Geschichte

Der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag vom 23. August 1939

Historischer Überblick von Wolfgang Schürer

1. Bevölkerungszahlen der europäischen Machtblöcke im Frühjahr 1939

Die Bevölkerung des geographischen Europa und der asiatischen Gebiete der Sowjetunion und der Türkei betrug etwa 590 Millionen.

Daran betrug der Anteil Deutschlands 15,3 Prozent, eingerechnet die annektierten und abhängigen Gebiete Österreich, Sudetenland, das Protektorat Böhmen und Mähren, den Satellitenstaat Slowakei und das litauische Memelgebiet.

Italien mit dem annektiertem Albanien hatte einen Anteil von 7,6 Prozent an der europäischen Gesamtbevölkerung, Ungarn mit annektierten tschechoslowakischen Gebieten 1,7 Prozent, Spanien 4,4 Prozent.

Deutschland, Italien, Ungarn und Spanien kontrollierten somit 29 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Das Vereinigte Königreich (8,2 Prozent), Frankreich (7,1 Prozent) und Polen (6,0 Prozent, Danzig und annektierte tschechoslowakische Gebiete eingerechnet) kontrollierten 21,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Auf die Sowjetunion entfielen 28,7 Prozent, 21,0 Prozent auf sonstige Staaten.

2. Bemerkungen zum Anti-Komintern-Pakt (AKP)

Deutschland und Japan hatten den AKP am 25. November 1936 unterzeichnet. In einer geheimen Zusatzvereinbarung hatten sich beide Staaten wohlwollende Neutralität im Falle eines Krieges gegen die Sowjetunion zugesichert. Italien war am 06. November 1937 dem AKP beigetreten. Der Beitritt Ungarns zum AKP erfolgte am 24. Februar 1939, der von Spanien am 27. März 1939.

3. Bemerkungen zum japanisch-sowjetischen 127-Tage-Krieg 1939

Am 11. Mai 1939 griff Japan die Äußere Mongolei an. Die Äußere Mongolei war völkerrechtlich ein Teil Chinas, jedoch seit 1912 faktisch selbstständig, und sie war mit der Sowjetunion verbündet. Die Kampfhandlungen zwischen den japanischen Truppen und der Roten Armee fanden auf dem Gebiet der Äußeren Mongolei statt. Japan und die Sowjetunion unterhielten weiterhin diplomatische Beziehungen.

4. Der bevorstehende deutsche Angriff auf Polen 1939

Deutschland und Polen hatten am 26. Januar 1934 eine Nichtangriffs-Erklärung unterzeichnet. Polen hatte sich 1938 an der Beseitigung der Tschechoslowakei beteiligt. Am 24. Oktober 1938 hatte Deutschland von Polen die Rückgabe Danzigs und den Bau einer exterritorialen Autobahn- und Eisenbahnverbindung durch den polnischen Korridor nach Ostpreußen verlangt. Deutschland bot Polen ein Angriffsbündnis gegen die Sowjetunion an, die Sowjetukraine sollte zwischen Deutschland und Polen aufgeteilt werden. Am 26. März 1939 lehnte Polen die deutschen Forderungen endgültig ab. Am 15. April 1939 kündigte Deutschland die deutsch-polnische Nichtangriffserklärung.

5. Die sowjetisch-britisch-französischen Bündnisverhandlungen 1939

Am 18. April 1939 bot die Sowjetunion den beiden Westmächten eine Abwehr-Allianz gegen Deutschland an, für den Fall eines deutschen Angriffs auf Polen, für den Fall eines deutschen Angriffs auf Frankreich, und für den Fall eines deutschen Angriffs auf die Sowjetunion, unter Umgehung Polens, über Lettland, Estland und Finnland (Litauen grenzte damals nicht an die Sowjetunion.). Die Sowjetunion verlangte, dass sich Polen auch im zweiten und dritten Falle am Krieg gegen Deutschland beteiligen sollte. Für den dritten Fall forderte die Sowjetunion von Polen zwei Korridore mit Durchmarschrecht für die Rote Armee. Polen lehnte die sowjetischen Forderungen ab. Die beiden Westmächte gaben der Sowjetunion keine verbindlichen Zusagen, wie sie sich im Falle eines deutsch-sowjetischen Krieges verhalten würden. Die Bündnisverhandlungen scheiterten.

6. Der Abschluss des deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrages

Am 14. August 1939 ließen die beiden Westmächte eine letzte sowjetische Anfrage für eine verbindliche Militärkonvention unbeantwortet. Die Sowjetunion signalisierte dem deutschen Botschafter in Moskau, dass sie, unter bestimmten Bedingungen, auf die deutschen Vorschläge zum Abschluss eines Nichtangriffsvertrages eingehen würde.

