Frieden - Antifaschismus - Solidarität

Friedensbewegung zwischen NATO-Mantra, Äquidistanz und Abgrenzung

Deutschland im Krieg gegen Russland

Aus: „FREIDENKER“ Nr. 2-24, Juni 2024, S. 15-26, 83. Jahrgang

von Doris Pumphrey

Eine Friedensbewegung ist per se nicht homogen. In ihr agieren Gruppen und Einzelpersonen unterschiedlicher ideologischer und politischer Orientierungen. In ihr sind Pazifisten, die jede Gewaltanawendung ablehnen, bis zu Antimilitaristen, die das Recht auf militärische Verteidigung und bewaffnete Befreiungskämpfe anerkennen.

Nach dem Ende der sozialistischen Staatengemeinschaft kamen alle linken Koordinaten durcheinander. Der US-Imperialismus konnte ohne nennenswerte Gegenwehr an Einfluss gewinnen, auch ideologisch.

Besonders der Verlust des anti-imperialistischen Friedensstaates DDR machte sich bemerkbar. Die PDS begann schon Ende der 90iger Jahre die Diskussion über Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland. Wikileaks hatte 2009 eine „vertrauliche“ Depesche veröffentlicht unter dem Titel „Gregor Gysi – Pied Piper of the Left“ (Rattenfänger der Linken).[1] US-Boschafter Murphy berichtete u.a., Gysi habe ihm erzählt, er allein sei verantwortlich, Die Linke zu einer nationalen Kraft aufzubauen und „deutete an, dass die Forderung seiner Partei, die NATO aufzulösen, notwendig sei, um einen radikaleren Vorstoß in der Partei, die Forderung nach einem NATO-Austritt Deutschlands zu verhindern.“ [Anm. die NATO-Auflösung wäre sowieso nur im Konsens möglich]

Die „alte“ Friedensbewegung war besonders geprägt vom Einfluss der Grünen und der SPD. Letztere waren spätestens seit dem NATO-Angriff auf Jugoslawien Kriegsparteien geworden und in der Linkspartei haben sich die transatlantischen Kräfte durchgesetzt.

In einem Artikel der NachDenkSeiten über die Beschränkung der Souveränität Deutschlands und die Einflussnahme auf die deutsche Politik durch die USA, schrieb Albrecht Müller: „Wer davon ausgeht, dass in unserem Land in vielen wichtigen politischen Bereichen Einflussagenten tätig sind, der ist kein Verschwörungstheoretiker, sondern ein Realist.“[2]

Einflussagenten im Bereich der Friedensbewegung werden logischerweise die Aufgabe haben, Interessen und Verantwortlichkeiten für Konflikte und Kriege zu verschleiern und wie im Fall Ukraine, Verständnis für die Handlungen der russischen Regierung zu verhindern.

Der ideologische Einfluss des US-„Menschenrechts“-Imperialismus war besonders fatal für die Friedensbewegung. Das immer gleiche Drehbuch: Zur Vorbereitung der Regime-Change-Kriege wurden die Führer der Länder, die sich dem Diktat des US-Imperialismus nicht beugen wollten, ins Visier genommen. In groß angelegten Medienkampagnen wurden sie jeweils zum Menschenrechtsfeind, Schlächter und Hitler erklärt, um ihre Länder schließlich mit Sanktionen und Bomben zu bestrafen. [3]

Vom Westen finanzierte und oft von westlichen Geheimdiensten instruierte NGOs wurden Teil der hybriden Kriegsführung gegen die dämonisierten Regierungen, um die Opposition im Land und entsprechende „Solidarität“ im Ausland zu mobilisieren. Die Medienkampagnen hatten auch große Wirkung auf viele in der Friedensbewegung, die ihre anti-imperialistischen Koordinaten verloren hatten. In Aufrufen und Reden distanzierten sie sich erst einmal brav von den Bösen (Milošević, Saddam, Gaddafi, Assad). Sie glaubten, ihr Protest gegen die Bomben der jeweiligen US-geführten Kriegsallianz (die tödlichen Sanktionen waren kaum Thema) würde dadurch „glaubwürdig“.

Distanzierungsrituale im Sinn der USA, NATO und EU lähmen die Friedensbewegung und der verbreitete und oft nicht einmal hinterfragte EU-Zentrismus erschwert die Sicht auf internationale Entwicklungen.

Russlands Eingreifen als Katalysator

Viele scheinen nicht zu erkennen, dass das militärische Eingreifen Russlands in den seit 2014 von der NATO unterstützten Krieg Kiews gegen die Donbass-Republiken wie ein Katalysator wirkte.

Die Tatsache, dass Putin dem kollektiven Westen die Stirn bot und dessen Allmachtsanspruch zunichtemacht, hat Ländern im globalen Süden, insbesondere in Afrika, Mut gemacht und beschleunigt die Dynamik des Kampfes gegen den Neokolonialismus. Sie haben die westlichen Belehrungen und die Heuchelei satt. Um es mal bildlich auszudrücken: Wie Gockel mit geschwellter Brust krähen EU-Politiker ihre „westlichen Werte“ in die Welt – und merken nicht, dass die Welt auch den Misthaufen sieht, auf dem sie stehen.

Immer mehr Länder streben danach, sich von der US-geführten hegemonialen Diktatur zu befreien und suchen oder vertiefen die Kooperation mit Russland, China und BRICS. Die internationale Entwicklung in Richtung einer postwestlichen, multipolaren, demokratischen Weltordnung auf der Basis der souveränen Gleichheit aller Nationen kann nicht mehr aufgehalten werden – außer der Westen, in seiner wachsenden Verzweiflung, riskiert mit einem direkten Angriff auf Russland auch den eigenen Untergang.

