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Alles hat ein Ende – auch die Marktwirtschaft

Redebeitrag auf der Konferenz des Deutschen Freidenker-Verbandes „Deindustrialisierung “ am 20. April 2024 in Retgendorf bei Schwerin

Aus: „FREIDENKER“ Nr. 3-24, September 2024, S. 25-28, 83. Jahrgang

von Wolfgang Beck

Diesen verrückten und prozierenden Titel habe ich nicht ohne Grund gewählt. Denn die historische Vergesslichkeit greift immer weiter um sich, und ich staune immer wieder, wie wenig die Leute über die DDR wissen. Im Westen dominiert die recht einseitige Betrach­tungsweise der DDR-Planwirtschaft bzw. auch eine falsche und unwürdige Darstellung der Lebensleistung vieler Menschen.

Ich bin von Beruf Elektroniktechnologe und war Direktor des VEB Elektromoto­renwerk Wernigerode, des größten Elektro­motorenwerks, das es in Europa gab. Aus­gangspunkt meines Vortrags ist das Buch „Alles hat ein Ende – auch die Markt­wirtschaft“, in ihm habe ich viele Episoden von der Arbeit aus meinem Betrieb aufge­schrieben, aber es enthält insbesondere eine Analyse der letzten 5 Jahre der Planwirtschaft sowie einen kurzen visionären Ausblick auf eine veränderte Gesellschaft.

Ganz wesentlich: Betriebe waren in der DDR eine soziale Heimstätte. Die Menschen kommunizierten und tauschten sich aus, der eine war nicht des anderen Teufel – über schwarze Schafe will ich heute nicht berich­ten. Die soziale Heimat wird heute von vielen vermisst, und diese soziale Seite muss auch mit Blick auf die Zukunft nochmal neu beleuchtet werden.

Historisch gesehen hat man uns das Leben in der DDR nicht gerade leicht gemacht. „Auferstanden aus Ruinen“ heißt es in der ehemaligen Nationalhymne, geschrieben von Hanns Eisler. Und dieser Hanns Eisler ist aus den USA zurückgekommen, mit seinem Bru­der, und dort hatte unter Hoover der Kampf gegen den Kommunismus begonnen.

Zur Historie:
  • Am 3. Januar 1945 wurde das House Committee on Un-American Activities, oft auch übersetzt als Ausschuss für unamerikanische Umtriebe, gegründet. Es war ein Gremium beim Repräsentanten­haus der Vereinigten Staaten von Ame­rika. Es sollte ursprünglich die Bedrohung einer Unterwanderung der amerikani­schen Gesellschaft durch Anhänger des deutschen Nationalsozialismus, später vor allem während der McCarthy-Ära Kommunisten bzw. deren mögliche Sym­pathisanten untersuchen und anschlies­send geeignete Gesetzesentwürfe vor­legen, um der Bedrohung zu begegnen.
  • Truman-Doktrin: Am 12. März 1947 gab der US-amerikanische Präsident Harry S. Truman vor dem US-Kongress eine Er­klärung ab, die als sogenannte Truman-Doktrin in die Geschichte einging. Ziel der Doktrin war es, die Expansion der Sowjetunion aufzuhalten, und Regierun­gen im Widerstand gegen den Kommu­nismus zu unterstützen. Diese Truman-Doktrin gilt heute immer noch!
  • Die CoCom (Coordinating Committee on Multilateral Export Controls , dt.: Koordi­nationsausschuss für multilaterale Aus­fuhrkontrollen) mit Sitz in Paris wurde am 22. November 1949 gegründet und nahm zum 1. Januar 1950 seine Arbeit auf. Im Gründungsdokument hieß es: „Es ist Politik der Vereinigten Staaten, ihre wirtschaftlichen Ressourcen und Vorteile im Handel mit kommunistisch beherr­schten Staaten zu nutzen, um die natio­nale Sicherheit und die außenpolitischen Ziele der Vereinigten Staaten zu fördern.“ Er wurde auf Betreiben der USA initiiert und sollte verhindern, dass die Länder „unter sowjetischem Einfluss“, also die Staaten im Rat für gegenseitige Wirt­schaftshilfe (RGW), Zugang zu moderner Technologie erhielten. Dies betraf haupt­sächlich Waffen, Kernenergietechnik, In­dustrieanlagen und Mikroelektronik.

Die Cocom und andere Restriktionen des kalten Krieges waren für den wirtschaftlichen Aufbau sicher nicht förderlich. Dennoch haben wir in der ehemaligen DDR eine beachtliche Wirtschaftskraft aufgebaut und eine starke eigenen Identität aufgrund des Geschaffenen entwickelt.

