Faeser und die Grenzen des Rechtsstaats
Natürlich geht es um Grenzen in dem Entwurf des Bundespolizeigesetzes. Aber leider nicht nur um die Landesgrenzen, für die die Bundespolizei in Deutschland vor allem zuständig ist. Faeser nutzt die Bundespolizei lieber, um eine ganz andere Grenze zu überschreiten – die des Rechtsstaats.
Von Dagmar Henn
Erstveröffentlichung am 22.12.2023 auf RT DE
Man könnte das als Beispiel verwenden, wie die gesellschaftliche Wahrnehmung in die falsche Richtung gelenkt wird: Der Entwurf für das neue Bundespolizeigesetz, auf den sich die Regierung am Mittwoch einigte, war kurz Thema in den Medien, und jetzt ist er schon wieder daraus verschwunden. Und was am häufigsten vermeldet wurde, war, dass die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman an diesem Entwurf Kritik übte, weil er nicht klar genug das „racial profiling“ verhindere.
Nun muss man in diesem Zusammenhang auch erwähnen, worin eigentlich die Aufgabe der Bundespolizei besteht – abgesehen von der Erfüllung von Sicherheitsaufgaben auf Bahnhöfen (was dann im Entwurf um die Flughäfen erweitert wird) in der Grenzsicherung. Wenn es bei diesem Entwurf überhaupt Bestandteile gibt, die positiv gesehen werden können, dann sind das jene Bestimmungen, bei denen es um Bekämpfung von Schleusern geht. Und auch wenn es an Bahnhöfen kritisch zu sehen ist, wenn nach Hautfarbe kontrolliert wird – bei der Grenzsicherung bleibt es ein valides Kriterium.
Allerdings ist eines der vielen Dinge, die das Ministerium der Nancy Faeser treibt, eine deutliche Ausweitung der Bereiche, in denen die Bundespolizei eingesetzt werden kann. Ausland eingeschlossen. Auch gegen den Willen des „Empfängerlandes“. Das lässt sofort an EUROGENDFOR denken, die europäische Aufstandsbekämpfungspolizei, an der seit Jahren gearbeitet wird. Da wird also in Deutschland ein Gesetz geschrieben, das bereits Paragrafen enthält, mit denen an eine derartige Einheit angedockt werden kann, deren Grundlagen im EU-Recht noch nicht einmal existieren …
Dass der Zug in diese Richtung geht, lässt sich auch daran erkennen, dass die Einsetzbarkeit der Bundespolizei, um die Länderpolizeien zu unterstützen, ebenfalls ausgeweitet wurde. Auch hier gewissermaßen eine Vorbereitung auf härtere Zeiten.
Aber um diese Punkte zu finden, muss man den Entwurf tatsächlich lesen. Denn all die Details, die weithin zitiert werden – dass die Bundespolizei Drohnen einsetzen darf, dass es eine individuelle Kennzeichnung geben soll, dass nach Personenkontrollen „Kontrollquittungen“ ausgestellt werden sollen – das alles ist Kleinkram. Und entbehrt zudem des Zusammenhangs, der für ein Verständnis erforderlich ist.
Um aufzuschließen, was die Einführung von Drohnen bedeutet, muss man wissen, dass die Bundespolizei etwa bei Demonstrationen dem Verfassungsschutz Hilfestellung gibt. In Gestalt von Videoüberwachung. Natürlich steht das nicht im Gesetz, dass man gerne Demonstrationen per Drohnen überwachen würde, aber wenn man von dieser Amtshilfe weiß, weiß man, wofür diese Drohnen auch eingesetzt werden können.
Kennzeichen und Kontrollquittungen klingen erst mal hübsch; deshalb hat das Haus Faeser diese Punkte auch ausgewählt. Eher erstaunlich, dass sie nicht auch noch betont haben, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte alle zwei Jahre mal nachschauen darf, ob alles gut ist. Im Entwurf selbst verblasst das alles aber vor der Ausweitung der Überwachungsmöglichkeiten. Und selbst wenn einige von ihnen sinnvoll sein mögen, wenn sie sich wirklich mit einer Aufgabe wie der Bekämpfung von Schleusern befassten – die Formulierungen sind so offen und weit gefasst, dass sich damit ganz andere Dinge anstellen lassen.
