Demokratie – Medien – Aufklärung

Wagenknecht, Lanz und Thüringer Druckwellen

von Dr. Diether Dehm

 

Vollständige Aufzeichnung der Sendung „Markus Lanz“ vom 25.09.2024:
https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-25-september-2024-100.html
Die angegebenen Zeiten im Artikel weichen geringfügig von den Zeiten im Video ab.

Gekürzte Version (ca. 30 Minuten):

Direktlink zum Video der ZDFheute-Nachrichten auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=VC_m5-UQz7Y

 

Wenn sich etwas Größeres im Kleinen spiegelt und bewegt, wenn Marx ergo „alle bisherige Geschichte von Klassenkämpfen“ bestimmt sieht und Lenin die Parlamente als „Tribüne“ dieser Klassenkämpfe, dann sind Talkshows ihr ideologischer Infight. Auch um jedes einzelne Wort. Dabei sollen widerständige Persönlichkeiten öffentlich domestiziert, TV-Zuschauer gedrillt und Begriffe systemgerecht eingeschliffen werden.

Dass wir Medienkritiker uns so selten der molekularen Innenarchitektur von Talkshows zugewendet haben, zeugt von kulturellen Defiziten, die bis in Fingerspitzen wirken.

Um nun nicht Vorurteile mit Vorurteilen zu kontern, soll hier zunächst chronologisch in die Anatomie des Talks vom 25.9.24 eingestiegen werden, der wohltemperiert begann. In Sekunde 32 begrüßt ein warmherziger Lanz seinen Gast:

„Herzlich willkommen, Sahra Wagenknecht, ich freue mich sehr. Guten Abend!“

Zu derlei Überschwang hatte der Talk-Großmeister auch zweieinhalb gute Gründe:

1. Für sein pausenlos rüdes Abwürgen der damaligen Links-MdB Wagenknecht am 16.1.2014 hatte er sich unter dem Druck einer Online-Petition mit über 150 000 Unterzeichnern öffentlich bei ihr entschuldigen müssen.

2. Der Name Wagenknecht bürgt für hohe TV-Quote, wie kaum einer sonst.

2 1/2. Wer jetzt, in wahlkampffreier Zeit, Wagenkecht häufig einlädt, braucht es dann, kurz vor der Bundestagswahl nicht mehr. Nämlich dann, wenn die FDP wieder hochgesendet werden muss und eben nicht BSW und AfD. (Immerhin hatte die ARD das BSW vor der Europawahl von einer Parteientalkrunde auszuschließen versucht – bis zu einem gerichtlichen Einspruch).

Warum allerdings Sahra Wagenknecht gerade jetzt die vielen, sich kannibalisierenden und inflationierenden Talk-Einladungen annimmt, hat wohl auch mit Thüringen zu tun, wo die BSW-Queen mit dem CDU-Techtelmechtel ihrer Katja Wolf nicht ganz so amused zu sein scheint.

Zunächst fragt Lanz, wie das BSW eigentlich mitregieren wolle. Dabei erspart er Wagenknecht die Frage, woher ihr Sinnesumbruch gekommen sein mochte, wo sie doch in der Linkspartei noch empört gegen jegliches Mitregieren vor Mikros gestapft war.

Auch anderes aus der Vergangenheit erspart ihr der Talkmaster. Etwa, ob die Parteigründerin heute noch für die demokratische Enteignung bestimmter menschheitsfeindlicher Konzerne eintreten würde, wie es Wagenknecht und ihr Gatte Lafontaine in zumindest zwei Parteiprogramme von SPD und Linkspartei einst hineingeschrieben hatten.

Beim Verschweigen solcher „ollen Kamellen“ aber kreuzen sich wohl die Schwammdrüber-Interessen des BSW mit der gesamten Talkrunde. Denn: würde Sahra Wagenknecht hier und jetzt für Vergesellschaftung eintreten, wäre bei Lanz ja ein enormes Tabu durchbrochen, nämlich dass frau/man in Deutschland für die Überführung von Konzernen in Gemeineigentum nach Art. 15 GG öffentlich werben kann und doch gleichzeitig enorme Prozente einfahren.

Jedenfalls begrüßte Markus Lanz seine Gegnerin Wagenknecht wesentlich schwesterlicher, als in Sekunde 2.29 den grünen Staatssekretär Kellner mit einem kargen „wunderschönen guten Abend“. Zuvor hatte er Sabine Adler vorgestellt, die frühere Pressesprecherin des Bundestages, die sich selbst 2012 das Prädikat ausstellte: „Mir fehlte das dienende Gen“ – um aber danach wieder beim Deutschlandfunk zu dienen.

Adler zählt zu jenem, einst von Peter Hacks so benannten „Freiwild jagenden Rudel verwechselbarer Beaglehunde“, die aus dem medialen Nichts plötzlich in sämtlichen Talks und Interviews auftauchen. Wohl mit Hilfe vom „nachrichtendienstlich medialen Komplex“ (andere nennen ihn ,,tiefen Staat“; dazu mehr: DD in UZ vom 9. August, S.13). Hierzu werden die ,,Jagdhunde“ unter verschiedensten Etiketten – mal als „Extremismusexpertin“, als „Parteienforscher“, „Terrorismusbeobachter“ oder „Politikwissenschaftler“ – eingeführt. Nur wohin? Und woher?

Ach, und dann war bei Lanz ja auch noch der Elektromotoren-Lobbyist Stefan Bratzel („Autoexperte“), der aber erst spät, in Minute 56:39, die Runde mutig mit seiner Neuigkeit entzückte, dass „ein Putin nur Stärke versteht“.