Wir kannten die Absichten der US-Wirt­schaftsdoktrin, und auch in der westdeutschen Wirtschaft waren diese nicht ganz unbekannt. Man bemühte sich aus strategischen Über­legungen, die Folgen recht gering zu halten. Beispielsweise erhielten Unternehmen in der damaligen BRD, die Handel mit dem Ost­block tätigten, die Umsatzsteuer erstattet. Auch unsere Kunden profitierten davon.

Die Europäische Wirtschaftsunion (EWG) war damals deutlich weniger US-amerika­nisch dominiert. Ich kann mich noch erin­nern, dass zu meiner Studienzeit bereits von einer Triade gesprochen wurde. Damit war damals der Wettkampf zwischen den USA, der EWG und Japan gemeint.

Das Elektromotorenwerk Wernigerode war in 47 Ländern der Erde zu Hause, wir haben also nicht nur die DDR, wir haben auch die Welt angetrieben. Wir kannten auch die Alt-BRD recht gut, wir hatten eine General­vertretung in Essen in Form einer „Ge­mischten Gesellschaft“ mit der DKP und Privatpersonen als Kapitalträger, Vergleich­bares gab es in Italien. Ich kannte mich seit 1984 gut mit dem kapitalistischen System aus, manche Partner in der alten BRD waren tatsächlich ein bisschen neidisch auf unsere Produktionsleistung. Wir waren energetisch eine Leistungsklasse besser, und chinesische oder iranische Delegationen waren an un­seren Technologien sehr interessiert.

Deshalb waren wir auch in der späteren Entwicklung manchen ein Dorn im Auge. Das Wirken der „Treuhand“ lief auf eine Deindustrialisierung hinaus – in meinem Buch wird Entstehung und Wirken der „Treuhand“ ausführlich dargestellt.

Das Ende der DDR

Ende der 1980er Jahre lief nichts mehr so richtig rund, Emotionen und Auseinander­setzungen nahmen zu, und angesichts der Sprachlosigkeit der allmächtigen Partei hatten die Betriebsdirektoren zu allen Problemen Rede und Antwort zu stehen. Was für uns ganz wichtig war: den vielen fleißigen Menschen ihren Arbeitsplatz zu erhalten.

Nach vielen Beratungen und Verhand­lungen ist das Elektromotorenwerk Werni­gerode im April 1990 zur GmbH geworden, die erste GmbH in der DDR. Ich habe auch Dr. Detlev Karsten Rohwedder kennenge­lernt, und der sagte mir: „Diesen Weg, den Sie mit dem Elektromotorenwerk Wernigerode eingeschlagen haben, den müssen wir weiter­gehen. Wir können nicht zulassen, dass in der ehemaligen DDR das Land der Tochter­unternehmen entsteht.“ Deshalb sage ich auch in dieser Runde: Ich glaube nicht daran, dass für das Ende von Detlev Karsten Rohwedder die RAF verantwortlich ist.

Rohwedder war weg, an seiner Stelle kam Birgit Breul, wir kamen als Manager in den Club der Schwererziehbaren, denn wir woll­ten ja was nach vorne bewegen, aber das war nicht Frau Breuls Intention. Viele Betriebe konnten sich retten, aber viele sind auch untergegangen.

Schon ab 1988 wurde in der DDR viel über die Defizite der Planwirtschaft diskutiert. Jeder suchte nach den Ursachen für das Ende der Planwirtschaft. Genannt wurde u.a.:

  • Die reale, objektive Realität in der Ökonomie wurde oft mit Füßen getreten.
  • Die Einmischung der SED, von Parteien in wirtschaftliche Prozesse ist nicht tragfähig.
  • Es fehlten auch die Verflechtungsbilanzen in der damaligen Wirtschaft.
  • Die Modernisierungsblockaden in der DDR müssen analysiert werden.
  • Die wirtschaftliche Eigenständigkeit der Kombinate war das Thema, aber die offe­ne Frage blieb: was passiert bei einer Insolvenzlage?

Und die Konsequenz?

Also Marktwirtschaft?

Die Marktwirtschaft ist gekennzeichnet von egoistischen Wesenszügen und der Vor­stellung, wonach der Markt bzw. das Kapital alles reguliert. An dieser Stelle möchte ich auf Erkenntnisse im Frühkapitalismus verweisen, die auch heute noch den Wesensinhalt des Kapitals bzw. aus technischer Sicht seine Störfunktionen bestimmen.