Die NATO propagiert den Krieg in der Ukraine als ihren eigenen Krieg gegen Russland. Die Niederlage der Ukraine ist absehbar und wird somit zur Niederlage des kollektiven Westens. Nur so ist die Panik zu verstehen, die sich auch in Politik und Medien der Bundesrepublik breitmacht, hatten doch deutsche Politiker und Politikerinnen keine Gelegenheit ausgelassen, um in die Welt zu posaunen: „Russland darf nicht siegen“.

Sie überziehen unser Land mit einer beispiellosen Kriegspropaganda und russophoben Hetze. Historische Amnesie, Geschichtsrevisionismus und Revanchismus bestimmen das Bild. Jegliches Schuld- und Schamgefühl über die eigene deutsche Geschichte wird abgelegt.

Die Regierung mobilisiert Hundertausende zu Demonstrationen „gegen rechts“ und Milliarden Euro für die Faschisten in Kiew. Wie sich der Bürger informieren, was er denken und sagen darf, bestimmt die Regierung, die weltweit „Meinungs- und Pressefreiheit“ predigt.

Diplomatie wurde systematisch durch Sanktionspolitik und Aufrüstung ersetzt. Die SPD, die 1914 mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten ihre Unschuld verloren hatte, hat beides – für ihren Krieg gegen Russland verbrämt als „Sondervermögen“ – unter ihrem Kanzler Scholz am 27. Februar 2022 selbst in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht und verfassungsmäßig festschreiben lassen. Aufrüstung ist heute im deutschen Grundgesetz verankert.

Der Krieg gegen „Putins Russland“, den die Ampelregierung mit missionarischem Eifer betreibt, ist der Leitfaden ihrer gesamten Politik. Die deutsche Politik gegenüber Russland ist völlig enthemmt. Die „Vernichtung der Lebenskraft Russlands“, wie Hitler es formuliert hatte, war nicht gelungen. Heute will die deutsche Außenministerin „Russland ruinieren“.

„Die deutsche Regierung besteht heute aus antirussischen Fanatikern“, urteilt Oberst a.D, Jacques Baud, der für den Schweizer Strategischen Nachrichtendienst, die NATO und die Vereinten Nationen gearbeitet hat.[4]

Wie konnte es soweit kommen?

Mit dem Verschwinden des antifaschistischen Friedensstaates DDR am 3. Oktober 1990 und dem Ende des Warschauer Vertrages bzw. der Sowjetunion konnte die BRD jede Zurückhaltung ablegen: von der Teilnahme an der völkerrechtswidrigen Aggression gegen Jugoslawien 1999, dem ersten Krieg in Europa seit der Kapitulation der deutschen Faschisten 1945, bis zur Unterstützung des faschistischen Putsches in Kiew 2014.

Mit dem Beitritt der Krim zur Russischen Föderation schien das Objekt der Begierde der USA, der Zugriff auf Sewastopol, dem strategisch äußert wichtigen russischen Marine-Stützpunkt, unerreichbar. Ausgerechnet die USA und NATO, die Verfechter der „regelbasierten internationalen Ordnung“ – oder wie Volker Perthes, vormals Leiter der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sie im Klartext beschrieben hatte, die „Allianz williger Staaten“ die sich „internationale Regeln ersinnen musste, ohne den Verdacht zu erwecken, dass es dabei um westliche Dominanz geht“ – zogen die Völkerrechtskarte gegen Russland hervor.[5]

Die durch Politik und Medien massiv einsetzende Anti-Putin Hysterie tat ihr Übriges. Sie wirkte auf viele in der Friedensbewegung, die Angst hatten als „Putin-Versteher“ gebrandmarkt zu werden, einschüchternd. Im Gleichklang mit der NATO begann das Distanzierungsritual „völkerrechtswidrige Annexion der Krim“. Dass das „gesamte westliche Narrativ einer ‚Annexion‘ der Krim auf einem Umschreiben der Geschichte basiert“, wie auch Jacques Baud es später in seinem Buch über Putin erläuterte, spielte kaum eine Rolle. Ebenso wenig die Vereitlung des Plans, aus Sewastopol einen US/NATO-Stützpunkt gegen Russland zu machen, womit eine höchst friedensgefährdende Situation entstanden wäre.

Es folgte der Terrorkrieg gegen die russischsprachigen Ukrainer im Donbass, die sich weigerten, die illegale russophobe Regierung in Kiew anzuerkennen, ein Krieg, der bis zum Eingreifen Russlands 14.000 Todesopfer gefordert hatte und von den deutschen Medien so gut wie ignoriert wurde. Das völkerrechtlich verbindliche Minsker Abkommen, das den Konflikt im Rahmen der staatlichen Einheit der Ukraine lösen sollte, diente – laut Eingeständnis der Vertreter der Garantiemächte, Angela Merkel und Francois Hollande, nur als Deckmantel, unter dem die Aufrüstung Kiews für einen Krieg gegen Russland vorangetrieben wurde. Sie hatten nicht nur die dritte Garantiemacht Russland jahrelang hintergangen. Laut dem deutschen Generalmajor a.D. Harald Kujat, vormals Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, hatten sie damit das Völkerrecht gebrochen.[6]

Im Dezember 2021 unterbreitete die russische Regierung den USA und der NATO Vorschläge für Verträge über gegenseitige Sicherheitsgarantien, um die weitere Eskalation zu beenden und den Weg beiderseitiger Abrüstung und Entspannung einzuschlagen.[7] Die NATO sollte versprechen, „keine Erweiterung mehr durchzuführen“. „Natürlich haben wir das nicht unterschrieben“, berichtete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg dem EU-Parlament am 7. September 2023.[8]

Nachdem zum Jahreswechsel 21/22 Kiew über 120 000 Soldaten im Osten konzentrierte, die laut OSZE ihre Angriffe im Februar 2022 auf Wohngebiete im Donbass ständig intensivierten, machte Moskau am 17. Februar einen letzten Versuch den bevorstehenden massiven Überfall der Kiewer Truppen zu verhindern und eine friedliche Lösung herbeizuführen. Wieder umsonst.