Lanz, Adler, Kellner und Bratzel talkten nun gegen Sahra Wagenknecht, die solo blieb und 103 mal unterbrochen wurde; 55 mal von Adler (überwiegend aggressiv-aktiv), 48 mal von Lanz (passiv-aggressiv). Wagenknecht selbst unterbrach eher vorsichtig tastend nur 12mal – meist nachdem sie selbst unterbrochen worden war. Alle anderen wurden insgesamt achtmal unterbrochen. Viermal davon unterbrachen sie sich sogar gegenseitig im Wettlauf, Sahra Wagenknecht doch bitte zuerst ins Wort fallen zu dürfen.

Was ist der Sinn von Talkshows im herrschenden System? Ein Thema aufzugreifen und so zu zerlegen und zu zertalken, bis sein Kern vernebelt ist. Das erklärt auch die gebremste Fragelust von Markus Lanz gegenüber dem grünen Staatssekretär, bei dem nie nachgebohrt wurde. Etwa zu inhaltlichen Abweichungen der soeben zurückgetretenen Grünenspitze vom künftigen Kanzlerkandidaten Habeck bei Sozialstaatsfragen, Aufrüstung, Israel-Supports, Wärmepumpen, der De-Industrialisierung Deutschlands etc.. Hingegen stellte Lanz Fragen von historischer Unvergänglichkeit wie:

„Wann, Herr Kellner, haben Sie vom Rücktritt von Lang und Nouripour erfahren?“ (Minute 2:48).

Danach durfte der grüne Kellner, seinem Nachnamen gerecht werdend, zwei Minuten lang und ohne jede Unterbrechung „von großer Überraschung und großer Dankbarkeit“ schwabulieren, ohne einen einzigen politischen Inhalt auch nur zu streifen. Tollkühn setzte der Talkmaster nach:

„Welche Rolle hat Robert Habeck bei dieser Entscheidung gespielt?“ (4:33).

Worauf der Oberkellner großherzig preisgab:

„Die Entscheidung wurde in engsten Gremienkreisen getroffen“. (4:50)

Da aber, am Ehrgeiz gepackt, schoss Lanz die messerscharfe Frage hinterher:

„Woran sind die beiden tatsächlich am Ende gescheitert … Nouripour und Lang?“ (5:36)

Nach kurzer Nachdenkpause gab der Grüne schlussendlich doch das Staatsgeheimnis preis:

„Wir haben in Ostdeutschland Wahlniederlagen kassiert.“

Nun aber hatte Lanz grünes Blut geleckt:

„Sind die beiden verantwortlich oder die im Kabinett?“

Was den kellnernden Staatssekretär ins Solomonisieren trieb, denn „Grüne Klimapolitik“ sei gar nicht für das Klima und mit dem Rücktritt sei ein “Raum der Möglichkeiten geschaffen worden für eine neue Aufstellung und für einen neuen Schwung und für eine Vorbereitung einer Bundestagswahl.“ Um sofort wieder in Jubel, „grenzenlosen Dank und Respekt“ vor der zurückgetretenen Grünenspitze auszubrechen. (6:56)

Weil ja in großen Talkshows auch entscheidend ist, was nicht gefragt wird, wurden Differenzen zwischen Ricarda Lang und Robert Habeck unangetastet im Dunkel belassen. Einzig die einstige Bundestagsbedienstete Adler griff nun beherzt ein:

„Da wurde die Parteiführung geopfert, um den Weg für Robert Habeck als Kanzlerkandidat freizumachen“ (7:03).

Was Kellner die müde Binsenweisheit abrang:

“Robert Habeck ist als Spitzenkandidat, Vizekanzler eine der tragenden Säulen der Grünen“ (7:23).

Dann ließ er noch kurz das Vokabular der neuen Raketentüchtigkeit aufblitzen:

„Das Team Habeck ist eine Startrampe!“ (7:59)

In weiteren zwei Minuten unbefragten, grünen Sprachnebels pries der Staatssekretär die „starke Frau Franziska Brandner… im Team.“

Worauf sich Lanz noch einmal scheu murmelnd aus der Deckung wagte: „Wird es da eine Kursänderung geben? (9:59)

Was Kellner scharf konterte: „Wir werden ein Wahlprogramm beschließen“ (10:10)

Kurz schien es, als würde Lanz aus seiner Reptilienhaut fahren:

„Muss man mit einem Riesenknall die Parteispitze rauswerfen, um den gleichen Kurs weiter zu fahren?“ (10:36)

Wofür er vom Grünen das fulminante Statement erntete:

„Das ist eine Chance“ (11:04)

Lanz´ Sekundantin Sabine Adler interpretierte den Grünen dann mit der atemberaubenden Erkenntnis, die Grünen könnten „allmählich und immer mehr mit der CDU koalieren“.

Nun huldigten Lanz und Adler dem Staatssekretär am Monitor, die armen Grünen hätten nun wirklich „Hetze, Häme und Hass“(12:35) zu erleiden, wozu selbst der E-Autolobbyist Bratzel am Talkrundenrand sich zu einer trostvollen Grimasse verleitet sah.

