Schüler auf ‚den richtigen Demos‘: „Und bist du nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt.“
Als „Fridays for Future“ damals begann, fragte man sich, ob Schüler einfach so jeden Freitag von der Schule fernbleiben dürfen. Inzwischen scheint es kein Problem mehr zu sein, sie zur Teilnahme zu verpflichten. Es kommt eben immer aufs Thema an.
Von Tom J. Wellbrock
Erstveröffentlichung am 12.02.2024 auf RT DE
Als Nicole H. am 10. Februar 2024 auf Facebook folgendes Bild postete, war die Reaktion eine Mischung aus Empörung und Verständnis für das schulische Vorgehen. Einige forderten Nicole H. auf, Beweise für ihre Behauptung vorzulegen.
Beweis oder nicht Beweis?
Insbesondere die Ankündigung eines Schulverweises machte einige Facebook-Kommentatoren skeptisch, sie forderten einen schriftlichen Beweis dafür. Der Kommentator „Netti“ unterstützte die Beweisforderung:
„Exakt. Ohne schriftlichen Beweis könnte es mit solchen Behauptungen in alle Richtungen blöd ausgehen.“
Das ist durchaus wohlwollend gegenüber der Mutter zu verstehen, denn im Falle einer Widerlegung ihrer Behauptung könnte das unangenehme Konsequenzen für sie haben. In den Kommentaren schrieb Nicole H.:
„Mein Sohn sagt, das wurde vom Lehrer so gesagt, es ist eine schulische Veranstaltung während der Schulzeit und wenn sie daran nicht teilnehmen, droht ein Schulverweis. Schriftlich gibt es darüber noch nichts, vielleicht kommt nächste Woche noch was. Dann stelle ich es rein. Sie müssen aber definitiv an der Veranstaltung teilnehmen.“
Jene schriftliche Bestätigung ist bis heute (Stand: 12. Februar 2024) zumindest laut dem Profil der Nutzerin und Mutter nicht vorgelegt worden. Aber sie zeigt etwas anderes. Die Gesamtschule der Stadt Hemer schreibt auf ihre Webseite das Folgende:
„‚Wir sind bunt!‘ – Aktionstag der Hemeraner Schulen zur Stärkung der Demokratie, Toleranz, Vielfalt, Freiheit und Courage am Freitag in der Innenstadt“
Die weiterführenden Schulen in Hemer veranstalten am Freitag, 16. Februar um 12 Uhr einen gemeinsamen Aktionstag für Demokratie, Vielfalt, Toleranz, Freiheit und Courage in der Innenstadt. Ein Sternlauf startet gegen 11.30 Uhr und führt die einzelnen Schülergruppen von ihren Schulen durch die Straßen zur Innenstadt, was zu temporären Beeinträchtigungen im Straßenverkehr führen kann. Hier wird es auf dem Marktplatz eine Aktionsveranstaltung geben, die die Schülerinnen und Schüler selbst gestalten.
Eltern sowie Gäste sind herzlich eingeladen, sich der Kundgebung um 12 Uhr anzuschließen. Die Schulen setzen damit ein Zeichen für ein buntes Miteinander und eine offene Gesellschaft. Die Veranstaltung soll Raum für Dialog und Austausch bieten, um gemeinsam die Werte von Demokratie, Vielfalt und Toleranz zu stärken. Die Schülervertretungen und Schulleitungen freuen sich auf zahlreiche Teilnehmer und eine gemeinsame Demonstration für eine vielfältige und tolerante Gemeinschaft.“
Zur Teilnahme eingeladen werden Eltern und Gäste, von Schülern steht dort nichts. Das könnte bedeuten, dass es sich um eine schulische Veranstaltung handelt, eine Teilnahme für die Schüler also verpflichtend ist. Allerdings schreibt das „Bildungsportal Niedersachsen„:
„Die Teilnahme an einer Demonstration ist keine Schulveranstaltung. Schülerinnen und Schüler sind also während der Teilnahme an der Demonstration sowie auf dem Weg nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung gegen Personenschäden versichert. Auch Sachschäden werden nicht ersetzt.“
Und weiter heißt es:
„Grundsätzlich rechtfertigt die Teilnahme an Demonstrationen nicht das Fernbleiben vom Unterricht und somit auch keine Beurlaubung vom Unterricht, so lange das mit der Demonstration verfolgte Anliegen nicht weniger nachhaltig auch außerhalb der Unterrichtszeit verfolgt werden kann.“
Womit wir zum eigentlichen Problem vordringen.
Demo oder Schulveranstaltung?