Auf der Sicherheitskonferenz in München am 19. Februar stellte Selenskij unzweideutig klar, dass sein Land Atomwaffen anstrebe. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Am 21. Februar erkannte Moskau die beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk als unabhängige Staaten an. Diese konnten dem massiven militärischen Druck von Seiten der Ukraine kaum noch standhalten und baten Moskau offiziell um militärischen Beistand.

Am 24. Februar 2022 schließlich griff Russland in den schon seit acht Jahren dauernden Krieg ein, um seine Verbündeten vor der drohenden ethnischen Säuberung zu schützen und der wachsenden existenziellen Bedrohung der Russischen Föderation durch die USA und die NATO entgegenzutreten. Es kam wie erwartet: Der NATO-Westen, der wieder das Völkerrecht unter seinen Stiefeln hervorzog, kreischte auf in moralischer Empörung. Eine beängstigende kollektive Hysterie entlud sich gegen Russland.

Der Anti-Putin-Tsunami überrollte jedes rationale Nachdenken. Per Video und in Russisch rief Gregor Gysi die russische Bevölkerung zu Antikriegsdemonstrationen auf.[9] Kurz danach erklärte er, die einzige Lösung sei, dass sich die russische Bevölkerung „von Putin trennt“ und er plädierte auch gleich für den NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens.[10]

Sahra Wagenknecht stellte sich die Frage: „Wie konnte aus jenem Putin, der noch vor 20 Jahren den Westen geradezu umarmt und die Hand zur Zusammenarbeit ausgestreckt hat, jener Mann werden, der jetzt wild um sich schlägt, nationalistische Töne verbreitet und ohne Rücksicht auf Verluste seine militärische Stärke ausspielt?“[11]

Im Reichstag wurde am 27. Februar in der Sondersitzung des Bundestages Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter und Verehrer des Nazi-Kriegsverbrechers und Massenmörders Stepan Bandera, von allen Fraktionen (aber nur wenigen Abgeordneten der AfD) als Ehrengast mit stehendem Applaus begrüßt.[12]

NATO-Mantra

Die Verurteilung Russlands konnte einigen nicht schnell genug gehen: Bereits um 08:25 Uhr am Morgen des 24. Februar wurde über den offiziellen E-Mailverteiler des Bundesausschuss Friedensratschlag eine Erklärung in der Friedensbewegung verteilt, unterzeichnet von Reiner Braun und Willy van Ooyen unter dem Titel „Wir verurteilen die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine. Für Krieg gibt es keine Rechtfertigung. Die Mitschuld des Westens besonders der USA und der NATO rechtfertigen keinesfalls diese militärische Aggression. (…) Es gibt keine militärische, sondern nur eine politische Lösung auf der Basis der Prinzipien der gemeinsamen Sicherheit. (…).“

Das erklärten ausgerechnet Leute, bei denen man davon ausgehen konnte, dass sie in ihrer Position in der Friedensbewegung die Entwicklungen in Bezug auf die Ukraine genau verfolgt hatten und wussten, dass die USA/NATO eine „politische Lösung auf der Basis der Prinzipien der gemeinsamen Sicherheit“ konsequent verweigert hatten. 

Von Willy van Ooyen hätte man ein wenig Zurückhaltung erwarten können, da diese Erklärung ohne vorangegangene Diskussion im Bundesausschuss über dessen Verteiler verbreitet wurde. Reiner Braun erklärte auch gleich seine Unterstützung für Antikriegsproteste in Russland.[13] Schon beim Ostermarsch in Berlin 2014 hatte er seine Sicht auf Putin kundgetan, diesem „mit Betrug gewählten Herrscher eines kapitalistisch ökonomischen, die Menschen und den Planeten ausplündernden Oligarchensystems“, der „weder ein Demokrat noch ein Friedensfreund“ sei. In Bezug auf den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation behauptete er im gleichen Atemzug: „Einer dem Völkerrecht verbundenen und immer für es eintretenden Friedensbewegung ist es sinnstiftend: Die Eingliederung der Krim in die russische Föderation ist völkerrechtswidrig.“[14]

Wie schon 2014 in Bezug auf die Krim – „völkerrechtswidrige russische Annexion“ –reagierte die Mehrheit der Friedensbewegung nach dem 24. Februar 2022.

In seiner Rede am 23. Februar hatte Putin noch einmal daran erinnert, dass die USA und die NATO alle Bemühungen Russlands für eine friedliche Lösung des Konflikts in der Ukraine und für eine Verständigung über die Nichterweiterung der NATO und die Prinzipien der Sicherheitsordnung in Europa ignoriert hatten. Putin fragte: „Und was sollen wir jetzt machen? Worauf noch warten? Wir erinnern uns gut, wie 1940 und Anfang 1941 die Sowjetunion auf jede Weise bestrebt war, den Beginn des Krieges zu verhindern oder wenigstens hinauszuzögern. Bis zum letzten Moment haben wir versucht, den potentiellen Aggressor nicht zu provozieren. Deshalb haben wir sogar die allernötigsten und auf der Hand liegenden Verteidigungsmaßnahmen unterlassen oder viel zu spät eingeleitet. Ein zweites Mal werden wir diesen Fehler nicht begehen, wir dürfen es nicht tun.“[15]

Plötzlich sollte diese Erfahrung der Sowjetunion keine Rolle mehr spielen – auch nicht in der deutschen Friedensbewegung?