Dann aber wandte sich Lanz der eigentlichen Verursacherin der geistig-moralischen Klimavergiftungen zu:

„Frau Wagenknecht… so ein Satz, wie `die Grünen richten mehr Schaden an, weil sie im Unterschied zur AfD regieren ´ …“(13:06)

Worauf der Talk, in Minute 13:43 und zwar mit Wagenknechts Antwort, zum ersten Mal politisch konkret wurde:

„… wenn man zum Beispiel den CO2-Preis erhöht, wo jeder weiß, das nützt nicht dem Klima, sondern sollte Haushaltslöcher stopfen.“

(Hier wäre noch eine weitere Grundregel für Talkshows aus der Großküche des nachrichtendienstlich medialen Komplexes einzufügen: wenn jemand substanziell widerspricht, muss schnellstmöglich in den abstrakten Nebel eines Nebenthemas umgelenkt werden.) Lanz:

„Es gibt noch so einen Satz von Ihnen: mehr als die Hälfte der Bevölkerung traut sich nicht mehr, frei ihre Meinung zu sagen. Die Grünen sind die Haupttreiber (14:57) dieser autoritären Cancel Culture, die, ich zitiere wörtlich, totalitäre Züge trägt“ (15:06)

Darauf zitiert Sahra Wagenknecht eine dies belegende Umfrage. Während ansonsten Talkmeister vor Meinungsumfragen geradezu niederknien, zumal der sie stimulierende „geheimdienstlich mediale Komplex“ diese Umfrage-Institute nicht unbeeinflusst lässt, überhört Lanz Wagenknechts Hinweis und referiert philologisch über das Wesen von halben Wahrheiten und ganzen Desinformation, um dann seine ganze, offenbar vorm hochrespektierten („Ich weiß, Ihre Zeit ist knapp!“ 23:55) Staatssekretär unterwürfig weggestaute Wut jetzt an die Frau zu bringen:

„Sie sind doch eine Meisterin darin, Dinge aus dem Kontext heraus zu reißen“ (15:40)

Die Hauptstoßrichtung des Talks gegen „Putins Pressesprecherin“ (17:02) Sahra Wagenknecht bahnt sich an. Nur sie bekommt von Adler  das Prädikat populistischer Demagogie um den Hals. Unter anderem, weil sie von der „dümmsten Regierung der Welt“ gesprochen habe (16:01). Adler sichtlich erbost: „Geht es ein bisschen differenzierter!“ Sie unterbricht zum ersten Mal: „von der dümmsten Regierung Europas – habe ich gesagt“. Für die differenzierende Adler macht aber „Welt“ und „Europa“ keine Differenz (16:16): Wagenknecht wolle „ein gesellschaftliches Klima anheizen und vergiften.“

Dagegen Wagenknecht: „Habeck hat behauptet, wir werden von Putin finanziert… Wirklich eine Ungeheuerlichkeit.“ (16:49)

Da Habeck mit diesem Anwurf nicht mehr zu retten ist, gesteht Lanz seiner Gegnerin kulanterweise diesen Punkt zu. Um dann noch die Grüne Künast zu zitieren, Wagenknecht sei „die faulste Abgeordnete als auch Radio Moskau in einer Person“ (17:07).

Ohne ihr viel Raum zu lassen, fährt Lanz fort „auf diesen Punkt mit dem Totalitarismus … Also jetzt ernsthaft? Sagt man irgendwie, diese Grünen sind sozusagen sowas wie eine totalitäre Partei?“(17:23)

Wagenknecht kleinlaut:“ Ich habe nicht gesagt: totalitäre Partei.“ (17:30). Die Bergpredigt meint: „Eure Rede sei: Ja! Ja! Nein! Nein!“

Dann aber spitzt Wagenknecht präzise zu: Verfassungsschutz und Faeser wollten einen neuen Straftatbestand einführen: „die Delegitimierung des Staates“. Bei Lanz und Adler werden die Gesichter im Monitor lang und mulmig. Weil radikale Staatskritik eigentlich zum Potenzial jedes gescheiten Journalismus gehört. Und zu künstlerischer Satire (selbst bei Böhmermann und Welke – bevor sie Staats-Comedians wurden). „Delegitimierung des Staates“ also zum Straftatbestand machen zu wollen, wäre schon Totalitarismus pur. Wofür Wagenknecht sogar die Süddeutsche Zeitung zitiert (18:02).

Lanz muss sofort von dieser Brisanz wegkommen:

„Mir geht es trotzdem um eine Formulierung… Die Grünen sind die Haupttreiber dieser totalitären Entwicklung auch in der Coronazeit?“ (18:29)

Das lässt sich Sahra Wagenknecht nicht zweimal sagen. Ihre Retourkutsche wird ein Glanzpunkt dieser Talkshow (18:33):

„Wer war am aggressivsten, um Ungeimpfte zu ächten, um Schulschließungen, Lockdown zu fordern? Auch die Grünen… Lauterbach, schlimm dass der Mann noch im Amt ist… „Pandemie der Ungeimpften“… Selbst das RKI hat gesagt, das war falsch…“ (18:46-19:06).

Schnell (19:07) bindet Lanz das Thema „RKI-Files“ ab und holt sich Schützenhilfe von oben:

„Ich würde kurz Herrn Kellner fragen, was ihm durch den Kopf geht…“

Und dieser offenbart sofort, was durch so einen grünen Kopf geht: „Als totalitär bezeichnen wir eigentlich Regimes wie Stalin oder Hitler.“

Woher soll ein Staatssekretär auch wissen, dass die eigentliche „Totalitarismus-Expertin“, Hannah Arendt, von der „Banalität des Bösen“ gesprochen hatte. Also weit unterhalb von Kellners Messlatte „Hitler und Stalin“. Aber der setzt nun „Vergleichen“ mit „Gleichsetzen“ gleich und macht sein Gleichsetzen nur noch schiefer:

„Und dieser Vergleich ist sowas von ehrabschneidend und einfach eine Vergiftung des politischen Diskurses…“

Um dann die Nutznießer grüner Energiepolitik zu benennen:

„Die Menschen mit geringem Einkommen“ (20:01).

