Demokratie – Medien – Aufklärung

„Hass im Netz“ oder eher Hass auf ein Grundrecht?

Ganz schrecklich sei er, der „Hass im Netz“. Und leider sei er nur selten strafbar. Das ist die neueste Arie aus dem Hause Faeser, und selbstverständlich sind die Gesetze zur Abhilfe schon in Arbeit. Dank einer Studie, die dafür die Rechtfertigung liefert.

Von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 14.02.2024 auf RT DE

Es gibt Studien, die muss man nicht lesen. Jedenfalls nicht, um Erkenntnisse zu gewinnen. So ist es auch mit der Umfrage „Hass im Netz“ vom „Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz“, die derzeit durch die Medien gejagt wird. Das Ganze hat schlicht viel von „Er merkte die Absicht und war verstimmt“.

Es muss nicht überraschen, dass diese Umfrage zeitlich eng verknüpft mit der ganzen „Rechtsextremismus“-Kampagne erscheint. Schließlich ist dieses „Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz“ ein weiteres Förderprodukt aus dem Bundesfamilienministerium und der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen.

So, wie sich vor dreißig Jahren Absolventen von Sozialpädagogik-Studiengängen auf sämtliche sozialen Lebensäußerungen mit dem Ziel stürzten, daraus ein Projekt zu machen, das ihnen dann am Ende eine öffentlich finanzierte Stelle verschafft, waren es in den letzten Jahren Medienwissenschaftler, die sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt sicherten. Was man ihnen gönnen könnte, wenn das Produkt dieser Existenzsicherung nicht ausgerechnet ein Frontalangriff auf jede Form der Meinungsfreiheit wäre.

Diese Umfrage jedenfalls erschien, welch Zufall, genau passend, um einen nächsten Ansatzpunkt für weitere Gesetzesverschärfungen zu liefern. Das allein müsste eigentlich schon deutliche Zweifel auslösen. Wenn ein einzelnes Papier als Grundlage staatlichen Handelns dient, dann ist besagtes Papier zum Zwecke dieses Handelns erstellt worden. Man muss nur einmal nachsehen, wie viele Studien es über die Folgen von Armut bei Kindern, von Armut auf die Gesundheit, von Armut auf die Lebenserwartung gibt; keine davon löste auch nur ansatzweise diese Art von Handlungsdruck aus, der jetzt die Folge dieses Papiers sein soll.

Das ist genauso wie mit den Großdemonstrationen „gegen Rechts“, die schon allein wegen der Vorlaufzeiten zum Anmieten der entsprechenden Bühnenanlagen nicht so spontan gewesen sein können, wie behauptet wird. Schon gar nicht, wenn zeitgleich mehrere derartige Veranstaltungen stattfinden; die Zahl der Anbieter von Bühnen und Lautsprecheranlagen, mit denen man hunderttausend Menschen beschallen kann, ist begrenzt, und selbst der An- und Abtransport derartiger Anlagen benötigt Sondergenehmigungen. Von den Kosten wollen wir dabei gar nicht erst reden.

Im Grunde ist schon die Fragestellung der Studie selbst absurd. Denn sie tut so, als wäre das Internet beziehungsweise die Kommunikation im Internet etwas von der Gesellschaft völlig Abgekoppeltes. Das muss man natürlich tun, wenn man beispielsweise „Klimaaktivist*innen“ zu Opfern von „Hass im Netz“ erklären will, ohne die Tatsache auch nur zu erwähnen, dass die permanenten Straßenblockaden in mehreren Großstädten nun einmal keine Begeisterung auslösen, sondern vielmehr eine Menge Menschen gründlich verärgert haben. Ebenso, wie man die negativen Reaktionen auf Journalisten, die die Studie ebenfalls beklagt, nicht davon trennen kann, dass viele davon selbst in ihrer beruflichen Tätigkeit damit befasst sind, ganze Bevölkerungsteile herabzusetzen und anzugreifen; die Beispiele während Corona waren überaus überzeugend. Wenn man den ganzen Aspekt des „Wie man in den Wald hineinruft, schallt es heraus“ ausblendet, dann sinkt der Erkenntniswert dieser Aussagen gewaltig.