Verpflichtende Teilnahmen an durch Schulen ausgerufene Veranstaltungen sind nicht neu. Spätestens seit dem Beginn von „Fridays for Future“ haben zahlreiche Schulen das politische Potenzial für verpflichtende Demos für sich entdeckt. Die Politik hält sich hier meist bedeckt, was nicht verwundern kann. Denn so lange es sich um die vermeintlich „richtigen“ Demos handelt, sieht sie offenbar keinen Interessenkonflikt.
Schon 2019 schrieb der Bayern-Kurier über eine interessante Praxis. Unter der Überschrift „Schulschwänzen als Pflichtveranstaltung“ heißt es:
„‚Die Schulpflicht – dies schönste Juwel der Aufklärung‘. Die Einsicht war einmal stolze Grundüberzeugung jeder fortschrittlichen Gesellschaft. Besonders in Westeuropa, der Heimat der Aufklärung – und darum der Schulpflicht. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts kommt aller Fortschritt nur von der Schulpflicht. So könnte man argumentieren.
Nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr im postaufklärerischen Nordrhein-Westfalen. Dort machen jetzt erste Schulen den Klima-Schulstreik zur schulischen Pflichtveranstaltung. Kein Witz, kein Klischee: Es sind zwei Gesamtschulen.“
Und weiter:
„An der Gesamtschule Kürten erklärten Lehrer die Fridays-For-Future Demonstration zum Thema des Kunstunterrichts: ‚Kann man mit Kunst die Welt verändern?‘ Zwei 9. Klassen wurden zur Teilnahme an der Demo in Köln verpflichtet. Schriftlicher Hinweis für die Eltern: ‚Beachten Sie bitte, dass eine schulische Exkursion verpflichtend für die Schüler ist und ein Fernbleiben entschuldigt werden muss.‘
An einer Dortmunder Gesamtschule hat die Schulkonferenz, also das Mitwirkungsgremium aus Lehrern, Eltern und Schülern, die offizielle Zusammenarbeit mit Fridays-For-Future beschlossen. Was immer das heißen soll. Die Schulleiterin hält das für ein ‚gutes Signal‘. Die Pädagogin weiter: ‚Es haben auch Schüler in der Vergangenheit an den Demos teilgenommen – im Klassenverband, mit den Lehrern.‘ Dies sei aber im Rahmen des Unterrichts geschehen. Demo als Unterricht. Auf Kosten von Deutsch, Mathe und Englisch.“
In dem Artikel kommt auch eine Politikerin aus der Deckung:
„Als ‚Weckruf an die Entscheidergeneration‘ lobt SPD-Bundesumweltministerin Svenja Schulze – geboren, zur Schule gegangen und studiert in NRW, man hat es geahnt – die Fridays-For-Future-Schulstreiks: ‚Ich finde es richtig gut, wenn heute wieder eine angeblich so unpolitische Generation den Mund aufmacht und auf die Straße geht.‘ 16-Jährige erklären der Politik – und ihren Lehrern – die Welt. Auch das war schon einmal anders. Aufgeklärter.“
In einem Punkt irrt der Autor allerdings: Wenn er schreibt „16-Jährige erklären der Politik – und ihren Lehrern – die Welt“, liegt er daneben. Denn zuvor haben Politik und Lehrer ja festgelegt, welches Thema „angemessen“ ist. Es ist in der Folge eine Kleinigkeit, die Schüler für ihr eigenständiges Denken zu loben, das ihnen zuvor ziemlich „uneigenständig“ indoktriniert wurde.
„Geht gefälligst auf die Straße!“
Im Jahr 2015 gab es einen Fall, der in die gleiche Richtung abzielte. Der Focus berichtete damals:
„Schwere Vorwürfe nach Lübecker Schülerdemo: 1.000 Schüler der fünf Europaschulen demonstrierten am Mittwoch vergangener Woche mit Plakaten für Freiheit, Toleranz, Weltoffenheit, Vielfalt und Respekt, wie die Online-Ausgabe der ‚Lübecker Nachrichten‚ berichtet. Die positive Bilanz von Schule und Polizei wird nun überschattet.