Diese Absurdität wird hier weder von Lanz unterbrochen, noch von Sabine Adler. Letztere wartet nämlich mit ihrer Kritik am Heizungsgesetz, bis sich der grüne Staatssekretär kurz darauf aus dem Monitor verflüchtigt hat.

Und so keilt Kellner weiter, das BSW würde von Putin finanziert (20:34). Da muss Lanz leider wieder widersprechen: “bevor es Frau Wagenknecht tut“ (20:58)… Das Ehepaar, das diese fünf Millionen gespendet hat, hat mit dem Kreml gar nichts zu tun.“

Um dann aber umgehend auf ein anderes Thema zu lenken und „noch einmal Herrn Kellner zu fragen: geht da jetzt die Tür Richtung CDU auf?“ (21:32)

Es schließt sich ein völlig inhaltsleeres Gebrabbel über technische Koalitionsarithmetik von fast drei Minuten an, wofür Herr Lanz Herrn Kellner sehr herzlich dankt: „Ich weiß, Ihre Zeit ist knapp. Vielen Dank, dass Sie sich den Fragen gestellt haben; auf bald!“ Worauf sich dieser mit obligatorischem „Sehr gerne!“ verabschiedet (24:03)

Jetzt erst kritisiert Frau Adler (wohl, bevor es Frau Wagenknecht darf) das Heizungsgesetz und den soeben verabschiedeten Kellner:

„Also mit der Erwähnung der Wärmepumpe, also da habe ich wirklich Probleme, zu glauben … Dieses Heizungsgesetz hat derartigen Schaden angerichtet… genau für die Ostdeutschen, die sich endlich ein Haus bauen konnten und eben nicht mal 30.000 Euro für eine neue Heizung übrig haben, wenn die funktionierende noch im Haus ist“ (24:17 – 24:52)

Auch das lenkt Lanz sogleich um in einen knapp vierminütigen Getratsche, das an Regenbogenpresse erinnert: wer nämlich von den drei Regierungschefs in Brandenburg, Sachsen und Thüringen an welchem Ort und über welche Reiseroute mit Frau Wagenknecht zusammen getroffen sei oder zusammentreffen wolle.

Lanz, der gerade in einem Kölner TV-Studio Hof hält, wirft nun Wagenknecht vor, in Berlin Hof zu halten und Partner anreisen zu lassen und stellt weitere Fragen von ähnlich welthistorischer Bedeutung. Worauf Wagenknecht scheu anmerkt: „Was ist denn das für ein Niveau?“ (26:18)

Dann bekennt sie sich zu einer „gemeinsamen Regierung (wohl mit den Blackrockparteien CDU und SPD), die sich nicht fünf Jahre lang bekämpft wie die Ampel, bis die AfD die absolute Mehrheit hat.“

Glaubt sie wirklich mit dem Motto „Wir alle Demokraten gegen Höcke“ Leute wie Lanz und Adler, Merz und Pistorius milde stimmen zu können? Wenn es denen um den NATO-Sieg über Russland geht? Warum bleibt die so erfahrene und mutig Kämpfe durchgestanden habende Sahra Wagenknecht jetzt derart unverbindlich:

„Dass die Menschen sich Veränderungen wünschen und dringend auf Veränderungen warten“ (29:45).

Der linke Kolumnist Rüdiger Rauls hat jüngst die mangelnde Orientierungskraft des BSW so beschrieben: „Bereits nach wenigen Monaten schon so tief gesunken, dass eine Koalition mit der CDU anscheinend auf wenig Bedenken stößt? Die Menschen wollen eine andere Politik, das ist deutlich zu erkennen. Aber geht es dem Bündnis überhaupt noch um Inhalte, noch um die Schaffung von politischem Bewusstsein, das alleine die Garantie ist für einen nachhaltigen Wandel deutscher Politik im Interesse der einfachen Menschen? Im Moment scheint die Teilhabe an der Macht der bestimmende Antrieb geworden zu sein.“

Lanz führt das Geplänkel ab 30:23 in die entscheidende Attacke über:

„Sie haben die Riesen Hürde aufgebaut, die Stationierung der Mittelstreckenraketen – nicht mit uns“ (30:30)

Worauf ihm Adler mit der Unterstellung assistiert, das BSW würde sich insgeheim wünschen, der Ukrainekrieg ginge „eigentlich bis zur nächsten Bundestagswahl“ (31:07)

Wagenknecht unterbricht Lanz noch nicht einmal dort, wo er seine Unkenntnis bundesdeutscher Rechtslage offenbart, nämlich zur Raketenstationierung, „dass die jeweiligen Ministerpräsidenten da überhaupt keinen Einfluss darauf haben“ (30:39). Obwohl ihm gewiss irgendein Redaktionsadjutant Gegenteiliges in den Ohrknopf gesprochen haben muss. Selbst Wikipedia schreibt über das „Verfassungsorgan Bundesrat“, dass dieser bei jeglicher Gesetzgebung „mitwirkt“ (und somit auch die MPs von Thüringen, Sachsen und Brandenburg) und sogar einen eigenen Ausschuss für Außenpolitik unterhält.