Auch in jeder anderen Hinsicht werden Zusammenhänge nicht einmal gesucht. Dass virtuelle Kommunikation auch deshalb eher entgleist als analoge, weil eben von allen denkbaren Ebenen menschlicher Kommunikation nur noch eine geblieben ist, und damit all die Signale entfallen, die es im Alltag ermöglichen, zu erkennen, wann sich jemand angegriffen fühlt, wann jemand erschrickt oder sich freut. Es gibt weder Mimik noch Gestik noch Intonation. Dazu kommt dann noch, dass die Kultur des schriftlichen Austausches weitgehend geschwunden ist und die Frage, wie weit und wie genau man seine Ansichten und Gefühle durch Sprache ausdrücken kann, sehr stark von sprachlicher Bildung abhängt.

Wenn also die Umfrage ergibt, dass Frauen öfter „Hass erleben“ als Männer, und Internet-Nutzer mit höherer Bildung öfter als jene mit einfacher Bildung, dann verbirgt sich dahinter nicht notwendigerweise die Tatsache, dass Frauen und Gebildeten mehr „Hass“ entgegengebracht wird, sondern schlicht, dass die soziale Bewertung sprachlicher Kommunikation immer auch eine Klassenfrage, eine des Wortschatzes, eine des im eigenen Umfeld üblichen Umgangs ist. Wenn ein Bayer „Oida“ sagt, Alter, dann ist das keine Altersdiskriminierung, sondern ein Ausdruck für fast alles. Aber diese Studie stellt sich gerade nicht die Frage, inwiefern und warum sich Kommunikation im Netz vom unmittelbaren Austausch unterscheidet, sondern tut so, als wäre das eine mit dem anderen identisch, und dieselbe Aussage müsse dieselbe Bedeutung haben.

Nun, wenn man jemanden im unmittelbaren Kontakt beleidigt, geht man das Risiko einer ebenso unmittelbaren Reaktion ein. Dieses Risiko existiert virtuell eben nicht. Das ist eine Gegebenheit, an der kein Gesetz etwas ändern könnte.

Im Gegenteil. Wenn man davon ausgeht, dass eine rein schriftliche Kommunikation jenen Teilen der Gesellschaft einen Vorteil verschafft, die Zugang zu einer besseren sprachlichen Bildung hatten, und gleichzeitig eben diese Teile der Gesellschaft besonders dazu neigen, in Konflikten zu juristischen Mitteln zu greifen, dann ist eine weitere Verrechtlichung des Kommunikationsraums Internet eine Verstärkung einer ohnehin schon ausgeprägten sozialen Hierarchie, was, wenn man sich irgendwann mal mit Demokratietheorie befasst hat, die Gesellschaft noch undemokratischer macht, als sie ohnehin ist.

Wie die Verfasser dieser Studie gepolt sind, zeigen sie im Vorwort deutlich genug:

„Im Verlauf der Corona-Pandemie nahm der Hass gegenüber Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Medienschaffenden und Ärzt*innen stark zu. Im Kampf für Klimaschutz sind junge Aktivist*innen, besonders Frauen, auf der Straße und im Netz Gewalt(-fantasien) ausgesetzt. Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 nehmen gezielte Falsch- und Desinformation ein neues Ausmaß an. Im Juni 2023 starten Rechtsextreme mit dem Hashtag #stolzmonat eine Kampagne gegen den „Pride-Monat“ – ein neuer Höhepunkt der Queer- und Transfeindlichkeit im Netz, durchsetzt mit nationalistischem Gedankengut. Meldestellen für Betroffene von antisemitischen Übergriffen kommen seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 an ihre Kapazitätsgrenzen. Gleichzeitig häufen sich Fälle von anti-muslimischem Rassismus und Hetze gegen Geflüchtete macht Schlagzeilen.“

Das ist schon fast ein komplettes Programm, das sich als Schattenriss findet. Sie sind also, was selbstverständlich nicht überrascht, für die Corona-Maßnahmen, für Klimakleber, für die NATO, für LGBTQXYZ (was man schlicht die Buchstabensuppe nennen könnte, wäre dieser Begriff nicht schon von den US-Geheimdiensten belegt) und für Israel. Und da ist natürlich die Wirklichkeit, in der längst alle Aussagen, die diesem Programm widersprechen, allermindestens Hass sind, wenn nicht gleich einer der Kosenamen wie Klimaleugner, Putintroll, Querdenker oder Antisemit zuschlägt, die allesamt selbstverständlich keine „Hassrede“ sind.