Viele in der „alten“ Friedensbewegung, für die die Freundschaft mit der Sowjetunion und später mit Russland allein schon aus historischem Bewusstsein wichtig war, waren schockiert, enttäuscht, ihr Vertrauen in Russland war erschüttert. War es doch so einfach gewesen, die Politik eines Russlands zu verteidigen, das immer geduldig reagierte, dessen Bemühen um Einsicht seiner westlichen „Partner“ endlos schien – und das doch von diesen nur belogen und betrogen wurde. Man hätte erwarten können, dass sie nach dem 24. Februar erst einmal tief Luft holten, um die neu entstandene Situation umfassender zu analysieren, bevor sie in den Kanon der NATO einstimmten.

Im Eiltempo wurde Russland in der Friedensbewegung mit Artikel 2,4 der UNO-Charta abgeurteilt unter Auslassung aller anderen mit Artikel 2 verbundenen Aspekte und der Bezug auf Artikel 51 wurde fast durchweg als in diesem Zusammenhang völlig belanglos abgetan. Auch alle völkerrechtlichen Elemente der Vorgeschichte wurden ausgeblendet.

Diese Verurteilung Russlands wurde zum neuen Geßlerhut, vor dem sich die Mehrheit aus der Friedensbewegung, linke Organisationen und bekannte Persönlichkeiten brav verbeugten, weil sie meinten damit ihre „Glaubwürdigkeit“ zu wahren.

Sie sollten endlich folgende Fragen beantworten:

  • Wie kann das Eingreifen Russlands am 24. Februar 2022 ein Angriffskrieg gewesen sein, wenn der Krieg laut NATO-Generalsekretär Stoltenberg bereits 2014 begonnen hatte?[16]
  • Welche Alternative blieb Putin, nachdem alle seine Verhandlungsangebote ignoriert wurden?
  • Zusehen, wie die Kiewer Armee mit ihren Neonazi-Bataillonen den Donbass und die Krim überfällt, Massaker an ethnischen Russen verübt, sie hetzt und vertreibt?
  • Zusehen, wie Sewastopol von der US-Marine besetzt und die Ukraine zum NATO-Stützpunkt mit Atomwaffen ausgebaut wird?
  • Hätte Russland vor der sich ständig zuspitzenden existenziellen Bedrohung kapitulieren sollen? Ist es das, was Europa sicherer gemacht hätte?

Ist es wirklich das, was Friedensbewegte bevorzugt hätten?

„Ich glaube nicht, dass er andere Optionen hatte. Ich glaube, dass Putin fest entschlossen war, eine Verhandlungslösung für das Problem zu finden. (…) Er war dem Minsker Abkommen zutiefst verpflichtet, denn sein Ziel war es, den Konflikt im Donbass zu beenden, damit er nicht einmarschieren musste,“ sagt John J. Mearsheimer, bekannter US-Politikwissenschaftler auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen und Professor an der University of Chicago.[17]

Inzwischen sind einige Friedensaktivisten zurückhaltender mit ihrem Kotau vor dem anti-russischen Zeitgeist. Seit Beginn der russischen Sonderoperation wurde dessen Begründung bestätigt durch Handlungen und unzählige Aussagen von Politikern, Militärs und Experten westlicher Länder, die klar aufzeigen, dass es den USA von Anfang an um den Krieg gegen Russland ging und dass die USA und die NATO bereits viel tiefer in der Ukraine involviert waren, als allgemein bekannt. Die Ukraine ist die anti-russische Vorhut zur Sicherung der US-Hegemonie, die Ukrainer das Kanonenfutter und Selenskij der nützliche Clown.

Abgrenzung

Die Abgrenzung von „rechts“, die wir heute erleben, ist nicht neu. Sie war schon 2014 ein wirksames Instrument zur Verhinderung einer breiten Friedensbewegung.

Erinnern wir uns: Auf das sich zuspitzende anti-russische Kriegsgeschrei nach dem Beitritt der Krim zur Russischen Föderation hatte die „alte“ Friedensbewegung nur sehr langsam reagiert. Außerhalb und unabhängig von ihren Strukturen entstanden die „Mahnwachen für den Frieden“. Sie mobilisierten immer mehr Menschen, die die Kriegsgefahr erkannten, boten ihnen die einfache Möglichkeit, sich jeden Montag zu Mahnwachen auf den Marktplätzen informell zu treffen, sich auszutauschen und ihre Opposition gegen die Hetze und Lügen kundzutun. Sie nutzten die Möglichkeit, sich über die Neuen Medien zu informieren und zu vernetzen.

Dass die Mahnwachen anfänglich besonders in den Städten Ostdeutschlands Anklang fanden, ist nur logisch. Dort hatte sich sehr viel Unmut angesammelt über die katastrophalen Folgen der westlichen Übernahme und über die koloniale Arroganz mit der die Menschen behandelt wurden.

Was der deutsche Faschismus in der Sowjetunion angerichtet hatte, spielte für die Ostdeutschen aufgrund ihres Geschichtsbewusstseins eine unvergleichlich höhere Rolle als für die Westdeutschen, und nur so ist auch deren Opposition gegen die zunehmende Anti-Russland-Hetze zu verstehen. „Freundschaft mit Russland“ empfinden auch heute noch sehr viele Ostdeutsche, während viele in der westlich dominierten „alten“ Friedensbewegung diesen Begriff kaum über ihre Lippen bringen.

Objektiv bestand natürlich die Möglichkeit gemeinsamer Antikriegsaktionen und somit die „Gefahr“ einer Massenmobilisierung. Diese musste im langfristig geplanten Krieg der USA gegen Russland unter allen Umständen verhindert werden. Was eignet sich in Deutschland besser als die politische Diffamierung einer Bewegung als „rechts“, „Nazis“, „Antisemiten“? Was wir heute erleben, wurde damals geprobt.