Aber Lanz und Adler sind jetzt in ihrem Element. Beim Eingemachten und Einmachen von Wagenknecht, also bei der medialen Kriegsertüchtigung, sodass die Gefahr eines dritten atomaren Weltkriegs zur rhetorischen Lappalie schrumpfen soll:

„Glauben Sie das wirklich, Frau Wagenknecht, dass in Russland irgendjemand denkt, die NATO könne Russland angreifen demnächst?“ (32:27)

In dieser Sekunde blendet die Redaktion ein Wagenknecht-Plakat ein mit der Zeile: „Diplomatie statt Kriegstreiberei“!. Auf diese Zeile also war vieles vorbereitet und nun verschärft Lanz die Gangart.

Wagenknecht versucht es zunächst noch mit einem kleinen Kotau:

„Ich verurteile diesen Krieg und ich habe keine Sympathie für Putin, um das noch mal sehr, sehr deutlich zu sagen. Trotzdem sollten wir uns in Positionen, wenn es um Leben und Tod geht, immer versuchen, auch in das Gegenüber hineinzuversetzen; verstehen, warum Russland die NATO als Bedrohung empfindet. Darum geht es doch nur.“ (32:57)

(Wie bitte? Russland „empfindet also nur?“ Will die BSW-Führerin dem geneigten Talkzuschauer damit suggerieren, dass die Bedrohlichkeit der NATO nur eine subjektive Paranoia Russlands sei?)

Lanz spürt diese Unsicherheit seiner Gegnerin und betätigt sich als Militärstratege, fragt, „warum Russland von den Grenzen Finnlands gerade massiv Truppen abzieht, wenn Finnland doch in der NATO“ sei?

Dies widerlegt sie ihm souverän, weil nämlich Finnland „intelligenterweise“ noch gar keine US-Truppen zugelassen habe.

Aber, weil Lügen durch Wiederholungen wirkmächtig werden, unterbricht Lanz sofort, dass „diese Erzählung von der bösen NATO, die das arme Russland bedroht, nicht so richtig glaubwürdig“ sei (33:50).

Um dann vollends abenteuerlich zu werden:

„Das ist jetzt mein anderer Punkt, dass da sozusagen Nuklear-Sprengköpfe plötzlich wieder in Deutschland stationiert werden. Das ist so erst mal nicht richtig.“ (34:17)

Hier erlaubt sich Wagenknecht, ihn zu unterbrechen, aber mit gebremstem Schaum:

„Nein, dass wir zum Zielpunkt von russischen Nuklear-Sprengköpfen werden.“

Wenn sie schon unterbricht, warum erwähnt sie nicht den Fliegerhorst Büchel und die anderen 12 Dependancen? Wo Nuklear-Sprengköpfe „in Deutschland“ längst stationiert sind?

Wer nicht angreift, hält im Boxkampf den Gegner nicht auf Distanz. Und schon schlägt Lanz zu:

„Was sie dann auf Ihren Wahlkampfveranstaltungen … immer einfach unterschlagen und weglassen, ist, dass offensichtlich Russland schon aus dem Abkommen ausgestiegen ist und 64 Mittelstreckenraketen in Kaliningrad und Belarus stationiert hat“(34:50)

Wagenknecht will unterbrechen, schüttelt mit dem Kopf.

Aber Lanz hat seinen Flow:

„Warum fällt Ihnen das nicht ein? Empfinden Sie das nicht als Bedrohung? Wenn 64 nukleare Sprengköpfe russischer Bauart auf Europa gerichtet sind? Warum unterschlagen Sie das?“

Als Wagenknecht antworten will, unterbricht er sie sofort wieder.

Danach erst zitiert Sahra Wagenknecht den Bundeswehr-Oberst Richter, der die „Fähigkeitslücke“ des Westens gegenüber russischen Raketen widerlegt hatte, worauf sie jetzt von Adler unterbrochen wird.

Dass Russland den Abzug angeboten hatte, der Westen aber dann seine eigenen Raketen stationiert hatte, kann Wagenknecht eben noch sagen, wonach sie in 40 Sekunden (bis 36:20) fünfmal von Adler und Lanz unterbrochen wird. (Wie sanft dagegen waren die beiden mit dem grünen Staatssekretär umgegangen, als dieser das Heizungsgesetz als Wohltat für Geringverdienende gepriesen hatte).

Frau Adler wischt den Bundeswehr-Oberst ebenso beiseite, wie die Abrüstungsvorschläge aus dem Osten:

„Russland rüstet doch immer auf, ungeachtet dessen, was der Westen tut“(36:32).

Nach einem längeren Vortrag von Frau Adler (36:20 bis 38:11) sucht Wagenknecht ihren Standpunkt zu verteidigen:

„Was wollen wir: neue Abrüstung oder in ein neues Wettrüsten?“(38:16)

Und wird sofort wieder unterbrochen von Adler. Dann von Lanz zu den Ursachen der Raketen-Spirale, als Putins Rüstungsetat noch ein Zehntel von dem der NATO betragen hatte. Lanz:

„Gott sei Dank war Putins Armee damals schlecht ausgerüstet, Gott sei Dank!“ (38:42).

Dann geht es um vertane Friedenschancen und dann kommt Adler zum angeblichen Grund, warum die Verhandlungen von Istanbul zwischen der Ukraine und Russland unter britischem Einfluss abgebrochen worden waren:

„Das war wegen Butscha – sagt Ihnen das was?“ (39:02)

Jemand anderes aus der Friedensbewegung hätte wohl auch einzelne CIA-„Fakten“ zu Butscha angezweifelt. Aber Sahra Wagenknecht spürt man die Rücksicht auf potentielle Bündnispartner bei den Koalitionsverhandlungen in den drei Bundesländern an. Zweifel am Butscha-Narrativ wären wohl zu starker Tobak gewesen. Also belässt sie es dabei, die US-Chefdiplomatin Victoria Nuland zu zitieren, „dass es nicht Butscha war“.

