Völkerrechtsballast abgeworfen
von Arnold Schölzel
Erstveröffentlichung in der UZ vom 03.05.2024
Am 24. März 1999 machte sich die NATO zur Luftwaffe der UÇK, der aus Kriminellen zusammengesetzten „Befreiungsarmee“ der serbischen Provinz Kosovo, und begann ihren völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Der Kriegspakt bombardierte vor allem zivile Ziele, darunter Krankenhäuser, Schulen, Chemiewerke und Flüchtlingskonvois, die von NATO-Sprecher Jamie Shea in Brüssel als „Kollateralschäden“ eines „humanitären Kreuzzuges“ eingestuft wurden. Darunter fiel auch die Bombardierung des Belgrader Fernsehsenders RTS am 23. April 1999, bei dem 16 Angestellte getötet und mehrere schwer verletzt wurden. Der RTS-Generaldirektor Dragoljub Milanovic´ wurde 2002 für zehn Jahre ins Gefängnis geschickt, weil er angebliche Warnungen der NATO ignoriert habe. Amnesty International bestreitet, dass es diese Warnungen gegeben hat, und nennt die Bombardierung ein „Kriegsverbrechen“.
Am 7. Mai 1999 um 23.46 Uhr Ortszeit warf ein US-Tarnkappenbomber vom Typ B-2, der von der Whiteman Air Force Base in Missouri gestartet war, drei Lenkbomben mit Autopilot und Satellitensteuerung auf die Botschaft der Volksrepublik China in Belgrad ab. Die Lenkbomben waren zu diesem Zeitpunkt hochmodern, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) schrieb von „Bomben mit Hochschulabschluss“. Die gesamte Hausfassade stürzte ein, alle Stockwerke wurden schwer beschädigt, im Gebäude starben die drei chinesischen Journalisten Xu Xinghu, 31, dessen Frau Zhu Ying, 27 (beide von der Zeitung „Guangming Ribao“) sowie Shao Yunhuan, 48 (Nachrichtenagentur „Xinhua“). Mehr als 20 Botschaftsangehörige, unter ihnen der Militärattaché sowie die Ersten Sekretäre, wurden zum Teil schwer verletzt. Peking reagierte empört und hielt die US-Erklärung, es handele sich um einen Fehler einiger Offiziere, die Karten falsch gelesen hätten, für ungenügend. Zum 24. Jahrestag des Verbrechens im vergangenen Jahr forderte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, jedenfalls den Militärpakt auf, über sein „barbarisches Verbrechen“ nachzudenken und seine veraltete Mentalität des Kalten Krieges aufzugeben. In Belgrad, wo anstelle der Botschaft ein chinesisches Kulturhaus und ein Denkmal zur Erinnerung an den 7. Mai 1999 errichtet wurden, versammelten sich an diesem Datum vor einem Jahr Vertreter Chinas und Serbiens, um der Opfer zu gedenken.
Die Hoffnung auf eine Änderung des Umgangs der US-geführten NATO mit Botschaften im Krieg dürfte inzwischen international gesunken sein. Am 1. April dieses Jahres bombardierte Israel laut US-Offiziellen – Israel schweigt nach wie vor – das iranische Konsulat in Damaskus sowie die dort befindliche Residenz des iranischen Botschafters und beschädigte dabei die nebenan gelegene Botschaft Kanadas. 16 Menschen wurden getötet. Ein Protest Kanadas ist nicht bekannt, Israel erhielt aus Washington freie Hand weiterzumachen. Mehrfach bestätigte der kolonialistische Apartheidstaat hunderte völkerrechtswidrige Luftschläge auf Ziele in Syrien.
Angriffe dieser Art auf diplomatische Vertretungen Dritter sind als Drohung oder Bestrafung Teil militärischer Aktionen des Westens. So war es offensichtlich auch am 7. Mai vor 25 Jahren. Das von Präsident Boris Jelzin – der vor Beginn des NATO-Angriffs auf Jugoslawien noch vor einem Weltkrieg gewarnt hatte – geführte Russland hatte sich Anfang Mai im Rahmen eines G8-Treffens dem Westen unterworfen – China nicht. Der Versuch der NATO plus russischem Gehilfen, sich nachträglich im UN-Sicherheitsrat eine völkerrechtliche Legitimation für den Angriffskrieg zu besorgen, war in Peking auf kühle Zurückhaltung gestoßen. China forderte vielmehr, Jugoslawien in sämtliche Regelungen zum Kosovo-Konflikt einzubeziehen und auf jeden Fall die Souveränität und territoriale Integrität des Landes zu gewährleisten. Das war zu viel. Unter Punkt vier fand sich im G8-Papier der Satz: „Der Vorsitz der G8 wird die chinesische Regierung über die Ergebnisse der heutigen Sitzung unterrichten.“ Das bedeutete: Die USA und ihre Kriegskumpane behandelten die Volksrepublik nicht anders als bis dahin Russland und Jugoslawien: als zu vernachlässigende Größe, die faktisch kein Recht auf Souveränität und deren Respektierung hat. Laut NATO, deren Kopflangern in den Medien oder auch laut einem Theoretiker wie Jürgen Habermas war mit dem Angriff auf Jugoslawien ohnehin eine neue Epoche des Völkerrechts angebrochen, die des „Weltbürgerrechts“. Das sollte bedeuten: Staatliche Souveränität und Integrität hatten ab sofort als formaler Ballast zu gelten, der zugunsten der „Menschenrechte“ oder der „Demokratie“ abzuwerfen war. Gleichbehandlung? Nicht mit der bombenden und ballernden „Wertegemeinschaft“.
Was damals neu war, ist heute westliche Selbstverständlichkeit – auch für Israel. China und andere Staaten arbeiten daran, das wieder zu ändern. Rund 50 Länder verurteilten den Angriff auf das iranische Konsulat.
Dr. Arnold Schölzel ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes
Bild oben: Von einer NATO-Rakete schwer beschädigter Bereich der chinesischen Botschaft in Belgrad, bei dem drei Journalisten getötet wurden.
Foto: CGTN, übernommen von UZ