Ausgelöst wurde die Kampagne gegen die Friedensmahnwachen durch die bekannte „Antideutsche“ Jutta Ditfurth. Bezeichnenderweise gab ihr das öffentlich-rechtliche Fernsehen (3sat) zu bester Sendezeit die Gelegenheit, die Friedensmahnwache als eine „neurechte“ Bewegung zu diffamieren.

Um die „alte“ Friedensbewegung vor einer Zusammenarbeit mit den Mahnwachen zu warnen, wurden regelrechte Personen-Akten über deren Aktivisten angelegt: Zusammenstellungen von Zitaten, die verkürzt oder völlig aus dem Zusammenhang gerissen, „Beweise“ liefern sollten über die „Rechtslastigkeit“ oder den „Antisemitismus“ der zu diffamierenden Person. Dazu wurde die „Kontaktschuld“ wiederbelebt: Notiert wurden Kontakte, die diese Person zu politisch „verdächtigen“ Personen / Gruppen / Publikationen hatte oder hat. Schon die Nähe war verdächtig, selbst wenn sie zufällig war. Besonders eifrig zeigte sich hier Uwe Hiksch von den Naturfreunden, der in den Diskussionen der Berliner Friko mit seinen gesammelten „Beweisen“ jeweils heftigst gegen Kontakte zu den Mahnwachen argumentierte.

Es gibt auch eine einfache Methode der Geheimdienste: Schick ein paar Extremrechte, Neonazis, Antisemiten in die Nähe einer Bewegung und schon wird sie für Linke „unberührbar“.

Die genannten Methoden sind natürlich auch heute Teil der Diffamierung von Personen oder Gruppen. Allerdings ist der Kreis der „Verdächtigen“, vor denen die „alte“ Friedensbewegung „gewarnt“ werden soll, inzwischen erheblich gewachsen um jene bundesweit Tausende, die gegen die Anti-Corona-Maßnahmen vereint auf die Straßen gegangen waren, unabhängig davon, welche Meinung sie zu anderen Fragen vertraten und welche Partei sie wählten.

Sie haben nun auch den Widerstand gegen die Kriegspolitik der Regierung aufgenommen. Durch den Demokratieabbau, der mit den Corona-Maßnahmen „gerechtfertigt“ und mehrheitlich von der politischen Linken viel zu lange unkritisch hingenommen wurde, durch die Hetze und die Diffamierungen, die sie erleben mussten, entwickelten sie ein widerständiges Potential, das vielen in der „alten“ Friedensbewegung fehlt, bzw. schon längst abhandengekommen ist: politische Skepsis, grundsätzliches Hinterfragen von Regierungspolitik und der Berichterstattung der zunehmend gleichgeschalteten Mainstream-Medien.

Montagsdemonstrationen dieser neuen Friedensbewegung fanden wiederum im Osten besonders großen Zulauf. Anfänglich versuchte die Linkspartei die Teilnahme ihrer Mitglieder und Sympathisanten an diesen „rechten“ und „Querfront“-Demonstrationen zu verhindern, indem sie jeweils dienstags in einigen Orten Friedenskundgebungen organisierte, bei denen natürlich die Verurteilung des „völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges“ nicht fehlen durften und die anti-russischen Sanktionen gar nicht erst erwähnt wurden. Mangels Beteiligung wurden die „linken“ Kundgebungen bald eingestellt.

In der neuen Friedensbewegung hat die NATO-Propaganda weniger Wirkung. Der Zusammenhang zwischen den steigenden Energiepreisen, der wachsenden Armut und antirussischen Sanktionen wurde benannt und deren Ende gefordert, wie auch die Öffnung der Nord Stream Pipeline und Frieden mit Russland. Sie mobilisierte auch im Westen immer mehr Menschen.

Regierung, Bundestagsparteien und Medien begannen eine konzertierte Kampagne, um die Demonstrationen als „rechtsoffen“ zu diffamieren. Dabei bekommt die Regierung aktive Schützenhilfe u.a. von Parteien, Medien und diversen Organisationen, die sich selbst als „links“ und „antifaschistisch“ bezeichnen.

Abgrenzung von rechts muss Abgrenzung von der Regierungspolitik sein

Die „alte“ Friedensbewegung hat der NATO-Propaganda Vorschub geleistet, als sie sich deren Mantra vom „völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg“ zu eigen machte. Sie hat sich dabei selbst von Anfang an in die Defensive gebracht. Die Regierung propagiert den Krieg gegen Russland als einen Kampf zur Rettung der Demokratie und der „westlichen Werte“. Und die Friedensbewegung beschweigt – in ihrer großen Mehrheit – den enormen Einfluss des russophoben Neonazismus in der Ukraine.

Warum hat die „alte“ Friedensbewegung, die sich auf den Antifaschismus beruft, nicht in jedem Aufruf und auf jeder Kundgebung darauf hingewiesen, dass ausgerechnet Deutschland politisch, finanziell und militärisch eine Regierung unterstützt, die SS-Kollaborateure und Massenmörder als Nationalhelden feiert? Es hätte die Friedensbewegung sofort in die Offensive bringen können und die Regierung in Erklärungsnot.

Wie rechts-offener kann man in Deutschland sein, als wenn man Faschisten Munition und Waffen liefert, um Russen zu töten in der Hoffnung, Russland zu besiegen? Wo stehen führende Gremien der „Links“-Partei, der VVN-BdA, der Gewerkschaften, Kirchen etc., die sich der Unterstützung der Bundesregierung für das national-chauvinistische Kiewer-Bandera-Regime nicht widersetzen? Links oder rechts?