Nun schreitet Lanz energisch ein, weil wohl auch er „Butscha“ als Abbruchgrund für die Istanbuler Verhandlungen nicht sonderlich weit traut. Nach Lanz` Lesart war nämlich „Istanbul gescheitert, weil Russland nicht bereit war, Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu akzeptieren“. (39:57)

Wagenknecht möchte dies widerlegen, wird aber sofort wieder unterbrochen – und zwar von Lanz und Adler. Und beide unterbrechen sich in Minute 40:12 sogar noch gegenseitig, indem sie Wagenknecht unterbrechen. Als Sahra Wagenknecht in Minute 40:45 dies und die 12 aufgestöberten CIA-Basen auf ukrainischem Boden anspricht, versteigt sich Lanz gar zu der Groteske:

„Es waren keine CIA-Basen“.

Um dann sofort umzulenken auf die hängende linke Deckungshand seiner Gegnerin, auf die „Sicherheitsgarantien für die Ukraine“.

Dazu liefern dann Lanz und Adler im Duett längere Abhandlungen, bis Frau Adler plötzlich in Minute 41:41 etwas echt Fulminantes rausrutscht:

„Aber das Entscheidende ist natürlich, dass ein solches starkes Bündnis wie die NATO die eigentliche Sicherheit für die Ukraine ist.“

Diese „eigentliche Sicherheit“ rollt nicht nur den ganzen Talk auf, sondern das, was Adler will, was Lanz will, was der mittlerweile abwesende Ober-Kellner will, was der geheimdienstlich-mediale Komplex will (der Talkshows dieser Größenordnung überwacht), und warum Meinungsfreiheit in Deutschland allmählich auf ukrainische Standards gedrosselt wird. Und eigentlich auch, was das Pentagon seit 1990 will, weshalb der blutige Maidanputsch 2014 gegen Janukowitsch inszeniert wurde, warum Minsk II mit relativen Autonomien für Donezk und Lugansk von faschistischen Milizen und Scharfschützen des Selenskij-Regimes zerfetzt und später eine US-Basis nach der anderen in der Ukraine ausgehoben werden konnten. War es dieses Versprechen der NATO, weshalb Selenskij mit solch geschwollener Brust auf der Sicherheitskonferenz in München 2022, aber noch vor (!) dem russischen Einmarsch, neue Überschall-Raketen wie „Dark Eagle“ gefordert hatte, die auch atomar bestückbar sein sollten?

Wenn also seit zehn Jahren allen Eingeweihten der Sprech von den „Sicherheitsgarantien für die Ukraine“ nur gleichbedeutend mit NATO-Mitgliedschaft (oder zumindest NATO-Assoziation – statt OSZE oder UN) gewesen war, wenn also Frau Adler die Katze unbeabsichtigt aus dem Sack gelassen hatte, durfte und konnte es dann in Istanbul oder anderswo je einen Frieden mit Russland geben? War unter diesen Präjudizien die russische Armee 2022 nicht nur einfach zu spät einmarschiert, weil sich Putin zulange von Obama und Merkel hatte einwickeln lassen? Vielleicht noch berauscht von den stehenden, parteiübergreifenden Ovationen nach seiner Rede im Bundestag am 25.9. 2001?

Jedenfalls hatte Selenskij wenige Stunden vor dem Lanz-Talk die „Sicherheitsgarantien des starken Bündnisses NATO“ als „Sieg-Frieden“ ausgerufen – passend zu dem Satz der Adler.

Dann unterläuft Sahra Wagenknecht in Minute 42:12 ein Lapsus mit der Behauptung, die Deutschen hätten beim Frieden in der Ukraine „relativ wenig zu melden.“

Da gibt Frau Adler ihrer Kontrahentin „absolut recht“(42:13).

Womit sich dann aber dem unbeteiligten Fernsehzuschauer die Frage stellt, warum für Frieden demonstrieren und weshalb das BSW gerade einen solchen Bohei in Thüringen, Brandenburg und Sachsen für Frieden mit Russland veranstaltet? Wenn die Deutschen sowieso dabei nur „relativ wenig zu melden“ hätten?

(Als ob zum Beispiel Deutsche gegen US-Basen wie Ramstein und Atomwaffen in Büchel gegen Russland „wenig zu melden hätten“?! Selbst ChatGPT beschreibt die kündbaren Gesetzesgrundlagen: „Es gibt kein spezifisches deutsches Gesetz, das die Stationierung der US-Atomwaffen ausdrücklich regelt. Die Stationierung basiert auf bilateralen Abkommen zwischen Deutschland und den USA sowie den Verpflichtungen Deutschlands innerhalb der NATO.“)

Das Getänzel im Boxring geht jetzt bereits um einen Lucky Punch. Sahra Wagenknecht ist zuoft in den Seilen beim Wort: „Kriegstreiber“. Man ahnt allmählich, warum zuvor das Wagenknecht-Plakat mit der Zeile „Diplomatie statt Kriegstreiberei“ redaktionell eingeblendet worden war.

Folgerichtig keift in Minute 42:32 die Adler, das Wort „Kriegstreiberei würde alle beleidigen, die für den Schutz der Menschen in der Ukraine eintreten“.

Sahra Wagenknecht hatte so oft Putin einen „Kriegsverbrecher“ genannt, wohl auch als Futter für ihre künftigen Partner in Erfurt, Dresden und Potsdam. Ihr Glück bei der Box-Logik dieses Talks ist, dass bislang niemand nachgefasst hat, ob man einem „Kriegsverbrecher“ – also einem wie Hitler – mit Diplomatie je hat beikommen können.