Vielleicht erinnert sich noch jemand daran, dass inzwischen ziemlich willkürlich festgelegt wurde, dass man Richtung Russland nur noch mit 300 Euro ausreisen dürfe. Es gab Fälle, in denen Geld beschlagnahmt wurde, aber es gab dafür keine Rechtsgrundlage.
Nun, der Entwurf lässt sich auch dafür nutzen. Weil nämlich die Bundespolizisten nebenbei auch Gerichtsvollzieher werden, also pfänden dürfen. Und wenn man dann auch noch dafür sorgt, dass all jene, denen man den Pass entzieht oder keinen ausstellt, in der Grenzfahndung landen, was dabei ebenfalls vorgesehen ist – den Passentzug gab es mit dem neuen Passgesetz im September – dann können die Ausreisewilligen nicht nur mit den unterschiedlichen Überwachungsmethoden herausgefischt werden, sondern auch an der Grenze festgesetzt und per Gerichtsvollzieherfunktion ihrer baren Mittel beraubt werden.
Bei Betrachtung all dieser Details darf man nie vergessen, wie deutlich das Strafrecht verändert worden ist. Da gibt es zum Beispiel das Delikt der Sanktionsumgehung. Der deutsche Zoll jagt ja gerade russische Weihnachtspäckchen und beschlagnahmt sie, und es ist technisch fast unmöglich, ein derartiges Päckchen zu packen, ohne dass irgendetwas darin ist, dessen Einfuhr die EU verboten hat. Auch das ist die Einleitung einer neuen Stufe, weil Geschenke und Gegenstände des persönlichen Bedarfs eigentlich von den Sanktionen ausgenommen sind. Wenn nun die Deutung durchgesetzt wird, dass alles diesen Sanktionsregeln unterliegt, lässt sich auch aus jedem Verstoß dagegen eine Straftat basteln. Und wenn da eine Straftat ist, im Zusammenhang mit einem Grenzübertritt, dann darf die Bundespolizei tätig werden … Wenn man die Verfolgungswut bei Weihnachtspäckchen betrachtet, müssten Reisende Richtung Russland in Zukunft den Weg nackt und geld- wie gepäcklos antreten, sofern sie sich nicht strafbar machen wollen.
Übertrieben? Es gibt zwei Kriterien, nach denen man gesetzliche Änderungen beurteilen sollte. Das erste besteht darin, auf unbestimmte Rechtsbegriffe zu achten. Also insbesondere auf Konjunktive. So etwas wie die Begründung einer Überwachung per Handylokalisierung, weil ein Verdächtiger das Gerät der überwachten Person „benutzen könnte“. Selbst beim Schauen gewöhnlicher Fernsehkrimis kann man lernen, dass dieses „könnte“ das Einfallstor ist, um sich bei Bedarf eine Begründung zu basteln. Nach dem Motto, Herr X ist der Nachbar, könnte ja sein, dass er sich mal das Handy leiht … Das zweite Kriterium lautet, die Regeln nicht so zu lesen, wie sie jemand anwenden würde, der gutwillig ist, sondern so, wie das jemand täte, der maximal böswillig ist. Weil nur dann, wenn selbst bei sehr unlauteren Absichten die Rechte der Bürger gewahrt bleiben, sie wirklich sicher sind.
Wenn man das neue Bundespolizeigesetz aus diesem Blickwinkel liest, wird einem wirklich schwindlig. Denn es wimmelt gerade im Bereich der Überwachungsmöglichkeiten vor Konjunktiven und Ausweitungen, und es gibt entschieden zu viele Möglichkeiten, selbst im Nachhinein nicht über diese Überwachung informieren zu müssen. Eigentlich müsste das die verbliebenen Reste an Bürgerrechtlern auf den Plan rufen – aber die sind mit dem Köder des „racial profiling“ beschäftigt, der ihnen hingeworfen wurde.
Das internationale Recht ist übrigens auch egal, es wurde durch „Unionsrecht“ verdrängt. „Unionsrecht“ sind all die befremdlichen Dinge, die aus Brüssel kommen, die oft mit rechtsstaatlichen Regeln gar nichts zu tun haben. Wenn das „Unionsrecht“ das erlaubt, darf die deutsche Bundespolizei sogar in ausländischen Flugzeugen agieren, ohne dass der Staat, dessen Gebiet das Innere dieses Flugzeugs ist, überhaupt gefragt wird. Das erinnert ein wenig an die Entführung des Flugzeugs des bolivianischen Präsidenten Evo Morales durch die USA, damals, als sie Edward Snowden jagten. Es ist weit, weit weg von den geltenden völkerrechtlichen Regeln.