  • Marktwirtschaft ist entstanden als freie Marktwirtschaft. Der Nachteil: die so­zialen und arbeitsrechtlichen Komponen­ten bleiben unberücksichtigt. Der Bedarf an öffentlichen Produkten wird nicht berücksichtigt. Preise sind auf Profit­maximierung ausgerichtet. Trotz kosme­tischer Korrekturen hin zur sozialen Marktwirtschaft bleiben die Defizite bestehen.
  • Die Soziale Marktwirtschaft ist eine kos­metische Veränderung, durch die Einfüh­rung des Wettbewerbs- und Kartellrechts. Der unlautere Wettbewerb soll bekämpft werden. Dennoch werden originäre Auf­gaben in der Gesellschaft nicht ausrei­chend gelöst (Bildung für alle, Gesund­heitswesen, Verkehrswesen, etc.).
  • Marktwirtschaft ist vom Wesen her an der ständigen Produktion von Gütern inter­essiert. Dies hat zur Folge, einen mög­lichst kurzen Lebenszyklus anzustreben. Es entstehen bewusst konstruierte Ver­schleißprodukte und folglich eine Weg­werfgesellschaft ohne Nachhaltigkeit. Bauteile werden auf Kurzlebigkeit ge­trimmt, Reparatur ist nicht mehr möglich und gewollt.
  • Marktwirtschaft sorgt auch für Über­produktionen und damit Wertvernich­tung. In der Gier nach Profit werden Produktionskapazitäten viel größer aus­gelegt, als Bedarf vorhanden ist. Dies senkt zwar die Stückkosten, aber bindet und vernichtet Ressourcen.
  • Marktwirtschaft verlangt durch Rohstoff­hunger nach einer neuen Kolonisierung. Geographisch sind die Rohstoffe der Erde in Qualität und Quantität unterschiedlich verteilt. Dies war und ist oft ein Grund für kriegerische Konflikte.
  • Marktwirtschaft beschränkt sich nicht auf die Erzeugung materieller Güter. Soge­nannte Finanzprodukte bilden die Basis für Finanzspekulationen. Diese ideellen Produkte leisten eigentlich keinen Beitrag für die Fortentwicklung der Gesellschaft. (Das normale Kreditwesen ist hier aus­zunehmen.)
  • Marktwirtschaft dient auch als Nährbo­den für kriminelle Aktivitäten, das letzte Stichwort macht es bereits deutlich: Bestimmte Finanzprodukte bewegen sich außerhalb der gesellschaftlichen Norm, ich nenne hier z.B. CumEx-Geschäfte, die zum Nachteil der Gesellschaft erfolgten.
  • Marktwirtschaft garantiert keinen Arbeits­platz und kennt diesbezüglich keine Rechtsansprüche. Es wäre aber vorstell­bar, dass in einer Bedarfswirtschaft der Personalbedarf berechnet und planbar ge­staltet wird. Damit wäre z.B. ein Lehrer­mangel wie gegenwärtig vermeidbar.
  • Marktwirtschaft provoziert eine perma­nente Auseinandersetzung mit den menschlichen Produktivkräften (z.B. Streik statt Harmonie).

Marktwirtschaft weckt und produziert für unnötige und destruktive Bedarfe, wie beispielsweise Kriegsgerät.

Marktwirtschaft handelt nach den Erkennt­nissen von Marx hinsichtlich des Profits:

Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.

Kapital Bd.1

Bedarfswirtschaft

Mein neues, nächstes Buch heißt, angelehnt an ein anderes: „Geht ein neues Gespenst um in Europa? – Manifest der Bedarfswirtschaft.“

Seit der Französischen Revolution ist das Prinzip der Gewaltenteilung, der Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative, ein Grundpfeiler der Gestaltung des demo­kratischen Zusammenlebens in der Gesell­schaft.

Das sollte auch so bleiben. Meine Vision von einer Bedarfswirtschaft sehe ich als Alter­native zur Marktwirtschaft und zur De­industrialisierung. Meine Definition:

Bedarfswirtschaft ist eine Form der Volks­wirtschaft, die vom Bedarf der Gesellschaft an Gütern bestimmt wird. Güter sind Produkte, Ressourcen und Dienstleistungen jedweder Form, dabei werden Wirtschaftssystem und Politiksystem über ein Datenbanksystem vernetzt und subjektiv geprägte Verbindungen der Systeme eliminiert.

Da die Marktwirtschaft nicht das letzte Wort der Geschichte sein wird, brauchen wir dringend die Diskussion über Alternativen.

Dr.-Ing. Wolfgang Beck lebt in Blankenburg im Harz und ist Geschäftsführer eines Ingenieurbüros im Geschäftsbereich Thermische Transmitter


Wolfgang Beck, Alles hat ein Ende – auch die Marktwirtschaft, Hrg. Rohnstock Biografien, THK-Verlag 2023, 268 S., 22,90 €

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 Wolfgang Beck: Alles hat ein Ende – auch die Marktwirtschaft  (Auszug aus FREIDENKER 3-24, ca.290 KB)


Bild oben: Wolfgang Beck während seines Vortrages auf der Konferenz des Deutschen Freidenker-Verbandes „Deindustrialisierung “ am 20. April 2024 in Retgendorf bei Schwerin
Foto: Ralf Lux