In Moskau, datiert auf den 23. August 1939, wurden je zwei Originale, in deutscher und russischer Sprache, des Nichtangriffsvertrages von beiden Staaten unterzeichnet.

7. Das geheime Zusatzprotokoll zum Nichtangriffsvertrag

Die sowjetischen Bedingungen zum Abschluss des Nichtangriffsvertrages wurden ebenfalls in jeweils 2 Protokollen, in deutscher und russischer Sprache, unterzeichnet.

Die Sowjetunion betrachtete folgende Gebiete als ihre Interessensphäre:

  • Polen östlich der Flüsse Narew, Weichsel und San;
  • Lettland, Estland, Finnland;
  • Bessarabien, das Rumänien 1918 annektiert hatte;
8. Das bevorstehende Ende des japanisch-sowjetischen Krieges

Der japanische Botschafter in Berlin legte, im Namen seiner Regierung, und unter Berufung auf den Anti-Komintern-Pakt vom 25. November 1936, Protest gegen den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag ein. Am 31. August 1939 erhielt der japanische Botschafter in Moskau von seiner Regierung die Anweisung, mit der Sowjetunion in Friedensverhandlungen zu treten.

9. Die ersten 36 Tage des Zweiten Weltkrieges

Deutschland griff am 01. September 1939 Polen an. Das Vereinigte Königreich und Frankreich erklärten am 03. September 1939 den Kriegszustand mit Deutschland.

Frankreich sicherte Polen für den 15. September 1939 einen Entlastungsangriff auf Deutschland zu, führte diesen jedoch nicht durch. Die polnische Armee wurde in einem Blitzkrieg besiegt. Die polnische Regierung floh am 17. September 1939 nach Rumänen. Am 30. September 1939 wurde in Paris eine polnische Exilregierung gebildet. Am 06. Oktober 1939 kapitulierten die letzten polnischen Truppen.

10. Das endgültige Ende des japanisch-sowjetischen Krieges

Am 16. September 1939 erklärten Japan und die Sowjetunion die Kriegshandlungen in der Äußeren Mongolei für beendet. (Am 13. April 1941, in Moskau, unterzeichneten Japan und die Sowjetunion einen Neutralitätsvertrag.)

11. Die militärische Intervention der Sowjetunion in Polen

Die deutschen Truppen waren bereits in die sowjetische Interessensphäre in Polen eingedrungen. Am 17. September 1939 marschierte die Rote Armee in Polen ein. Am 18. September 1939 trafen sich deutsche und sowjetische Truppen in Brest-Litowsk.

12. Der Abschluss eines zweiten deutsch-sowjetischen Vertrages

Am 28. September 1939 schlossen Deutschland und die Sowjetunion einen Vertrag, in dem die Sowjetunion sich zu einer wohlwollenden Neutralität gegenüber Deutschland verpflichtete.

Das geheime Zusatzprotokoll vom 23. August 1939 wurde geändert:

  • Polen zwischen Weichsel und Bug sowie einige nördlichere polnische Gebiete gehören nicht mehr zur sowjetischen Interessensphäre.
  • Litauen gehört nunmehr zur sowjetischen Interessensphäre.
13. Die Eingliederung der polnischen Ostgebiete in die Sowjetunion

Die polnischen Ostgebiete wurden der Sowjetukraine und Sowjetweißrussland übergeben. Das Gebiet um Wilna wurde an Litauen übergeben. (Am 16. August 1945 schlossen die Sowjetunion und Polen einen Grenzvertrag. Die Sowjetunion gab das Gebiet um Bialystok und einige südlichere Gebiete an Polen zurück.)

Wolfgang Schürer ist Vorsitzender des Kreisverbandes Offenbach a. M. der Freidenker


Siehe auch

Siehe zum Thema auch den früheren Artikel des Autors vom 23.08.2019, der andere Aspekte behandelt:

80 Jahre Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffsvertrag

 


Bild oben: Nach der Unterzeichnung des Nichtangriffspaktes am 23.08.1939 in Moskau – v.l.n.r.: Friedrich Gauß, Leiter der Rechtsabteilung des deutschen Außenministeriums, der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop, Josef Stalin, der Außenminister der UdSSR Wjatscheslaw Molotow.
Foto: Mikhail Kalashnikov – http://mtdata.ru/u25/photo72FB/20634308905-0/original.jpg, Public Domain
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=77825023