Aber Lanz und Adler sind zu besessen, Sahra Wagenknecht mit dem Wort „Kriegstreiber“ weiter in die Enge zu treiben. Grade noch darf sie einen Viertelsatz aussprechen und schon – weil sie die Raketen in Büchel und Ramstein nicht eingeführt hatte – kommt ihr die Adler wieder mit einer Geraden:

„Das ist Schutz, wenn ich Raketen-Abwehrsysteme liefere!“

Darauf folgen ein erneuter Anlauf von Wagenknecht für Waffenstillstand und wieder vier Unterbrechungen durch Adler, die dann behauptet, der chinesisch-brasilianische Friedens-Plan sei ja sowieso der russische Plan (43:07).

Dann zitiert Wagenknecht einen Satz daraus, wieder von Lanz und Adler unterbrochen. Die Adler, die eben noch dem brasilianischen Präsidenten die Übernahme des russischen Plans vorgeworfen hatte, übernimmt nun den Plan von Selenskij als eigene Vorstellung, nämlich eine Volksabstimmung in der Ostukraine – aber nicht unter russischer, sondern unter ukrainischer Waffengewalt. Und fügt in Minute 45:19 hinzu, weil Wagenknecht eine Volksabstimmung mit zuvorigem Waffenstillstand wolle: „Das ist die Legitimierung von Landraub, den sie vorschlagen“.

Als Wagenknecht Landräubereien der USA zitiert, etwa der Ölfelder Syriens (45:29), keift Adler etwas von „What-aboutism“.

Sofort greift Lanz ein und kommt wieder auf „Kriegstreiberei“ zurück:

„Denen, die jetzt Waffen liefern und jemandem helfen, sich selber zu verteidigen, zu unterstellen, dass die nicht an Frieden interessiert seien, finden Sie das okay?“ (46:19)

Statt mit einem klaren „Ja!“ zu antworten, weicht Sahra Wagenknecht zur Seite:

„Ich unterstelle nichts“ (46:21)

Viermal nun ergötzt sich Lanz daran, die Wagenknecht an ihr „Kriegstreiberei“-Plakat zu erinnern und sich nicht zu einem „Ja!“ dazu zu bekennen, sondern herumzueiern:

„Dass wir durch die Art, wie wir und wir sage ich jetzt, also der Westen, die USA, aber auch Europa, wie wir auf diesen Krieg reagiert haben … und auf diesen Überfall, in dem wir bisher alle Verhandlungsoptionen abgeblockt haben, anders als die Länder des Südens verlängern wir den Krieg und wenn wir den Krieg verlängern ist das nicht moralisch, sondern es ist…“

Wieder wird hinter ihr das BSW-Plakat mit dem Wort „Kriegstreiberei“ eingeblendet.

Lanz will die Enge auskosten, in der seine Gegnerin sich vor ihren künftigen Verhandlungspartnern in Thüringen wegduckt, die sie nicht „Kriegstreiber“ nennen will. Jedenfalls jetzt nicht.

Lanz:

„Mit dem Wort Kriegstreiberei haben Sie dann auch kein Problem… Das ist für Sie Kriegstreiberei?“

Wagenknecht:

„Wenn ich die Kriegsgefahr erhöhe …“

Lanz unterbricht sie.

Darauf Wagenknecht: „Halten Sie sich doch nicht an dem Wort fest!“

„Doch“ sagt Lanz und lässt das Wahlplakat wieder einspielen.

Sie beginnt einen Satz.

Er: „Frau Wagenknecht, die Bundesregierung, das sind Kriegstreiber?“ Statt eines geraden „Jawoll!“, gerät sie ins Stocken – und wir werden Zeuge der Seltenheit einer Sonnenfinsternis, wo etwas Großes etwas Kleineres verdunkelt: die Koalitionsverhandlungen hängen wie Schlingpflanzen um Sahra Wagenknechts Flow. Und Lanz stößt sie weiter in den parlamentarischen Morast und setzt nach: „Wie finden Sie sowas?“

Sie stockt erneut. (Es war wohl ein Fehler Freuds, das Oberbewusstsein „Unterbewusstsein“ genannt zu haben).

Schon fällt er ihr wieder ins Wort, sekundiert von Frau Adler (50:25).

In ihrer Not schwindelt Wagenknecht (ähnlich wie bereits in Minute 46:19, wo sie auf den Vorwurf, „Kriegstreiberei“ plakatiert zu haben, blauäugig behauptet hatte: „Ich unterstelle nichts!“):

„Ich beschimpfe überhaupt niemand.“

Aber Lanz überführt sie: „Sie beschimpfen die Bundesregierung der Kriegstreiberei.“

Wagenknecht: „Ich möchte nicht, dass wir im Krieg mit Russland sind. Russland…“

Schon unterbricht Lanz wieder: „Warum fällt Ihnen das nicht bei Putin ein?“

Das ganze Gehuddel geht bis Minute 52, wo sie dann endlich, endlich wieder in die Offensive kommt, weil Merz Taurusraketen liefern und Kiesewetter den Krieg nach Russland tragen will.