Große Teile der „alten“ Friedensbewegung lassen sich weiterhin einschüchtern und unter Druck setzen mit der Warnung vor einer „Rechtsoffenheit“ der neuen Friedensbewegung, die nur darauf abzielt, die Spaltung der Friedensbewegung zu festigen und gemeinsame Aktionen unter allen Umständen zu verhindern. Die Warnung vor der AfD ist das wirksamste Mittel.

Neben wenigen auf der linken Seite des Plenarsaals halten einige Abgeordnete der AfD die schärfsten Reden im Bundestag gegen die russophobe Politik der Bundesregierung und für Kooperation mit Russland. Gut, dass die Bevölkerung wenigstens ein paar Stimmen der Vernunft aus diesem anti-russischen Irrenhaus hört.

Dr. Krone-Schmalz sagte diesbezüglich: „Es muss Demokraten doch zu denken geben, dass, bevor es das Bündnis Sahra Wagenknecht gab, die AfD die einzige Partei war, die sich solchen Fragen gewidmet und sich auch gegen Russland-Sanktionen ausgesprochen hat, mit der nicht ganz falschen Begründung, dass die unserem Land mehr schaden als dem, dem sie eigentlich schaden sollen – nämlich Russland.“[18]

Was ist „rechts-offen“, wenn wir gemeinsam mit Menschen gegen die Sanktionspolitik und Waffenlieferungen, für Diplomatie, Frieden und Verständigung mit Russland demonstrieren – auch wenn diese AfD wählen oder Mitglieder sind? Sind die gemeinsamen Forderungen rechts?

Ein Streik von abhängig Beschäftigten für gemeinsame Forderungen wäre nicht einmal vorstellbar, würden alle erst nach ihrer Gesinnung zu sonstigen Fragen überprüft. Würde der DGB dies fordern, gäbe es ihn nicht. Aber wer weiß, vielleicht kommt es ja noch zu „Streiks der Anständigen“. Der Verdi-Chef, der die Kriegspolitik der Regierung unterstützt, möchte keine Menschen mit AfD-Positionen in den eigenen Reihen dulden.[19]

Viele fragen sich, wie die Friedensbewegung Anfang der 80iger Jahre in der alten BRD so groß und breit werden konnte im Kampf gegen den NATO-Doppelbeschluss über die Stationierung der US-Atomraketen Pershing II und Cruise Missiles.

Die NATO-Propaganda hatte diese als Antwort auf die sowjetischen SS-20 und somit als deren Rechtfertigung dargestellt. Natürlich gab es den Versuch, diese falsche Gleichsetzung auch in der Friedensbewegung durchzusetzen, in der Meinung, nur auf der Grundlage der sog. Äquidistanz die gewünschte „Breite“ finden zu können. Doch mit dem Krefelder Appell gelang es, auf die damals entscheidende Frage zu fokussieren und eine Einigung auf den Minimalkonsens gegen US-Atomraketen zu finden.

Die unterschiedlichen Kräfte waren bereit für diese Forderung ihre politischen und ideologischen Meinungsverschiedenheiten zurückzustellen. Auch wenn die Friedensbewegung am Ende die Zustimmung des Bundestags zum NATO-Doppelbeschluss nicht verhindern konnte, die Kampagne hatte die Einstellung vieler Bundesbürger nachhaltig geprägt. Der Krefelder Appell wurde zum wirkungsvollsten Manifest der bundesdeutschen Friedensbewegung. Wer seine gemeinsame, zentrale Forderung teilte, war willkommen. Gesinnungsprüfung und McCarthy-ähnliche Hexenjagd fand nicht statt. Die Friedensbewegung war inklusiv und nicht exklusiv.

Heute geht es in den Diskussionen der „alten“ Friedensbewegung darum, wer einen Aufruf nicht unterschreiben darf, wen man von einer Aktion ausschließen soll.

Bündnisse werden durch gemeinsame Forderungen getragen. Die „alte“ Friedensbewegung sucht das „breite“ Bündnis mit Gruppen und Organisationen aus Gewerkschaften, Kirchen und dem sozialen Bereich, der Ökologiebewegung, Parteiorganisationen etc.

Ist das Ziel eine wirkmächtige Friedensbewegung, die sich offensiv gegen die anti-russische Aggressionspolitik der Regierung stellt, wird das mit diesen Bündnispartnern wohl schwierig, die aus Opportunismus oder Überzeugung die anti-russische Politik mittragen. Ist das „breite“ Bündnis selbst das Ziel, dann können die Forderungen zu einer Art Wunschliste für den Weihnachtsmann ausarten. Vor allem aber wird die „Breite“ durch vermeintliche Äquidistanz erhofft. Diese dient der Verschleierung von Interessen und Verantwortlichkeiten und der Vermeidung einer klaren politischen Positionierung.

Hier nur zwei Beispiele:

„Verhandeln!“ – Von wem soll das gefordert werden? Die Bundesregierung hat längst jede Glaubwürdigkeit als Vermittlerin verloren. Sie ist nicht nur Teil der Kriegsallianz, sondern spielt eine „dienende Führungsrolle“ im Kampf gegen Russland, wie Vizekanzler Robert Habeck es seinem Herrn und Meister in Washington versprochen hatte.[20] Von der deutschen Außenministerin kann man nur fordern, dass sie einfach den Mund hält.