Was den nächsten Punkt andeutet, an dem diese Studie schlicht die Wirklichkeit ausblendet. Wenn die veröffentlichte Meinung so einheitlich wie vorhersagbar ist und sich große Teile der Bevölkerung gar nicht mehr wiederfinden können, steigt natürlich auch der Druck auf alternative Kommunikationsmöglichkeiten. Wieder ein soziales Phänomen, kein virtuelles. Je mehr eine wirkliche Debatte in der wirklichen Welt verweigert oder verhindert wird, desto stärker wird sie sich verlagern. Denn jede Debatte, selbst die verzerrteste, ist im Kern der Ausdruck eines wirklichen Konflikts. Ich denke da nur an Pegida, deren eigentlicher Motor die Annexion und die tägliche Abwertung durch den Westen war.

Das ist jetzt nur ein Teil der Fragen, die man aufwerfen und behandeln müsste, ginge es um wirkliche Erkenntnis über ein wirkliches Problem. Das ist aber gar nicht das Ziel. Das wird beispielsweise bei dieser Frage sichtbar: „Hass im Netz muss ausgehalten werden, wenn er nicht gegen Gesetze verstößt.“ Abgefragt wird, ob dem eher zugestimmt wird oder ob man diese Aussage ablehnt. Und die weit überwiegende Mehrheit antwortet mit „stimme überhaupt nicht/eher nicht zu“, insgesamt 66 Prozent, bei den Grünen-Wählern 77 Prozent.

Das klitzekleine Problem: Diese Frage zielt darauf ab, eine verfassungswidrige Antwort zu enthalten. Zur Erinnerung Artikel 5 Grundgesetz:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Eine von Bundes- und Landesregierung finanzierte Organisation müht sich unter einem pseudoakademischen Anstrich, eine politische Rechtfertigung für eine weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit zu liefern. Wie wären die Antworten ausgefallen, hätte man den Artikel 5 Grundgesetz dieser Frage vorangestellt?

Die Deutung, die auf Grundlage dieser manipulativen Befragung erfolgt, ist dann äußerst zweckdienlich. Schließlich muss man die eigenen Stellen sichern. Und den zahlenden Auftraggebern die Vorlage liefern, die diese haben wollen. Der „Hass im Netz“ sei kein „schleichender Angriff auf unsere Demokratie“ mehr.

„Vielmehr muss man von einem offenen und unverhohlenen Versuch sprechen, die Grundwerte und Prinzipien unserer Demokratie durch Hass im Netz systematisch zu untergraben.“

Also, eine Kommunikation, die man nur auf einer Seite, und nicht der eigenen, mit dem Etikett „Hass“ versieht, die nach den Regeln des Grundgesetzes völlig legal ist, mehr noch, die Ausübung eines zentralen Grundrechts, und eben aus diesem Grund tatsächlich ausgehalten werden muss, soll unterhalb der ohnehin schon weit abgesenkten Schwelle des rechtlichen Eingreifens (man denke nur an Kaya Yanars Video zu Gaza, das „Volksverhetzung“ sein soll) immer noch verfolgt und unterbunden werden können.

Die Autoren schreiben wenig subtil davon, der „Gesetzgeber muss aktiv werden“, und es brauche „eine starke Zivilgesellschaft und eine durchsetzungsfähige Politik gegen Hass im Netz“ (selbstverständlich wird das Bemühen um weitere Stellen dabei nicht vergessen, in Gestalt eines kontinuierlichen „Monitoring von Hassdynamiken im Netz“).

Wenn man sich „durchsetzungsfähig“ und Bundesinnenministerin Nancy Faeser zusammendenkt, bekommt man Alpträume. Und natürlich passen Studie und juristische Vorhaben aus dem Hause Faeser zusammen wie Hand und Handschuh. Was letztlich mitnichten ein Beleg für „Hass im Netz“ ist, sondern nur für besonders effiziente akademische Prostitution und einen unstillbaren Eifer, den Artikel 5 Grundgesetz endgültig auszulöschen.

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


Bild oben: Aktion von campact, 02.06.2018
Foto: Philip Eichler/Campact, CC BY-NC 2.0 Deed
Quelle: https://www.flickr.com/photos/campact/40704309400