Da gibt Adler voll den Kriegsfalken:

„Von dort aus werden die Langstreckenwaffen losgelassen auf die Ukraine.“ (52:56)

Adlers Gezeter hilft ihrer Gegnerin aber wieder nach vorne. Der Atomkriegsgefahr gibt Wagenknecht jetzt eine Hausnummer. Sodass Lanz der Adler wieder zur Seite springen muss. Er stößt noch ein paarmal in Wagenknechts offensichtliche Blöße, ob Bundesregierung und Kanzler „Kriegstreiber“ seien? Hält dann eine Eloge auf Olaf Scholz und dessen Verhandlungswillen, aber:

„Sie beschimpfen Scholz als Vasallen-Kanzler. Er will doch das gleiche wie Sie?“

Als Wagenknecht nochmal einen atomaren Weltkrieg anspricht, kichert Lanz böse und unterbricht sie:

„Russland wollte in Ukraine einmarschieren, das ganze Land einkassieren.“ (54:0)

Bei soviel Unsinn muss jetzt die Adler Lanz wieder zu Hilfe kommen. Mit einer Lüge: In der Schweiz, in Bürgenstock, hätten sehr viele Länder verhandelt, aber Russland hätte nicht kommen wollen.

Wagenknecht korrigiert, Russland sei nicht eingeladen gewesen.

Dann folgt ein mehrminütiges Gezerre, wo Wagenknecht sich wieder treiben lässt.

Aber sie kommt dann bei 56:07 erneut in die Vorhand:

„Glaubt noch jemand daran, dass die Ukraine siegt? Also das ist doch völlig illusorisch. Egal, ob man sich das wünscht und ob das moralisch geboten ist und völkerrechtlich angebracht.“

Und dann sagt sie ins Stimmengewirr:

„Das mag man alles so sehen und das ist auch so!“

Wie bitte? Ein militärischer Sieg der Ukraine wäre „moralisch geboten“? Und dann sagt ausgerechnet Wagenknecht auch noch: „Das ist auch so!“ ?

Die Adler kann es kaum fassen: Wagenknecht hat gerade das Narrativ bestätigt, ein Sieg über den Kriegsverbrecher Putin wäre zwar geboten, nur leider aber unrealistisch.

Jetzt muss sich Lanz nur noch selber zum Talkgast machen und die „moralische Gebotenheit“ unterfüttern. Er beginnt ellenlang (58-59:40) „gruselige“ Einzelerlebnisse von der ukrainischen Front. Wie aus dem Nichts erscheint dazu im Hintergrund ein Foto von Putin.

Lanz: Die Kämpfer „werden in einen Fleischwolf getrieben … von dem Mann auf dem Foto!“

Hier rächt sich erneut, dass Sahra Wagenknecht auch in diesem Talk viel zu wenig über die Vorgeschichte des russischen Einmarschs, über den fortgesetzten Bruch von Minsk I und II durch Selenskijs Nazi-Milizen und durch die NATO eingebracht hatte. Somit beginnt die Geschichte bei Lanz, wie jede reaktionäre Geschichtsschreibung, mit einem willkürlich festgesetzten Gewaltereignis (z.B. bei Französischer und Russischer Revolution), hier erst mit dem russischen Einmarsch 2022.

Nach einer Stunde kommt dann Lanz zu dem vorgefassten Resümee, welches ihn als Diskussionsleiter disqualifiziert, aber als Infighter aus dem Boxstall „Nachrichtendienstlich-medialer Komplex“ prämiert:

„Der Mann, der den Krieg beenden kann, ist dahinten (deutet auf Putin) und ich möchte nicht, dass Leute, die Selenskij und der Ukraine helfen, ich möchte nicht, dass die in der deutschen Debatte als Kriegstreiber verunglimpft werden. Ich möchte das nicht. Ich finde das nicht in Ordnung. Sie plakatieren das. Lassen Sie uns das einfach so stehen lassen!“ (1:00)

Wagenknecht eher kleinlaut: „Ich sehe eine große Gefahr für unser Land…“

Und der Moderator, bevor er sich dem Elektro-Auto-Lobbyisten zuwendet:

„Sie beschimpfen die Falschen. Das ist das Problem!“

Der Disput ist rum. Lanz darf mit sich zufrieden sein, vor aller Augen die wirkmächtigste Fighterin aus dem Friedens-Lager von ihrem „Kriegstreiber“-Vorwurf weit weg getalkt, die Anti-AfD-Brandmauer nachgebessert und etwas matt glänzendes Sprach-Perlmutt („die NATO hilft nur, zu verteidigen“) ins imperialistische Innengewölbe geklebt zu haben.

Aber war das echt das Talent von Lanz? Oder waren es nicht eher die parlamentaristischen Druckwellen aus den Thüringer Koalitionsanbahnungen? Dass für Wagenknecht Putin ein Kriegsverbrecher; ein Sieg der Ukraine zwar moralisch geboten, aber illusorisch sei? Dass sie jetzt weder Ampel noch sonst jemand „Kriegstreiberei unterstellen will“? Dass die Bedrohung durch die NATO „von Russland eher nur empfunden wird“? Dass die Nazi-Milizen unter Selenskij und deren Rolle gegen Minsk II weggeschwiegen blieben?

Wagenknecht hat, ohne streng gehütete Tabus aus der Vorgeschichte von 2022 auch nur angesprochen zu haben, etwas von „Weltkriegsgefahr und Waffenstillstand“ durchbekommen. Sagen wir: vielleicht 60 % ihrer eigenen Zielvorgaben. Früher wären es 100 gewesen.

Dr. Diether Dehm ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes und seines Beirats


Bild oben: v.l.n.r.:

Sahra Wagenknecht, 2021
Foto: DIE LINKE – https://www.flickr.com/photos/die_linke/51403882539/, CC BY 2.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=120408443

Markus Lanz, 2021
Foto: Superbass, CC BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=112266926