Die Facebook-Seite der Zeitung wird von kritischen Kommentaren geflutet. ‚Das war eine Zwangsveranstaltung für uns Schüler. Ich musste da hin und meine Anwesenheit wurde überprüft!‘, schreibt ein Schüler und fügt an: ‚Ich denke, wenn es keine Pflicht gewesen wäre, dann hätte man nur die Hälfte der Menschen dort angetroffen.'“
Die Leiter der betroffenen Schulen wehrten sich, wie der Focus berichtete:
„Die Leiter der fünf Europaschulen weisen die Vorwürfe zurück. Auf Nachfrage von FOCUS Online bestätigte die Baltic-Schule, dass die Schüler nicht gezwungen worden sein. ‚Die Demonstration wurde als Schulveranstaltung ausgewiesen, damit die Beteiligten auf dem Weg versichert sind‘, zitieren die ‚Lübecker Nachrichten‘ den Leiter der Friedrich-List-Schule, Stephan Cosmos. Ohnehin seien nur Schüler betroffen gewesen, die in der siebten und achten Stunde Unterricht gehabt hätten. Allen anderen hätte die Teilnahme freigestanden.“
Nun spielt das aber keine Rolle, denn selbst, wenn nur ausgesuchte Schüler betroffen waren und die Teilnahmepflicht aus versicherungstechnischen Gründen angegeben wurde, handelte es sich doch um eine Demo – eine für „die gute Sache“, versteht sich – aber eben eine Demo. Und vermutlich hatte der Schüler recht, der annahm, dass die Teilnehmerzahl geringer gewesen wäre, hätte die Pflicht nicht bestanden.
Gegen den Krieg, aber nicht gegen jeden
Im März 2022 berichtete der NDR über eine neue Variante der Schülerbeeinflussung:
„Jugendliche aus Niedersachsen sollen auch während der Schulzeit an Antikriegsdemonstrationen teilnehmen dürfen. Kultusminister Grant Hendrik Tonne hat eine entsprechende Bitte an die Schulen gerichtet.“
Klingt nach einer guten Idee, schließlich ist die Gefahr eines großen, heißen Krieges in Anbetracht der weltweiten Konflikte durchaus gegeben. Doch es hat schon Geschmäckle, wenn sich Niedersachsens Kultusminister Tonne explizit mit der Bitte um Verständnis an die Schulen wendet. Zudem: Besagte Demos sind keine Antikriegsdemonstrationen, wie man sie sich vorstellt, sondern richten sich explizit gegen den aktuellen Krieg in der Ukraine.
Das betont auch der Kultusminister:
„Den niedersächsischen Lehrkräften sicherte Tonne seine Rückendeckung zu, wenn sie mit Blick auf den Ukraine-Krieg Position bezögen. ‚Angriffe auf Menschenrechte sind nicht hinnehmbar. Diese klare Position sollen und dürfen unsere Lehrkräfte vertreten‘, sagte der Minister. Das Kultusministerium gebe den Schulen alle Freiheit, den Krieg in der Ukraine im Unterricht und außerhalb zu thematisieren. Grundsätzlich dürften Lehrerinnen und Lehrer mit Schülern die Möglichkeiten des friedvollen Zusammenlebens von Menschen erörtern, auch mit Blick auf Moral, Menschenrechte und den Glauben. Entsprechende Unterrichtsmaterialien seien bereits in den vergangenen Tagen auf dem Bildungsportal des Ministeriums bereitgestellt worden.“
Anders als in den zuvor genannten Beispielen waren die staatlich und schulisch begleiteten Demos keine Schulveranstaltungen, was die Sache aber nicht weniger anstößig macht. Denn man kann sich lebhaft vorstellen, wie „entsprechende Unterrichtsmaterialien“ aussehen. Und man ahnt, dass der „Blick auf Moral, Menschenrechte und den Glauben“, wie ihn sich Tonne vorstellt, nur in eine einzige Richtung gehen kann.
Der Kultusminister hat damit einen Spagat geschafft, der in anderen Fällen zumindest offiziell problematisch war, da die Differenzierung von verpflichtender Schulveranstaltung und Demo-Teilnahme schwierig ist. Doch wenn man als Politiker das Lehrpersonal einfach von ihrer Neutralitätsverpflichtung befreit, entsprechendes Lehrmaterial zur Verfügung stellt, das garantiert „politisch unbedenklich“ ist, und dabei auch noch die gesetzliche Unfallversicherung aus der Pflicht nimmt, die zwar bei Schulveranstaltungen, aber nicht bei Demos greift, hat man eine weitere, entscheidende „Schlacht“ gewonnen: die gegen alles und jeden, der womöglich an das alte und verstaubte Recht der freien Meinungsäußerung geglaubt hat und womöglich dachte, Kinder dürften nicht für Propaganda missbraucht werden.
Willkommen in der Wirklichkeit!
Tom J. Wellbrock ist Texter und Sprecher und betrieb gemeinsam mit Jens Berger den Blog Spiegelfechter. Aktuell betreibt er gemeinsam mit Roberto J. De Lapuente den Blog Neulandrebellen.de sowie den Telegram-Kanal „Randnotizen aus der Mitte„
Bild oben: Demonstration unter dem Motto „#NieWiederIstJetzt – Gemeinsam stark gegen Rechts“ am 20.01.2024 in Heidelberg
Foto: Stephan Sprinz, CC BY 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=144356544