Wer hat jede Verhandlung verweigert vor und seit dem 24. Februar 2022? Als sich bereits im März 22 eine Verhandlungslösung zwischen der Ukraine und Russland abzeichnete, beschloss die NATO die Friedensverhandlungen nicht zu unterstützen,[21] und Boris Johnson erklärte am 9. April 2022 gegenüber Selenskij, der Westen sei nicht bereit, den Krieg zu beenden.[22] Zudem hat Selenskij per Dekret jegliche Verhandlung der Ukraine mit dem russischen Präsidenten Putin verboten.[23] Russland hat zu keinem Zeitpunkt Verhandlungen verweigert.

Verantwortlichkeiten klar zu benennen und Forderungen entsprechend deutlich zu adressieren ist Teil der Aufklärung, die die Friedensbewegung leisten muss. Alle äquidistanten Verschleierungen dienen nur der US-Kriegsallianz. Diese trägt die alleinige Verantwortung für den Krieg, denn sie hat von Anfang an alle Möglichkeiten und alle russischen Angebote zur friedlichen Lösung des Konflikts hintergangen oder verweigert.

„Abrüsten!“ – Eine grundsätzliche Forderung der Friedensbewegung auch im Zusammenhang mit den sozialen Auswirkungen der Aufrüstung für die Bevölkerung. Die Regierung entscheidet über Rüstungsausgaben auf der Basis ihrer politischen Prioritäten. Die politische Kehrtwende ist demnach die Voraussetzung für eine Prioritätensetzung, die eine Abkehr von Aufrüstung und Militarisierung ermöglicht. Die Ampel-Regierung hat sich dem langfristigen Krieg der USA/NATO gegen Russland verschrieben. Sie rechtfertigt die Aufrüstung mit der auf allen Kanälen ständig wiederholten Lüge, Putin plane Europa anzugreifen. Um die „notwendigen“ Einschränkungen und „Opfer“ für die „Verteidigung“ gegen Russland zu akzeptieren, muss die Bevölkerung in einen ständigen Angstzustand versetzt werden. Das Rezept hat sich zu Corona-Zeiten bewährt.

Unabhängig vom Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen, müsse „die Hauptaufgabe“ der deutschen Außen- und Militärpolitik sein, die EU bzw. die NATO-Staaten Europas künftig gegen Russland „zu sichern“, forderte kürzlich die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). „An diesem Ziel“ müssten sich „alle Aspekte“ der Aufrüstung ausrichten.[24]

Die Friedensbewegung muss endlich den Mut haben, das zentrale Problem zu benennen: Die Regierung führt Krieg gegen Russland auf jeder Ebene: militärisch durch Geld und Waffen für die Ukrainer, die für sie sterben dürfen, wirtschaftlich, politisch, ideologisch, kulturell. Selbst Kinder sollen übers Fernsehen lernen, Russen zu fürchten.

Die Regierung hat Russland zum Feind erklärt und rechtfertigt jede antisoziale und antidemokratische Maßnahme mit „Putin“. Die Friedensbewegung muss deshalb klar sagen: Russland ist nicht unser Feind! Wir brauchen keine „Kriegsertüchtigung“ und Aufrüstung! Stoppt die anti-russische Hysterie!

Die Friedensbewegung muss sich endlich befreien

Die „alte“ Friedensbewegung muss sich offensiv allen Spaltungs- und Einschüchterungsmaßnahmen, Diffamierungen und Drohungen entgegenstellen.

Wie kann sie glaubwürdig von Regierungen Verhandlungen fordern, die im Krieg miteinander sind, wenn sie selbst nicht einmal bereit ist, mit den Gruppen der neuen Friedensbewegung zu sprechen, geschweige denn sich auf gemeinsam Forderungen und Aktionen zu einigen. Jene, die sich „Antifaschisten“ nennen und so fleißig gegen gemeinsame Friedensaktionen hetzen, müssten sich rückwirkend von der Sowjetunion wegen „Rechtsoffenheit“ distanzieren, weil diese sich nicht geweigert hat, eine Koalition mit dem Apartheidstaat USA und der Kolonialmacht Großbritannien gegen Nazi-Deutschland einzugehen. Sie sollten sich auch an die Antifaschisten im Nationalkomitee Freies Deutschland erinnern.

Die „alte“, immer noch westdeutsch-orientierte Friedensbewegung muss das Gespräch suchen mit allen, die bereit sind, sich der anti-russischen Politik zu widersetzen und ihre unterschiedlichen Meinungen zu allen anderen Fragen hintanzustellen. Dies ist die Voraussetzung für eine Mobilisierung wachsender Teile der Bevölkerung, die den Zusammenhang zwischen der anti-russischen Kriegspolitik und der ständigen Verschlechterung ihrer eigenen Lebenssituation erahnen.

„Der Ukraine-Krieg kann nur dann vollständig verstanden werden, wenn er als Ergebnis einer zusammenbrechenden Weltordnung und eines Kampfes um die Definition der nächsten Weltordnung betrachtet wird.“ (Glenn Diesen, Experte für Geopolitik und Professor an der University of South-Eastern Norway)[25]

Die Friedensbewegung darf nicht verschleiern, sondern muss klar machen, wer in dieser internationalen Auseinandersetzung welche Interessen vertritt und verfolgt. Der Kampf zwischen US-Hegemonie versus multipolare demokratische Weltordnung, zwischen dem NATO/EU-Westen auf der einen und Russland gemeinsam mit China und dem sich vom Westen emanzipierenden Globalen Süden auf der anderen Seite, spitzt sich zu und birgt noch viele Gefahren. Russland steht derzeit an vorderster Front. Die USA und NATO sind dabei, den Kampf um den Erhalt ihrer Hegemonie weiter zu eskalieren.

In diesem Kampf wird sich auch die Friedensbewegung früher oder später für eine konsequente Positionierung entscheiden müssen.

