidenkergenossen Thomas schuldig.
Im letzten Frühjahr hatte Thomas ein sehr schönes Erlebnis. Bei einer Kundgebung für Palästina vor der Alten Oper kam eine junge Frau, die auch teilnahm, zu Thomas: „Sie sind doch Herr Sachs, mein früherer Mathelehrer von der Max-Beckmann-Schule! Schön, dass Sie auch wieder hier sind!“
Der Friedens-Nobelpreisträger Albert Schweitzer sagte einmal:
„Das schönste Denkmal, das ein Mensch bekommen kann, steht in den Herzen der Mitmenschen.“
Lieber Thomas, danke für Alles!
Thomas war übrigens auch ein guter und erfahrener Chorsänger. Wir singen zwei seiner Lieblingslieder. Die „Resolution der Kommunarden“ und die „Internationale“:
Resolution der Kommunarden
Text: Bert Brecht Musik: Hanns Eisler
1. In Erwägung unserer Schwäche machtet ihr Gesetze, die uns knechten soll’n,
die Gesetze seien künftig nicht beachtet in Erwägung, dass wir nicht mehr Knecht sein woll’n.
Refrain I: In Erwägung, dass ihr uns dann eben mit Gewehren und Kanonen droht,
haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben mehr zu fürchten als den Tod.
2. In Erwägung, dass wir hungrig bleiben wenn wir dulden, daß ihr uns bestehlt,
wollen wir mal feststell’n, daß nur Fensterscheiben uns vom Brote trennen, das uns fehlt.
Refrain I …
3. In Erwägung, dass da Häuser stehen während ihr uns ohne Bleibe lasst,
haben wir beschlossen, jetzt dort einzuziehen, weil es uns in uns’ren Löchern nicht mehr passt.
Refrain I …
4. In Erwägung, es gibt zuviel Kohlen während es uns ohne Kohlen friert,
haben wir beschlossen, sie uns jetzt zu holen, in Erwägung, dass es uns dann warm sein wird.
Refrain I …
5. In Erwägung, es will euch nicht glücken uns zu schaffen einen guten Lohn,
übernehmen wir jetzt selber die Fabriken, in Erwägung, ohne euch reicht’s für uns schon.
Refrain I …
6. In Erwägung, dass wir der Regierung was sie immer auch verspricht, nicht trau’n,
haben wir beschlossen, unter eig’ner Führung uns nunmehr ein gutes Leben aufzubau’n .
Refrain II: In Erwägung, ihr hört auf Kanonen – and’re Sprache könnt ihr nicht versteh’n,
müssen wir dann eben, ja das wird sich lohnen, die Kanonen auf euch dreh’n!
Die Internationale
Text: Originaltext in Französisch von Eugène Pottier, 1871, deutscher Text 1910 von Emil Luckhardt aus dem Französischen übersetzt. Musik: Pierre Chrétien Degeyter, 1888
Wacht auf, Verdammte dieser Erde, die stets man noch zum Hungern zwingt!
Das Recht, wie Glut im Kraterherde nun mit Macht zum Durchbruch dringt.
Reinen Tisch macht mit dem Bedränger! Heer der Sklaven, wache auf!
Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger, alles zu werden, strömt zuhauf.
Refrain: Völker, hört die Signale! Auf, zum letzten Gefecht!
Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!
Völker, hört die Signale! Auf, zum letzten Gefecht!
Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.
Es rettet uns kein hö‘hres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!
Leeres Wort: des Armen Rechte! Leeres Wort: des Reichen Pflicht!
Unmündig nennt man uns und Knechte, duldet die Schmach nun länger nicht!
Refrain …
In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute, wir sind die stärkste der Partei‘n.
Die Müßiggänger schiebt beiseite! Diese Welt wird unser sein;
unser Blut sei nicht mehr der Raben und der nächt‘gen Geier Fraß!
Erst wenn wir sie vertrieben haben, dann scheint die Sonn‘ ohn‘ Unterlaß.
Refrain …
Ernst Schwarz ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes, Landesverband Hessen