Aber wie steht es eigentlich mit der Rechtsstaatlichkeit, wenn die Tür so weit geöffnet wird, für den Einsatz der deutschen Polizei im Ausland wie für den der ausländischen Polizei in Deutschland? Die nach unterschiedlichen Rechtsrahmen agieren? Wo bitte ist dann noch die gerichtliche Überprüfbarkeit des staatlichen Handelns gegeben, wenn man aus Einsatzmöglichkeiten und Zuständigkeiten eine derartige Suppe rührt?
Sie ist es nicht mehr. Das, was in diesem Entwurf über grenzüberschreitende Polizeieinsätze steht, dürfte nicht sein, weder in der einen noch in der anderen Richtung. Aber das ist nicht der einzige Punkt, der wirklich brisant, ja gefährlich ist. Da wird die Rolle einer „Vertrauensperson“ eingeführt. Ja, so etwas kennt man, vom Verfassungsschutz, den V-Mann … oft auch als Agent Provocateur genutzt. Da sind wir schon mitten in nachrichtendienstlichen Methoden. Das passt natürlich zu den massiv erweiterten Überwachungsmöglichkeiten, aber es passt nicht zur eigentlich gebotenen Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizei.
Das ist überhaupt das besondere Talent des Faeser-Ministeriums. Man denke nur an das Verfassungsschutzgesetz, mit dem dieser ermächtigt wurde, mal eben Vermieter, Arbeitgeber und den Postboten darüber zu informieren, dass da jemand verdächtigt wird, kein zweifelsfreier Anhänger der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu sein. Wobei man sich bei der Gestalt, die dieses Begriffsmonster im Hause Faeser annimmt, die beiden Adjektive sparen kann, da von ihnen ohnehin nichts mehr übrig bleibt.
Auch hier wird dichtester Datenfluss sichergestellt. Überallhin. Zum Verfassungsschutz, zu beliebigen anderen Behörden, zu Privatunternehmen („nichtstaatliche Stellen“), – weil das alles auch für Staaten gilt, die ein Assoziierungsabkommen mit der EU beim Schengen-Abkommen haben; die schräge Nummer mit den „nichtstaatlichen Stellen“ übrigens eingeschlossen. Und nachdem die Schengen-Abkommen von allen Staaten erfüllt werden müssen, die der EU beitreten wollen, ist die Liste an diesem Punkt alles andere als abgeschlossen … Nebenbei, auch der grüne Parteigeheimdienst besteht aus „nichtstaatlichen Stellen“.
Und dann soll es etwas nützen, wenn alle zwei Jahre mal der Bundesdatenschutzbeauftragte vorbeischaut? Schon das an sich erhalten gebliebene Recht, fehlerhafte Daten über die eigene Person korrigieren zu lassen, ist nutzlos, wenn es zwanzigtausend mögliche Gründe gibt, vor dem Betroffenen zu verbergen, dass es diese Daten überhaupt gibt – den man mit allen, wirklich allen Mitteln der Kunst ausspionieren darf. Überwachung der Wohnung eingeschlossen. Nur die Pornoteile der Videos werden vielleicht noch gelöscht.
Es gab Zeiten, da wären solche Gesetzentwürfe in der Luft zerrissen worden. Da wurden sie aber noch gelesen, und nicht dutzendfach schlicht die ministerielle Presseerklärung wiedergekäut. Da leisteten sich Redaktionen sogar noch Menschen mit genug juristischem Sachverstand, um einen derartigen Text aus dem Blickwinkel der maximal bösartigen Anwendung zu überprüfen.
Heute reicht ein kleiner Köder wie eine „individuelle Ziffernfolge“ auf den Uniformen, um völlig von der Grenzenlosigkeit abzulenken, die sich in diesem Entwurf verbergt. Die Produkte des Hauses Faeser werden von Mal zu Mal schlimmer. Wenn man wirklich jemanden suchen wollte, dessen Ziel es ist, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu zerstören, müsste man die Liste der Referenten in diesem Ministerium unter die Lupe nehmen, statt auf Dinge wie den Rollatorputsch hereinzufallen. Aber das geschieht sicher nicht.
Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
Bild oben: Ärmelabzeichen der Bundespolizei, 2023
Foto: Henning Schlottmann, CC BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=128847389