In einem Schreiben vom 30.09.23 an die Initiative „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder“ hat Laura v. Wimmersperg, die langjährige Moderatorin der Berliner Friedenskoordination erklärt, warum sie den Aufruf „Nein zu Kriegen – Rüstungswahnsinn stoppen – Zukunft friedlich und gerecht gestalten“[26] nicht unterschreibt:

„Ja, es ist höchste Zeit Widerstand zu organisieren. Darum danke, dass Ihr dafür die Initiative ergriffen habt. Und auch Danke dafür, dass Ihr mich gefragt habt, den oben genannten Aufruf zu unterzeichnen. Doch ich will erklären, warum ich nicht unter diesem Aufruf stehen möchte.

Der Grund dafür ist der 5. Absatz des Aufruftextes, in dem es um die Verurteilung des russischen Einmarsches in die Ukraine geht. Egal ob es heißt ‚Angriffskrieg‘ oder wie bei Euch ‚Einmarsch‘, dieser Satz bleibt, wozu er kreiert wurde: das einprägsame Mantra, um den Blick von der Schuld des Westens an diesem Krieg wegzulenken.

Ich vermute, dass ich nicht die Einzige bin, die das so sieht. Aber unter ihnen werden einige sein, die dennoch unterschrieben haben, weil sie hoffen, dass dieser Satz eine Art Türöffner ist, um an die Leute heran zu kommen. Ihr hofft das vielleicht auch. Doch auch auf die Formulierung Eures Satzes passt die Frage, die Albrecht Müller in den NachDenkSeiten stellte: ‚Ist das den Preis der Verstärkung von Vorurteilen und Aggressionen gegen Russland wert?[27]

Ich frage Euch, was ist gewonnen, wenn nicht klar wird, wer der Aggressor ist? Ich möchte darum für Euren Satz lieber das Bild der Nebelkerze wählen, um seine Untauglichkeit zu verdeutlichen. Denn nur wenn ich den Gegner und sein Umfeld kenne, kann ich ihn erfolgreich bekämpfen.

Ich plädiere darum dafür, mit sehr viel mehr Mut lautstark zu sagen, was gesagt werden muss. Darin sehe ich unsere wichtigste Aufgabe, dafür tragen wir als Friedensbewegung Verantwortung.“

Danke, Laura, du hast es auf den Punkt gebracht. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Doris Pumphrey ist langjährige Aktive in der Friedensbewegung, u.a. in der Friedenskoordination Berlin.

Quellen

[1] https://wikileaks.org/plusd/cables/09BERLIN1504_a.html

[2] https://www.nachdenkseiten.de/?p=106931

[3] Hans Springstein, Vorgestern Jugoslawien, heute Syrien, https://www.sopos.org/aufsaetze/4f771b8626d0c/1.phtml.html

[4] https://www.youtube.com/watch?v=Oe-RoWlj7hY&t=111s

[5] https://www.swp-berlin.org/publikation/die-ordnung-der-welt

[6] https://www.emma.de/artikel/russland-will-verhandeln-340083

[7] https://anti-spiegel.ru/2021/russland-veroeffentlicht-vertragstexte-fuer-abkommen-ueber-sicherheitsgarantien-mit-den-usa-und-der-nato/?doing_wp_cron=1647901663.5741100311279296875000

[8] https://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_218172.htm#:~:text=The%20background%20was%20that%20President,condition%20for%20not%20invade%20Ukraine

[9] https://www.youtube.com/watch?v=thaWAtc7IC4

[10] https://www.sueddeutsche.de/politik/podcast-nachrichten-gregor-gysi-fuer-nato-beitritt-von-finnland-und-schweden-1.5553388

[11] https://www.facebook.com/sahra.wagenknecht/posts/5656136241070393/

[12] https://www.youtube.com/watch?v=eOkBedkfuX0

[13] https://ipb.org/ipb-statement-of-solidarity-with-demonstrators-in-russia-and-the-people-of-ukraine-russian-petition/

[14] http://www.frikoberlin.de/oster/2014/braun.pdf

[15] https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/421512.tv-ansprache-dokumentiert-auszüge-der-rede-des-russischen-präsidenten-am-23-februar-zur-begründung-des-ukraine-einsatzes.html

[16] https://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_218172.htm#:~:text=The%20background%20was%20that%20President,condition%20for%20not%20invade%20Ukraine

[17] https://raymcgovern.com/2023/05/24/john-mearsheimer-on-putins-options-on-ukraine/

[18] https://www.youtube.com/watch?v=yzLiwWVZCOk

[19] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/verdi-chef-kein-platz-fur-menschen-mit-afd-positionen-li.2211001

[20] https://www.focus.de/politik/deutschland/besuch-in-den-usa-habeck-sieht-deutschland-in-einer-dienenden-fuehrungsrolle_id_61552626.html

[21] https://michael-von-der-schulenburg.com/ukraines-gescheiterte-friedensverhandlungen/#_ftn2

[22] https://www.pravda.com.ua/eng/news/2022/05/5/7344206/

[23] https://www.tagesspiegel.de/politik/per-dekret-von-selenskyj-ukraine-verbietet-gesprache-mit-putin-8711455.html

[24] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9579

[25] https://de.rt.com/russland/200277-berichterstattung-westlicher-medien-ueber-russland/

[26] https://nie-wieder-krieg.org/wp-content/uploads/2023/10/farbe-flyer-a4-25nov-berlin-2.pdf

[27] https://www.nachdenkseiten.de/?p=86030


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Doris Pumphrey: Friedensbewegung zwischen NATO-Mantra, Äquidistanz und Abgrenzung  (Auszug aus FREIDENKER 2-24, ca. 540 KB)


Bild oben: Transparent der Friko Berlin beim Ostermarsch 2024
© Friko Berlin
Quelle: https://www.flickr.com/photos/frikoberlin/53622619053